STRAFVOLLZUG Briefe vom Bruder
Oswald Steiner*, noch auf Jahre Insasse der Justizvollzugsanstalt (JVA) Rheinbach nahe Bonn, freute sich über die Botschaft von draußen: Ein freundliches Schreiben bot ihm Briefpartner und Bruderliebe, Bargeld
* Name von der Redaktion geändert
Gutscheine für Bastelarbeiten und den Bezug einer Inhaftierten-Monatsschrift mit dem Titel »Die Kette«.
Absender war die »St. Michael-Bruderschaft« in Saarlouis. eingetragener Verein mit dem Ziel, »als Hilfe der Gefangenen, entlassener Strafgefangener und deren Familien« die Zellen-Zeit und später den neuen Start in der Freiheit zu erleichtern. Steiner: »Ehe kaputt. Familie auf Distanz -- man sucht natürlich dringend solche Kontakte.«
Hoffnungsfroh wie Steiner reagierten viele der rund 600 »Zeitstrafler« (JVA-Jargon) und der über 70 Lebenslänglichen in Rheinbach, ebenso Tausende von Gefangenen in anderen Haftanstalten, die seit über vier Jahren von der Bruderschaft Post bekommen -- in Stammheim und Werl. Wittlich und Hamburg.
Der christliche Anstrich mit der Anrede »Bruder« oder »lieber Freund« und der vollständige Vereinsname ("St. Michael -- Bruderschaft und Unsere Liebe Frau von der Erlösung der Gefangenen in der Welt") bestärkt die Empfänger im Glauben, von einer kirchlichen Hilfsorganisation angesprochen zu werden.
Die meisten JVA-Adressaten zögern denn auch nicht, ihre kargen Knast-Einkünfte in vielfältiger Form nach Saarlouis zu transferieren -- als Mitgliedsbeitrag für die Bruderschaft jährlich 36 Mark, als Abonnementskosten für die »Kette« jährlich 30 Mark, als Aufnahmegebühr oder, auch in Briefmarken, für die Vermittlung von bevorzugt weiblichen Korrespondenzpartnern.
Gründer der Bruderschaft (Motto: »Kreuzzug« der sozialen Liebe") ist der Unfallrentner Gerhard Döring« 55, früher Anwaltskanzlei-Gehilfe und Buchhalter. Er residiert in der Ludwigstraße 21 in Saarlouis, zugleich Sitz der Bruderschaft und der Firma »Reso-Gesellschaft m. b. H.« die von Döring und seiner Ehefrau Klara als »Verlags-» Handels-, Vermittlungs- und Versicherungskontor« betrieben, aber vorwiegend als »Arbeitsgruppe für Resozialisierung« ("Reso") der Bruderschaft beschrieben wird.
Die Erleuchtung, sich »auf Lebenszeit speziell um Gefangene zu kümmern«, kam Döring vor neun Jahren. als er nach eigener Behauptung in der Bretagne zum Ritter eines »Marianischen Ritterordens Mont Michel« geschlagen wurde. Der renommierte Orden, so Döring, betreibe in Frankreich Sozialarbeit und habe ihm auch das Recht verliehen, den Ehrentitel »Excellenz« zu führen.
Vom Ritterorden auf Wunsch beurlaubt, ließ Döring 1974 die Bruderschaft St. Michael ins Vereins- und die »Reso«-Gesellschaft ins Handelsregister eintragen. Und das Unternehmen gedieh. Döring rühmt sich. »mehr als 10 000 Gefangene in 148 Haftanstalten« zu betreuen, gibt die Mitgliederzahl der Bruderschaft mit 400 an, »davon 300 im Knast«, das Kontingent der angeblich vorwiegend jungen und weiblichen Briefbundpartner mit 700 und die festen Bezieher der »Kette« mit über 1000.
Beeindruckt vom gottesfürchtigen Habitus des Bruderschaftlers ("Jedes Gebet ist nützlich"), zeigte die Klientel sich lange Zeit arglos. Steiner: »Man denkt eben, die Kirche habe ja Macht und Mittel, und die Mitgliedschaft sei deshalb von Vorteil.«
Aber der Heiligen-Schein kann auch trügen: Die Bruderschaft in Saarlouis wird weder von den Kirchen noch von einem klerikalen Orden oder einer karitativen Organisation getragen oder auch nur unterstützt. Der Michael-Verein ist auch nicht als gemeinnützig anerkannt, er wird von keiner kommunalen oder staatlichen Stelle finanziell gefördert.
Und in den Anstalten mehren sich die Beschwerden: So bleiben häufig die von Döring zugesagten Gutscheine für den Erlös von Bastelarbeiten aus oder weisen nur einen unangemessen geringen Betrag aus -- was Döring mit dem Kommentar versieht, die Beträge seien auf Konten, die er für jeden einzelnen Gefangenen eingerichtet haben will, eingezahlt, 36 insgesamt, denn »die Beteiligung ist gering«.
Auch die Briefkontakte zünden nicht richtig. Statt netter Zeilen von -- wie Döring verheißt -- Studentinnen oder Schwesternhelferinnen kommen vor allem Beschwichtigungsbriefe der Bruderschaft, wonach die vorgesehene Post-Partnerin krank, überlastet, verzogen oder mutlos sei. Porto und Beitrag -- Bezug der »Kette« ist Voraussetzung -- sind dann vom Inhaftierten vergeblich bezahlt.
Allein die »Kette« wurde bislang monatlich zugestellt -- mit Nachdruck-Beiträgen aus der Tages- und Kirchenpresse, Löns-Gedichten, Rechtsberatung und viel Eigenwerbung für die »Reso«-Aktivitäten. Aber nun wird selbst die »Kette«, bei gleichem Preis, noch dünner: Die April- und Maiausgaben wurden schon zusammengelegt, das nächste Glied erscheint im Juni/Juli, abermals als Doppel-Nummer -- wenn überhaupt.
Denn die Firma falliert, der Verein stagniert, Bruderschaft-Chef Döring liegt wegen eines Beinleidens für längere Zeit in der Elisabeth-Klinik in Saarlouis. Und auch von Amts wegen zeichnet sich für den frömmelnden Verein Unbill ab: Das Justizministerium des Saarlandes hat die anderen Bundesländer darüber informiert, daß die Michael-Vereinigung »keinen positiven Beitrag zur Wiedereingliederung der Gefangenen leistet«; in den saarländischen Strafanstalten, so eine Weisung, darf die »Kette« nicht mehr an den Mann gebracht werden.
Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Saarbrücken sind -- ausgelöst auch durch Strafanzeigen von Haftentlassenen -- gleich zwei Ermittlungsverfahren wegen Betrugs »im Zusammenhang mit seiner Firma« (Oberstaatsanwalt Wilhelm Naß) anhängig. Beim Amtsgericht Saarlouis wurde zudem beantragt, dem noch aus früheren Unternehmungen verschuldeten »Reso« -- Chef ("Ich muß nach allen Seiten kurztreten") die Annahme der weiterhin fließenden Gefangenen-Gelder zu untersagen.
Patient Döring, dessen Mitgesellschafter sich inzwischen zurückziehen wollen und um ihre Anteile bangen, gibt sich indes ungebrochen. Döring: »Trotz der gemeinen Angriffe gegen meine Person bin ich zuversichtlich, in einigen Monaten wieder genesen und meinen inhaftierten Mitbürgern ein Bruder und Helfer zu sein.«