Parteien Bürger zur Freiheit
Alle Übel der Welt entstehen nur deswegen, weil dunkle Mächte sich dem Freiheitsstreben kluger Köpfe widersetzen. Doch Abhilfe ist in Sicht; sie kommt von den Hügeln des Siebengebirges aus den prachtvollen Räumen der freidemokratischen Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) auf der Margarethenhöhe hoch über dem Rhein.
Da hat sich um den Stiftungschef und ehemaligen FDP-Geschäftsführer Fritz Fliszar, 50, eine Denkergruppe mit FNS-Grundsatzreferent Detmar Doering und drei weiteren Stiftungsmitarbeitern versammelt, die unter dem Titel »Bürger zur Freiheit!« das »Programm einer modernen liberalen Partei an der Jahrtausendwende« aufgeschrieben haben. Tenor: Der Staat ist von Übel, er muß »auf das unbedingt Notwendige beschränkt« werden.
Statt dessen sollen »freie Bürger ihr Zusammenleben in der Bürgergesellschaft frei gestalten können«.
Was die Autoren damit meinen, wird offen verkündet. Unter den Bürgerrechten rangiert für sie das »Privateigentum und die Achtung der Eigentumsrechte« ganz oben; eine Sozialbindung des Eigentums, wie sie der Artikel 14 des Grundgesetzes vorsieht*, wollen FNS-Leute nicht mehr gelten lassen.
»Was die wollen«, wundert sich der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, »ist keine soziale Marktwirtschaft mehr.«
Dabei taucht in dem Fliszar-Papier das Wort »sozial« nur noch mit dem Ziel auf, es aus dem politischen Vokabular zu tilgen. »Alle staatlichen Sozialsicherungssysteme« werden durch private ersetzt, »alle staatlichen Sozialtransfers _(* Artikel 14, Absatz 2 Grundgesetz: ) _("Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch ) _(soll zugleich dem Wohle der ) _(Allgemeinheit dienen.« ) werden abgeschafft. Es gibt keine Lohnnebenkosten mehr«.
Wo sich die soziale Frage gar nicht erst stellt, sind auch die Weltbilder einfach: »In einer freien Gesellschaft entscheiden die Bürger selbst, wofür sie ihr Geld ausgeben.«
Den Nutzen solch grenzenloser Freiheit verspricht die Stiftung vor allem denen, die Geld haben. Die Wirtschaft muß »von allen staatlichen Zwängen befreit werden«, der »freie Wettbewerb« darf weder durch staatliche noch durch private Maßnahmen verzerrt werden. Schöne Grüße aus Manchester.
Die Frage, wie eine moderne Industriegesellschaft ohne staatliche Regeln etwa für Arbeitsbedingungen oder die Abwehr von Umweltgefahren auskommen soll, stellt sich für die »Radikal-Liberalen« gar nicht: Alles regelt der Markt, alles läuft sich zurecht. »Die ordnende Kraft des Eigentums« soll nach den Vorstellungen der Autoren für eine Umwelt sorgen, »in der die Bürger gern leben«.
Dem freien Spiel der Kräfte im Innern entspricht der Freihandel in der Welt: »Freier Welthandel fördert Frieden und Wohlstand.« Und: »Wir wollen die Abschaffung aller Handelshemmnisse und die Öffnung aller Märkte.«
Da ist es nur konsequent, staatliche Entwicklungshilfe »durch den freien Welthandel und die Privatinitiative« zu ersetzen und alle entwicklungspolitischen Unter- und Sonderorganisationen der Uno ("wettbewerbsverzerrend") gleich abzuschaffen.
In ihrem Freiheitsdrang wollen die Naumann-Vordenker auch im Innern kräftig abräumen. Schließlich könnten Bürger »in freiwilliger Kooperation alle notwendigen Dienstleistungen besser erbringen als der Staat mit seinen ineffizienten Zwangsapparaten«.
Im liberalen Wunderland soll das staatliche Bildungsmonopol fallen dürfen, die Eltern für die Erziehung ihrer Kinder wieder kräftig zahlen - nur eine Grundbildung wird über »Bildungsgutscheine für alle aus der Bürgerkasse« finanziert.
Auch die Kultur gibt es nicht mehr zum Nulltarif, dafür soll »Mäzenatentum steuerlich voll berücksichtigt werden«.
Der Staat, »auf ordnungspolitische Funktionen beschränkt«, braucht nach liberaler Vision auch keinen Öffentlichen Dienst mehr. Polizei und Strafvollzug werden privatisiert, ebenso der Bundesrechnungshof - er hatte in der Vergangenheit das Finanzgebaren der Naumann-Stiftung kritisch unter die Lupe genommen.
Eine weitere Fliszar-Idee könnte die Asyldebatte beleben: Lager für Flüchtlinge sollen an den Grenzen entstehen und von Privaten betrieben werden. Der Staat legt nur fest, wieviel er dafür zu zahlen bereit ist »und damit die Zahl der Flüchtlinge, die aufgenommen werden«.
FDP-Denker Doering hat die Diskussion um seine Thesen begonnen. Mitte September lud er zu einer Veranstaltung mit dem Titel »Unfrisierte Gedanken«. Thema des Abends: »Soziale Gerechtigkeit - Die gefährliche Illusion?«
Das Fragezeichen war nur Alibi. Bereits in der Einladung wurde mit dem Drang nach sozialer Gerechtigkeit abgerechnet: »Der Versuch, sie zu verwirklichen, ist eine Gefahr für die freie und offene Gesellschaft.«
Stiftungschef Fliszar geht zwar noch nicht davon aus, »daß dieses Programm auf einem der allernächsten Bundesparteitage der FDP beschlossen wird«. Doch er sieht seine Chance kommen, »wenn unser Wohlfahrtsstaat wegen Unfinanzierbarkeit noch in diesem Jahrzehnt gegen die Wand fährt«.
* Artikel 14, Absatz 2 Grundgesetz: »Eigentum verpflichtet. SeinGebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.«