Felix Rexhausen BUNDESVERDIENSTE
Siebzigtausend -- das ist eine stattliche Zahl. 70 000 Deutsche -- das ist eine noch stattlichere Zahl! Eine Stadt, in der 70 000 Deutsche wohnen, ist auf dem Wege zur Großstadt.
Und so ist eine Stadt denkbar mit 70 000 Einwohnern, die normalerweise nicht jünger als 65 Jahre sind und die samt und sonders eine vollkommene »Überschaubarkeit ihres Lebenswerks« ihr eigen nennen, aus der anschaulich wird, daß sie sich im Zuge desselben um das Gemeinwohl verdient gemacht haben. 70 000!
Ja, diese Stadt ist denkbar. Mehr noch -- es gibt sie (wenn auch nicht auf der Landkarte): In diesen Tagen ehrt das Bundespräsidialamt zum 70 000. Male einen Bürger der Bundesrespublik mit dem Bundesverdienstkreuz irgendeiner Klasse. 70 000 Bundesverdienstkreuzler! Seit September 1951 ist Woche um Woche zu sieben Tagen und Nächten alle zwei Stunden ein Bundesverdienstkreuz auf einen Inländer gefallen; jedes zweite und dritte davon nach 50jähriger Tätigkeit auf einen Arbeitsjubilar. Weitere 13 000 Kreuze wurden zum Zierat an Ausländern.
Eine stolze Bilanz! Um so stolzer, als der Staat für das Kreuz jeweils DM sieben bis 250 ausgibt! Dennoch wird diese stolze Großartigkeit nicht immer und überall richtig gewürdigt. Erst vor wenigen Wochen hat ein Herr Grunewald, Stadtdirektor von Wilhelmshaven, zu seinem 65. Geburtstag das Kreuz als Signum »amtlich bestätigter Arterienverkalkung« abgelehnt und wollte damit wohl auf die Altersgrenze von 65 Jahren anspielen, die der Verleihpraxis aus Kreuzkostengründen gezogen ist. Der Bundestagsabgeordnete Fritz Sänger hat den Herrn Grunewald dafür sogar belobigt!
Solches kommt öfter vor. Ja, das Bundesverdienstkreuz wird nicht nur von vieler Leute Brust heiß begehrt -- es wird von vieler Leute Mundwinkeln auch belächelt. Sogar ein Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kurt Georg Kiesinger, hat das Kreuz einmal als »Greisenorden« bezeichnet! Freilich wies er zugleich darauf hin, daß er nicht alle verdienten Bürger zu Professoren ernennen könne -- vermutlich in der Annahme, daß das die Weltgeltung des deutschen Professors beeinträchtigen würde.
Wie aus Bonn verlautet, strebt zur Zeit auch der Herr Bundespräsident selbst Erwägungen über eine Reform der Verleihpraxis an. Allerdings weiß bisher niemand, ob das Staatsoberhaupt durch eine Neufassung der vertraulichen Verleih-Richtlinien den Abstand zwischen den inländischen Kreuz-Vergaben von 120 auf 70 Minuten wird kürzen oder auf 170 Minuten wird ausdehnen wollen, oder ob er vielleicht die Empfindung hegt, die Altersgrenze könne verrückt werden -- sei es auf 58, sei es auf 72 Jahre.
Denkt Dr. h. c. Heinrich Lübke wirklich an die Möglichkeit solcher Überlegungen, so verdient er dabei jede Unterstützung. Ohne in den Chor der billigen Ordenskritik einstimmen zu wollen, sei darum einmal offen gesagt: Für viele Bundesverdienstkreuzler ist die Auszeichnung trotz ihrer Bedeutung doch nur ein Tropfen auf einen heißen Stein, und zwar deswegen, weil sie von der Mitwelt kaum gesehen und beachtet wird.
Allzu wenige Menschen über 65 haben häufig genug die Möglichkeit, den Orden sichtbar anzulegen; allzu viele müssen das Licht ihrer Verdienste fast ständig unter den Scheffel ihrer Nachttischplatte stellen!
Wie viele Tausende von Kreuz-Besitzern leben immer wieder unerkannt unter uns! Selbst einem verdienten Ministerialdirektor im Ruhestand bieten praktisch nur noch Beerdigungen von Kollegen Gelegenheit, die Mitwelt an die eigenen Verdienste zu erinnern -- und auch das nur, wenn er den Paletot ablegen kann!
So erhebt sich die Frage, ob das Bundesverdienstkreuz nicht mit einer Ehrung anderer Art gekoppelt werden sollte. Die Bundesrepublik ist nicht wie die Weimarer Republik oder wie die Schweiz ordenslos -- und sie ist überhaupt der Tradition verpflichtet.
Demgemäß wäre das Nächstliegende, die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes mit der Verleihung des persönlichen Adels zu verknüpfen. Allerdings käme, da das »von« sowieso Bestandteil mancher Namen ist, für solche Adelung nur ein anderes Verhältniswort in Frage, etwa »bei« oder »ob«. Beispiele: Sepp bei Herberger, Dr. Eugen ob Gerstenmaler.
Eine vielleicht noch bessere Möglichkeit wäre die Schaffung eines eigenen, fest mit dem Namen verbundenen Titels, etwa: Ehrsamer (Abkürzung: Es.). Bei den höheren Stufen des Verdienstkreuzes könnte dieser Titel gesteigert werden zu: Ehrsamster (Abkürzung: Est.). Beispiele: Frau Ehrsame Gerda Kaludrigkeit, Herr Es. Heini Glack, Herr Ehrsamster Dr. Hans Globke.
Dann blühte die Krönung eines überschaubar verdienstvollen Lebenswerks künftig nicht nur im verborgenen, sondern, pünktlich vom Pensionierungstage an, auch auf Ausweis, Türschild und Milchmannslippen!