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UMWELT Bügeleisen kalt

Ein Berliner Umweltschützer darf tagsüber selbstproduzierten Solarstrom ins Netz einspeisen und nachts Elektrizität zum Billigtarif beziehen - energiepolitische Wende oder ökologisches Alibi?
aus DER SPIEGEL 23/1989

Wenn Reimar Krause, 49, in seinem Tempelhofer Hausgarten »langwurzeliges Unkraut« jäten will, bedeckt er es nach Altväter Sitte so lange mit alten Teppichen, bis es von selber eingeht. Denn »große Chemie« kommt dem Pädagogen nicht auf die Scholle.

Dem ehemaligen Gymnasial- und Gesamtschuldirektor, der 1982 nach einem Unfall in den vorzeitigen Ruhestand gegangen ist, mangelt es nicht an unkonventionellen Ideen, wenn es um den Schutz der Umwelt geht. Sein Campingbus ist mit einem Sonnenkollektor bestückt, für Stadtfahrten plant er die Anschaffung eines Elektromobils. Seinen bislang größten Erfolg hat der ehrenamtliche Greenpeace-Mitstreiter Krause bei der Berliner Kraft- und Licht-Aktiengesellschaft, genannt Bewag, erzielt. Das städtische Stromversorgungsunternehmen, Betreiber von acht Kraftwerken, befürwortete letzten Monat eine von Krause geplante 35 000-Mark-Investition, eine Photovoltaik-Anlage mit 16 Solar-Dachzellen zur Stromgewinnung sowie Sonnenkollektoren zur Warmwasserbereitung, und machte dem Kunden überdies eine ungewöhnliche Zusage.

Erstmals gestattete der kommunale Monopolbetrieb einem Privathaushalt, selbsterzeugten Strom gegen angemessene Bezahlung ins öffentliche Netz einzuspeisen - womöglich ein energiepolitischer Durchbruch.

Wenngleich der Deal Seltenheitswert hat und manchem Bewag-Kritiker als billiges Öko-Alibi des Konzerns erscheint, macht er, so Krause, ökologisch Sinn - als Testfall »für Kleinanlagen, wie sie ein Einfamilienhaus mit einem Zwei-Personen-Haushalt benötigt«.

Der Umweltschützer hatte der mehrheitlich landeseigenen Bewag ein Angebot zur »gegenseitigen Aushilfe zu annehmbaren Bedingungen« unterbreitet. Kern der Offerte, quasi von Erzeuger zu Erzeuger: »Ich liefere Ihnen zu Spitzenzeiten Strom in das Netz und beziehe von Ihnen zu Zeiten, in denen Sie eine Überkapazität fahren müssen, elektrische Energie.«

Macht Krauses Beispiel massenhaft Schule, braucht künftig tagsüber, zu Vollastzeiten, weniger Steinkohle verfeuert zu werden. Erst zu später Stunde, zu ohnehin verbrauchsarmer Zeit, will Krause wieder regulären Saft aus dem Bewag-Netz beziehen.

Der Novität will der Pädagoge im Umweltinteresse gern ein Stück Lebensqualität opfern: »Am Tag bleibt das Bügeleisen kalt.« Die häuslichen »Stromfresser« - Waschmaschine, Geschirrspüler und die elektrische Saunaheizung - soll Ehefrau Ingrid, eine Religionslehrerin, erst nach 22 Uhr in Betrieb setzen. Auf diese Weise wird der Stromkonsum auf die Zeit des günstigeren Nachttarifs verlagert.

Nachdem Elektrizitätskonzerne bislang für die Abnahme von privat erzeugtem Strom zumeist nur Spottpreise angeboten hatten, offeriert die Bewag Krause nun pro gelieferter Kilowattstunde zwischen 15,2 und 15,4 Pfennig Entgelt - genausoviel, wie normale Haushaltskunden dafür aufwenden müssen.

Akzeptiert hat die Bewag auch die von Krause geplante Spät-Schaltung nach dem sogenannten Nachtspeicher-Prinzip. Die Wünsche des Umweltschützers ließen sich laut Bewag-Vorstandsmitglied Rolf Körnig ohne große Probleme per gesondertem Stromkreis zum »Schwachlasttarif T 019« (derzeitiger Arbeitspreis: 11,7 Pfennig pro Kilowattstunde) zuzüglich Montage- und Zählerkosten verwirklichen.

Sosehr die Bewag (Jahreserzeugung: zehn Milliarden Kilowattstunden) mit der Konzessionszusage an den Solar-Fan auch über seinen Schatten gesprungen ist - die vorerst von Krause angepeilte Stromabgabemenge, gerade mal vier Kilowattstunden pro Sonnentag, zeigt, daß der Einsatz sogenannter erneuerbarer Energien aus Sonne, Wind oder Wasser noch auf lange Zeit nur eine Nebenrolle spielen wird.

Zwar haben sich die Mitgliedsfirmen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke schon vor einem Jahrzehnt verpflichtet, anderswo erzeugten Strom abzunehmen und auch zu vergüten. Doch nicht einmal fünf Prozent des insgesamt ans Netz gelieferten Stroms kommen von den immerhin 3200 bundesdeutschen Kleinwasserkraftwerken und aus den einigen hundert Windenergie-Anlagen und Solar-Häusern.

Energiepolitiker der rot-grünen Berliner Koalition werten das überraschende Einlenken der Bewag-Oberen eher als Ablenkungsmanöver. Denn während sich das Stromunternehmen im Einzelfall flexibel zeigt, leistet es hinhaltenden Widerstand gegen die von Bürgermeister Walter Momper (SPD) geplante neue Energiepolitik, die den Ausbau »dezentraler Blockheizkraftwerke und Solartechniken« bevorzugt fördern will - eine Art Krause-Modell im Großmaßstab.

Solarkraft-Fan Krause*: »Ich liefere Strom«

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