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»Bösartige Grimassen«

Unter der Überschrift »Wahrheiten und Unwahrheiten« kommentierte der polnische Deutschland-Experte Ryszard Wojna in der Warschauer Zeitung »Zycie Warszawy die Titelgeschichte des SPIEGEL »Oder-Neiße-Grenze -- Ende einer Illusion« (SPIEGEL 19/1970):
aus DER SPIEGEL 21/1970

Ihre Autoren stellen sich selbst ein Anständigkeitszeugnis mit der Erklärung aus, daß für die Bonner Illusionen hinsichtlich der Oder-Neiße-Grenze nun ein Ende gekommen Ist.

Damit diese These kraftvoller klingt, zögern sie dabei nicht, die Wirklichkeit an die These anzupassen. Sie schreiben nämlich, daß während der jüngsten Gespräche

Staatssekretär Duckwitz dem stellvertretenden

Außenminister Winiewicz angeblich die »Anerkennung der Oder-Neiße -- Grenze« vorgeschlagen hat -- was sie übrigens nicht stört, an einer anderen Stelle eine mutmaßliche Äußerung von Duckwitz zu zitieren, in der

kein Wort über die »Anerkennung« steht, sondern nur das Einrennen offener Türen mit der Feststellung, daß »die Oder-Neiße-Linie die Westgrenze Polens ist«.

Solch eine Feststellung ist natürlich keine Anerkennung. Der SPIEGEL weiß darüber genauso Bescheid wie wir. Die Irreführung der bundesrepublikanischen Bevölkerung ist insofern gefährlich, als die kritischen polnischen Reaktionen von den nationalistischen Kräften als Beweis herangezogen werden können für die angebliche Unmöglichkeit, mit Polen sogar dann eine Verständigung zu erreichen, wenn Bonn angeblich die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze anbietet.

Indem der SPIEGEL seine Fassung der jüngsten Warschauer Gespräche der bundesrepublikanischen Bevölkerung präsentiert, versucht er zugleich die polnische Seite in einem solchen Licht darzustellen, daß er eigentlich den nationalistischen Kräften, von denen er sich formell distanziert, einen guten Dienst leistet.

Er legt den polnischen Gesprächspartnern zur Last, sich angeblich nicht mit der »Anerkennung« der Oder-Neiße-Grenze zufrieden gegeben zu haben, sondern außerdem eine »finanzielle Zugabe von 500 Millionen Mark« zu beanspruchen. Die Herren vom SPIEGEL gehören zu jener besonderen Art bundesrepublikanischer Staatsbürger, die glauben, daß schon ihre Distanzierung von der braunen Vergangenheit Ihnen das Recht gibt, die anderen, und besonders die sozialistischen Länder, mit einer gewissen Nachlässigkeit zu behandeln.

Ihre Information ist nicht nur falsch, sondern sie

riecht auch nach arrogantem Selbstbewußtsein, verbunden mit einer Verachtung der anderen Seite. In einem solchen Klima errichtet der SPIEGEL psychologische Hindernisse für eine echte Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und der Deutschen Bundesrepublik.

Es hat nie ein Junktim zwischen politischen und Wirtschafts-Verhandlungen gegeben, und es wird nie eins geben.

Die SPIEGEL-Unterstellungen können nicht anders gewertet werden als ein Versuch, einen heimtückischen Schuß abzugeben -- sowohl auf das Klima der politischen Gespräche zwischen Warschau und Bonn, wie auch auf die unterbrochenen Wirtschafts-Verhandlungen. Das SPIEGEL-Mosaik wurde durch bösartige Grimassen entstellt.

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