Zur Ausgabe
Artikel 22 / 74

BUNDESWEHR = WEHRMACHT - HITLERGRUSS?

aus DER SPIEGEL 36/1965

SPIEGEL: Herr Professor, Sie und der Bundesverteidigungsminister haben das Thema »Tradition in der Bundeswehr« angeschlagen, allerdings auf ganz verschiedene Art; Sie befürchten ein »Zurückfallen hinter den Geist und die Gesinnung, die in den ersten Jahren, den Aufbau der Bundeswehr bestimmt haben«, verteidigen also die junge Tradition der Bundeswehr. Herrn von Hassel geht es in einem Erlaß, den er kürzlich veröffentlichte, um die alte Tradition der deutschen Soldaten.

MÖBUS: Sie scheinen da einen Gegensatz zu sehen, der in Wirklichkeit nicht besteht. Der Traditions-Erlaß des Ministers liegt auf der Linie der Grundsätze der Inneren Führung, wie sie bislang verfochten wurden.

SPIEGEL: Sie haben betont, daß Ihr Konflikt hier an der Schule kein Einzelvorgang sei.

MÖBUS: Meine Besorgnis rührt unter anderem von solchen Beiträgen her, wie sie - um nur ein Beispiel zu nennen - der Major im Generalstab Winno von Löwenstern im »Rheinischen Merkur« veröffentlicht hat.

SPIEGEL: Woran nahmen Sie Anstoß?

MÖBUS: Vor allem daran, daß Löwenstern die Institution des Wehrbeauftragten als Beweis für das Mißtrauen gegen die Bundeswehr wertet und damit offenbart, daß er das Wesen des freiheitlichen Rechtsstaates nicht verstanden hat. Auch halte ich seine zynische Behauptung für skandalös, es sei in der Bundeswehr eigentlich nichts reformiert worden, wenn man von der Abschaffung des Hitler-Grußes absehe. Und es gibt sehr zu denken, daß Löwensterns Thesen monatelang ohne Widerspruch blieben.

SPIEGEL: Traditionalisten wie Löwenstern wollen die Bundeswehr soweit wie möglich den alten deutschen Armeen angleichen. Gibt es nicht Symptome dafür, daß man diesen Traditionalisten schon zu weit entgegengekommen ist?

MÖBUS: Das müßten wir schon im einzelnen untersuchen.

SPIEGEL: Eigene Fahnen hatte nicht einmal die Reichswehr, und die »Männer der ersten Stunde« wie Baudissin wollten sie nicht wieder einführen. Heute hat jedes Bataillon seine Fahne.

MÖBUS: Die Erwartungen derjenigen, die Sie »Traditionalisten« nennen, sind aber sicher dadurch enttäuscht worden, daß diese Bataillonsfahnen einheitlich schwarzrotgoldene Fahnen, der Bundesrepublik sind. Da ist doch eine historisierende Romantik, wie sie früher getrieben wurde, kaum denkbar.

SPIEGEL: Der neue Traditions-Erlaß sieht nun vor, daß auch die »Fahnen ehemaliger Truppenteile« mitgeführt werden dürfen.

MÖBUS: Aber nur, wenn die schwarzrotgoldene Truppenfahne geführt wird, und auch nur bei Gefallenenehrungen und Traditionsveranstaltungen.

SPIEGEL: Wer einen Fahnenkult will, wird Anlässe suchen und finden.

MÖBUS: Wenn man das wuchern lassen würde, wäre Besorgnis berechtigt. Ich möchte aber meinen, daß man hier eher eindämmen als fördern wird.

SPIEGEL: Im »Kampf um das Ornamentale«, vor dem 1957 im Handbuch »Innere Führung« noch eindeutig gewarnt wurde, haben die Freunde von Silber und Gold ja inzwischen etliche Siege erfochten.

MÖBUS: Wenn das politische Bewußtsein so weit gereift ist, daß man vom Staatsbürger in Uniform bewußtseinsmäßig sprechen kann, dann ist die Frage, wieviel Metall an der Uniform ist, eigentlich nebensächlich geworden.

SPIEGEL: Wenn.

MÖBUS: Die Uniform kann - das habe ich hier in meiner Antrittsvorlesung gesagt - für den Soldaten ein

Staatskleid sein wie der Sonntagsanzug des Zivilisten, aber auch ein Standeskleid, durch das er sich am Prestige einer Gruppe der Gesellschaft beteiligt fühlt.

SPIEGEL: Ursprünglich sollte die Bundeswehr-Uniform ja kein Standeskleid sein.

MÖBUS: Da liegt auch das Problem. Wenn der Zuwachs an »Schmuck« einen Zuwachs im Selbst- und Wertgefühl bewirken würde gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft, dann wäre das bedenklich.

SPIEGEL: Daß solche Motive mit im Spiel sind, wird man nicht leugnen können. Häufiger und lautstärker wird von Traditionalisten gefordert, es solle wieder so gegrüßt werden wie früher: jeder Soldat jeden Uniformierten höheren Ranges. Zur Zeit braucht er ja nur seine unmittelbaren Vorgesetzten und alle Generäle zu grüßen.

MÖBUS: Ich bin der Meinung, daß daran keinesfalls gerüttelt werden sollte. Der Gruß ist zur Zeit Ausdruck der funktionalen Autorität, die der Vorgesetzte hat, mit dem der Soldat unmittelbar zu tun hat. Würde die allgemeine Grußpflicht,eingeführt, so gäbe es einen unpersönlichen, kollektiven Respekt; der wäre mit dem Wesen der Bundeswehr nicht vereinbar.

SPIEGEL: Wie in früheren Zeiten wollen etliche Offiziere auch künftig wieder eigene Militärgerichte.

MÖBUS: Hierzu ist ähnliches zu sagen wie zur Uniformfrage.

SPIEGEL: Dann würden Sie dieses Problem nicht ernst genug nehmen.

MÖBUS: Sehen Sie, es gibt doch zum Beispiel In der Schweiz eine eigene Militärgerichtsbarkeit. Nun könnte man einwenden, daß dort die Demokratie älter ist als bei uns und daß die Schweizer Armee eine Milizarmee ist.

SPIEGEL: Außerdem ...

MÖBUS: Aber ich verstehe die Sorge mancher Offiziere, daß es zivilen Richtern und Schöffen doch mitunter an Kenntnis der militärischen Situation fehlen kann.

SPIEGEL: Daß die ordentlichen Gerichte über Straftaten in fremdem Milieu urteilen müssen, ist ja keine Besonderheit bei Prozessen gegen Soldaten. Ohne Gutachter kommt man auch in Prozessen gegen Ärzte oder Lehrer nicht aus.

MÖBUS: Ich war ja noch nicht am Ende. Ich wollte sagen, daß diese Argumentation einen gewissen Anteil von plausiblen Punkten enthält. Es muß aber abgewogen werden, was man gewinnen und verlieren würde, wenn es zu Militärgerichten käme.

SPIEGEL: Die Tatsache, die allein schon die Frage entscheidet, ist doch, daß die Bundeswehr tatsächlich zu einem »Staat im Staate« werden würde, wenn sie als einziger Teil der Gesellschaft eigene Gerichte besäße.

MÖBUS: Die institutionelle Integration der Armee in der freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung ist für mich das Entscheidende. Und wenn man es unter diesem Gesichtspunkt sieht...

SPIEGEL: Das muß man ja wohl.

MÖBUS: Sicher. Doch sollte man in Rechnung stellen, daß mancher eben nicht politisch argumentiert, sondern ...

SPIEGEL: Dann müßte man es ihm schleunigst beibringen.

MÖBUS: Ich kann und will mich Ihren Argumenten nicht verschließen. Sie sind tatsächlich so entscheidend, daß sie die anderen, von mir genannten, an Bedeutung weit übertreffen.

SPIEGEL: Herr Professor, befürchten Sie nicht, daß durch den Traditions-Erlaß fortan zuviel Gewicht auf die Überlieferung gelegt wird?

MÖBUS: Die Gefahr besteht, daß sich die Akzente verschieben und daß hier und da der Traditionspflege mehr Bedeutung gegeben wird als anderen

- wichtigeren - Grundsätzen der Inneren Führung. Aber ich bin davon überzeugt, daß man eine solche Entwicklung, würde sie eintreten, eindämmen würde.

SPIEGEL: Ist der Erlaß nicht zu allgemein gehalten, so daß doch manchem Offizier nicht klar genug wird, wie nun Tradition gepflegt werden soll?

MÖBUS: Der Erlaß will ein Programm sein, das notwendigerweise allgemein gehalten sein muß. Aber er enthält doch auch viele konkrete Punkte, und es fehlen konkrete Punkte, auf die manche Offiziere vielleicht gehofft haben. So wird zum Beispiel Verbänden der Bundeswehr nicht die Tradition ehemaliger Truppenteile der Wehrmacht verliehen.

SPIEGEL: Der Kolumnist »Cornelius«, hinter dem sich der Heeres-Inspekteur General de Maizière verbirgt, hat in der »Bonner Rundschau« versichert, daß es der militärischen Führung »sehr schwer gefallen« sei, darauf zu verzichten.

MÖBUS: Ich bin sehr froh über den Verzicht. Ich gehöre zu denjenigen, die im Umgang mit der Tradition sehr vorsichtig sind. Ich halte es für viel wichtiger, von der Gegenwart in die Zukunft zu gehen als von der Vergangenheit in die Gegenwart. Und von den Bemühungen, die Geschichte zum Zweck der politischen Bewußtseinsbildung zu benutzen, halte ich nicht so sehr viel.

SPIEGEL: Laut Erlaß soll die Traditionspflege den »Zugang zu geschichtlichen Vorbildern, Erfahrungen und Symbolen« erschließen. Die Symbole werden genannt: schwarzrotgoldene Fahne, Adler und Eisernes Kreuz; dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wer soll Vorbild sein? Es wird kein einziger Name genannt.

MÖBUS: Ich sehe den Sinn des Traditions-Erlasses unter anderem darin, daß

er die Aussprache in der Bundeswehr eröffnen soll. Insofern ist es positiv zu werten, daß er nicht einen Katalog von Vorbildern enthält. Ich persönlich würde ihn ohnehin für verfehlt halten. Es kann doch nicht um eine irgendwie geartete Heldenverehrung gehen.

SPIEGEL: Das ist wohl gemeint, wenn im Erlaß vor »einfältiger Bewunderung« gewarnt wird.

MÖBUS: Eine Heldenverehrung, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen, wäre einfältig und unerträglich. Ich möchte meinen, daß durch diese Abgrenzung Legenden vorgebeugt wird.

SPIEGEL: Eine Legende steht leider sogar im Erlaß des Ministers.

MÖBUS: Eine kühne Behauptung, meine Herren.

SPIEGEL: Unter Ziffer 17. Dort heißt es: »Politisches Mitdenken und Mitververantwortung gehören seit den preußischen Reformen zur guten Tradition deutschen Soldatentums.« Ist das die historische Wahrheit?

MÖBUS: Das entspricht nicht der historischen Realität. Es mag zu allen Zeiten Soldaten mit dem Mut zur politischen Entscheidung gegeben haben, aber das ist nicht die Struktur gewesen.

SPIEGEL: Im Erlaß wird die große Lücke, die zwischen Scharnhorst und Stauffenberg klafft, durch eine Legende »geschlossen«. Man käme wohl arg in Verlegenheit, wollte man politisch mitdenkende Soldaten aus der Zeit zwischen preußischen Reformern und den Männern des 20. Juli aufzählen.

MÖBUS: Darin stimme ich Ihnen ohne Vorbehalt zu.

SPIEGEL: Wer ist nun Vorbild, wer nicht? Abstrakte Leitsätze genügen nicht, wenn die Offiziere draußen nach Vorbildern gefragt werden oder wenn ein Truppenteil, ein Schiff, eine Kaserne einen Namen bekommen sollen.

MÖBUS: Wir müssen uns nur bewußt sein, daß man da leicht an den Punkt kommt, wo der ideologische Gebrauch von Geschichte beginnt.

SPIEGEL: Es wird aber Zeit, daß man den Offizieren hilft, sich zu orientieren. Es gibt doch schon die merkwürdigsten Vorschläge. Sind zum Beispiel die deutschen Kaiser des Mittelalters Vorbilder der Bundeswehr?

MÖBUS: Sie scherzen?

SPIEGEL: Der Meinung ist ein Oberstleutnant Schirmer, der sich darüber in der Zeitschrift »Kampftruppen« verbreitet hat.

MÖBUS: Darüber kann man sich nur ironisch äußern.

SPIEGEL: Ist Blücher, der »Marschall Vorwärts«, ein Vorbild? Seine militärischen Erfolge sind unbestritten, aber er ist ja wohl zugleich der Typ des geistig stumpfen Soldaten.

MÖBUS: Das würde ich auch etwa so sehen. Ich meine, daß man Blüchers Leistungen durchaus anerkennen soll, aber ich hätte kein Verständnis dafür, wenn man ihn nun heraushebt und etwa Kasernen nach ihm benennt.

SPIEGEL: Drei Blücher - Kasernen gibt es. Im Erlaß heißt es, zur Tradition der Bundeswehr gehörten »neben den soldatischen auch alle anderen Überlieferungen der Geschichte, die von der Bereitschaft berichten, für Freiheit und Recht Opfer zu bringen«. Würde zu Vorbildern dieser Art August Bebel gehören, der ja niemals auch nur einen

Pfennig für den Militär-Etat bewilligt hat?

MÖBUS: Wer Bebel politisch und geschichtlich nicht in seiner Qualität honoriert, der würde auch bei der Auswahl soldatischer Persönlichkeiten gegen Fehler nicht gefeit sein.

SPIEGEL: Wie wäre Schlieffen einzuschätzen? Er war ein brillanter Generalstabschef, aber er hat den Einmarsch in neutrale Länder mit »eingeplant«.

MÖBUS: Es wäre unwissenschaftlich

- wenn ich das einmal ganz allgemein sagen darf -, geschichtliche Persönlichkeiten zu verklären oder zu verketzern. Ob jemand ein Vorbild ist, hängt davon ab, ob er trotz vorhandener Negativa insgesamt positiv bewertet werden kann.

SPIEGEL: Gut. Was folgt daraus für Schlieffen? Sein Bild hängt hier in der Schule, es gibt eine Schlieffen-Kaserne.

MÖBUS: Könnte man nicht Schlieffen mit Virchow vergleichen? Der eine war ein genialer Generalstabschef, der andere ein genialer Arzt.

SPIEGEL: Bei Virchow kann man trennen: Man kann ihn als großen Arzt anerkennen und ihn als Politiker niedrig hängen. Kann man bei Schlieffen wirklich auch so trennen?

MÖBUS: Ich glaube, ja. Es wäre falsch, würde man einseitig nur nach »Vorbildern« suchen. Bei Schlieffen geht es darum, daß auch für die heutige Strategie und Taktik seine Generalstabs-Arbeit noch immer vorbildlich ist. Es kann keine militärische Ausbildung für Offiziere geben, in der Schlieffen ignoriert wird. Das schließt aber ein, daß man auch zu einer kritischen politischen Einschätzung fähig sein muß.

SPIEGEL: Würden Sie auch bei Hindenburg zwischen militärischer Leistung im Kriege und politischer Fehlleistung als Reichspräsident so trennen, daß er als Vorbild ...

MÖBUS: Nein, über Hindenburg gibt es meines Wissens keine Diskussion in der Bundeswehr.

SPIEGEL: Aber immerhin gibt es sechs Hindenburg-Kasernen.

MÖBUS: Einmal ist ja im Unterschied zu Schlieffen die militärische Leistung Hindenburgs durchaus nicht unumstritten. Vor allem aber kann überhaupt nicht davon die Rede sein, selbst einen bedeutenderen Militär als Hindenburg zum Vorbild zu erklären, wenn mit seiner Person ein so hoher Grad von politischer Fragwürdigkeit verbunden ist.

SPIEGEL: Über Seeckt und die Reichswehr wird in der Bundeswehr viel diskutiert. Im Traditions-Erlaß wird über die Reichswehr ein so positives Urteil gefällt, wie wir es in anderen offiziellen Texten nicht fanden.

MÖBUS: Meinen Sie...

SPIEGEL: Ziffer 14. Dort wird festgestellt, daß die Erziehung zur Selbstzucht, die Anforderungen an das Mitdenken und die Art der Führung der Freiheit im Gehorsam »mehr und mehr Raum« gegeben hätten. Wann diese Entwicklung endete, wird sehr präzise gesagt: »Erst das nationalsozialistische Regime mißachtete sie.« War es so?

MÖBUS: Die Reichswehr war ohne Zweifel eine gut trainierte, gut geführte Armee, wenn man von politischen Motiven absieht.

SPIEGEL: Darf man das?

MÖBUS: Das darf man dann nicht, wenn es darum geht, einen Repräsentanten der Reichswehr, etwa Seeckt, zum Vorbild zu erklären. Ich würde so sagen: Die Qualität der Reichswehr kann man würdigen, eine Seeckt-Kaserne sollte es nicht geben.

SPIEGEL: Gibt es auch nicht. Über Seeckt darf es wohl in der Bundeswehr unterschiedliche Meinungen geben. Gilt das auch für die Tat des Generals Oster? Er ist ja weiter gegangen als die anderen Generäle und Offiziere des Widerstandes. Er hat Hitlers Plan, in Holland und Belgien einzufallen, an den »Feind« verraten und damit dem Buchstaben nach Landesverrat begangen.

MÖBUS: Die Grundsätze der Inneren Führung sind, das hat der Bundesverteidigungsminister betont, Befehle.

SPIEGEL: Und im Handbuch »Innere Führung« heißt es: »Wer heute die Notwendigkeit und innere Berechtigung des 20. Juli nicht bejaht, kann nicht qualitativ unterscheiden zwischen Pankow und Bonn.« Schließt das das Bekenntnis zu Osters Tat ein?

MÖBUS: Ich halte Oster für eine der stärksten Persönlichkeiten des Widerstands. Es ist sicher in der Bundesrepublik erlaubt, Osters Tat negativ zu beurteilen. Aber wer so denkt, sollte nicht die Uniform der Bundeswehr anziehen.

SPIEGEL: Ist der Offizier, der darüber anders denkt, zum Schweigen verdammt?

MÖBUS: Da wäre schon Ungehorsam im Spiel, weil die Grundsätze der Inneren Führung damit in Frage gestellt würden. Man muß strikt unterscheiden zwischen einer Ablehnung dieser Grundsätze, die nicht hingenommen werden kann, und der offenen Aussprache über ihre Verwirklichung, die nicht nur erwünscht, sondern notwendig ist.

SPIEGEL: Gibt es, wie ein evangelischer Militärseelsorger, der Dekan Mittelmann, meint, einen passiven Widerstand gegen die Grundsätze der Inneren Führung?

MÖBUS: Ich habe nicht seine Erfahrungen, er sprach ja von einer breiten Mittelschicht. Ich sehe vor allem, daß das Programm, der Begriff »Innere Führung« nicht selten mißverstanden und eingeengt wird.

SPIEGEL: Was bleibt dann?

MÖBUS: Gegenwärtig besteht wohl die Hauptgefahr darin, daß manche Offiziere sagen: Innere Führung ist ein neuer Begriff für eine alte Sache, in den deutschen Armeen hat es immer den erfolgreichen, geschickten, menschlichen Umgang mit den Untergebenen gegeben. Das will ich gar nicht leugnen, nur bedeutet Innere Führung ja mehr als zeitgemäße Menschenführung. Sie ist nicht denkbar ohne politische Erziehung, ohne politische Motivierung des Dienstes.

SPIEGEL: Denken diese Offiziere so wie der Major Löwenstern: Bundeswehr ist Wehrmacht minus Hitler-Gruß?

MÖBUS: Keinesfalls, da muß man streng unterscheiden. Diese Offiziere, von denen ich eben sprach, sind redlich um die Anwendung der Grundsätze der Inneren Führung bemüht und sind auch bereit - das haben wir hier auf den Lehrgängen immer wieder erlebt -, sich zu korrigieren und die Mißverständnisse auszuräumen.

SPIEGEL: Wie erklären Sie es, daß die »Traditionalisten« wie Löwenstern, wie Oberstleutnant Schirmer, sich viel häufiger zu Wort melden als die Reformer?

MÖBUS: Wer auf verlorenem Posten steht, neigt oft dazu, wild in die Gegend zu feuern. Und bei den Reformern ist es vielleicht so, daß sie das Selbstverständliche nicht unbedingt immer wiederholen wollen.

SPIEGEL: Schön wär's, wenn nur das der Grund wäre.

MÖBUS: Vielleicht ist es auch falsche Tradition, denn früher hatte der Soldat in der Öffentlichkeit zu schweigen. In diesem Punkt, aber wirklich nur in diesem Punkt, sollten unsere Offiziere von den Außenseitern, die sich zu Worte melden, lernen. Dem Ansehen der Bundeswehr in der Öffentlichkeit wäre damit sicher gedient.

SPIEGEL: Herr Professor, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Möbus (M.) beim SPIEGEL-Gespräch in der Koblenzer Schule für Innere Führung*

Übergabe von Truppenfahnen*: Schützt Schwarzrotgold vor falschem Kult?

* Mit SPIEGEL-Redakteuren Hans Gerhard Stephani (l.) und Werner Harenberg.

* In Münster am 24. April 1965.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 22 / 74
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren