SCHMUGGEL Brockenhexe pariserisch
Das Schiff war förmlich mit Nylons vollgestopft«. Vier Tage lang krochen britische Zollbeamte in allen Winkeln des Cunard-Ozeandampfers »Franconia« umher, dann fanden sie runde 80000 Paar Nylons. Die britische Polizei glaubt, damit endlich den größten britischen Nylon-Schmuggelring gesprengt zu haben. Nylon-Strümpfe werden in England zu einem Pfund das Paar auf dem Schwarzmarkt gehandelt. Es wäre ein blendendes Geschäft für die Schmuggler geworden, wenn ihre Verstecke nicht entdeckt worden wären.
Schmuggel ist in England neueren Datums. Bis in das 20. Jahrhundert hinein waren die Zölle niedrig. Es lohnte sich kaum.
Heute hat sich das verändert, besonders nach dem Kriege. Aus fiskalischen und antiinflationistischen Gründen werden zahllose Waren mit Verbrauchs-, Umsatz- und Luxus-Steuern belegt. Wer solche Güter ins Land bringt und keine dieser Abgaben entrichtet, kann steinreich werden. Etwa mit Nylons.
An der einzigen Landgrenze Großbritanniens - zwischen Ulster (Nordirland) und der Republik Irland - wird Schmuggel nach den Methoden betrieben, die auf dem ganzen europäischen Kontinent üblich sind. Klassisch wurde das »Begräbnis von Tyholland": Eine Glaskutsche brachte eine Leiche über die Grenze. In dem Sarg, den die argwöhnische Grenzpolizei öffnen ließ war Whisky.
Seereisende benutzen immer noch am liebsten den Koffer mit falschem Boden »Ueber den wissen wir allerdings fast alles, was man nur wissen kann«, erklären die Zollbeamten. »Jeder, den wir erwischen, wandert in unser Museum. Aber es gibt kaum noch neue Variationen des alten Themas«.
Seit der Vorkriegszeit hat der Schmuggel erheblich zugenommen. Die Geldstrafen, die 1949 deswegen verhängt wurden, beliefen sich auf 225000 Pfund - nicht ganz 3 Millionen DM - fünfmal so viel wie 1938. Insgesamt 2900 Leute wurden verurteilt, 59 davon zu Freiheitsstrafen. Aber natürlich wurde nur ein Bruchteil der Schmuggler gefangen.
Im Gegensatz zum Kontinent gehört es für den normalen englischen Reisenden nicht zu den Vergnügen einer Auslandsreise, die Zöllner bei der Rückkehr zu beschwindeln. Die sind sogar ohnehin ziemlich großzügig: Wer ein bißchen Parfüm oder eine Flasche Wein aus Frankreich mitbringt und sie deklariert, wird anstandslos durchgelassen.
Schmuggel in England ist eher ein organisiertes Geschäft Um Kaffee geht es nicht; den bekommt man auch heute noch in England billig. Juwelen und goldene Zigaretten-Etuis, Uhren, Liköre. Kameras, Pelzmäntel. Nylon-Strümpfe und Zigaretten bilden das Hauptsortiment der Schmuggler.
Die Zollbeamten hatten in den letzten Monaten ihre Freude an folgenden scharfsinnigen Schmugglern:
* Einer brachte im Reparaturkasten seines Autos Werkzeug aus reinem Platin mit.
* Ein anderer hatte sich Hunderte von Kunstperlenketten in das Westenfutter einnähen lassen.
* Ein dritter hatte in seinem falschen Auge einen Diamanten im Werte von 5000 Pfund verborgen.
* Eine Frau hatte in ihrem Mieder industrielle Diamanten von großem Wert eingenäht.
Gegen Schmuggler, die eigene Motorboote im Kanal betreiben, benutzen die Zollbehörden einen umgebauten Kreuzer und zwei Kutter. Aber es entgeht ihnen doch allerlei. Direkt unter ihrer Nase, in der Londoner Cutler-Street, wo sich eines der Hauptzollämter befindet, werden sonntags früh, wenn die Beamten zu Hause im Bett liegen, unverzollte Uhren zu Dutzenden und Hunderten auf der Straße verkauft.
Aber der Kanal ist doch unsicher. Manch englisches Piratenherz zieht das Mittelmeer vor. Dort blüht seit Jahren der Schmuggel von Tanger nach Spanien, Frankreich und Italien. Früher ging es um amerikanische Zigaretten, Füllfederhalter und Devisen. Neuerdings wird Weizen geschmuggelt.
Spanien leidet unter Mißernte und schlechtem Kredit. Seit sich Franco auch noch mit Argentiniens Peron verzankt hat, ist Weizen im Lande des Caudillo Gold wert. Die Schmuggler, unter ihnen manche Engländer, liefern ihn. Sie nehmen goldene Trauringe in Zahlung, die Tanger rasch in Dollar umwechselt.
Unter diesen Schmugglern gibt es Offiziere der englischen Streitkräfte, die nach dem Kriege den Weg ins aufregungslose Zivilleben nicht gehen wollten. Flieger von einst warfen sich auf den Luftschmuggel.
Das englische Versorgungsministerium stieß nach dem Kriege 27000 Flugzeuge ab. Bei über 23000 wurde Verschrottung ausgemacht. Einige von ihnen wurden dennoch nach Israel geflogen, zum Kampf gegen die Araber. Ueber 3000 waren dienstfähig. Es gab Flugzeuge zum Spottpreis von 25 Pfund, heute 300 DM.
Man schmuggelt Devisen, Wertsachen und blinde Passagiere. Wer ohne Einreisevisum nach England will, kann es praktisch ungestört tun - wenn er genug Geld besitzt. Kostenpunkt: pro Mann 50-1000 Pfund. In der anderen Richtung gehts natürlich auch.
Die breite Oeffentlichkeit wurde darauf aufmerksam, als der Hochstapler Sidney Stanley, dessen Machenschaften einen kleinen Regierungsskandal hervorgerufen hatten, sich plötzlich nach Frankreich absetzte, obwohl alle Häfen und offiziellen Flugplätze gewarnt worden waren.
Es gibt einfach zu viel Flugplätze - 500 oder mehr. Die Polizei und die Behörden können sie nicht alle bewachen. Die Sache geht so vor sich:
Der Schmuggler fliegt allein von einem der offiziellen Flugplätze ab, mit Paris als offiziellem Ziel. Dann landet er auf einem kleinen Rollfeld irgendwo in England und nimmt seinen Passagier, sein Schmuggelgut oder beides an Bord. Jenseits des Kanals setzt er seine Schmuggelfracht an einem verschwiegenen Flugfeld, so wie sie die RAF im Kriege zu ihren Geheimoperationen benutzte, ungehindert ab. Dann fliegt er nach Paris weiter, wo er seine Ankunft meldet.
Scotland Yard befürchtet, daß die Luftschmuggler jetzt zu Beginn der Reisesaison und ganz besonders nächstes Jahr während des »Festivals von Großbritannien« eine Fracht besonderer Art nach England bringen werden: leichte Mädchen aus Frankreich, aus Italien, aus Deutschland. Die Grenzpolizei ist alarmiert. Die französische Sûreté hat ihren Beistand zugesagt. Es soll keine Pariserische Variation der Brockenhexe geben.
Einen Vorgeschmack bekam England schon in der Form von Filmbildern, die per Flugzeug eingeschmuggelt wurden. In einigen Szenen des französischen Films »Les Amants de Vérone« erscheint der neue junge Filmstar Anouk unbekleidet. Diese Stellen schnitt der englische Zensor heraus.
Per Post konnten Bilder, die Anouk als Eva zeigen, nicht nach England geschickt werden: sie wären vielleicht konfisziert worden. Per Flugzeug ging es. In Londoner Nachtklubs werden sie jetzt schwungvoll verhandelt. Von 5 Schilling bis zu 1 Pfund das Stück.