Borg und der Markt der 50 Millionen
Luftlinien und Automobilfabrikanten, Sprudelabfüller und Fruchtsafthersteller, Bluejeans-Schneider und Haferflockenverkäufer, sie alle sind sich einig und investieren für ihre Überzeugung Hunderttausende von Dollar: Wer den kleinen, weißen Filzball am treffsichersten über ein Tennisnetz drischt, hilft ihnen auch verkaufen.
Mehr als eine Million Dollar pro Jahr fließen Topstars vom Schlage eines John McEnroe, Jimmy Connors oder einer Martina Navratilova zu. Aber ihr Größter ist Björn Borg, der Größte im Sportschaugeschäft überhaupt, seit der Brasilianer Pele aufhörte, Tore zu schießen und Muhammad Ali das Boxen aufgab.
Borg-Fans gaben bis zu 2000 Mark auf dem Schwarzen Markt dafür her, ihn im Wimbledon-Finale zu erleben, ohne zu wissen, ob er es -- zum sechsten Mal hintereinander -- erreichen wird. Spekulation mit einer lebenden Legende.
Turnier-Erfolge haben dem Schweden die Sympathien einer weltweiten Gemeinde verschafft, und die Millionen-Schar der Borg-Bewunderer hat 60 Firmen und Konzerne unterschiedlichster Branchen bewogen, seine Werbewirkung zu nutzen: »Borg ist der, den sie wollen«, faßte das US-Magazin »Time« zusammen.
Auf rund 20 Millionen Dollar schätzt die Branche Borgs Gesamteinkünfte schon bis 1980; Preisgelder für Turniersiege machen davon schätzungsweise ein Viertel aus. Als Schallmauer gelten bislang 60 Millionen Dollar: Soviel nahmen die Rekordverdiener aus dem Schausport, der US-Profigolfer Arnold Palmer und Muhammad Ali ein. Auf etwa 60 Millionen Dollar summiert sich auch das Vermögen Peles.
Im Tennis wie in der Skibranche gingen Schau und Geschäft eine besonders enge Wahlverwandtschaft ein: Unter den Zuschauern der Wettkampf-Unterhaltung ist der Anteil jener besonders hoch, der selber Ski läuft und den Schläger schwingt -- und es handelt sich überwiegend nicht um minderbemittelte Sportfreunde.
Der weiße Sport zeigt, wie um einen Wettkampfbetrieb herum eine Zubehör-Industrie entsteht und das Spiel in eine neue Dimension hineinwächst -sich zum weltweiten, sportlichen Schaugeschäft wandelt.
Allerdings ranken sich profitträchtige Ausrüstungswerke nicht zufällig um eine Sportart. Judo und Fechten verteidigen zwar einen abgemessenen Spezialmarkt, aber regionales Interesse werden sie kaum sprengen. Die großen Schau-Sports, die Millionen spannend unterhalten, erfüllen dagegen mehrere von vier Grundbedingungen:
* Sie sind leicht verständlich und für möglichst viele nachvollziehbar.
* Sie sind, vor allem für das Fernsehen, gut zu vermitteln.
* Sie sind weltweit verbreitet.
* Sie bringen identifikationsfähige (und günstig zu vermarktende) Leitfiguren hervor.
Das Tennis erfüllt alle Bedingungen mit einer Einschränkung: Die Zählweise (15--30--40--Spiel) folgt der Tradition statt der Logik. Sie geht auf das 900 Jahre alte französische Ur-Tennis (Jeu de Paume) zurück, bei dem vier Punkte ein Spiel ausmachten. Der Wetteinsatz betrug pro Spiel 60 Sous, jeweils 15 zahlte der Verlierer nach jedem Fehler. 45 (französisch: quarantecinq) schrumpfte aus Bequemlichkeit S.85 zu »quarante«. So übernahmen es die anderen.
Ansonsten ist Tennis leicht verständlich: Wer den Ball nicht zurückschlagen kann, verliert den Punkt. Es eignet sich vorzüglich für TV-Übertragungen. Tatsächlich berichten immer mehr TV-Stationen von den bedeutenden internationalen Turnieren.
Das Filzballspiel hat sich weltweit durchgesetzt. Es gibt kein Land, in dem Tennis völlig unbekannt ist. Der US-Präsident Jimmy Carter spielte Tennis und Papst Johannes Paul II., das französische Staatsoberhaupt Francois Mitterrand ebenso wie sein Vorgänger Giscard.
Sogar in den Ostblock schwappten einige Spritzer der Tennis-Welle. Zu den leidenschaftlichen Spielern gehört auch Wladimir Popow, der sowjetische Olympia-Organisator. Der Pole Woijtek Fibak erspielte einen Weltmeister-Titel, aus der CSSR stammt die Wimbledon-Siegerin Martina Navratilova. Die CSSR-Herrenequipe siegte sogar im Daviscup, der einer Mannschafts-Weltmeisterschaft entspricht.
An Leitfiguren für den mehr oder minder begabten Nachwuchs oder weibliche Teenager hat es im Tennis nie gefehlt. Borg ist zur Zeit die markanteste Säule vor dem Buhmann der Branche, dem Amerikaner McEnroe. Auch 1981 in Wimbledon beleidigte McEnroe Linienrichter und zerbrach Schläger.
Allen anderen Sportarten fehlt zum perfekten Schausport mehr als dem Tennis. Basketball mit allein 50 Millionen und Fußball mit 25 Millionen organisierten Spielern -- unzählige Freizeitsportler nicht gerechnet -- erreichen statistisch ähnliche Verbreitung wie das Tennis mit 50 Millionen Aktiven. Aber der Fußball beginnt sich erst in Nordamerika zu verwurzeln, im Basketball fehlt es an weltweit bekannten Figuren.
Das Profiboxen erfüllt zwar alle Voraussetzungen, bleibt jedoch im Ostblock ausgesperrt. Nur mit Ali-Kämpfen machte der Sowjet-Staat eine Ausnahme auf dem TV-Schirm. Zudem bewerten zu viele Sportfans das Boxen, ebenso wie den Automobilsport, negativ, denn beide nehmen die unvermeidbaren Todesopfer in Kauf.
Eishockey zählt zu den spannendsten und schnellsten Sportarten. Aber das Spiel ist schwer zu vermitteln: Oft erkennt der Beobachter auch in der dritten Zeitlupen-Wiederholung noch nicht, wie der Puck ins Tor gelangt ist.
Keine der weit verbreiteten Sportarten eröffnet auch der Zubehörindustrie so hoffnungsvolle Profitaussichten wie das Tennis. Die vielen Fußball- und Basketballspieler benötigen keine kostspielige Ausrüstung. Ein Tennisspieler muß wenigstens 200 Mark, er kann aber auch leicht das Zehnfache für eine Grundausstattung anlegen.
Klubbeitrag oder Platzmiete auf kommerziellen Anlagen kosten im Jahr gut 500 Mark. Zusammen mit etwa 700 Mark, die bundesdeutsche Tenniseleven jährlich im Schnitt für ihre Ausrüstung erübrigen, summiert sich das bei 1,6 Millionen Tennis-Aktiven allein in der Bundesrepublik zu einem Umsatz von nahezu zwei Milliarden Mark.
Geld war freilich wohl von Anfang an im Spiel bei einer der ältesten Sportarten, die nur der Unterhaltung und nicht der Wehr- und Waffenertüchtigung dienten. Als Jeu de Paume erscheint das Ur-Tennis im 11. Jahrhundert erstmals in den Chroniken. Mindestens sieben unterschiedliche Spielformen, die schließlich zum Tennis führten, sind überliefert.
Zuerst übten Mönche in französischen Klöstern, einen Ball mit dem Schläger über ein Hindernis zu prügeln. Eine Kirchenchronik zieh die Mönche im englischen Humberstone harsch, sie hätten ihre Gebetspflichten über dem Tennisspielen vergessen. Während des Hundertjährigen Krieges gegen England untersagte Frankreichs König Karl V. auch Tennis als kriegsablenkende Sportart (1365).
»Dienstleute sollen nur Bogen und Pfeile benutzen«, heißt es in Shakespeares »Richard II.«, »und von unnützen Spielen lassen.« Der Pariser Bürgermeister beschimpfte Handwerker als schlampig, weil sie Tennisbälle droschen, statt zu schuften. Er verbot Tennis in der Woche.
Die Höfe adoptierten das Klosterspiel. Tennis machte Geschichte und Geschichten. Als die Kastilier drauf und dran waren, Spanien von den Mauren zu befreien, starb 1217 ihr König Heinrich: Ihm fiel auf dem Tennisplatz ein Ziegelstein auf den Kopf; die Kriegsvorbereitungen verzögerten sich. Karl VIII. hastete so überstürzt zu einem Tennisspiel, daß er sich den Kopf an einem Torbogen spaltete und daran starb.
In Paris stellten 1292 schon 13 Handwerksbetriebe Tennisbälle her. 1450 gründeten die französischen Schlägerproduzenten eine eigene Zunft. Wie in modernen Zeiten machten sich betuchtere Spieler wetterunabhängig und bestellten Hallen für den Winter. Im Sommer spielten die Briten auf Gras; die Tradition reicht bis Wimbledon.
Auch auf dem Kontinent zog der Tennis-Boom Ballhäuser nach sich, 300 allein im Paris des 15. Jahrhunderts. Zu Beginn der Französischen Revolution besetzten revoltierende Bürger am 20. Juli 1789 ein Pariser Ballspielhaus und schworen, nicht eher zu räumen, bis der König eine Verfassung gewährt habe.
Der unverwechselbare Reiz des Ballspieles faszinierte den sportfreudigen Goethe auf seiner Italienischen Reise. »Ein lebhaftes Händeklatschen hörte ich schon von weitem«, notierte er 1786 in Verona. »Das Volk lief unglaublich zu. Es können immer vierbis fünftausend gewesen sein.« Goethe fand »die schönsten Stellungen wert, in Marmor nachgebildet zu werden«.
Vor allem in England unterhielten sich Obere und Mittlere regelmäßig beim Tennis: Sie spielten und wetteten; S.86 ein Brite, Major Walter Clopton Wingfield, vereinheitlichte 1873 die Regeln des »Lawn tennis«. Die Verbandsherren der »Lawn Tennis Association« stellten dem »Erfinder des Rasentennis« eine Büste in ihr Foyer.
Baron Pierre de Coubertin nahm Tennis wie selbstverständlich in das Programm seiner Olympischen Spiele auf. Aber der Ruch schnöden Mammons vertrieb die Tennisspieler nach dem Olympia von 1924 als Profisünder von den olympischen Amateur-Feldern: Veranstalter zahlten erfolgreichen Stars schon heimlich Startgelder.
Der erste offizielle Tennis-Profi war eine Frau: Die Französin Suzanne Lenglen hatte 1926 schon sechsmal das Wimbledon-Turnier gewonnen. Da überwarf sie sich mit den Organisatoren: Sie hatten das nächste Einzel der Französin, ohne sie zu verständigen, vorverlegt, damit Queen Mary sie sehen konnte. Als die Lenglen verspätet eintraf, buhte das Publikum sie aus. Verärgert nahm sie das Angebot eines US-Impresarios und 100 000 Dollar an.
Kleine Profitruppen zogen vorwiegend durch die USA. Zu ihnen gehörte auch der britische Wimbledon-Sieger Fred Perry; bei seinem dritten Sieg spielte er 1936 im Finale gegen den deutschen Tennis-Baron Gottfried von Cramm.
Aber erst der Amerikaner Jack Kramer (Wimbledon-Sieger 1947) ging das Tennis-Schaugeschäft professioneller an. Er bot den jeweils erfolgreichsten Spielern die Chance, ihren meist in Wimbledon erworbenen Marktwert in Pfund und Dollar umzusetzen. Viele nahmen an.
Der Konflikt spitzte sich zu: Die Veranstalter der eingeführten Turniere ließen nur Amateure zu. Dagegen wollten die Zuschauer die erfolgreichsten Stars erleben; die trampten jedoch als Profis mit dem Kramer-Zirkus von Kontinent zu Kontinent.
Lamar Hunt aus der texanischen Millionärs-Dynastie witterte eine neue Profitquelle und kaufte alle namhaften Tennis-Profis auf. Die Veranstalter von Wimbledon, des wichtigsten Turniers, hatten keine Wahl mehr. Sie mußten Hunts Profis geschlossen einladen (und löhnen) oder schließen. 1968 fand in Wimbledon das erste Offene Turnier statt. Inzwischen sind sie die Regel.
Kartenverkauf und TV-Honorare reichten bald nicht mehr aus, zugkräftige Turniere zu finanzieren. Zügig stieg die Industrie ein und funktionierte Tennis um zum Werbemedium. Automobilwerke wie Volvo, BMW, Opel und Mercedes finanzieren Turniere auf Werbekosten. In diesem Jahr setzte die japanische Nippon Electric Company eine Million Dollar für den Daviscup ein; 200 000 Dollar erhalten die Sieger.
Doch die Entwicklung zum Preis- und Profitennis verlief gleichzeitig zum allgemeinen Tennis-Boom, der zuerst in den USA ausgebrochen war und Europa angesteckt hat. Tennis-Schau und Tennis-Geschäft bedingen sich und schaukeln einander hoch.
In den USA nahm die Zahl der Spieler in den letzten fünf Jahren um fünf Millionen auf 34 Millionen zu. Sie S.87 teilen sich in 160 000 Plätze. »Plötzlich hoben wir ab«, freute sich in Frankreich Gerard Clerc, Direktor einer Firma, die Tennisplätze erstellt. 1800 Plätze baute sie 1979, ihr Auftragsvolumen wuchs gleichzeitig um 30 Prozent.
Tennis habe Europas »Mittelklasse von Stockholm bis Sizilien, von Bonn bis Bordeaux gewonnen«, schrieb »Newsweek«. In zehn Jahren verdreifachte sich die Zahl der französischen Tennis-Aktiven auf 1,3 Millionen. 2,5 Millionen schmettern und lobben in Italien (1970: 400 000).
Gleichzeitig weitete sich der Markt für Tennisartikel und Spielplätze aus und wuchs die Nachfrage für Weltklasse-Tennis. Clevere Tennis-Unternehmer liefern die Topspieler zu inflationierenden Höchstpreisen. McEnroe nahm für das New Yorker Mai-Turnier allein als Startgeld etwa 150 000 Mark. Der Siegpreis betrug 200 000 Mark. Bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Hamburg warteten auf den Sieger 55 000 Mark. Dafür fehlten die Weltstars.
Die Konkurrenz der Turniere und Veranstalter-Gruppen verstellt unbefangenen Turnier-Kunden allerdings längst den Durchblick, der Texaner Hunt organisierte eine Turnierserie unter der Firmenmarke »World Champion Tennis« (WCT), bei der am Ende Weltmeister-Titel ausgespielt werden.
Außerdem warb der Colgate-Palmolive-Konzern für zunächst 32 Grand-Prix-Turniere um die unverzichtbaren Stars. Einzelne Turniere vermietet er an potente Sponsor-Firmen unter. Mindestpreis: 175 000 Dollar. Alle Ergebnisse verarbeitet ein Computer zu einer stets aktuellen Rangliste. Die acht erfolgreichsten Spieler bestreiten dann jeweils im Januar das »Masters-Turnier«.
Schließlich entstand für die USA noch eine Städteliga »World Team Tennis« (WTT). Das Management obliegt Larry King, dem Ehemann der Wimbledon-Siegerin Billie Jean King.
Ungefähr 100 Weltstars des Sports, darunter auch Borg, die Branchen-Nummer eins, lassen sich von dem Amerikaner Mark McCormack vermarkten, dem es sogar gelang, einen Vertrag mit dem Papst zu schließen. Er soll für ihn die Großbritannien-Tournee 1982 organisieren.
Mittlerweile bringen auch die wichtigsten Traditions-Turniere Punkte für die Grand-Prix-Wertung. Aber welchen Spitzenspieler die Manager ihnen gnädig zuteilen, erfahren Turnier-Organisatoren oft nur kurzfristig. Borg schmückte schon die Plakate der Internationalen Deutschen Meisterschaften und sagte dennoch ab. Sein einziger Deutschland-Auftritt 1981 soll vom 11. bis 19. Juli (für 75 000 Dollar) in Stuttgart stattfinden.
»Tennisspieler sind gierige Leute«, beklagte John McDonald, der WCT-Europa-Direktor, »die können nicht genug bekommen.« Dabei wird es bleiben, solange die Nachfrage werbehungriger Firmen auf dem Markt für Tennisstars das Star-Angebot überwiegt. Deshalb bekam Borg sogar für einen Besuch im Pariser Nachtklub »Lido« noch 10 000 Mark.
Ohne einen Finger zu krümmen, machte ihn seine Hochzeit mit der einstigen Tennis-Kollegin aus Rumänien, Mariana Simionescu, um eine gute Million Mark reicher. Nach der Trauung in Bukarest feierte er zuerst an seinem Wohnsitz in Monaco, wo seine Eltern eine Borg-Sportboutique betreiben, und anschließend in Marbella, wo er eine Tennisschule unterhält. Gäste herzlich eingeladen -- für 250 Mark. Die Photorechte erwarb eine Agentur exklusiv für 125 000 Dollar.
Auf Borg trifft zu, was sonst nur für Märchenprinzen gilt: Was er anfaßt, verwandelt sich zu Gold. Sogar als Goldspekulant soll er 400 Dollar pro Unze gewonnen haben. Sein Werkzeug, Schläger aus dem belgischen Werk Donnay, trägt ihm 700 000 Dollar jährlich ein -- auf fünf Jahre bis 1984.
Doch Donnay spielt er nur in Europa und Südamerika. In den USA und Australien benutzt er Bancroft-Kellen (90 000 Dollar), die eine Tochterfirma des turnierveranstaltenden Konzerns Colgate-Palmolive fabriziert.
Tennis-Hemden und -Hosen liefert die italienische Modeschneiderei Fila (500 000 Dollar); in Skandinavien verdient er an einem anderen Produkt und an Jockey-Unterwäsche. In Nordamerika trägt Borg Tretorn-Tennisschuhe, sonst Diadora (125 000 Mark). Der Kopenhagener Bierbrauerei Tuborg ist ihre Aufschrift auf Borgs Stirnband 125 000 Mark wert, die skandinavische Fluggesellschaft SAS pflasterte ihm ihre Initialen für 60 000 Dollar auf den Ärmel -- alles pro Jahr.
Völlig branchenfremde Produkte sollen sich durch Borg besser verkaufen: Lois Bluejeans und Nutrament-Lebensmittel, Sunkist-Saft und Kellogg-Haferflocken, Suntan-Lotion und Saab-Autos, Schokoladenriegel, Radiergummis, Strickmaschinen, Uhren und Videorecorder. Über den Gesamtvertrag verriet Borg-Manager McCormack 1979: »Borg macht dreieinhalb Millionen Dollar im Jahr.« Heute dürften es fünf Millionen sein. Dazu kommen je eine Million Dollar Preisgelder und Honorare für Schaukämpfe.
Die werbenden Unternehmen zeigen sich sogar zufrieden. Fila meldete eine Umsatzsteigerung von 25 auf 53 Millionen Dollar während der ersten drei Jahre mit Borg. Donnay will in fünf Vertragsjahren den Schlägerverkauf vervierfacht haben. Sogar der Hersteller der VS-Schlägersaiten glaubt Borg 15 Prozent Mehrverkauf zu verdanken.
Auch Deutschland wurde zum Borg-Land. 1976, als Borg zum erstenmal in Wimbledon siegte, nahm die Zahl der Tennisspieler in der Bundesrepublik um 15 Prozent zu. Plötzlich spielten fast 1,5 Millionen Deutsche eigenhändig Tennis. Bald werden es zwei Millionen sein.
Gäbe es noch mehr Plätze als etwa 80 000, dann würden womöglich 6,3 Millionen Deutsche, die laut Allensbach S.88 Lust auf Tennis haben, das Rackett anfassen.
Wenn in Wimbledon, Paris oder Melbourne Turniere stattfinden, fragen die deutschen Freizeitspieler allerdings kaum danach, wie ihre unterlegenen Landsleute abschneiden. Sie interessiert vor allem, ob Borg das Finale erreicht und wer sein Gegner ist.
Die deutschen Spitzenspieler wie Uli Pinner und Rolf Gehring, Andreas Maurer oder Werner Zirngibl, mieden in den letzten Jahren Wimbledon. »Sie spielen lieber auf dem Dorf und siegen da manchmal auch, anstatt sich in London oder New York von den Weltstars abziehen zu lassen«, schmähte Wilhelm Bungert, der 1967 als letzter Deutscher ein Wimbledon-Finale erreicht hatte.
Deutschen Tennisprofis winkt jedoch müheloser Lohn. Allein dafür, daß sie ihre Markenschuhe tragen, kassieren Pinner oder Gehring 15 000 Mark jährlich. 40 000 Mark gibt es vom Schläger-Hersteller ihrer Wahl, nochmals 40 000 für Hemd und Hose. Sogar Stirn- und Schweißbänder bringen ihnen PR-Gelder ein.
Schließlich setzt der eigene Klub für eine Bundesligasaison -- zehn Spieltage in fünf Wochen -- weitere 40 000 Mark Gage aus. Deshalb drängen immer mehr ausländische Spieler in die Bundesligaklubs und schmettern die Deutschen von der Spitze der Rangliste weg bis an die Übungswand.
Lediglich Mädchen aus deutschen Tennislanden erregten ab und zu Aufsehen. So erreichte die Münchnerin Sylvia Hanika bei den Internationalen Meisterschaften von Frankreich das Finale, das sie allerdings gegen die Tschechin Hana Mandlikova verlor. Doch in Wimbledon scheiterte sie in der ersten Runde.
Sylvia Hanika ist ein Produkt des bundesdeutschen Tennisbooms. Wie Zirngibl hatte sie Tennis beim Münchner Sporthaus Scheck gelernt. Der staatlich geprüfte Tennislehrer Ludwig Leuthner schloß 1956 seinem Sportgeschäft einen Schulbetrieb an. Leuthner: »Wer etwas spielen kann, kauft auch mehr Zeug.«
Erst begann der Unterricht mit einem Tennislehrer auf drei Plätzen, heute unterrichten mehr als 70 Tennispauker auf 127 Freiluftplätzen und zwölf Hallenfeldern. Täglich gehen 1000 Anfänger in die Scheck-Schule.
»Keiner rennt so ehrgeizig dem Tennisball hinterher wie die Deutschen«, berichtete der amerikanische Tennislehrer Vic Braden. Er verließ seine gutgehende Tennisschule in Kalifornien und richtete fünf Tenniszentren in der Bundesrepublik ein.
Die steigenden Bodenpreise in den Städten drängen den Tennis-Trend bis aufs Land. So vervierfachte sich die Zahl der Tennisvereine etwa im Kreis Unna auf ein Dutzend. Bei den Berliner Renommier-Klubs Rot-Weiß und Blau-Weiß stehen jeweils rund 500 Tenniswillige auf der Warteliste.
Fußballprofis, die aus Altersgründen in der Bundesliga den Abschied nehmen, eröffneten wie Nationaltorwart Sepp Maier Tenniszentren. Auch die Kölner Nationalspieler Wolfgang Flohe und Bernd Cullmann gründeten ihre Zukunft auf Tennisanlagen.
Das »Handelsblatt« schätzte vor allem Tennishallen »als äußerst interessante Renditeobjekte« ein und errechnete Gewinne von 150 000 bis 180 000 Mark im Jahr für eine Halle mit vier Spielfeldern.
Obwohl die Infrastruktur für Tennis in anderen Ländern kaum günstiger, obwohl die Zahl der Tennisspieler meist viel geringer ist als in der Bundesrepublik, wachsen Weltstars nur noch in Nachbarländern auf, beispielsweise in der CSSR und in Schweden.
So engagierte der TC Weißenhof in Stuttgart für die von den Mercedes-Werken gesponserte Europameisterschaft Mitte Juli den Entdecker und Trainer von Björn Borg, Lennart Bergelin. Der Borg-Lehrer leitet ein Gruppentraining. 30 Jugendlichen will er vorführen, wie Björn Borg trainiert. Bergelin: »Es ist völlig gleichgültig, welches System der Junge oder das Mädchen erlernt hat. Hauptsache, sein Talent wird erkannt und gefördert.«
Den Borg-Fimmel der Tennis-Deutschen erkannte auch der amerikanische Schulmeister Vic Braden sofort. Er stellte Aufschlagmaschinen (von 800 bis zu 5000 Mark) auf und ließ Bälle mit beliebiger Schärfe und raffiniertem Schnitt auf die Schüler zufliegen. »Wir können genau den Aufschlag von Björn Borg programmieren«, versprach Braden. »Wer möchte, kann sich ein Borg-Service um die Ohren schlagen lassen.«
Doch der Meister aller Länder und Klassen winkte ab und verriet: »Was nützt einem Geld, wenn man dabei nicht glücklich ist.« Borg fällt es am schwersten, sich noch für neue Ziele zu motivieren. »Wimbledon ist für mich nicht erstrangig«, schränkte er nach fünf Siegen ein. »Was ich will, ist ein Sieg bei den amerikanischen Meisterschaften in Flushing Meadows. Die habe ich noch nie gewonnen.«
S.86Frühform des Tennisspiels, zur Zeit der Französischen Revolution(aus »500 Jahre Tennis«, Ullstein-Verlag).*