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ÖSTERREICH / PRESSE Böhmische Knödel

aus DER SPIEGEL 47/1964

Ein Böhme aus Bayern ging nach Wien, um »Die Furche« - Österreichs anspruchsvollste kulturpolitische Zeitschrift - von links nach rechts umzupflügen: Herausgeber des bislang linkskatholischen, auch in Deutschland geschätzten Intelligenz-Blattes ist seit vorletzter Woche Dr. Emil Franzel, 63, Publizist aus München.

Der Mann mit dem zierlichen Namen, nacheinander Österreicher aus der böhmischen Provinz, Tschechoslowake, Reichs- und schließlich bayrischer Bundesdeutscher, verdankt seinen Wechsel nach Wien dem Mißmut österreichischer wie süddeutscher Klerikal-Konservativer am Kurs der »Furche«.

Den rechten Flügelleuten der katholischen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) unter Bundeskanzler Josef Klaus und ihren süddeutschen Freunden aus dem Kreis der vom kirchlich geführten Ständestaat träumenden »Abendländischen Akademie« war die Linie der Zeitschrift zu weltoffen, zu liberal; mit einem Wort: zu links.

Sie machten dafür neben dem Chefredakteur Dr. Kurt Skalnik vor allem den Star-Publizisten der »Furche«, den Burgtheater-Chefdramaturgen Professor Friedrich Heer (Spitzname: »Gottes Wildsau") verantwortlich. Denn Heer nörgelte fortgesetzt an der Kulturpolitik des konservativen Katholizismus herum und wagte sogar, die Protestanten »unsere getrennten Brüder« zu nennen.

Der Theater-Professor tat dies unter der schützenden Hand des fortschrittlichen Wiener Kardinals König, und solange der Kirchenfürst über die Unabhängigkeit des Blattes wachen konnte, bestand für die »Furche«-Feinde keine Aussicht, selbst Einfluß auf die Redaktion zu gewinnen.

Als König aber zur dritten Konzils -Periode nach Rom fuhr und wochenlang von Wien abwesend war, nutzten sie ihre Chance und bestimmten den katholischen, ÖVP-nahen Herold-Verlag, der die »Furche« herausgibt, zum Revirement. Emil Franzel, der neue Ackermann aus Böhmen, konnte kommen.

Er entsprach präzise dem Bild, das sich konservative Katholiken von einem guten Journalisten machen: Franzel focht seit Jahren von München aus in den bayrischen Blättern »Deutsche Tagespost« und »Volksbote« mit alttestamentlichem Zorn gegen alles, was er für liberal und links und mithin für zersetzend hielt - gegen Sozialdemokraten und Intellektuelle, gegen Kommunisten und Parlamentarier. Und er verfolgte seine Feinde mit jener Art Haß, der nur Renegaten fähig sind: Franzel kommt selbst von links.

Lehrersohn Emil aus dem nordböhmischen Flecken Haan studierte mit Hilfe eines Stipendiums der sudetendeutschen Sozialdemokraten in Prag, München und Wien Geschichte und Germanistik. Der sozialistischen Sache galten auch seine ersten journalistischen Versuche. Linientreu antiklerikal schrieb er im sozialdemokratischen Arbeiterjahrbuch von 1932: »Der lange zurückgehaltene Haß gegen die Bundesgenossin der Reaktion, gegen die sich ständig bereichernde und das Volk verdummende (katholische) Kirche macht sich in Klosterstürmen Luft ...«

Später schimpfte er, noch immer im Einklang mit der sozialistischen Sache, über »die Quäkermanieren des Vegetariers und Milchtrinkers Hitler«, nannte die Nazis klarsichtig »Afterkünstler und Schießbudenfiguren« und bewies sogar historischen Weitblick. Franzel 1936: »Machen wir uns zum Nachtrab Hitlers, so werden wir noch tiefer fallen als Hitlers Reich selbst.«

Zwei Jahre später aber marschierte der Sozialdemokrat selbst im Nachtrab des Führers. Nach dem Münchner Abkommen informierte er »mit deutschem Gruß Heil Hitler Dr. Emil Franzel« die Deutsche Gesandtschaft in Prag über Spezialität seiner böhmischen Heimat, seine Schritte, »den jüdischen Einfluß auf die 'Urania' (das Deutsch-Prager Volksbildungsinstitut) so rasch wie möglich zu liquidieren«. Und am 20. Dezember 1938 versicherte er im Institutsblatt »Urania": »Da wir als Deutsche hier leben und wirken, werden wir Nationalsozialisten sein.«

Franzel, inzwischen Direktor der »Urania«, wirkte fortan als Schriftleiter der Zeitschrift »Vorposten«, die der von den Tschechen später hingerichtete Heydrich-Mitarbeiter SS-Obergruppenführer und Staatssekretär Karl Hermann Frank in Prag herausgab.

Als Hitlers Reich dann, wie Franzel prophezeit hatte, fiel, fiel Franzel selber weich: Im oberbayrischen Weilheim fand der heimatlose Rechte eine neue Heimat und ein völlig neues Glaubensgefühl - er entdeckte nun die Werte des Katholizismus und seiner Kirche. Mit Franzels Worten: »Eine Ordnungsmacht ... eine großartige Hierarchie, eine konservative Kraft.«

Seine Partei wurde die CSU, sein Beruf Bibliotheksbeamter in München. Und sein journalistischer Eifer galt nun ausschließlich der Sache des katholischen Abendlandes, dazu der emsigen Pflege seiner Wahlverwandtschaft zu Franz-Josef Strauß.

Gegen die Feinde von links - Franzel nennt sie gern »Kommunisten«, »Kapitulanten«, »Pornographen«, »Achtgroschenjungen Ulbrichts« und »Fünfte Kolonne Moskaus« - zog er, wie er selbst errechnete, mit 960 Maschinenzeilen pro Woche zu Felde. Immer hatte er etwas zu sagen, so

- zur Verfassung der Bundesrepublik: »Eine Staatsform, in der jeder Schafskopf wählen darf, muß es sich gefallen lassen, daß die Schafsköpfe ihresgleichen mit Mandat ausstatten.«

- Zum österreichischen Staatsvertrag: »Für die anscheinend unaufhaltsam fortschreitende Fellachisierung Europas (ist) nicht einmal so sehr die Schaffung eines Protektorats Österreich bezeichnend als vielmehr die Tatsache, daß man diesen Akt als 'Befreiung' feiern kann.«

- Zur Wahl von Franz-Josef Strauß zum CSU-Vorsitzenden, frei nach Grillparzer: »Glück auf, mein Feldherr!« Und: »Führe den Streich.«

- Zur SPIEGEL-Affäre: »Wie wenig Schutz ein Politiker der Mitte oder der Rechten von unserer Justiz erhalten konnte, hat sich im Fall Oberländer wie im Fall Strauß erwiesen.«

- Zum Untergang des Ober-Bayern Strauß: »Die Hetze gegen Strauß wurde von Moskau entfesselt ...«

600 000 solcher Zeilen und an die tausend Vorträge, so rühmt sich Franzel, gingen innerhalb von zwölf Jahren auf Süddeutschland nieder. All das schaffte der Bibliothekar neben seinem Beruf und ohne Archiv. Franzel: »Ich habe kein Archiv außer meinem Gedächtnis, und das beginnt nachgerade auch die Jahre zu spüren.«

In der Tat: In seinem Buch »Geschichte unserer Zeit« ließ er unter anderem das Rheinland 1937 statt 1936 besetzen und Hitler die allgemeine Wehrpflicht für 86 statt für 36 Divisionen verkünden.

In einem Punkt aber versagt Franzels Erinnerung nie: wenn es um die Kochkunst geht und insbesondere um die die Knödel. Ihnen zuliebe entwickelte der Doktor der Philosophie eigens eine Knödel-Wissenschaft, die »Nodosophie«, und widmet ihr eine selbstbesprochene Schallplatte.

Trotz des friedlichen Gegenstandes seiner Betrachtung aber blieb Franzels Vokabular auch diesmal militant. Knödel, so sagt er, müßten »groß wie eine vierpfündige Kanonenkugel« sein.

»Furche«-Herausgeber Franzel: »Glück auf, mein Feldherr!«

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