UNFALLVERSICHERUNG Bogen um Amis
Auf der Schweinsdell-Autobahnbrücke unweit von Kaiserslautern prallte der amerikanische Luftwaffensoldat Richard A. Secord mit seinem Pontiac -Straßenkreuzer so wuchtig auf einen vor ihm fahrenden VW-Bus, daß der deutsche Wagen auf die Gegenfahrbahn geschleudert und von einem entgegenkommenden Pkw zertrümmert wurde.
Bilanz des Unfalls vom 6. Oktober 1957: zwei Tote, der Hilfsarbeiter Sigurd Zartmann und die Kontoristin Anita Müller, beide aus dem pfälzischen Weisenheim; drei Schwerverletzte, Ehefrau Marina Zartmann und das Ehepaar Heinrich und Ella Klein.
US-Soldat Secord, der unverletzt davongekommen war, konnte seine Schuld an dem Unfall nicht leugnen. Er hatte
- sich betrunken ans Steuer gesetzt;
- die einseitig gesperrte Brücke mit 90 Stundenkilometern befahren, obwohl die Geschwindigkeit begrenzt war;
- den VW-Kombi trotz Verbotsschilds überholen wollen und
- sich des Versuchs der Fahrerflucht schuldig gemacht.
Obschon der Soldat von einem US-Militärgericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, verweigerte die Münchner Niederlassung der amerikanischen Versicherungsgesellschaft »Liberty National Insurance Company«, bei der Secord pflichtversichert war, jedweden Schadenersatz.
Im September 1959 erklärte das Landgericht Kaiserslautern in einem Zivilprozeß, dem als Vertreter des US-Soldaten Secord ein Anwalt der »Liberty«-Gesellschaft beiwohnte, die Ansprüche der Unfall-Opfer auf Schadenersatz und Schmerzensgeld »dem Grunde nach für gerechtfertigt«.
In mehreren Einzelverfahren wurden alsdann die Ansprüche der Witwe Zartmann und ihres Kindes, des Witwers Müller und des Ehepaars Klein mit insgesamt 28 000 Mark beziffert, zuzüglich der noch nicht festgesetzten Rente und eines Schmerzensgeldes für- die Witwe Zartmann sowie einer Rente von monatlich 120 Mark, die von 1960 bis 1985 an den Witwer Müller zu zahlen sei.
Indes, trotz dieser Gerichtsentscheide sehen die Kaiserslauterner Rechtsanwälte Dr. Emil Niebergall und Hans Wolf, die Secords Opfer vertreten, kaum noch eine Chance, ihren Mandanten zu Schadenersatz, Schmerzensgeld und Renten zu verhelfen: Die »Liberty«-Versicherungsgesellschaft, in Deutschland vertreten durch den amerikanischen Rechtsanwalt George B. Bronfen in München, reagierte bisher auf keine der Zahlungsaufforderungen. Unfaller Secord selbst ist längst nach Texas abgeschoben worden. Adresse: unbekannt.
Resümiert Niebergall: »Jetzt wurschteln wir anderthalb Jahre herum - bekommen haben wir aber noch keinen Pfennig.«
Die ohnehin vagen Hoffnungen der Anwälte Wolf und Niebergall, ihren Mandanten zu ihrem Recht zu verhelfen, wurden noch verringert, als die Prozeßbevollmächtigten des »Liberty« -Konzerns mitteilten, daß Richard A. Secord bei der US-Gesellschaft nur mit 5000 Dollar pro Person und mit einem Höchstbetrag von 10 000 Dollar pro Unfall versichert gewesen sei. Nach neuem Kurs umgerechnet, ist die »Liberty« mithin auch auf dem Papier nur zu Zahlungen bis zu einer Höchstsumme von 40 000 Mark verpflichtet.
Demgegenüber machen die Forderungen der Unfall-Opfer gegen Secord, soweit sie ihnen von den Gerichten rechtskräftig zugesprochen wurden, schon heute einschließlich der Rente für den Witwer Müller rund 65 000 Mark aus. Da die Entscheidung über die künftige Rente und das Schmerzensgeld für die Witwe Zartmann noch aussteht, rechnen die deutschen Rechtsanwälte mit einer Gesamtsumme von etwa 100 000 Mark.
Just 100 000 Mark beträgt auch der Mindestbetrag, mit dem in der Bundesrepublik alle autofahrenden Besatzer, die in mehreren süd- und südwestdeutschen Großstädten ein Fünftel sämtlicher Autobesitzer ausmachen, allein gegen Personenschaden versichert sein müssen.
Absatz 7 im Artikel 17 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Stationierungsmächten abgeschlossenen Truppenvertrags bestimmt nämlich: »Die Mitglieder der Streitkräfte dürfen ihnen gehörende private Kraftfahrzeuge... im Bundesgebiet nur benutzen oder ihre Benutzung gestatten, wenn sie gegen die Haftung aus dieser Benutzung versichert sind. Art und Höhe des erforderlichen Versicherungsschutzes bestimmen sich nach deutschem Recht.«
Die Rechtslage schien dem Anwalt Wolf so eindeutig, daß er dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen in Berlin von dem Verhalten der »Liberty National« berichtete.
Die Berliner Aufsichtsbeamten belehrten den Kaiserslauterner Anwalt jedoch, daß sich gemäß Artikel 36 des Truppenvertrags ausländische Versicherungsgesellschaften, die im Truppengeschäft tätig sind, auf das Recht der »Befreiung von den Vorschriften des deutschen Rechts über Gewerbegenehmigungen und ausländische Gesellschaften« berufen können. Deshalb unterstehe die »Liberty National Insurance Company« nicht der Kontrolle der deutschen Aufsichtsbehörde.
Das nicht zuständige Amt empfahl dem Anwalt, »sich an das amerikanische Hauptquartier in Heidelberg beziehungsweise an das Auswärtige Amt in Bonn zu wenden«.
Unverzüglich bat Wolf das Bonner Auswärtige Amt um Auskunft darüber, »wie gewährleistet ist, daß amerikanische Kraftfahrzeughalter gemäß Artikel 17 Absatz 7 des Truppenvertrags ihre Fahrzeuge gegen Haftpflicht versichern«.
Statt des Außenministeriums antwortete die Abteilung 4 des Bundesverkehrsministeriums: »Eine Aufsichtsbefugnis der Bundesrepublik besteht nicht.«
Die Ministeriellen gaben damit zu, daß auch in Bonn keine deutsche Stelle einem deutschen Verkehrsteilnehmer, der schuldlos in einen Unfall mit dem Fahrzeug eines Stationierungs-Angehörigen verwickelt wird, die Wiedergutmachung des Schadens garantieren kann. Immerhin erklärten sich die Verkehrsbeamten bereit den Schweinsdellbrücken-Fall der Botschaft der Vereinigten Staaten in Bonn vorzutragen, sobald noch einige nähere Angaben über den Unfall vorlägen.
Im Oktober vergangenen Jahres sandte Rechtsanwalt Wolf die gewünschten Unterlagen nach Bonn. Seitdem harrt er des angekündigten Bescheids.
Wolfs Rat an bundesdeutsche Autofahrer: »Da gibt es nur noch eins: einen Bogen fahren, wenn ein Ami kommt.«
Wolf
Secord-Unfall: Kein Schmerzensgeld aus Übersee