NEONAZIS Brauner Pranger
Wenn es doch nur bei den Schmähreden und Todesdrohungen geblieben wäre. An die hatte sich Rainer Sauer, 51, langsam gewöhnt. An die Online-Texte, in denen Neonazis, immer wieder, sein schnelles Ende herbeisehnten ("Hoffentlich putzt einer den fetten Drecksack weg").
Inzwischen allerdings macht sich der Kommunalpolitiker aus dem westfälischen Bocholt »erhebliche Sorgen«. Erst beschmierten Unbekannte sein Garagentor mit einer SS-Rune, dann wurden vor Sauers Grundstück mindestens fünf Schüsse abgefeuert. Vor einigen Tagen fischte der Familienvater schließlich den Brief einer »Sturmbrigade 35« aus seinem Postkasten. »Wir werden Euch ausrotten«, hieß es da.
Der Fall Sauer ist einer von vielen, in denen der verbalen Gewalt via Internet nun auch Taten folgten. Und er ist Teil einer Entwicklung, die Ängste schürt: Denn immer häufiger und vor allem immer unverhohlener wird auf den knapp 1700 rechtsextremen Internet-Seiten, die in Deutschland bekannt sind, zu Attacken gegen linke Aktivisten, Gewerkschafter oder Journalisten aufgerufen.
Die Strategie der Einschüchterung sei »ungewöhnlich aggressiv und hetzerisch« geworden, sagt Manfred Murck vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz. Auf speziellen Pranger-Seiten werden Fotos, biografische Details und Adressen der Neonazi-Gegner ins Netz gestellt.
Dem sächsischen SPD-Landtagsabgeordneten Martin Dulig wurde in einem Forum für Rechtsextreme angedroht, dass er schon bald Besuch von »20 oder 30 Nationalisten« bekommen könnte. Einen Kieler Richter, der ein NPD-Mitglied zu einer Geldstrafe verurteilt hatte, traf es noch härter: Neonazis veröffentlichten seine Adresse, benannten die Zahl seiner Kinder und gaben zu bedenken, dass »mancher Leser gerne mal einen Richter oder Staatsanwalt in freier Wildbahn erlegen würde«.
Eine bayerische Neonazi-Gruppe fertigte Online-Dossiers über knapp 200 Männer und Frauen aus dem Raum Nürnberg an - und veröffentlichte Porträtfotos, die vorher heimlich auf Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen geschossen worden waren. Hessische Neonazis stellten zudem Stadtplanausschnitte ins Netz, die den Weg zu linken Politikern oder Mitgliedern von Bürgerinitiativen weisen sollten.
Manche Pranger-Seiten präsentieren sogar Details über das Liebesleben ihrer Opfer und attackieren deren Familienmitglieder. So wird in einem Dossier die Schwester eines Anti-rechts-Aktivisten verspottet, die oft Urlaub in der Türkei mache. »Fast scheint es, als hätten die Macher V-Leute in die linke Szene eingeschleust«, sagt Iñigo Schmitt-Reinholtz, der als Rechtsanwalt gegen die Rechten antritt.
Opfer wie die Gewerkschafterin Ruth B., im Netz als »Rabenmutter« geschmäht, haben mittlerweile »Angst, dass das mal eskaliert«. Unbekannte besprühten nachts eine Wand ("Good Night, left Side") ihres Hauses in Fürth und beschmierten den Familien-Kombi mit Farbe. Insgesamt entstand ein Schaden von fast 10 000 Euro. Kurz darauf berichteten die Produzenten der Nürnberger »Anti-Antifa«-Seite voller Genugtuung, die Familie B. habe »Besuch von engagierten Antikommunisten« bekommen. Zurzeit ermittelt die Nürnberger Polizei gegen einen 24-Jährigen, der für die »Bürgerinitative Ausländerstopp« im Parlament der Stadt sitzt. Auf Demonstrationen gegen rechts hatte der Kommunalpolitiker Fotos von Teilnehmern gemacht - und sie mutmaßlich an die Macher der Internet-Seite weitergegeben.
Der Versuch, Texte und Bilder aus dem Netz zu entfernen, ist so gut wie aussichtslos. Die Nürnberger Hetz-Seite liegt auf einem Server des NS-Devotionalien-Händlers Gary Lauck. Der lebt in den USA und damit außerhalb des Einflussbereichs der deutschen Justiz. Unter den Betreibern der Web-Pranger ist diese Methode beliebt. »Fragt Ihr Euch nicht, warum wir eine .com-Adresse haben anstatt .de?«, höhnt eine Seite aus Nordrhein-Westfalen. Und so sieht die deutsche Justiz weitgehend ohnmächtig zu, wie die Rechten von ausländischen Servern aus gegen politisch Andersdenkende hetzen.
Allerdings spielt manche Aktion der Staatsmacht den Initiatoren des Netz-Prangers auch in die Hände. Denn immer wieder stehen linke Demonstranten vor Gericht, weil sie bei ihren Protestzügen ihre Gesichter verborgen haben - um nicht von rechtsextremen Fotografen aufgenommen zu werden. Verstoß gegen das Vermummungsverbot, heißt dann der Vorwurf. So wurde in Erlangen ein 24-jähriger Azubi zu 1800 Euro Geldstrafe verurteilt, weil er bei einer Demonstration einen Schal ums Gesicht geschlagen hatte.
Gelegentlich nutzt die Polizei sogar die Arbeit der Neonazis. Bei einem Verfahren gegen zwei Anfang 20-Jährige aus Nürnberg musste ein Polizist zugeben, er habe bei seinen Ermittlungen gegen linke Umtriebe auch auf die Dossiers einer »Anti-Antifa«-Seite zurückgegriffen. Die Rechten seien schließlich »gut organisiert«, verteidigte sich der Mann.
Für die Neonazis war diese Aussage ein Fest. Endlich, jubelten sie auf ihrer Hetz-Seite, kämpften »Anti-Antifa« und Staat geschlossen gegen die Feinde Deutschlands. GUIDO KLEINHUBBERT