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GRÜNE Braun, rot oder grün

Westdeutschlands Grüne bestreiten ihren Europa-Wahlkampf mit einem sogenannten Spitzenkandidaten, der weder mitwählen darf noch wählbar ist.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Einst sang Rudko Kawczynski, 34, zusammen mit einem Partner im »Duo Z« selbstverfaßte »makabre Texte« über Minderheiten in der Wohlstandsgesellschaft. »Auf der Bühne war ich anerkannt«, sagt Kawczynski, »doch hinterher in der Kneipe war ich wieder der Zigeuner.«

Das Mißverhältnis zwischen künstlerischem Schein und gesellschaftlichem Sein ließ den Roma, der in Polen geboren ist und seit über 30 Jahren vorwiegend in Westdeutschland lebt, das Aktionsfeld wechseln. Sechs Jahre lang engagierte er sich in der SPD, seit letztem Sommer agiert er bei den Grünen, wo er, obwohl parteilos, eine steile Karriere machte.

Die Alternativen, die »ein Zeichen setzen« wollten gegen Ausländerfeindlichkeit und Zigeunerdiskriminierung, wählten Kawczynski demonstrativ zu ihrem Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl am 18. Juni - und bescherten damit ihren Wählern und sich selber ein Kuriosum.

Denn Kawczynski, den deutsche Behörden für einen Polen, polnische Ämter für einen Deutschen halten, lebt als sogenannter Staatenloser mit Fremdenpaß in Hamburg. Laut Wahlrecht aber dürfen nur Staatsangehörige für das Europäische Parlament kandidieren und wählen. Kawczynskis Einbürgerungsantrag ist noch nicht beschieden; folgerichtig wurde seine Kandidatur vom Bundeswahlleiter untersagt.

Die Grünen, die sich von solchen Formalien so leicht nicht anfechten lassen, präsentieren Kawczynski im Wahlkampf trotzig weiterhin ganz vorn; in Hessen haben sie sogar beschlossen, künftig auch bei Bundes- und Landtagswahlen nichtwählbare Ausländer auf ihren Listen zu plazieren.

»Wir halten daran fest«, sagt Grünen-Bundesgeschäftsführer Eberhard Walde, »daß Kawczynski unser Spitzenkandidat ist« - jedenfalls symbolisch. Auch für Kawczynski »ändert sich nichts« durch das Veto des Bundeswahlleiters: »Ich gehe auf jeden Fall nach Straßburg« - allerdings nicht als Abgeordneter, sondern als »politischer Referent der Grünen-Fraktion« (Walde).

In der Euro-Metropole will Kawczynski »auf die Probleme der heimatlosen Roma und anderer Minderheiten aufmerksam« machen: »Die Unterdrückung, die Diskriminierung der Sinti und Roma in Europa muß beendet werden.«

Bei den Grünen wie im Lager der Zigeuner ist die konfuse Kandidatur keineswegs unumstritten. Grünen-Politiker, die auch den jüngsten Parteitagsbeschluß, allen Ausländern in Westdeutschland ein Bleiberecht zu garantieren, schlicht für »schwachsinnig« halten, mißbilligen die »Show mit dem Zigeuner«.

»Ich mag solche symbolischen Sachen nicht«, sagt eine prominente norddeutsche Grüne. »Viele Delegierte haben sich nur deshalb, weil sie das Etikett ,ausländerfeindlich' fürchteten, nicht getraut, gegen Rudkos Kandidatur zu reden und zu stimmen.«

Nun hoffen nicht wenige Alternative, daß Kawczynski, der sich schon an spektakulären Hungerstreik-Aktionen beteiligte und sich lobend über die Bewohner der Hamburger Hafenstraße vernehmen ließ, im Wahlkampf »nicht so laut beim Namen genannt« wird. Andernfalls sei mit »Einbußen von Wählerstimmen« zu rechnen. Auch Kawczynski selber glaubt, seine Nominierung werde »den Grünen wohl eher schaden«.

Tiefer noch als in der Grünen-Partei geht mittlerweile bei den Roma und Sinti der Konflikt um das Euro-Engagement des Staatenlosen. Mit einer Spaltung der westdeutschen Zigeuner-Organisation erreichte der Streit letzten Monat einen vorläufigen Höhepunkt.

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte den Grünen vorgeworfen, durch Kawczynskis Kandidatur entstehe »der fatale Eindruck, daß sie die Lage einer diskriminierten und benachteiligten Minderheit in Europa« für ihre Wahlkampfzwecke »instrumentalisierten«. Kawczynski wurde beschuldigt, die staatenlosen Roma »für eigene spektakuläre Auftritte« zu mißbrauchen.

Der Attackierte und dessen Roma-Freunde, die Kawczynskis Kandidatur als »historischen Schritt« bezeichnen, keilten zurück, der Zentralrat betreibe »Ausgrenzungspolitik« sowie »Diffamierungs- und Rassenhetzkampagnen« gegen Roma. Der Zentralrat wurde aufgefordert, »nicht mehr im Namen der Roma zu sprechen«.

Vertreter von Roma- und Sinti-Familien, die zu dem Grünen-Sympathisanten halten, gründeten in Hamburg ein bundesweites Roma-Forum, das laut Kawczynski bereits von rund zwei Dritteln der nach seinen Angaben etwa 30 000 hier lebenden Zigeuner als Dachorganisation anerkannt wird. »Wir wollen konsequente Bürgerrechtsarbeit leisten«, sagt Kawczynski, »zusammen mit allen Minderheiten, die vom Rassismus bedroht sind - egal, ob einer braun, rot oder grün ist.«

Dabei wollen die Zigeuner nicht nur Politiker für sich gewinnen, sondern selber »versuchen, die Zukunft dieses Landes mitzugestalten«. Kawczynski: »Mein Motto lautet: Zigeuner, geht in die Politik. Roma, los, werdet Bundeskanzler.«

Lernen muß der alternative Symbol-Kandidat, der einst nach vierjährigem Schulbesuch »mit Teppichen und Uhren auf dem Hamburger Fischmarkt handelte« und heute als Dolmetscher arbeitet, laut Selbsteinschätzung erst noch, »daß jetzt alle jeden unüberlegten Stoßseufzer von mir gleich politisch auslegen«. Trotzdem möchte er im Wahlkampf und später in Straßburg weiter »anstoßen« und »schreien, wenn Ungerechtigkeiten begangen« werden.

Noch für diesen Monat planen die Forum-Roma einen Protestbesuch in Bonn und bei Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Kawczynski: »Ich will doch nicht politisch Blabla machen.« #

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