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Gastronomie Brauchen wir nicht

Dürfen Disco-Türsteher Türken den Zutritt verwehren? Abgewiesene Besucher protestieren gegen gastronomischen »Rassismus«.
aus DER SPIEGEL 23/1991

Bis Sven 16 Jahre alt wurde, waren er und der türkische Nachbarjunge Mahmut Ucan, 18, dicke Freunde. Jetzt trennen sich ihre Wege öfter mal - an den Eingängen von Berliner Diskotheken: Sven wird eingelassen, Mahmut abgewiesen.

Barbara John, 53, seit über neun Jahren Ausländerbeauftragte des Senats, klagt nicht nur darüber, daß solche Auslesepraktiken zu »willkürlicher Zerstörung« von Integrationserfolgen führen. Sie hat auch ein Gegenmittel entwickelt.

Seit sich Beschwerden südländisch aussehender Jugendlicher häufen, drückt Barbara John den Abgewiesenen ein Schreiben in die Hand, »zur Vorlage beim Türsteher«. In mehr als 100 Fällen hat sie so für »oben genannten Jugendlichen« um Einlaß gebeten. Ein Verweis auf die Gaststättenverordnung, Absatz sechs, ist angefügt.

Danach darf niemand »willkürlich . . . wegen seiner Hautfarbe, Rasse, Herkunft oder Nationalität« zurückgewiesen werden. »Aber so''n Brief«, sagt Mahmut Ucan, »beeindruckt die auch nur beim erstenmal.«

Nicht nur in Berlin weisen Türsteher, auf das Hausrecht pochend, oft mehr Besucher ab, als sie einlassen. Das trifft - je nach Stil der Gaststätte - meistens Ausländer, oft aber auch Deutsche.

Die Begründungen sind vielfältig: Mal haben die Gäste nicht »den richtigen Paß« (Rausschmeißer Miguel Romero, »Ku''dorf«, Berlin), mal »nichts Vernünftiges an« (Türsteherin Tina, »Vertigo«, München), mal fehlt es ihnen einfach an »positiver Ausstrahlung« (Dirk Rahe von der Hamburger In-Disco »Traxx"). Dem Hamburger »Trinity« sind manche Menschen schlicht nicht »hübsch« genug (Michael Ammer, PR-Mann des Hauses).

Die Rechtsprechung über die Vollmachten von Türstehern ist nicht ohne Widersprüche. Das Bayerische Oberste Landesgericht etwa fand 1983 den »Tatbestand der Beleidigung« bereits erfüllt, als ein Kneipier einem US-Captain und einem farbigen Studenten »ohne erkennbaren sachlichen Grund« die Tür weisen ließ. In Frankfurt sprach das Oberlandesgericht zwei Jahre später einen Gastwirt vom Vorwurf der Volksverhetzung frei, nachdem der monatelang ein Schild aufgehängt hatte: »Türken dürfen dieses Lokal nicht betreten.« Türken, so lautete damals die Urteilsbegründung, würden durch ein solches Zugangsverbot »nicht im Kernbereich ihrer Persönlichkeit getroffen«. Das Schild stelle eine »bloße Diskriminierung«, aber keine Volksverhetzung dar.

Gegen Diskriminierung und Willkür an Disco-Türen bieten deutsche Gesetze mithin nur wenig Schutz. »Selbst vor dem Bundesgerichtshof hat ein abgewiesener Gast, egal ob Deutscher oder Ausländer, als Kläger keine Chance«, resümiert der Bochumer Jurist Rüdiger Molketin, Autor eines Aufsatzes über »Strafrecht und Zurückweisung von Gästen durch den Wirt« im Fachblatt Gewerbearchiv.

Besitzer deutscher Yuppie-Lokale geben über ihre Auswahlkriterien freimütig Auskunft. Michael Käfer, 33, etwa ist stolz darauf, daß seine Münchner Diskothek »P1« im Ruf steht, die »härteste Tür der Republik« zu haben, und bekennt sich offen dazu, sich »das Prinzip Neid« zunutze zu machen. Käfer: »Das haben wir uns so ausgedacht.«

Das Rezept ist einfach: Zwei Besucher kommen zusammen, aber nur einer darf rein. Der andere denke sich dann »wunder, was da abgeht« - obgleich der Chef gestehen muß: »Der Raum vom Lokal ist todhäßlich.«

Auch Hansi Grandl vom Münchner »Park-Cafe« nimmt nicht jeden. Hilfreiche Tips ermittelte unlängst die Süddeutsche Zeitung: »Wer wie eine Verkäuferin aussieht, keine Chance, gestufte Dauerwellen, null, wer einen Parka anhat, schlecht, und ganz schlecht sind Schnauzbärte, alles Primitivlinge.« Am schlimmsten aber sind offenbar »Trevirahose« und ein »bestimmtes Gesicht«. Grandl: »Das ist ein Trambahnschaffner. Brauchen wir nicht.«

Nicht jeder Gast zeigt für Kriterien dieser Art Verständnis, manche reagieren gewaltsam. Bis Grandl den Bodyguard Toni _(* Vor der Hamburger Diskothek ) _("Madhouse«. ) ("bisher unbesiegt, ein Naturtalent") engagierte, war es für ihn schon »öfter mal lebensgefährlich«, Besucher abzuweisen.

Gelegentlich kommt es in der Branche zu Zwischenfällen mit tödlichem Ausgang. Im August 1989 etwa erschoß ein 28jähriger vor der Berliner Diskothek »Tolstefanz« den Türsteher Andreas Briesenick. Nur wenige Monate zuvor hatte ein Jugoslawe, ebenfalls aus Wut über seine Abweisung, den Türsteher des Kölner »Neuschwanstein« mit einem Brotmesser erstochen.

Bei dem Hamburger Chemiestudenten Hans-Jürgen Burmeister, 27, ging es vergleichsweise glimpflich aus. Der Jungakademiker wollte mit Freunden sein Stammlokal »Traxx« im Zentrum der Stadt besuchen. Türsteherin Kathrin verwehrte den Eintritt, weil einer in der Gruppe betrunken war. Es kam zu einer Prügelei. Burmeister erstattete Anzeige.

Handgreiflichkeiten vor der Disco-Tür gehören vielerorts zum Tagesgeschäft. Aufpasser wie Miguel Romero vom »Ku''dorf« in Berlin sehen in den, wie er einräumt, »zahlreichen Anzeigen« wegen Körperverletzung und Beleidigung sogar einen Teil ihres »Berufsbildes«.

Nur im Osten Deutschlands sind die meisten Disco-Türschwellen heute leichter zu passieren als früher. Einst im SED-Staat mußten die Besucher nicht selten stundenlang Schlange stehen, um am Ende doch abgewiesen zu werden, wenn die Jeans nicht sauber war. Heute kommt hier jeder, wie er will.

Der ehemalige Geschäftsführer des legendären »Cafe Nord« im Osten Berlins zum Beispiel ist nun auch Besitzer und bittet - zum Eintrittsgeld von fünf Mark - neuerdings so gut wie jeden herein. Das findet nicht bei allen Gästen Beifall. Manche sehnen sich gar nach den alten Zeiten: »Führt doch«, muß sich Türsteher Rene Krohne, 24, immer wieder runterputzen lassen, »die SEO wieder ein« - gemeint: die Sozialistische Einlaßordnung von einst.

Streng allerdings ist auch Rene mit Ausländern: »Die verstehen sich nicht mit unseren Gästen.«

Die Apartheid in der Diskothek findet im Ossiland viele Sympathisanten. Und nirgendwo in der Ex-DDR formiert sich ähnlicher Widerstand wie in Hamburg, wo kürzlich ein »Komitee für soziale Verteidigung« zur Demonstration gegen die »rassistische Selektion« an der Disco-Tür aufrief. Daraufhin fanden sich immerhin gut fünfzig Protestler vor der Diskothek »Madhouse« ein.

Die Gästeauswahl an Disco-Türen, sagt Bernd Fiedler, 37, Mitglied der Initiative, erinnere ihn an »braune Zeiten": »Daß einer nicht blond und blauäugig ist oder ärmlich aussieht - das darf kein Argument für Ausgrenzung sein.« Um ihr zu entkommen, greifen Hamburger Türken bisweilen zu Mitteln, die an Selbstverleugnung grenzen. Um in dieselben Discos reinzukommen wie die Freunde, gehen manche zum Friseur, um sich die Haare blondieren zu lassen.

Hüseyin Yavuz, 42, Mitglied des Hamburger SPD-Landesvorstandes, mag die Willkür in der Gastronomie nicht länger akzeptieren. Als sich zahlreiche Disco-Chefs bei einer Umfrage der Hamburger Morgenpost für Ausländerquoten aussprachen, forderte der SPD-Mann ein »Antidiskriminierungsgesetz": »Wenn die schon vor dem Menschen keinen Respekt haben, dann wenigstens vor Paragraphen.«

In Berlin wollte die Ausländerbeauftragte John mit dem Hinweis auf die Gaststättenverordnung ein Lokal schließen lassen. Der Inhaber weigert sich bis heute hartnäckig, von einer Quotenregelung für Ausländer abzusehen. Sein Argument: Ihm blieben sonst die deutschen Besucherinnen weg, und dann könne er das Lokal schließen.

Die Juristen im Rechtsamt des Bezirks Tempelhof haben dem Wirt Recht gegeben. Die Begrenzung des Ausländeranteils unter den Gästen sei »in der Eigenart des Gewerbebetriebes begründet« und stelle »keine sachfremde Benachteiligung individualisierter Personengruppen« dar. Peter Tobisch, Leiter der Abteilung Finanzen und Wirtschaft im Bezirk Tempelhof, teilt diese Auffassung, solange Ausländer in dem Maße Zutritt finden, wie sie in der Bevölkerung vertreten sind: »Das ist ein Ausgleich der Interessen.«

In München droht Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl den Wirten, deren Türsteher immer wieder unangenehm auffallen, zwar Konsequenzen an: »Wer nicht spurt, muß zumachen.« Aber dazu ist es bislang nicht gekommen. Und als allzu dramatisch scheint Uhl die Lage auch nicht anzusehen.

Er kenne, sagt er, »viele zufriedene Kunden«, nämlich diejenigen, die reinkommen. Er sieht die Praktiken der Türsteher »mehr unter dem Unterhaltungsaspekt« und empfiehlt den Abgewiesenen: »Sollen die doch in die anderen 50 Diskotheken gehen.«

Gastronomie-Aufseher Uhl selbst war nie in dieser Verlegenheit. Einst, als er noch Jurastudent war, stand für ihn im exklusiven »P1« stets eine persönliche Flasche Whisky parat. Trevirahosen hat er ohnehin nie getragen.

* Vor der Hamburger Diskothek »Madhouse«.

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