ZIVILSCHUTZ Bunkerplätze verlost
Den in einer Märznacht mit schwerem Gerät angerückten Einbrechern ging es nicht ums Stehlen. Nachdem sie die doppelwandige Stahltür aufgeschweißt hatten, wandten sie sich mit wuchtigen Hieben dem Inventar zu und zertrümmerten Einrichtungsgegenstände im Wert von 300 000 Mark.
Zur Tat bekannte sich hinterher ein »Kommando Jules Verne«. Hinweise auf die Beweggründe für ihr Berserkertum hatten die Täter an der Wand hinterlassen - Parolen wie »Kein sicheres Plätzchen für die Bonzen« und »Zivilverteidigung = Kriegsvorbereitung«.
Ort der nächtlichen Zerstörung war ein mehrstöckiges Betonlabyrinth in der hessischen Stadt Nidderau-Ilbenstadt, das in den sechziger Jahren als Befehlsbunker der Zivilverteidigung errichtet worden war.
Der Anschlag auf den Ilbenstädter Bunker ist das bislang rabiateste Stück in einer Serie von Protestaktionen gegen amtliche Kriegsvorsorge. Anlaß ist der Entwurf eines Zivilschutzgesetzes, den die Bonner Regierung derzeit berät und der »die Bevölkerung vor den besonderen Gefahren eines Verteidigungsfalles schützen« soll - mit Bunkerbaupflicht und Zivildienstzwang.
Geschürt wird der Unmut über die Gesetzespläne von Anhängern der westdeutschen Friedensbewegung, die nach dem Abflauen der Anti-Raketen-Proteste nun ein neues Thema gefunden hat.
Vielerorts sind Happenings mit Weißgeschminkten, die als Darsteller atomaren Massensterbens den Autoverkehr lahmlegen, schon gewohnter Anblick. Und gelegentlich finden die Argumente gegen Bunkerbau gar Widerhall bei einer Mehrheit der Bevölkerung - so im badischen Waldkirch, wo jüngst ein Bürgerentscheid mit 84 Prozent gegen den Bau eines Schutzraums ausging.
Das war, so scheint es, nur der Anfang. Insgeheim bereiten sich Friedensfreunde in mehreren Städten auf demonstrative Bunkerbesetzungen vor. Und eine »Friedenskooperative« verschiedener Kirchen- und Bürgerrechtsgruppen, darunter die Humanistische Union und die Aktion Sühnezeichen, will im kommenden Halbjahr mit Straßenaktionen und organisierten Behördenbefragungen den »(Un)sinn des Zivilschutzes« öffentlichkeitswirksam aufzeigen.
In einem Aktionsszenario heißt es: »Eine kleine Gruppe stattet sich mit Gasmasken und Rucksack aus (Schilder: Wir suchen unseren Bunker - auf dem Rucksack: Mein Notgepäck) und zieht mit Sirenenkassette durch die Fußgängerzone; dabei Interviews machen; Flugblätter verteilen mit Auszügen aus der Notgepäckbroschüre (erhältlich beim Bundesverband für Selbstschutz).«
Anregen wollen die Bunkergegner auch zum Nachdenken über den Sinn des »Notvorrats im Privathaushalt«, für dessen Propagierung die Bundesregierung alljährlich 500 000 Mark ausgibt. Vieles deutet schon jetzt darauf hin, daß es angesichts von immer mehr Atomraketen immer weniger Bürgern sinnvoll erscheint, sich im Ernstfall mit dem vom Bundesverband für den Selbstschutz empfohlenen »Vorsorgepaket« - Einweghandschuhe, Beruhigungsmittel, Vitamintabletten, Verbandspäckchen, Rettungsleine - in den Keller zu begeben.
Am Beispiel Ulm errechnete die Initiative »Internationale Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges«, was passiert, wenn eine Atombombe von einer Megatonne Sprengkraft über einer mittleren Stadt detoniert. Resultat: 123 000 Menschen sofort tot, 77 000 schwerverletzt und allein 44 000 von Verbrennungen des (schwersten) dritten Grades betroffen - Zahlen, die den Pazifisten-Slogan »Die Lebenden werden die Toten beneiden« bestätigen.
Der Bund Deutscher Architekten (BDA) schreibt das Wort Schutzräume nur in Gänsefüßchen. Bunker würden, warnten die Architekten in einem Memorandum,
infolge verkürzter Vorwarnzeiten kaum mehr rechtzeitig erreicht, verzögerten bei den Insassen nur den Todeszeitpunkt und setzten durch »Vortäuschung von Überlebenschancen« die Hemmschwelle für den Einsatz nuklearer Waffen herab. Bunkerbau, folgert das BDA-Präsidium, gleiche einem »passiven Annähern an den atomaren Krieg«.
Schutzraum für den Tag danach steht in der Bundesrepublik lediglich jedem 28. Bürger zur Verfügung - in Schweden und der Schweiz ist immerhin für gut drei Viertel der Bevölkerung vorgebaut. »Dreißig Jahre Freiwilligkeit« beim Bunkerbau, beklagt Carl-Dieter Spranger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Innenministerium, hätten zu dieser Unterausstattung geführt.
Das will die Bonner Regierung mit ihrem Gesetzentwurf, der in Einzelpassagen unter den Koalitionspartnern noch umstritten ist, jetzt ändern, zumal ausreichender Zivilschutz laut Verteidigungsministerium ein »Teil der Nato-Strategie der Abschreckung« ist. Von einer Einführung der Bunkerbaupflicht verspricht sich das Bundesinnenministerium bei jährlich rund 300 000 Neubauten künftig Jahr für Jahr 1,2 Millionen zusätzliche Schutzplätze sowie eine Belebung der Baukonjunktur.
Den Preis pro Kellerplatz kalkulieren die Bonner knapp: rund 400 Mark. »Das reicht«, spottet ein Hamburger Senatsvertreter, »gerade für eine Stahltür« - und womöglich nicht einmal gegen »ein verlängertes Silvesterfeuerwerk«, wie die »Süddeutsche Zeitung« glossierte.
Viele Bundesbürger teilen solche Skepsis. Laut Emnid glauben 68 Prozent, daß gesetzlich geregelter Schutzraumbau lediglich ein »völlig unrealistisches Sicherheitsgefühl« vermittele. Drei Viertel der Befragten glauben nicht ans Überleben im Schutzraum, und fast ebenso viele würden sich auch dann keinen Bunker bauen, wenn die Regierung alle Kosten übernimmt.
Die öffentliche Antipathie gegen Bonns Luftschutzideen versuchen anonyme Friedensfreunde mit Aktionen spezieller Art noch zu verstärken: Vielerorts laden Unbekannte mit Hilfe gefälschter Behördenschreiben zu angeblichen Luftschutzübungen und zu »Bunkerplatzverlosungen« ein.
Im holsteinischen Pinneberg erhielten zwei Drittel der Haushalte von selbsternannten Katastrophenschützern »Verhaltensmaßregeln im atomaren Ernstfall« sowie den Ratschlag, »Antrag auf einen der vorhandenen Bunkerplätze« zu stellen. Im zuständigen Amt stauten sich daraufhin die Warteschlangen, bis eilig gefertigte Stellschilder auf die Fälschung hinwiesen.
Immerhin erfuhren die Bürger daraufhin, daß es kaum Schutzräume gibt - nicht zuletzt, weil auch Landrat Winfried Hebisch glaubt, als Vorkehrung gegen Atomkriegsfolgen sei »der Bau von Schutzräumen völlig nutzlos«.
Ein Freiburger Gericht, das schon mal eine Gruppe von Fälschern wegen Amtsanmaßung aburteilte, erkannte den Angeklagten immerhin »menschlich zutiefst verständliche und anerkennenswerte Motive« zu. Nebenbei hatte das Verfahren zutage gebracht, daß der örtliche Schloßbergbunker, für dessen 5000 Plätze die Aktivisten eine angebliche Dringlichkeitsliste ausgelobt hatten, im Ernstfall kaum verfügbar gewesen wäre - der Schlüssel war verschlampt worden. Vor Gericht kamen auch Berliner Fälscher, die geschrieben hatten: »Bestimmen Sie, wer in Ihrer Familie Haushaltsvorstand im Sinne des Anwartsrechts auf einen Bunkerplatz sein soll.« Doch das Gericht erkannte auf Satire und sprach frei.
Angesichts des Mangels an Bunkerplätzen stellt sich die Frage nach den »unbedingt zu bergenden Persönlichkeiten (UBP)« - so Imitatoren des Bundesinnenministers Zimmermann - nicht nur anarchistischen Witzbolden. Als es im oberbayrischen Gräfelfing um den Ausbau des Schul-Fahrradkellers ging, fragte die »Süddeutsche Zeitung«, welche der insgesamt 1500 Schüler denn im Ernstfall in den Keller dürften - »die besten, die bravsten, die fleißigsten?«
Wie viele Hürden es bei der Popularisierung des Bunkerbaus noch zu überwinden gilt, könnten die Bonner auch beim Hamburger Senat erfragen. Der hatte bei der Reaktivierung alter Weltkriegsbunker vor gut zwei Jahren schon Enttäuschungen erlebt.
Ein Ideenwettbewerb zur »künstlerischen Gestaltung« des Betons wurde von den Kunstschaffenden boykottiert, obwohl pro Bunker 80 000 Mark Kunstaufwand vom Senat bewilligt waren. »Jeder Klecks Farbe an diesen Dingern«, urteilten die Künstler, »ist zuviel.«