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ANWÄLTE Bunter Ballen

Linke und liberale Anwälte sind mit ihrer Standesvertretung unzufrieden. Sie gründeten einen »Republikanischen Anwaltsverein«.
aus DER SPIEGEL 8/1979

Sie kümmern sich um kostenlose Rechtsberatung für arme Leute, sorgen dafür, daß ihre Mitglieder billig krankenversichert sind, richten Spargelessen und Juristenbälle, auch Seminare zur Weiterbildung aus.

Wer als Anwalt vor bundesdeutschen Gerichten seinen reservierten Parkplatz wünscht, wer in Justizbehörden ein eigenes Postfach haben möchte -- der tut gut daran, in einem der knapp 200 örtlichen Rechtsanwaltsvereine Mitglied zu werden.

Deren Dachverband, der »Deutsche Anwaltverein« (DAV), betrachtet die »Pflege des Gemeinsinns und des wissenschaftlichen Geistes der Rechtsanwaltschaft« als vornehme Aufgabe und wird bei der Abfassung von Gesetzen angehört. Von den 35 000 Anwälten der Bundesrepublik sind an die 22 000, also fast zwei Drittel, in den Reihen des DAV organisiert.

Manch einer seiner Mitgliedsverbände wurde da schon von Gerichts wegen als »Monopolverein« bezeichnet. Dem hamburgischen Anwaltverein etwa bescheinigte das Hanseatische Obenandesgericht »beherrschende Stellung und Gruppenmacht«. Als Anwalt könne man »nur über diesen Verein«, so die Richter der Hansestadt in einem Urteil, »mit Aussicht auf Erfolg auf die Öffentlichkeit einwirken«.

Wirken wollen nun auch andere. Dem Monopol den Kampf angesagt hat eine Hundertschaft »konsequent-liberaler Juristen«, wie sie sich selber einschätzen, die jetzt in Hannover unter der Regie des ortsansässigen Advokaten Werner Holtfort einen »Republikanischen Anwaltsverein« aus der Taufe und ins Amtsregister hoben.

Den 118 Gründungsmitgliedern, darunter viele Genossen der »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen«, ist der alte Anwaltverein politisch nicht aktiv genug. Die neue Liga will deshalb die Anwälte vereinen, »die sich nicht in erster Linie damit befassen, wie sie die Gebühren erhöben und ihr Vermögen anlegen können«, so Gründungsvorstand Klaus Eschen aus Berlin, »sondern damit, wie sie ihre Mandanten vor staatlichen Übergriffen schützen können«.

Dabei geht es vor allem ums berufliche Selbstverständnis. Für Holtfort und seine Freunde reicht die herkömmliche Vorstellung vom Anwalt als »Organ der Rechtspflege«, wie sie auch in der Bundesrechtsanwaltsordnung festgeschrieben ist, nicht mehr hin. Organ der Rechtspflege -- das ist der Richter, das ist der Staatsanwalt auch; der Rechtsanwalt soll nach diesem überkommenen Konzept der Dritte im Bunde sein, Recht und Ordnung innerhalb der Justiz aufrechtzuerhalten. Für Holtfort ist das ein »Anwaltsbild, das noch aus dem Kaiserreich herrührt und unverändert übernommen ist«.

Dem setzen die republikanischen Rechtsvertreter ein eigenes Standesporträt entgegen: das eines Advokaten, der »ausschließlich« seinem Mandanten »und sich selbst verantwortlich« sei, eines »einseitig gebundenen Interessenvertreters« also.

Es ist kein Zufall, daß zu den Gründungsmitgliedern des Republikanischen Vereins etliche Anwälte zählen, die in Terrorismus-Prozessen verteidigt haben. Denn in keinem anderen Verfahren zeigte sich so exemplarisch, wie die Rolle des Anwalts im staatlichen Interesse festgelegt werden kann -- als »Pflichtverteidiger« wider Willen. Gleich fünf der neuen Gründungsvorstände sind als politische Strafverteidiger bekannt geworden, so der Berliner Otto Schily, der Hamburger Kurt Groenewold, der Bremer Heinrich Hannover.

Wer aber, zumal in Terroristenverfahren, mit Klienten zu tun hat, die anwaltlichen Beistand als nützliche Hilfe zur Verbreitung der eigenen politischen Vorstellungen begreifen, wer zudem, wie Vereinsvorsitzender Holtfort meint, »mit einer massiven Vorverurteilung des Mandanten durch Presse und Staatsorgane« fertig werden muß -- der läuft Gefahr, daß er manchem Verfechter althergebrachter Standesvorstellungen suspekt wird oder sich vor das Ehrengericht zitiert sieht.

Als zwecks Bekämpfung des Terrorismus auch die Rechte des Anwalts nicht ungeschoren blieben, als Kontaktsperre, Trennscheibe und Hosenkontrolle »unsere Möglichkeiten zu verteidigen besorgniserregend einengten« (Holtfort), rafften sich die »freischwebenden radikalen Linken« allenthalben auf.

* Am Rednerpult bei der Gründungsversammlung am 10. Februar in Hannover.

Aus Unzufriedenheit über den altehrwürdigen Anwaltverein, der, wie Holtfort meint, »sich doch überhaupt nicht mehr richtig zur Wehr setzt«, sprossen bald mancherorts lokale Konkurrenzvereine aus dem Boden: die »Freie Advokatur« in Hannover, in Hamburg eine »Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidiger«, an der Spree die »Vereinigung Berliner Strafverteidiger«.

Als Sammelbecken solcher Initiativen verdrossener Juristen will der neue Anwaltsbund nun darangehen, wie Vorstand Schily ausführt, »den Kernbereich der Verfassung zu verteidigen«, ja gar, wie Kollege Holtfort beipflichtet, »den Anhängern des Obrigkeitsstaates ihre Zuchtrute entwinden«.

Das geht nicht, so meinen die republikanischen Advokaten, indem man, wie der alte DAV, »wenn überhaupt, hin und wieder eine halbherzige Erklärung« (Holtfort) abgibt, da müsse man schon »die Öffentlichkeit mobilisieren«. Doch der »freiheitlichen und fortschrittlichen Anwaltsvereinigung« fällt es anscheinend fürs erste noch schwer, Gleichgesinnte unter den Kollegen aufzutreiben.

Während der neue Juristenklub darauf hofft, in den nächsten Monaten auf 500 Mitglieder anzuwachsen, und dann »Anspruch auf Beteiligung am offiziellen Gesetzgebungsgang« (Schily) erheben will, ist man bei der etablierten Konkurrenz noch gelassen. Für DAV-Präsident Hans-Jürgen Rabe ist der neue Verein »ein bunter Ballon voller Parolen, aus dem die Luft bald raus sein wird«.

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