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JAPAN Bräute für Bauern

Der starke Yen zieht illegale Gastarbeiter aus Südostasien an - Japan fürchtet »deutsche Verhältnisse«. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Als Fernando Garcia Anfang März auf Tokios Narita-Flughafen landete, beschrieb ihn sein Paß als »Businessman«. Sein Aussehen entsprach der Beschreibung. Er trug einen gedeckten Geschäfts-Anzug und Aktentasche. An seiner rechten Hand glänzte ein dicker goldener Ring.

Um den Einwanderungsbeamten zu beweisen, daß er Tourist sei, der lediglich ein paar Tage in einem Tokioter Hotel bleibt, bevor er wieder nach Hause fliegt, zeigte er eine Rückflugkarte nach Manila vor und 1000 Dollar bar. Er bekam ein 15-Tage-Visum, aber in ein Hotel ging er nicht. Ein Mann holte ihn ab und brachte ihn zu einer überfüllten Schlafbaracke.

Schon am nächsten Tag trug Garcia einen gelben Plastikhelm und schaufelte Erde auf einer Baustelle in der Präfektur Chiba östlich von Tokio. Nur der Business-Anzug, die Aktentasche, der goldene Ring und die 1000 Dollar kehrten nach Manila zurück, um wieder und wieder benutzt zu werden in der unendlichen Menschenkette, die Tausende von Filipinos als illegale Immigranten nach Japan bringt.

Der Yen, der seit Jahren gegenüber allen anderen Währungen enorm an Wert gewann, übt eine derartige Anziehungskraft auf Zehntausende Asiaten in Armutsländern aus, daß sie zu jedem denkbaren Trick greifen, um nach Japan zu gelangen und dort illegal zu arbeiten.

Kaum einer schafft das allein. Als Helfer sind die Yakuza, die japanischen Gangster, zur Hand. Die Yakuza koordinieren die Rekrutierung im Ausland, verteilen die Arbeitsplätze in Japan und werden dafür vom Arbeitgeber wie auch vom Arbeitnehmer fürstlich bezahlt.

Bis vor kurzem waren es fast ausschließlich Frauen von den Philippinen und aus Thailand, die als Barhostessen oder Prostituierte in der Unterhaltungsindustrie illegal in Japan tätig waren. Abgesehen von der verbreiteten Furcht, daß die »Japayuki-san« (die »nach Japan Kommenden") Ursache von Aids seien, wurde die Anwesenheit dieser illegalen Gastarbeiterinnen in der japanischen Männergesellschaft nie beanstandet.

Jetzt aber, wo Männer aus den Philippinen, Pakistan, Thailand, Südkorea und Bangladesch ins Land kommen und die schwersten Arbeiten in verschiedenen Branchen der Industrie übernehmen, ist ein Streit ausgebrochen. Drei der größten Gewerkschaften haben gegen diesen jähen Ansturm von Immigranten protestiert. Im Fernsehen und in der Tagespresse taucht das Gespenst der »deutschen Verhältnisse« auf.

»Westdeutschland leidet immer noch unter den Millionen von eingeladenen Gastarbeitern, die nie in ihre Heimat

zurückgekehrt sind«, schreibt die Tageszeitung »Asahi Shimbun«. »Das Problem wäre noch viel schlimmer für Japan, da wir eine mono-ethnische und mono-kulturelle Gesellschaft sind.«

Die Gefahr scheint groß: »Wenn wir in die deutschen Fußstapfen treten, dann werden wir unseren Kindern eine riesige soziale Katastrophe hinterlassen«, schreibt Kanji Nishio, Professor der Germanistik, in der Tageszeitung »Sankei Shimbun«. Die Hauptwarnung einer vor kurzem veröffentlichten Studie des Arbeitsministeriums zum Thema lautet schlicht: »Wir dürfen den deutschen Fehler nicht wiederholen.«

Die Zahlen der Illegalen aber steigen dennoch unaufhaltsam. Irgendwo zwischen 20 000 und 100 000 Immigranten, die als Touristen einreisen, arbeiten bereits in Japan.

Theoretisch wäre es einfach, den Zustrom zu stoppen: Nach japanischem Gesetz darf nur eine begrenzte Zahl von Ausländern mit besonderen beruflichen Fähigkeiten (die Liste umfaßt Ingenieure, Geschäftsleute, Sprachlehrer und Köche der französischen Cuisine) im Land arbeiten. Alle anderen sind »illegale Arbeiter« und können deshalb verhaftet und ohne große Formalitäten deportiert werden. Doch nur wenigen passiert das tatsächlich.

Denn auf diese Gastarbeiter kann immer weniger verzichtet werden. Sie verrichten jene Schmutzarbeiten, für die Japaner zu fein geworden sind. »Kein junger Japaner hat mehr Lust, solche Arbeiten zu leisten«, sagt der Besitzer einer Firma im Tokioter Vorort Toda, die Heizungsboiler reinigt. Drei Bangladeschi sind bei ihm angestellt.

Entlang der Nationalstraße 15 nördlich von Tokio stehen Dutzende von kleinen Fabriken, Lastwagen-Waschstellen, Schrott- und Abfall-Recycling-Betrieben. In ihren Hinterhöfen wimmelt es von dunkelhäutigen illegalen Arbeitern. Abends tauchen auf jedem Bahnhof der Kesai-Linie Gruppen von Pakistanern auf, die nach der Tagesarbeit in ihre Schlafbaracken zurückkehren.

»Die Pakistaner sind die fleißigsten Arbeiter, die ich habe«, sagt der Besitzer einer Werkstatt, in der alte Glasflaschen gesäubert werden. Sie sind nicht nur fleißig, sie kosten auch viel weniger. Ein illegaler Arbeiter erhält in der Regel ein Drittel des für Japaner üblichen Lohns.

Viele kleine Unternehmen, die unter dem hohen Yen-Kurs leiden und sich keine japanischen Arbeiter mehr leisten können, sind durch diese billigen Gastarbeiter vorläufig vor der Pleite bewahrt worden.

Was für den Japaner ein jämmerlicher Lohn wäre, ist für die illegalen Arbeiter oft ein Vermögen. Mohammed Ishad aus Pakistan arbeitet täglich acht bis zehn Stunden in einer Wäscherei und verdient monatlich 120 000 Yen (knapp 1600 Mark; allenfalls halb soviel, wie ein Japaner bekäme), aber mit den 90 000 Yen, die er im Monat spart, kann seine Familie in Pakistan »wie ein König leben«, sagt er.

Viele illegale Arbeiter haben sich tief verschuldet, um nach Japan zu gelangen. »Der Deal, inklusive Flugkarte und geliehenem Business-Anzug, hat mich 1200 Dollar gekostet«, erzählt Fernando Garcia. »Nichts gehört mir. Nicht einmal der Paß.«

Um sein Leben in Japan zu beginnen, hat der Filipino seinen Paß verkauft. »Er war sowieso gefälscht. Ein echter ist bei uns zu teuer, und man muß Monate drauf warten«, sagt er. Er plant, vor seiner Heimreise von einem Neuankömmling einen neuen Ausweis zu erstehen. Das Geld habe er schon gespart.

Da die Illegalen unter der dauernden Drohung leben, verhaftet und deportiert zu werden, haben sie auch keine Möglichkeit, sich gegen ihre Ausbeutung aufzulehnen. Darunter leiden am meisten die Frauen.

»Ein Mann hat mich am Flughafen abgeholt und direkt hierher gefahren«, erzählt ein Mädchen aus den Philippinen, das in einer Bar in der Präfektur Saitama arbeitet. »Er hat mir meinen Paß weggenommen, damit ich nicht weglaufen kann. Er sagte, ich werde mein Gehalt am Ende meines Aufenthaltes bekommen, damit ich es nicht vergeude.« Sie lebt mit drei anderen Filipinas in einem winzigen Zimmer, darf das Haus nie verlassen, morgens muß sie die Bar

schrubben, nachts die Kunden unterhalten.

In Nagoya hat ein japanischer Unternehmer kürzlich 40 illegale Gastarbeiter angestellt, um sie täglich an kleine Fabriken weiterzuvermieten. Zwei Drittel ihres Lohns fließen in seine Tasche, nur ein Drittel in die der Tagelöhner.

Ein Betrieb in der Präfektur Nagano hatte 34 Mädchen aus Sri Lanka als »Lehrlinge auf dem Gebiet der Elektronik« nach Japan einschleust. Dann aber wurden sie für 380 000 Yen (5000 Mark) pro Kopf an vier verschiedene kleine japanische Firmen »verkauft«, wo sie als »Sklavinnen« ausgenutzt wurden, wie sich ein sozialistischer Abgeordneter ausdrückte, der den Fall im Parlament erörterte.

Als die Polizei die Bar »Sul Chuka« in Choshi, einem kleinen Fischerdorf in der Präfektur Chiba, überprüfte, entdeckte sie dort 13 Hostessen aus Thailand, die seit Monaten keinen Yen erhalten hatten, obwohl sie allnächtlich zur Prostitution gezwungen worden waren. Die Mädchen wurden sofort deportiert. Die Bar aber ist dennoch weiter im Betrieb - »mit neuen Mädchen«, wie ein Schild besagt.

Die Yakuza verhökern die Frauen per Bild-Katalog an die Unterhaltungsindustrie. Man kann sich das gewünschte Mädchen entweder gleich bar kaufen - (um etwa 300 000 Yen) - oder sie bei einer Versteigerung erstehen (die Preise schwanken dort zwischen 200 000 und 700 000 Yen).

Die Yakuza sind für Pässe und Unterkunft verantwortlich. Im Fall der Gastarbeiter aus Pakistan bedienen die Gangster sich in Tokio dreier pakistanischer Vermittler. »Ich mußte dem Pakistaner 500 Dollar bezahlen, nur um die Adresse meines Arbeitgebers zu bekommen«, sagt ein junger Mann aus Islamabad, der jetzt in einer kleinen Eisenfabrik in Toda arbeitet.

Ebenso wie die japanische Unterhaltungsindustrie für ihre Bars und Sauna-Bäder illegale Gastarbeiterinnen braucht (sogar ein Dutzend Europäerinnen sind mittlerweile in Tokio im Einsatz) und wie die japanische Kleinindustrie billige Gastarbeiter benötigt, so suchen die japanischen Bauern ausländische Bräute.

Junge Japanerinnen haben keine Lust mehr, auf dem Feld zu schuften, und flüchten in die Städte. Das hat dazu geführt, daß in 80 Prozent der japanischen Bauerngemeinden weit mehr Männer leben als Frauen. »Der Mangel an Bräuten ist zu einem Problem geworden, das den Bestand der Dörfer gefährdet«, so Iwao Mori vom Forschungsinstitut für Forstwirtschaft.

Was den japanischen Mädchen mißfällt, kann aber - zumindest aus der Ferne gesehen - für Mädchen aus armen südostasiatischen Ländern durchaus anziehend wirken.

Als in der philippinischen Stadt Santiago eine Anzeige erschien, die nach »Bräuten für japanische Bauern« fahndete, meldeten sich sofort 400 Mädchen. Auf den Gedanken der Annonce war der Bürgermeister von Higashi Iyayama in Japans Präfektur Tokushima gekommen, einem Dorf, in dem es nur noch ein Mädchen pro vier heiratswillige Männer gibt.

Seither wurden einige Dutzend Mädchen aus den Philippinen und aus Sri Lanka als Bräute für japanische Bauern nach Japan geschafft. In Tokio wurde eine »Gesellschaft zur Einfuhr ausländischer Frauen« gegründet und ein erstes Symposium zum Thema abgehalten. Über hundert Dörfer haben daraufhin ihr Interesse an dem Plan »Bräute für Bauern« bekundet.

Die »internationale Heirat«, wie das Projekt euphemistisch genannt wird, wurde schon zum großen Geschäft. Eine Heiratsagentur in Osaka verschickt Broschüren, in denen »schöne, zahme Mädchen aus Südostasien« angeboten werden. Eine andere in Yokohama annonciert Spritztouren auf die Philippinen mit dem einzigen Zweck, sich dort eine potentielle Ehefrau aus einer vorgewählten Schar herauszupicken. In beiden Fällen liegt der Preis pro Braut um die vier Millionen Yen.

Nicht immer freilich erfüllen sich die Erwartungen. Ein Bauer aus Hirakata hat bereits eine Heiratsagentur auf Schadenersatz verklagt, weil er 4,5 Millionen Yen ausgegeben, aber immer noch keine Frau hat: eine erste, 16jährige, philippinische Braut ist ihm schon nach einer Nacht davongelaufen, die zweite, 18jährige, hat ihn nach einem Monat verlassen, und die dritte, 20jährige, war nach einer Woche geflohen.

Angesichts der Stärke des Yen und des japanischen Bedarfs an billigen und willigen Arbeitskräften werden Gastarbeiter, Prostituierte und Bräute wohl trotz aller Warnungen weiter ins Land strömen.

Die Behörden haben in Wahrheit auch gar kein zwingendes Interesse daran, diesen Zustrom einzudämmen. Schließlich wissen die Japaner, daß - anders als in Deutschland - die meisten Gastarbeiter aus südostasiatischen Ländern nicht freiwillig auf Dauer in Japan bleiben wollen.

Wenn sie genügend Geld gespart haben, um sich zu Hause ein Stück Land, einen Laden oder ein Häuschen zu kaufen, tauchen sie aus dem Untergrund auf und melden sich freiwillig zur Heimverschickung.

Der zweite Stock des Immigrationsbüros von Otemachi, in Tokios Stadtmitte, ist Tag für Tag voller gutgelaunter illegaler Gastarbeiter, die auf ihre Deportation warten.

»Japan ist zum Geldverdienen in Ordnung, aber nicht zum Leben«, faßt eine Filipina, die hier zwei Jahre lang als Barhostess geschuftet hatte, die fast einhellige Meinung der »Japayuki-san« zusammen.

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