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Brutaler Fall

aus DER SPIEGEL 14/1999

Sexueller Mißbrauch ist ein beliebtes Thema von TV-Movies - nicht immer nur, um aufzuklären. Abscheu fesselt den Zuschauer.

An diesem Mittwoch sendet die ARD unter dem Titel »Schande« (Buch: Burkhard Driest, Regie: Claudia Prietzel) einen besonders harten Mißbrauchsfilm: die Geschichte der 13jährigen Bénice, die vom Lebenspartner ihrer nichtsahnenden Mutter mißbraucht wird.

Die neue Dimension an »Schande« ist der erbarmungslose Schluß: Der Zuschauer sieht, wie Bénice Selbstmord begeht und sich vom Balkon auf die Straße stürzt. Der brutale Fall markiert, zumindest im öffentlichrechtlichen Fernsehen, einen Einschnitt. Als Hans W. Geissendörfer, der Vater der Serie »Lindenstraße«, vor Jahren den Selbstmord eines Waisenkindes zeigen wollte, brachten ihn die Verantwortlichen des WDR davon ab: Der Suizid könne zu Nachahmungstaten führen. Geissendörfer änderte die Drehbücher.

Heute gelten solche Bedenken offenbar nichts mehr. Der Grund dafür ist nicht etwa eine bessere Kenntnis darüber, ob das Fernsehen labile Menschen zu Nachahmungstaten animiert. Ursache ist die Verschärfung der Lage auf dem Aufmerksamkeitsmarkt Fernsehen: Die Macher glauben, nur mit Tragik pur lasse sich der Zuschauer fesseln, nicht mit »falscher Versöhnung« (WDR-Programmtext).

So ergibt sich »Schande« dem Pathos des Unheils, nichts kann das Schicksal stoppen. Das strafft die Dramaturgie, das betäubt Nachdenken über Auswege.

Alle Energie verschwenden die Bilder, um zu zeigen, wie der Schuft sein Opfer mit Cocktailkleid und Sekt in der Badewanne als Sexualobjekt zurichtet. Und selbst, als das Mädchen in den Tod stürzt, springt die Kamera neugierig hinterher.

Kein Wort über Therapiemöglichkeiten, aber die Quote wird stimmen. Den Verantwortlichen ist allerdings nicht wohl: Hinterher gibt es eine Diskussion.

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