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Brötchen backen oder eine Hauptstadt bauen?

aus DER SPIEGEL 21/1971

Bonns Bürger hatten schon immer Ärger mit der Eisenbahn, weil deren Züge ebenerdig mitten durch ihre Stadt fahren. Umgekehrt war Bonn für die Bahn schon immer ein heißes Pflaster, denn die Bürger verlangen seit eh und je, daß die Gleise da wegkommen.

Die Politiker aber haben vor zwei Jahren beschlossen, daß die Gleise endgültig da liegen bleiben, wo sie sind, und daß -- wie zum Hohn -- neben sie auch noch eine Autobahn durch die Stadt gebaut wird: So sieht es das Projekt 77 vor, genannt die Bonner »Gleichlage«.

Die Verkehrsprobleme Bonns haben ihren Grund in der Topographie. Der Rhein und das vorspringende Schiefergebirge drängen die Stadt an der engsten Stelle bis auf 1300 Meter zusammen. Flußabwärts weitet sich das Tal zur breiten Kölner Bucht, von der aus der Verkehr auf Straßen und Schienen dem Bonner Engpaß zustrebt.

Die Autobahn kommt nicht hindurch; sie endet vor Bonn. Auf schmalen Straßen sickert der Fernverkehr durch die Stadt. Auch die Köln-Bonner Eisenbahnen (KBE) enden vor dem Engpaß. Nur die Bundesbahn führt nach Süden weiter -- und zerschneidet dabei die Stadt in zwei Teile.

Schon zu Wilhelms Zeiten verbrachte, wer in Bonn studierte, von vier Semestern eines vor geschlossenen Schranken. Heute fahren täglich fast dreihundert Züge durch Bonn. Sie donnern so nahe an Wohnhäusern vorbei, daß der Reisende versucht ist, die Topfblumen aus den Fenstern zu nehmen. Sie stoppen Autos und Fußgänger fast dreihundertmal am Tage. Zu spät kommende Schüler sind in Bonn grundsätzlich entschuldigt.

Ausgerechnet diese Stadt bestimmten die Gründer der Bundesrepublik zur Hauptstadt. Sie dachten ganz logisch: Da Bonn als Hauptstadt denkbar ungeeignet war, konnte es der Welt um so besser demonstrieren, daß die Bundesrepublik ein Provisorium sein sollte, kein Staat werden und keine Hauptstadt haben sollte. Frankfurt wiesen sie ab, weil es wegen seiner Größe, seiner zentralen Lage und der Tradition der Paulskirche das Provisorium nicht glaubhaft genug gemacht hätte, Bonn sollte beweisen, daß Berlin gemeint war.

Nach Berlin werden wir nun nicht mehr kommen, Frankfurt haben wir verpaßt, und auf Bonn sind wir sitzengeblieben. Dieser Tip immerhin war richtig: Bonn ist nach wie vor als Hauptstadt denkbar ungeeignet.

Schon 1904 hatte sich Berlin zum erstenmal mit der Eisenbahn-Mauer durch Bonn befassen müssen. Damals schon sehnte Bonn sich danach, wiedervereinigt zu werden.

Seitdem wurden viele Pläne gemacht, solche, die Bahn höher zu legen; solche, sie um die Stadt herumzuleiten, und solche, sie tiefer zu legen. Auf die idee, sie liegen zu lassen, wo sie ist, war allerdings bisher niemand gekommen. Das blieb den Verfassern des »Gleichlage«-Projekts vorbehalten.

Man nehme eine Autobahn mit regem Verkehr und die meistbefahrene Eisenbahnstrecke Europas, dazu Brücken. Rampen, Unterführungen. Man lege die Eisenbahn mit ihrem Schutterbett auf den Grünstreifen der Autobahn und beides zusammen mitten durch eine sogenannte provisorische Hauptstadt, garniere es nach Geschmack mit den oben genannten Zutaten und überbacke es im Zentrum mit Hotels, Kaufhäusern, Büros und Wohnungen -- und man hat die »Gleichlage« in Bonn.

Werden Bonns Bürger das schlucken? Eigentlich hatten sie andere Pläne. 1960 wollte Adenauer die Bahn um Bonn herumlegen (im Tunnel durch den Venusberg) und zwischen Bonn und Bad Godesberg einen neuen Bahnhof bauen. Das scheiterte, weil das Ingenieurbüro Dorsch-Gehrmann als Gutachter der Bundesbahn behauptete, die Strecke müsse schon deshalb weiter durch die Stadt führen, weil sie zukünftig auch den öffentlichen Nahverkehr mit Schnellbahnen aufnehmen müsse.

Daraufhin kam die Bonner Stadtverwaltung 1962 mit einem anderen Plan, auf dessen Grundzüge sie sich in den zwanziger Jahren schon einmal mit der Bahn geeinigt hatte: Die Strecke durch Bonn sollte tiefer gelegt werden. Inzwischen aber waren der Individualverkehr. das Auto, hinzugekommen und der Wunsch nach einer zügigen Nord-Süd-Schnellstraße durch den Bonner Engpaß.

Die Stadtverwaltung wollte nun drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die Tieferlegung der Bahn, die Nord-Süd-Straße und den öffentlichen Nahverkehr.

Ihr »Tieflage«- Projekt sah daher vor: Die Eisenbahn wird abgesenkt und in einem offenen Betontrog, streckenweise auch im Tunnel, durch die Stadt geführt. Neben die zwei Gleise für den Fernverkehr kommen zwei weitere für den Nahverkehr. Rechts und links neben den Schienen, ebenfalls im Trog -- wo die Eisenbahn im Tunnel liegt, über ihr -, wird eine Autobahn durch Bonn gebaut.

Obwohl die »Tieflage« für die Bundesbahn sehr teuer geworden wäre -- sie hätte die Tieferlegung der Gleise bezahlen und während der Bauzeit erhebliche Betriebsstörungen hinnehmen müssen -, gediehen diese Pläne doch so weit, daß die Bundesregierung 1965 ihren Anteil an der Finanzierung zusagte, allerdings mit der Auflage, die Verkehrsplanung der Stadt müsse mit der des Landes -- des Dritten im Bunde -- übereinstimmen.

Erpressung wie in einer schlechten Ehe.

Anfang 1967 jedoch legte der Gutachter des Landes, Professor Nebelung, dar, daß der Nahverkehr tunlichst nicht die alte Bahnstrecke benutzen sollte. sondern auf einer eigenen Linie. als Untergrundbahn durch die Adenauer-Allee, näher an die Arbeitsplätze herangeführt werden sollte. Also nahmen die Bonner den Nahverkehr wieder aus der »Tieflage« heraus und begannen mit dem Bau einer Schnellbahn auf der vorgeschlagenen Strecke.

Damit freilich war auch der Einwand gegen die »Adenauer-Linie« entfallen, und die Planer hätten nun logischerweise da weitermachen müssen, wo die Verlegung der Eisenbahn um Bonn herum durch In wie man nun wußte falsches Gutachten der Bahn torpediert worden war,

Statt dessen jedoch griff Verkehrsminister Georg Leber ein. Er gründete 1968 einen »Arbeitskreis Bonn« aus Vertretern von Bund, Land. Stadt und der Bundesbahn und gab ihm den Auftrag, die »Tieflage« mit dem »Ziel einer wirtschaftlicheren (sprich billigeren) Lösung zu überprüfen«. In diesem Arbeitskreis wurde die »Gleichlage« ausgeheckt.

Wenn der Bund, ein ·Land und eine Gemeinde sich einigen müssen, wird es immer schwierig, ganz besonders aber in Bonn selbst, weil in dieser Gemeinde die Bundesregierung unmittelbar eigene Interessen verfolgt.

Der Leiter des Bonner Amtes für Stadterneuerung, Baudirektor Schlitt. erläutert: »Der Bund ist für Bonn. was Bayer für Leverkusen ist, mit dem Unterschied, daß er keine Steuern bezahlt: So hat sich zwischen Bonn und dem Bund wie in mancher schlechten Ehe ein Verhältnis gegenseitiger Erpressung eingestellt.

Man hockt sich also zusammen und handelt seine Interessen gegeneinander aus: Die Bundesbahn will kein Geld ausgeben, sondern ihre Schienen liegen lassen, wo sie sind. Sie braucht aber einen zusätzlichen Verschiebebahnhof (also städtischen Boden). will einige Kurven begradigen und ihren Bahnhof möglichst massiv überbauen.

Die Stadt will bei der Bahnhofsüberbauung mitreden und darin auch sogenannte unrentierliche, nämlich öffentliche Einrichtungen unterbringen; die Bahn soll also auf einen Teil ihrer Rendite verzichten, Die Stadt will vom Bund höhere Zuschüsse für den Straßen- und U-Bahn-Bau.

Bundesminister Horst Ehmke will von der Stadt die Baugenehmigung für sein Bundeskanzleramt und das neue Bundespresseamt haben, obwohl noch keine Gesamtplanung für die Bundesbauten vorliegt. Bund, Stadt und Land wünschen, daß der geplante »Fernschnellstverkehr« (alle drei Stunden ein Zug mit 200 km/h zwischen den wichtigsten Wirtschaftszentren) auch in Bonn Station macht, was sich für die Bundesbahn nicht lohnt,

Dieses Auskungeln von Interessen wird häufig -- weil die Politiker nichts anderes kennen mit Planung verwechselt, ist aber genau das Gegenteil:

* Auf der Bonner Rhein-Fähre.

Am Ende werden weder die Eisenbahn noch die Straße richtig geführt, weder steht das Bundeskanzleramt an der richtigen Stelle noch ist der Bahnhof sinnvoll überbaut oder der Haltestellenabstand des Fernschnellstverkehrs vernünftig.

Die »Gleichlage« ist also das Ergebnis eines »der üblichen Aushandelprozesse. Die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen. Die wirklich wichtigen Absprachen werden nur mündlich getroffen. Das Ansehen jedes beteiligten Technokraten, sein Gewicht in solchen Verhandlungen. seine Zukunft hängen davon ab, ob er den gemeinsamen Beschluß in den gewählten Gremien. denen er verantwortlich ist, durchsetzen kann.

Mit Bundeshilfe konnte der Bonner Oberstadtdirektor Hesse seinen Teil der Formalitäten schnell erledigen: Am 19. Mai 1969 erklärten die Staatssekretäre des Bundesverkehrs- und des Bundesfinanzministeriums vor dem Rat der Stadt Bonn, der Bund habe sich für die »Gleichlage« entschieden und werde einzig diesem Projekt Finanzhilfe leisten, So blieb denn dem Stadtrat nichts anderes übrig als seinen alten »Tieflage« Beschluß aufzuheben und der »Gleichlage« zuzustimmen.

Schon zwei Wochen später legte der damalige Finanzminister Strauß dem Haushaltsausschuß des Bundestages den Finanzierungsplan für die »Gleichlage« vor: Der Bund zahlt 424 Millionen Mark (davon die Bundesbahn nur 6,3), das Land 193 Millionen und die Stadt Bonn 53 Millionen Mark.

Den Technokraten war es gelungen, die Parlamentarier aller Ebenen zu binden. Eine einzige Abstimmungsniederlage hätte genügt. um die ganze, mühsam ausgehandelte Absprache zusammenbrechen zu lassen -- der Prozeß des Aushandelns hätte noch einmal von vorne beginnen müssen.

Doch kurz danach kam die Technokratie dennoch in die Krise. Im Laufe des Jahres 1969 änderten sich nämlich einige ihrer Verwaltungs- und Zuständigkeitsgrenzen: die Gemeindegrenzen bei der sogenannten Raumordnung, durch die Bonn, Bad Godesberg, Beuel und einige kleinere Gemeinden zu einer Groß-Stadt Bonn zusammengefaßt wurden, und die Ressortgrenzen der Ministerien bei der Bildung der sozialliberalen Bundesregierung. Neue Leute erhielten Zugang zu den Plan kammern, und dabei kam ans Licht, wie man sich den Ausbau der Bundeseinrichtungen vorgestellt hatte. Bonner Bürger alarmierten die Öffentlichkeit und erzwangen einen Beschluß des neuen Kabinetts. durch den der Bau der neuen Ministerien in Godesberg-Nord, soweit noch möglich, gestoppt wurde.

Dies war das erstemal, daß eine Bundesregierung selbst der Bürgerinitiative konfrontiert wurde, mit der sich sonst nur Stadtverwaltungen herumschlagen müssen. Die Demokratie fängt erst richtig an.

Zunächst freilich schien es, als könnten der Einbruch der Öffentlichkeit abgeriegelt, das Bundeskanzleramt, das Bundespresseamt und die »Gleichlage« gerettet werden. Bald aber geriet auch die »Gleichlage« in das Schußfeld der Bürgerinitiative. Die beste Lösung: Zurück zu Adenauer.

Neben dem »Stadtentwicklungsforum« formierte sich eine »Aktion Tieflage« und noch eine Gruppe, die sich auf den Umweltschutz spezialisierte. Alle drei Gruppen wurden im September letzten Jahres von einem Experten kolloquium angehört, das aus 18 Stadtplanungs-Fachleuten bestand und im Auftrage der Stadt und des Bundes die Bonner Stadtplanung begutachten sollte.

Obwohl Kanzleramtsminister Horst Ehmke persönlich die Experten in ihrer Klausur aufsuchte, um ihnen zu verstehen, daß der Bund gar nicht daran denke, etwas anderes als die »Gleichlage« zu finanzieren, kamen die Fachleute zu einer vernichtenden Kritik. Sie erhoben insbesondere Bedenken gegen die geplante Autobahn durch die Stadt, unterbreiteten Vorschläge für andere Straßenführungen und verlangten mit Nachdruck. daß alle Alternativen gründlich untersucht werden sollten.

Zur Zeit wird aufgrund einer Empfehlung von Professor Max Guther, dem Vorsitzenden des Expertenrates. mit Hilfe eines Ingenieur-Wettbewerbes geprüft, ob es möglich ist, die Eisenbahn unter ihrer jetzigen Strecke im Tunnel zu führen.

Die 18 Experten meinen nämlich, daß der Bahnhof in Alt-Bonn bleiben müsse: »Die Bahnhöfe Bonn und Bad Godesberg der Deutschen Bundesbahn liegen günstig zu den Stadtkernen und bieten damit wichtige Impulse für das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Stadt. Deshalb kommt eine Verlegung der DB-Strecke auf eine andere Trasse nicht in Frage. Es wird vorgeschlagen, am künftigen Regierungsviertel einen Haltepunkt bzw. Bahnhof für den Berufsverkehr einzulegen.«

Ich meine, daß die Experten hier imren: Nicht der Fernverkehr bringt der Bonner Geschäftswelt die Impulse. sondern der Personen-Nahverkehr. Und der wird in Zukunft die Stadtbahn benutzen, die Bonn mit Köln. Beuel Lind Bad Godesberg verbinden und den Einzugsbereich der Altstadt erheblich vergrößern wird.

Keine Angst also um Geschäft und Kultur in der Bonner City: Der Fernbahnhof kann getrost im Regierungsviertel liegen. Er muß dort liegen, um das Parlament und die Regierung un mittelbar an den schnellen Fernverkehr anzuschließen. In einigen Jahren wird man aus Hamburg oder München schneller mit der Bahn als mit dem Flugzeug nach Bonn kommen, aber nicht, um in der Altstadt Brötchen zu kaufen.

Zurück zur »Adenauer-Linie« also: Eisenbahn uni Bonn herum; wo jetzt noch Schotter und Gleise liegen, eine breite Allee von der Altstadt zum Re gierungsviertel, darunter, wenn es sein muß, im Tunnel die Stadtautobahn. Die Verlegung der Eisenbahn erst macht den Bau einer Hauptstadt möglich, die nicht länger ein Provisorium bleiben darf.

Hermann Funke

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