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ERZIEHUNG / POLITISCHE BILDUNG Böse Mächte

aus DER SPIEGEL 21/1970

Die Zeichnung zeigt zwei sowjetische Flugzeuge am Himmel. Fragt der eine Pilot: »Woher, wohin, Genosse?« Sagt der andere: »Aus Moskau nach Alma-Ata, Dort soll es Zwiebeln geben,«

Dieser Witz über die Sowjet-Union steht in »Unserer Zeit«, einem »Lesebuch für politische Bildung«, unter der Überschrift »Genossenschaften in Mitteldeutschland«. Für ihr Thema haben die Autoren Binder und Steinbügl nicht mehr Platz als für die Karikatur.

Aus einer »Gemeinschaftskunde für Mädchen' erfahren künftige Bauers- und Hausfrauen: »Kennst du von zwei Personen nur eine, die du grüßen mußt, so grüße ohne Anrede: Guten Morgen! Sonst soll man immer mit der Anrede grüßen: Guten Tag, Frau Meier!« Über die DDR wird in diesem politischen Schulbuch so gut wie nichts geschrieben.

Otto Seitzer, Autor des »Gemeinschafts- und Wirtschaftskunde«-Buches »Einer für alle -- alle für einen« (1968 erschienen, zugelassen in fast allen Bundesländern), stellt die Kollektivierung in der DDR auf eine Ebene mit der Euthanasie des NS-Regimes: »Da Ziele wie die Tötung kranker Menschen oder die Enteignung der Bauern dem Rechtsbewußtsein des Volkes widersprechen, werden sie nicht in Gesetzesform verkündet.«

Diese und andere Beispiele fand Dr. Horst Siebert, 30, Privatdozent für Pädagogik an der Universität Bochum. In dieser Woche werden die Ergebnisse seiner Untersuchung über den jeweiligen »anderen Teil Deutschlands in Schulbüchern der DDR und der BRD« veröffentlicht*.

Der Jungwissenschaftler sah sämtliche sieben DDR-Schulbücher für Staatsbürgerkunde und zehn ausgewählte BRD-Schulbücher für Gemeinschafts- oder Sozialkunde durch.

In der Quantität gibt es Unterschiede: Schüler der DDR erfahren drei- bis viermal soviel über die Bundesrepublik wie umgekehrt ihre westdeut-

* Horst Siebert: »Der andere Teil Deutschlands In Schulbüchern der DDR und der BRD. Verlag für Buchmarkt-Forschung, Hamburg; 128 Seiten; 12,80 Mark.

schen Altersgenossen über den zweiten deutschen Staat. An Qualität aber mangelt es hier fast so wie dort: Statt ein realistisches Bild des Nachbarstaates zu vermitteln, wird den Schülern hüben wie drüben zumeist ein negatives Gegenbild zum eigenen Staat vorgestellt -- mit krassen Konturen In Schwarzweiß-Malerei. Für West-Schüler soll dann oft die Fahrt an die Berliner Mauer noch beweisen, was in den Büchern behauptet wird.

»Der Ausnutzung aller durch den Staat sind ... keine Grenzen gesetzt, heißt es hüben in den »Grundzügen der Sozialkunde« (zugelassen in acht Bundesländern) über die DDR-Planwirtschaft. Die »Verschärfung der Ausbeutung in Westdeutschland« nehme ständig zu, behaupten drüben die »Unterrichtshilfen Staatsbürgerkunde 9. Klasse« über die BRD.

Und in der »Staatsbürgerkunde« für die neunten Klassen (zugelassen in allen Regierungsbezirken der DDR) werden Urgewalten beschworen: »Die traditionellen Mächte des Bösen erzwangen das Entstehen des Guten, nämlich die Gründung der DDR.«

In der DDR wie in der Bundesrepublik werden die Lehrer aufgefordert, ihren Schülern Suggestivfragen und -aufgaben zu stellen. Ost-Beispiel: »Warum beweist die Herausbildung des staatsmonopolitischen Kapitals die historische Notwendigkeit der Errichtung der sozialistischen Gesellschaft?« West-Beispiel: »Ein Staat, in dem Grundrechte gelten wie in der Bundesrepublik, ist ein Rechtsstaat. Ein Staat, in dem die Grundrechte nicht gelten, ist ein Unrechtsstaat. Vergleiche unter diesen Gesichtspunkten die Demokratien des Westens und die Diktaturen des Ostens.«

Daß bundesdeutsche Autoren oft zu dem gleichen Urteil über die DDR kommen wie umgekehrt die DDR-Autoren über die Bundesrepublik zeigt der Bochumer Pädagoge an einer langen Liste. Es wird laut Siebert jeweils gelehrt:

>"Das andere System ist asozial und inhuman, die Bevölkerung wird vom Staat ausgebeutet.

* »Die andere Regierung hat die Teilung verschuldet, das Potsdamer Abkommen gebrochen und verhindert die Wiedervereinigung.«

* »Der andere Staat ist lediglich Ausführungsorgan einer der beiden Großmächte.«

* »Das andere System ist zum Scheitern verurteilt, die Mängel sind systembedingt und keine Übergangserscheinungen.«

* »Im anderen Teil besteht eine unüberbrückbare Kluft zwischen Bevölkerung und Regierung.« In den DDR-Schulbüchern wird der heutige deutsche Westen oft mit dem NS-Reich verglichen. So lernen die Schüler, daß »hohe Offiziere der Hitlerarmee« an der Spitze der Bundeswehr »ihre alten Ziele verfolgen: Kriege anzetteln, fremde Länder erobern, andere Völker unterdrücken«.

Andererseits scheuen auch westdeutsche Autoren nicht davor zurück, braun und rot gleichzusetzen. So wird in den »Orientierungshilfen zur politischen Bildung für Berufs- und Fachschüler« gleichgestellt: »Im Hitler-Deutschland beschlagnahmte die Hitlerjugend Turnen und Sport: Drüben tun es die Staatsjugendverbände.«

Siebert angesichts solcher Fehlurteile über die Perspektiven: »Die Teilung ist dann vollkommen, wenn die Kenntnis über den anderen Teilstaat nur noch aus Erinnerungen oder gar Klischees und Stereotypen besteht.«

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