Bohnen in den Ohren
Den meisten reicht ein einziger Durchgang, andere hingegen können nicht genug davon kriegen - etwa die amerikanische Show-Nudel Shirley MacLaine:
Sie hat schon ein halbes Hundert Leben und Tode hinter sich gebracht, als Pirat zum Exempel, als Nonne, buddhistischer Mönch, Inka-Knabe, mongolische Nomadin, sie tanzte in einem Harem und im zaristischen Ballett und sah sich gelegentlich von oben zu.
Über »80 Trillionen Jahre« kann der Gründervater der Psycho-Sekte »Scientology«, L. Ron Hubbard, sein Vorleben zurückverfolgen, und die Jünger seines Kultes, sechs Millionen in 40 Ländern eifern seinen Phantasmen verbissen nach. Ist die Welt meschugge?
Einzel-Ticks und Gruppenwahn, das esoterisch-spiritistisch-okkultistischschamanistische Geraune der »New Age«-Apostel, der »Bild«- und Bilder-Blätter, der beutelschneiderischen Guru-Brigaden und Hinterzimmer-Hexen: Derlei wird das zu »wahrheitsgetreuer und sachlicher Berichterstattung« (ZDF-Staatsvertrag) verpflichtete Fernsehen doch nicht mitmachen? Doch, doch.
Zu später Stunde am vergangenen Donnerstag, in der ZDF-Runde »5 nach 10«, hatten sich sechs »Experten« (Ansage) am runden Tisch versammelt, um, moduliert vom ZDF-Redakteur Schnelting und der Ansagerin Elfi von Kalckreuth, mit heiligen Mienen im Nebel zu stochern. »Viele Male auf Erden?« hieß die brennende Frage.
Voraus lief ein »einstimmender« Stundenfilm zum Thema, worin die 14. Inkarnation des Buddha, der Dalai Lama, Gelassenes sagte, Shirley MacLaine die Seelenwanderung pries, die unvermeidliche Elisabeth Kübler-Ross keine Zweifel ließ und der Gespenster-Professor Bender dubiose Beweise fuzzelte. Einstimmen hieß übezeugen.
Ähnlich abgehoben und ausgewählt war die Runde, die dann zur Geisterstunde rief, Titelträger aus dem katholischen, evangelischen, anthroposophischen Lager, als Edelzeugen eine Hellseherin und ein Architekt, der im Beinah-Tod das ewige Licht und das Wunder der Wiedergeburt geschaut hat.
Zwar rückte der Tisch nicht gespenstisch, und kein Klopfgeist spukte, aber eine Zeitmaschine mußte die Runde ins Mittelalter versetzt haben: Abgestandene theologische Dispute, irrationale Exkurse, wundergläubiges Staunen und Psi-Präpotenz räucherten die Seance; Spökenkieker weilten unter sich.
Reinkarnation, auch Seelenwanderung, Wiederverkörperung, Metempsychosis und Palingenese genannt, gehört zur Grundlehre indischer Religionen. Das Hoppeln von Körper zu Körper wird als Läuterungsweg gesehen und verspricht dem Gläubigen ein Weiterleben nach dem Tode. Basis-Annahme: Bewußtsein (Seele) ohne Materie (Hirn) ist möglich.
Wie es zu dieser Annahme kommen kann, wäre nun freilich die zentrale Frage in dieser Schwarzkunst-Klinik des ZDF gewesen. Doch in der spiritistischen Gesellschaft befand sich kein rationaler Kopf, der sie aufwarf; keiner der »Experten« hätte sie wohl auch beantworten können oder mögen.
Wie, beispielsweise, kam Shirley Mac-Laine auf ihren Seelentrip? In ihren Büchern gibt sie Kunde: Sie treibt Yoga, meditiert über »Mantras« und läßt sich von einer »weisen Frau« nadeln: Unter Akupunktur hat sie »Out-of-body«-Erfahrungen, sie erlebt sich als freischwebendes, körperloses Bewußtsein und halluziniert frühere Leben.
Gleiche Phänomene stimulierte der amerikanische Psycho-Guru Stanislav Grof mit anderen Mittelchen: Er verabreichte Probanden chemische Halluzinogene, etwa LSD und siehe - die Gedopten verließen ihren Körper, blickten auf sich herab und auf ein Multi-Leben zurück; identische Erfahrungen rapportieren Beinah-Tote.
Einer, der den Dunkelmännern am ZDF-Tisch derlei aus dem naturwissenschaftlichen Nähkästchen hätte berichten können, ist der Zürcher Privatdozent Adolf Dittrich. Nach zehnjähriger Forschungsarbeit an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich hat Dittrich letztes Jahr Erhellendes veröffentlicht. _(Adolf Dittrich: »Ätiologie-unabhängige ) _(Strukturen veränderter ) _(Wachbewußtseinszustände«. Ferdinand Enke ) _(Verlag, Stuttgart. 262 Seiten; 58 Mark. )
Kurzfassung: Halluzinogene (LSD, Meskalin, Peyote-Kakteen Fliegenpilz et cetera) wie psychische Stimulantien (Meditation Fasten, Schlafentzug, Hypnose Reizüberflutung et cetera) produzieren weitgehend identische »veränderte Wachbewußtseinszustände« - das Gehirn läuft aus dem Ruder.
Die drei so erzeugten Hauptphänomene nach Dittrich: »Ozeanische Selbstentgrenzung«, »Angstvolle Ichauflösung« und »Visionäre Umstrukturierung«. Werden für einen Menschen derlei Psycho-Phantasmen zur unumstößlichen Realität, muß er an Gott glauben oder an Gespenster oder an das ZDF.
Gegen Gespenster hilft der Zen-Meister aus Paul Watzlawicks »Anleitung zum Unglücklichsein«. Der rät einem Mann, den jede Nacht der allwissende Geist seiner verschiedenen Gattin heimsucht, zu einem Trick: Er soll in eine Schüssel mit Bohnen greifen und den Jenseitigen fragen, wieviel Bohnen er in der Hand berge. Der Geist weiß es nicht, weil auch der Mann es nicht weiß, und kommt nie wieder.
Aber manche haben, beim Schweife des Kometen, die Bohnen in den Ohren.
Adolf Dittrich: »Ätiologie-unabhängige Strukturen veränderterWachbewußtseinszustände«. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart. 262Seiten; 58 Mark.