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MOSAMBIK Bordfremde Personen

Ein deutsches Frachtschiff geriet auf mysteriöse Weise zwischen die Fronten des Bürgerkriegs in Mosambik.
aus DER SPIEGEL 50/1988

Sie wußten nicht, wo sie waren. Sie wußten nicht, wohin sie gingen. Manchmal versagten ihnen die zerschundenen Füße. Die Entführer mit ihren Maschinenpistolen trieben sie immer weiter, einem unbekannten Ziel entgegen. Rindfleisch und Wasser hielten sie aufrecht in der mörderischen Hitze.

Nach 55 qualvollen Tagen ging für Kapitän Jürgen Hahn, 42, den Matrosen Harald Brandt, 21, und den Schiffsmechaniker-Lehrling Joachim Brauer, 18, alle drei Besatzungsmitglieder des Frachtschiffs »Edda«, eine Odyssee im afrikanischen Busch zu Ende, die inzwischen zur politischen Affäre wurde.

In der Nacht zum 13. Oktober dieses Jahres landete auf einer Graspiste irgendwo im Landesinnern von Mosambik ein zweimotoriges Flugzeug. Die Maschine nahm die drei bundesdeutschen Seeleute an Bord und flog sie in die Freiheit. Der vierte Verschleppte, ein portugiesischer Matrose, mußte zurückbleiben.

Über Johannesburg und Frankfurt kehrten die drei in die Heimat zurück. Erst dort - so berichteten sie - hätten sie erfahren, wer ihre Entführer gewesen waren: Mitglieder der mosambikanischen Rebellenorganisation Renamo (Resistencia Nacional Mocambicana).

Die Besatzung der »Edda« war - aus Zufall oder aus Leichtsinn - zwischen die Fronten eines blutigen und unübersichtlichen Bürgerkriegs geraten, der seit Anfang der achtziger Jahre im marxistisch regierten Mosambik tobt. Die vom benachbarten Südafrika finanzierten und gelenkten Buschkämpfer der Renamo haben das Land mit Gewalt überzogen, die Wirtschaft in den Ruin getrieben. Ihrem Terror sind bisher über 100 000 Menschen zum Opfer gefallen.

Aber mit der Freilassung der drei Deutschen durch die Renamo-Rebellen sind die Probleme im fernen Mosambik noch nicht beendet: Denn der Frachter liegt seit dem 9. Oktober im Hafen von Quelimane - festgehalten von der linken Frelimo-Regierung.

Die Behörden werfen den »Edda«-Männern vor, sie hätten mit der Renamo kooperiert, Kurierdienste, wenn nicht sogar Waffentransporte für die Rebellen geleistet, auf alle Fälle aber zwei Renamo-Kämpfer an mosambikanischen Stränden heimlich abgesetzt. Die Story vom Kidnapping sahen sie als Täuschungsmanöver an.

Die abenteuerliche Reise des 98 Meter langen Schiffes begann am 13. Juli, als die »Edda« in Southampton ablegte. Im Laderaum: Landrover, Lastwagen und Sprengstoff, die im Auftrag des Londoner Verteidigungsministeriums für britische Truppen in Kenia bestimmt waren. Nachdem die Ladung im Kenia-Hafen Mombasa gelöscht worden war, nahm die »Edda« Soda-Asche (Natriumcarbonat) auf.

Der Bestimmungshafen Maputo, der in den Papieren angegeben wurde, war falsch. Tatsächlich sollte die Soda-Asche nach Südafrika gehen. Aber wegen des offiziellen Embargos gegen den Apartheid-Staat treiben die meisten schwarzafrikanischen Länder nur verschämt Handel mit Südafrika.

Auf der Fahrt nach Süden an der sandigen Küste Mosambiks entlang kam es dann zu dem Vorfall, der mit der Verschleppung der vier Seeleute endete. Zunächst verbreitete die Reederei Hermann Buss aus Leer, der die »Edda« gehört, folgende Version: Wegen einer »Grundberührung« habe es Probleme mit der Schiffsschraube gegeben. Um den Schaden zu prüfen, sei Kapitän Hahn mit seinen drei Matrosen ins Rettungsboot gestiegen. In der starken Brandung sei das Boot voll Wasser geschlagen und an den Strand getrieben. Bei dem Versuch, in einem nahegelegenen Dorf Hilfe zu holen, seien die vier Seeleute dann den schwerbewaffneten Renamo-Rebellen in die Hände gefallen.

Diese Darstellung aber stimmte nicht. Zwei Tage nach Abfahrt des Schiffes aus Mombasa hatte Kapitän Hahn vielmehr zwei blinde Passagiere entdeckt. »Am Morgen des 15. August 1988«, erinnert er sich in einem vertraulichen Bericht, »erschienen zwei bordfremde Personen schwarzer Hautfarbe unbekannter Nationalität auf dem Achterdeck . . . Die Verständigung war schwierig . . . Die genaue Herkunft und Nationalität der Einschleicher konnte daher nicht festgestellt werden.«

Der Kapitän beschloß, die beiden bei Ponta da Barra Falsa an der Küste Mosambiks abzusetzen. Mit dem Rettungsboot brachte er sie ans Ufer, wo sie im Busch verschwanden, bevor der Kapitän und die drei anderen Besatzungsmitglieder gefangengenommen wurden - so jedenfalls Hahn.

Merkwürdig nur: Kurze Zeit später tauchten die blinden Passagiere bei den Renamo-Rebellen auf, die die »Edda«-Seeleute gekidnappt hatten. Auch sie seien Gefangene gewesen, sagt Hahn dazu in seinem Bericht.

Zwei Tage lang wartete die Rest-Crew auf ihren Kapitän und die drei Kollegen. Dann sahen sie bewaffnete Männer am Strand, die das Rettungsboot verbrannten. Nach Rücksprache mit der Reederei setzte die »Edda« ihre Pendelfahrt mit verschiedenen Stationen zwischen Südafrika, Kenia und Mosambik fort.

In Quelimane, einem heruntergekommenen Städtchen, wo 1498 die ersten lusitanischen Eroberer gelandet waren, endete die Reise abrupt: Mosambiks Sicherheitsdienst warf der Crew vor, mit der Renamo gemeinsame Sache gemacht zu haben.

In der Bundesrepublik mußten die Anwälte der Reederei Buss gleich an zwei Fronten aktiv werden, um die Freilassung der Renamo-Verschleppten und die Freigabe der »Edda« in Quelimane zu erreichen.

Über das Bonner AA, über den BND in Pullach und über Südafrika lief der Draht zu den Entführern. Pretoria schickte schließlich das rettende Flugzeug in den Busch von Mosambik.

Die Unterhändler der Reederei bekamen auch direkte Kontakte zu Renamo-Vertretern. Denn obwohl Bonn die Rebellenorganisation nicht unterstützt, genießen zwei ihrer Funktionäre Gastrecht in der Bundesrepublik: Horatio Leven in Köln als Vertreter für Westdeutschland und Atur Janeiro da Fonseca in Heidelberg, der »Außenminister« der Truppe.

Fonseca, so behauptete vorletzte Woche der abgesprungene Renamo-Mann Chanjunja Chivaca Joao, pflege beste Beziehungen zum BND und werde aus Pullach auch mit Geld versorgt. Im Herbst dieses Jahres habe ein Treffen der Renamo-Spitze in der Bundesrepublik stattgefunden, an dem auch Afonso Dhlakama, der Präsident der Organisation, teilnahm. War die Freilassung der Seeleute vielleicht ein Dank für erhaltene Hilfe?

Die acht Seeleute, die im heißen Quelimane festsitzen, haben dagegen kaum eine Chance, zu Weihnachten wieder zu Hause zu sein.

Mit leeren Händen kamen in der vergangenen Woche zwei Emissäre, ein Beauftragter der ostfriesischen Reederei und der SPD-Bundestagsabgeordnete Günther Tietjen aus Leer, von Verhandlungen aus Maputo zurück.

Daß die Renamo-Rebellen vor zehn Tagen im Dorf Chiboene, 35 Kilometer nördlich von Maputo, 32 Bewohner massakrierten und eine unbekannte Zahl von Menschen entführten, wird die Regierung in ihrer harten Haltung noch bestärken.

»Wir werden noch einmal nach Mosambik reisen müssen«, sagt der Anwalt der Reederei resigniert, »wir wollen die ,Edda' und ihre Mannschaft zumindest nach Maputo bringen. Wer weiß, was die noch alles aussagen werden.« #

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