Zur Ausgabe
Artikel 14 / 56

BOMBENKRIEG Brand-Verächter

aus DER SPIEGEL 13/1961

Wie ein Volk von Keller-Asseln verbrachten die Zivilisten Deutschlands ihre Freizeit, Nachtruhe und Arbeitsstunden von 1942 bis 1945 weitgehend im Keller. Zwischen den - zuvor niemals so regelmäßig frequentierten - Fundamenten ihrer Gehäuse hockend, hofften sie, den speziell ihnen zugedachten Kampfmitteln der Alliierten zu entrinnen: der Bombenfracht, die Nacht für Nacht über den deutschen Städten ausgeschüttet wurde.

Die Keller-Asseln, den habituellen Bombenwerfern ziemlich schutzlos preisgegeben, ahnten nicht, daß die professionellen Vernichtungs-Strategen auf der Gegenseite lange Zeit in Irrtümern über die Qualität ihrer Bomben befangen waren.

Vor diesen Irrtümern drückten sich auch die Kriegshistoriker beider Seiten bislang mit der gleichen Scheu wie vor dem Bombenkrieg überhaupt. Kaum ein Ereignis des Weltkriegs II ist nämlich so wenig dazu angetan, die Nation der einstigen Keller-Hocker mit den - ihr nunmehr befreundeten - Bombenschützen zu versöhnen.

Dieses strikt beachtete Tabu wurde jetzt erstmals von einem Mann durchbrochen, der den Bombenkrieg als Inspekteur des deutschen Brandschutzwesens von Amts wegen zu studieren hatte und mit präzisen Verlust-Ziffern aufwarten kann. Hans Rumpf*, Generalmajor der Feuerschutzpolizei a.D., schrieb eine Apologie der deutschen Zivilbevölkerung und eine - wissenschaftlich fundierte - Polemik gegen »die Enthusiasten des Bombenkriegs«, die auch heute noch nicht eingestehen möchten, daß ihre Strategie - laut Rumpf - »ein erwiesener Fehlschlag« war. Rumpf: »Die Moral (der Bevölkerung) wurde nicht gebrochen - eher gesteigert, die Kriegsdauer nicht verkürzt - eher verlängert.«

In ihrem Eifer, die Moral gegnerischer Zivilisten erfolgreich anzuknacken, hatten die Theoretiker des Bombenkriegs beider Seiten ihre Hoffnungen ursprünglich auf die hochexplosive Sprengbombe gesetzt. Ihre Splitter, so glaubte man, würden genügend Feindmenschen, ihr Pfeifen und Krachen genügend Feindnerven abtöten.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Mai griff die Royal Air Force (RAF)- erstmals westdeutsche Wohnviertel an und eröffnete damit den sogenannten totalen Luftkrieg. Dazu der englische Luftkriegs -Theoretiker Spaight: »Wir begannen Ziele in Deutschland zu bombardieren, ehe die Deutschen das in England taten. Das ist eine historische Tatsache.«

Kommentiert der Brand-General Rumpf: »Deutschland hat sich also nicht zu allem sonst berechtigten - Schuldgefühl, an dem wir schwer zu tragen haben, auch noch das Bleigewicht der Entfesselung des totalen Luftkriegs aufzubürden.«

Der totale Luftkrieg der Jahre 1940/41 war freilich erst ein vergleichsweise harmloses Scharmützel: Die britischen Sprengbomben, auf Fabriken oder Wohnungen geworfen, richteten keinen großen Schaden an, zumal schwerere Kaliber noch nicht gebräuchlich waren.

In ihrer Begeisterung für die lautstarke-Sprengbombe hatten Briten wie Deutsche nämlich übersehen, daß großflächige Städte leichter durch Brand als durch Brisanz auszulöschen sind.

Diese Einsicht dämmerte den RAF -Bombardeuren erst, als sie im März 1942 ein neuartiges Experiment anstellten: Sie mischten unter die nach wie vor als unentbehrlich angesehenen Sprengbomben erstmals eine gehörige Portion der bis dahin noch nicht erprobten Flüssigkeits-Brandbomben. Objekt war die Stadt Lübeck.

In der hellen Mondnacht vom 28. zum 29. März öffneten die Briten drei Stunden lang, von See her anfliegend, ihre Bombenschächte über Lübeck. Die Stadt brannte 32 Stunden lang. Resümierte Rumpf: »Für den Angreifer war die wichtigste Erkenntnis aus diesem Lehrangriff die klare Überlegenheit der Brandbombe über die Sprengbombe.« Begründung: »Eine Tonne Sprengbomben zerstörten 2000 Quadratmeter, eine Tonne Brandbomben 13 000 Quadratmeter bebaute Fläche.«

Konsequenz: »Der Angriff auf Lübeck (ist der) Drehpunkt... des Luftkrieges zum Luftbrandkrieg.«

Die britische Bomberflotte wurde damals freilich von einem Mann angeführt, dem die zundrig brennende Lübecker Innenstadt nur unzureichend blessiert erschien: Luftmarschall Sir Arthur Harris. Dieser Fanatiker des totalen Bombenkriegs beharrte weiterhin auf Brisanz-Bewurf und mußte vom britischen Luftwaffen-Generalstab mit Raffinesse dazu überredet werden, seinen Geschwadern künftig mehr Brandbomben mitzugeben.

Erst als dem starrsinnigen Marschall an Hand von Luftaufnahmen eindeutig nachgewiesen wurde, daß die bis dahin 107 mal vorwiegend mit Brisanz angegriffene Stadt Köln immer noch heiler aussah als Lübeck, einigte man sich auf einen Kompromiß: zwei Drittel Brand - und ein Drittel Sprengbomben.

Daß sich Harris derart hartnäckig auf Brisanz kaprizierte, lag an dem geradezu missionarischen Eifer, mit dem dieser zunächst als »Nelson der Luft« verherrlichte, bei der späteren Massen -Nobilitierung britischer Krieger aber geflissentlich übergangene Chef-Bombardeur die Deutschen aus der Luft zu dezimieren wünschte. Harris: »Ehe wir den Krieg gewinnen können, müssen wir zuvor einen ganzen Haufen deutscher Zivilisten töten.«

Die Vorstellung, er könne dieser selbstgewählten Aufgabe am zweckmäßigsten mit Hilfe der Sprengbombe genügen, erwies sich jedoch als falsch: Nach Rumpfs Ermittlungen gehen »die schauerlichen Massenopfer der 'Auslöschungsangriffe' in den Jahren 1943/44 ... zu Lasten der Brandbombe. Sie traten erst ein, als bei reinen Brandangriffen viele Tausende der ... eingeschlossenen Menschen im Glutofen der Feuerstürme umkamen.«

Registrierte der deutsche Feuerschutz -General: »In Würzburg waren es 4000, in Darmstadt 6000, in Heilbronn und Wuppertal je 7000, in Wesel 9000, in Magdeburg 12 000, in Hamburg 40 000.«

Das Bombardement auf Hamburg Ende Juli 1943 gilt nach wie vor als Parade-Angriff der RAF - eine Meisterleistung, was die Organisation angeht; aber ein schauriges Fanal des nun endgültig totalen Luftkrieges: Die Opeperation rollte unter dem Decknamen »Gomorrha«.

In drei heißen Nächten - die Temperatur erreichte damals auch nachts die für Hamburg ungewöhnliche Höhe von 30 Grad - klinkten insgesamt 2204 britische Flugzeuge mehr als 6000

Tonnen Bomben über der Hansestadt aus. Beim schwersten, dem zweiten Angriff fielen auf den Quadratkilometer

- 39 Minenbomben

- 803 Sprengbomben

- 2 733 Flüssigkeits-Brandbomben und

- 96 429 Stabbrandbomben.

Diesmal war der britische Bomberchef mit dem Erfolg zufrieden. Harris: »Die Bild-Erkundung zeigte eine unvorstellbare zusammenhängende Zerstörung von 6200 acres* Fläche nach gigantischen Feuerstürmen mit Wirkungen außerhalb aller menschlichen Vorstellungskraft. Jetzt war Hamburg ausgeknockt - 'wiped' - weggewischt.«

Obschon die Perfektion der Zerstörung tatsächlich erreicht schien - nach deutschen Angaben brannten 23 Quadratkilometer bebauter Fläche und Straßenzüge von fast 500 Kilometer Länge bei einer Temperatur von teilweise 800 Grad Celsius -, irrte sich der oberste britische Bomber auch diesmal: Hamburg war zwar zermalmt, aber nicht weggewischt: Bereits nach fünf Monaten hatte die Stadt wieder 80 Prozent ihrer früheren Produktion erreicht.

Immerhin war die Hälfte aller Wohnhäuser, davon 80 Prozent durch Feuer, vernichtet, während der deutschen Luftwaffe in den 16 von ihr angegriffenen britischen Städten nur 1,6 Prozent des Wohnraums zum Opfer fielen.

Dieses offenbare Mißverhältnis erklärt sich nicht allein aus der Tatsache, daß Hermann Görings Kampfverbände auch in ihren besten Zeiten weit geringer an Zahl und weit seltener über englischem Boden anzutreffen waren als die RAF über dem Reichsgebiet. Das vergleichsweise bescheidene Zerstörungswerk der deutschen Bomben verdanken die Briten vielmehr den deutschen Generalen, die sich für Brandbomben noch weniger erwärmen mochten als der enragierte Brisanz-Freund Harris.

Nach den Ermittlungen von Rumpf war noch während der Luftschlacht um England jeder Versuch, die beherrschende Rolle der Sprengbombe in Zweifel zu ziehen, zum Scheitern verurteilt: »Die deutsche Luftwaffe führte die Brandbombe nur als Beiladung; die Hauptladung war immer Brisanz.«

Die Freund und Feind mangelnde Einsicht in die Wirkung des Elements Feuer erklärt der Brand-Spezialist Rumpf mit der Abneigung, die das Militär gegen nichtexplosive Kampfmittel hege: Seit Erfindung des Schießpulvers entwickelte sich die Kriegstechnik immer stärker zur Explosionstechnik. Feuer kam außer Mode.

Daß die Briten diese Antipathie beizeiten überwinden konnten, kostete die Deutschen ihre Städte: Während sie abgestumpft im Keller hockten, saugte sich die britische Thermit-Brandbombe »in der sattsam bekannt gewordenen praktischen Bleistiftform« am Dachstuhl fest. Erst als die Städte gehörig ausgebrannt waren, gingen die Alliierten wieder zur traditionellen Brisanz-Bombe über, um die hartnäckigen Kellerbewohner aus den Ruinen zu vertreiben.

Die Schäden, die der Bombenkrieg der deutschen Industrie zufügte, waren dagegen über Erwarten gering. Die Rüstungsindustrie erreichte im Herbst 1944 die höchsten Produktions-Ziffern: Fabriken brennen nicht so gut.

* Hans Rumpf: »Das war der Bombenkrieg. Deutsche Städte Im Feuersturm. Ein Dokumentarbericht.« Gerhard Stalling Verlag, Oldenburg und Hamburg; 208 Seiten; 16,80 Mark.

* 1 acre = 4046,85 Quadratmeter.

Hamburger Innenstadt nach einem Luftangriff (1944): Der Bombenkrieg ...

Brandspezialist Rumpf.

... war ein Fehlschlag

Zur Ausgabe
Artikel 14 / 56
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren