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POLEN-VERHANDLUNGEN Botschaft gesucht

aus DER SPIEGEL 47/1970

Polens Vize-Außenminister Józef Winiewicz überkamen düstere Erinnerungen: »Im September 1939 habe ich hier zum letztenmal gegessen. Damals gab es Suppe und nur Suppe und deutsche Bomben.«

In Warschaus Hotel »Bristol«, in dem Bundesaußenminister Walter Scheel am Mittwoch letzter Woche die polnische Verhandlungsdelegation zum Abendessen empfing, sann Winiewicz über das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen nach: »Wenn ich mir damals vorgestellt hätte, daß ich einmal in diesem Saal als Gast eines deutschen Außenministers sitzen würde ... daran ist die Geschichte Europas abzulesen.«

Zwei Tage später, am Freitagabend letzter Woche, fanden die vertragswilligen Partner in Warschau die einigenden Formeln für ihr Abkommen. Ein Redaktionskomitee wird in dieser Woche den Text stilistisch überarbeiten, während Walter Scheel in Bayern Wahlkämpft. Am Wochenende vor der Wahl will Scheel wieder in Warschau sein, um mit dem polnischen Außenminister Stefan Jedrychowski das Vertragswerk zu paraphieren.

Zunächst hatte Scheel geplant, seine Warschauer Gespräche schon in der letzten Woche abzuschließen. Aber die hartnäckige Verhandlungsführung der Polen sowie Bonner Differenzen mit den drei Westmächten zögerten den Abschluß hinaus.

Die Westmächte waren als Nothelfer Bonns in die Verhandlungen einbezogen worden. Zunächst hatten die Deutschen versucht, den Hinweis auf eine endgültige Grenzregelung durch einen Friedensvertrag im Abkommen selbst unterzubringen. Als die Polen dies verweigerten, kamen die Bonner auf die Idee, mit den Westmächten Noten auszutauschen; darin sollte das Grenzabkommen unter den Vorbehalt eines etwaigen Friedensvertrags gestellt und die Verantwortung der Alliierten für Deutschland als Ganzes bekräftigt werden.

Die Amerikaner bestanden zunächst auf einer harten Vorbehaltsformulierung, die Franzosen wollten sich mit dem Artikel vier des geplanten Grenzvertrags begnügen, in dem schon bestehende Verträge ausdrücklich respektiert werden. Die Briten ließen Bonn sogar wissen, das Problem des Friedensvertragsvorbehalts berühre sie nicht.

Die Polen, die nach deutschem Wunsch den Text der Noten zur Kenntnis nehmen sollten, protestierten gegen den ersten Entwurf einer Note, den Bonn mit den Westallierten schließlich doch ausgehandelt hatte, weil darin der Vorbehalt zu deutlich ausgedrückt sei,

Am Freitagabend aber zeigte sich die polnische Delegation bereit, einen zweiten Entwurf zu akzeptieren. Von der Antwort der drei Mächte auf die deutsche Note hängt es jetzt ab, ob Warschau diesen Notenwechsel gegen Quittung entgegennimmt (Fachausdruck: notifiziert).

Bei der Anerkennungsformel für die Oder-Neiße-Grenze bestand Jedrychowski unnachgiebig auf einem Passus, mit dem die polnische Westgrenze als im Potsdamer Abkommen »festgelegt« beschrieben wird. Die Deutschen trösteten sich damit, daß in Potsdam lediglich der »Verlauf« der Grenze bestimmt worden sei -- nach Bonner Sophistik nur eine geographische, keine völkerrechtliche Festlegung. Dies bedeute schon einen Fortschritt, weil Warschau ursprünglich die apodiktische Grenzformel aus dem Görlitzer Grenzvertrag von 1950 mit der DDR in das Abkommen hätte übernehmen wollen.

Dem dringlichen Bonner Wunsch, zugleich mit dem Vertrag eine publikumswirksame Übereinkunft über die Familienzusammenführung vorlegen zu können, kamen die Polen nur geringfügig entgegen. In der Vollsitzung beider Delegationen am letzten Mittwoch erkannte Außenminister Jedrychowski die deutschen Wünsche lediglich »im Prinzip« an.

Die Rot-Kreuz-Gesellschaften beider Länder sollen zwar Ihre Listen ausreisewilliger deutschstämmiger Polen vergleichen, da, so Jedrychowski, nur so Klarheit über die Zahl der möglichen Aussiedler zu erhalten sei. Zugleich aber dämpfte er Bonner Erwartungen: »Die deutschen Zahlen sind überhöht.« Seine Regierung sei dennoch bereit, das Problem »wirksam« anzugehen und »pragmatische« Lösungen zu finden.

Mit einem pragmatischen Arrangement ist jetzt auch Bonn einverstanden und will auf seine Forderung verzichten, die Familienzusammenführung in einer Sondervereinbarung

*Mit SPD-Bundestags-Vizepräsident Carlo Schmid (1.) In der Krakauer Burg unter dem Krönungsschwert der polnischen Könige. zu regeln. Statt dessen wird sich Scheel mit einer schriftlichen Mitteilung Warschaus zufriedengeben, die sich auf die Erklärungen Jedrychowskis zur Familienzusammenführung während der Warschauer Schlußrunde bezieht.

Um polnische Empfindlichkeiten zu schonen, sicherten die Deutschen zu, die Familienzusammenführung sei ausschließlich Angelegenheit der Warschauer Regierung. Bonn werde nicht in die Prüfung der Einzelfälle eingreifen und auch von sich aus keine Personen nennen.

Die beiden Rot-Kreuz-Gesellschaften sollen schon zwischen Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrags Kontakt aufnehmen. »Doch die ersten Aussiedlerzüge«, so ein Bonner Delegationsmitglied, »werden erst nach der Ratifizierung kommen.«

Unterzeichnet wird der Vertrag voraussichtlich in der zweiten Dezemberwoche. Die offizielle Einladung der polnischen Regierung an Bundeskanzler Willy Brandt, zur Unterschrift nach Warschau zu kommen, wird bei der Paraphierung ausgesprochen.

Willy Brandt, der zunächst noch vor der Bayernwahl am 22. November in die polnische Hauptstadt reisen wollte, plant jetzt den Flug nach Warschau für den 8. Dezember. Tags darauf, nach der Unterzeichnungszeremonie, sind Gespräche mit KP-Chef Wladyslaw Gomulka, Ministerpräsident Józef Cyrankiewicz und Staatspräsident Marian Spychalski vorgesehen.

Dem Drängen Bonns nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen will Warschau freilich erst nach der Ratifizierung des Grenzvertrags im Bundestag nachgeben. Der Leiter der westdeutschen Handelsvertretung in Warschau, Botschafter Egon Emmel, trifft inzwischen schon Vorkehrungen für die Umwandlung seiner Mission. Den Warschauer Oberbürgermeister fragte er, ob er ein geeignetes Gebäude für die neue Bonner Botschaft kenne.

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