Buntes Gefieder
(Nr. 24/1981, SPIEGEL-Titel: »Wiederkehr eines Philosophen; Täter Hitler - Denker Nietzsche")
Lieber Herr Augstein, was ist in Sie gefahren?
Wiesbaden KARL LINNMANN
Man muß der Primitivität, dem dummdreisten Wortgestoppel und der Niedertracht Ihres Pamphlets bis in die letzten Schweinereien nachgegangen sein, um zu erkennen, wie abgründig verblödet, abgewrackt, ja verroht ein sogenannter Intellektueller sich hier darstellt. Ohne jede Ahnung von Denken, Geschichte, Geist und Wahrheit -- den wesentlichen Gehalten von Nietzsches Philosophie -- wird hier drauflos geschmiert.
Schluß mit Ihrer Sudelei!
Ditzingen (Bad.-Württ.) HELMUT SCHNECK
Das Wort Heideggers hat leider immer noch Gültigkeit: »Die Auseinandersetzung mit Nietzsche hat noch nicht einmal begonnen.«
Düsseldorf MICHAEL KÜHNTOPF
Es ist ein intellektuelles Vergnügen, die vielen Affinitäten zwischen Nietzsche und Hitler dargestellt zu bekommen. Von Germanisten und Politologen kann man solches wohl nicht erwarten. Die verfallen zu schnell in Details oder stoßen sich am bunten Gefieder des seltenen Vogels.
Hier endlich Strukturen und Perspektiven aufgezeigt zu haben, ist eine journalistische Glanzleistung von Herrn Augstein.
Wetzlar (Hessen) H. SIPPEL
Immerhin möchte ich Ihnen dafür danken, daß Sie Nietzsche wenigstens nicht zum Architekten der Verbrennungsöfen von Auschwitz gemacht, sich sogar dagegen verwahrt haben. Die meisten anderen Vorurteile haben Sie allerdings übernommen; ich fürchte, Sie werden dabei dankbare Leser finden.
Köln DR. BERNHARD KÄFER
Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, daß hier wieder einmal versucht wird, den Deutschen einen »Persilschein« auszustellen. Nicht sie haben den Faschismus getragen, sondern waren die armen Verführten des »Schreibtäters Nietzsche« und des »Täters Hitler«.
Köln NONA NYFFELER
Die Mordbrennereien Hitlers hätten auch ohne die abstrusen Phantasmagorien eines Nietzsche stattgefunden, obgleich sie in den Kreisen des Bildungsbürgertums sicher zu der Atmosphäre beigetragen haben, die es erlaubte, daß sich der Henker als Retter maskieren konnte. Die Millionen Toten sind stumme Zeugen dafür, wohin solche Gedanken führen können.
Königswinter (Nordrh.-Westf.) GEERT EDEL M. A.
Als Nietzsche nach dem Kriege allgemein als Wegbereiter Hitlers angesehen wurde, mietete ich als Heidelberger Student kurzerhand die Aula der Universität und veranstaltete eine Nietzsche-Matinee. Dabei zeigte es sich, daß Nietzsche sogar imstande war, die vom Faschismus enttäuschten denkenden Menschen innerlich wieder aufzurichten.
Ludenhausen (Bayern) DR. KARL FRIEDRICH SCHÄFER
Nietzsche mit Hitler in Zusammenhang zu bringen, liegt nahe, lieber Herr Augstein. Und auch ich lese Nietzsche immer S.8 mit abwehrendem Schauder. Dennoch fasziniert. So wie ich Strauß, den ich nicht mag, gern höre. Warum? Philosophie ist nicht so in Politik umzusetzen. Gegen Marx, aber mit Schmidt. Den Philosophen Nietzsche haben Sie also nicht dargestellt, wohl aber den Politologen. Und vor diesem zu Recht gewarnt.
Erlauben Sie mir, Herrn Augstein ausdrücklich und herzlich zu danken, die Philosophie, wenn auch nicht ins Gespräch, so doch ins Gerede gebracht zu haben.
Jork (Nieders.) HARALD PASCHOTTA, M. A.
Nietzsches immer noch aktuelle Bedeutung liegt darin, daß er gegen das ebenso selbstverständlich herrschende wie zunehmend selbstzerstörerisch wirkende Weltbild der Metaphysik wesentliche Züge eines veränderten menschlichen Weltverhaltens »mit dem Hammer« aus der Wirklichkeit meißelte.
Wie dies zu begreifen ist und worin Nietzsche weitergedacht werden muß, hat der sich als Verwinder der Metaphysik -- und nicht etwa als »letzter Metaphysiker« (Augstein) -- verstehende Heidegger herausgearbeitet. Auf solche Werke muß sich lange und gründlich einlassen, wer Nietzsche heute S.9 gerecht werden will. Si tacuisses, Augstein.
Hamburg DR. WOLFGANG SCHIRMACHER Hochschullehrer für Philosophie
Eines allerdings, zumindest hinsichtlich der hiesigen Alternativen, haben Sie vergessen: sogar deren Symbol und ihre Zivilisationskritik »ind schon beim guten alten Nietzsche zu finden: ... die deutsche« » Großstadt, dies gebaute Laster, wo nichts wächst, wo jedwedes » » Ding, Gutes und Schlimmes, eingeschleppt ist. Müßte ich nicht » » darüber zum I g e I werden? (Ecce homo). »
Berlin FRIEDRICH JUNGWIRTH
Also sprach Augstein, daß man, ob Nietzsche Hitlers Auschwitz goutiert hätte, füglich werde bezweifeln können. Die füglichen Zweifel zu mehren, sei auf einen Brief (aus dem Jahre 1884) verwiesen, in dem Nietzsche, offenbar Infames ahnend und als wolle er der Gefahr wehren, daß dergleichen Ungeister wie die Nationalsozialisten respektive deren intellektuelle Bankrotteure ihn usurpatorisch als einen der Ihren reklamierten, schreibt, er wolle Zäune um seine Gedanken haben, damit in seine Gärten nicht die Schweine brächen.
Köln DR. RAYMUND WEYERS S.10
Höchste Zeit, daß Alice Miller
( Alice Miller: »Am Anfang war Erziehung« ) ( (Suhrkamp). )
auch mal beim (ewigen) Baby Nietzsche nachweist, was ihr bei Hitler so vorzüglich gelang, nämlich der Nachweis, daß Adolfs »Wille zur Macht« keineswegs vom Himmel fiel oder »autark« war, wie Augstein schreibt, sondern aus einem Extremfall unserer bieder-deutschen »schwarzen Pädagogik« hervorging.
Karlsruhe DR. JÜRGEN LODEMANN
Über das Titelbild und über vulgärpsychologische Ähnlichkeitsbehauptungen im Text (Augstein hat übrigens vergessen, daß die Namen beider »Täter« vier Buchstaben gemeinsam haben!) werden beide »Täter« bis zur Identifizierung einander nahegerückt.
Augstein macht es sich reichlich zu einfach. Für solcherart Simplifizierungen gibt es allerdings Vorbilder; denn auch Nietzsche hat »50 Jahre später eine geistreiche Gefolgschaft gefunden, die in der Tat glaubte, der Übermensch sei ein Stallversuch« (der Philosoph Johannes Hirschberger).
Braunschweig PROF. DR. LUTZ RÖSSNER
Was die »Kindfrau« Lou Salome betrifft, darf auf ihre Nietzsche-Biographie verwiesen werden. Ihre Schriften zu Ibsens Frauengestalten wie zu Rilke und zu Freud verdienten es, erneut aufgegriffen zu werden, damit sie nicht, jenseits einer rückfälligen Mythologie, als Baby-Doll mißverstanden wird.
Marburg GERD VAN DE MOETTER
Richtig gelesen -- und die kritische Gesamtausgabe von Colli und Montinari bietet erstmalig die Gelegenheit -wird Nietzsche als radikaler Rationalist (das zu zeigen, ist das große Anliegen der Herausgeber) und als Erbe desjenigen Autors kenntlich, dem er »Menschliches, Allzumenschliches« widmete, nämlich Voltaires.
Amöneburg (Hessen) RÜDIGER W. SCHMIDT
Die Qualität des Augsteinschen Nietzsche-Artikels entspricht ungefähr der letzten Beethoven-Interpretation des Männergesangvereins Siegen-Süd.
Troisdorf (Nrdrh.-Westf.) JÜRGEN MICHAEL KLEIN
Ich bin ansonsten kein Anhänger von Zuschriften an die Redaktion eines Journals; heute aber mußte ich doch zur Feder greifen um Ihnen meine uneingeschränkte Anerkennung auszusprechen. Sie erweisen sich heute nicht nur als der Herausgeber und geistige Leiter einer der größten Europäischen Revuen, sondern zugleich auch als ein ernster Kenner der deutschen Literatur.
Hierzulande wird Nietzsche fast nur in Universitätskreisen gelesen und auch da mit Einschränkung. Und vor allem, mit kritischer Distanz. So nennt Professor Philonenko der Universität in Genf dessen »transformation de la sauvagerie en grandeur« eine durchaus fragwürdige Idee. Und richtig zitieren Sie wiederholt Thomas Mann, daß man Nietzsche eigentlich nicht ernst nehmen könne.
Hier hätten Sie auch noch andere deutlichere Sätze aus Thomas Manns Gedanken über Nietzsche zitieren können. Nietzsches Verhältnis zu den Gegenständen seiner Kritik sei »lediglich das einer Leidenschaft« gewesen, »ohne Vorzeichen, denn das Negative wechsle beständig ins Positive«. Sein Werk enthalte so viele an der »Oberfläche liegende Widersprüche«.
Ich hatte als häufiger Gast und Freund Thomas Manns manchmal auch Gelegenheit, mit ihm über Nietzsche zu sprechen: er bewundert wohl den Schriftsteller, keinesfalls aber den Philosophen und Moralisten.
Es ist wahr: Heidegger hat der Philosophie Nietzsches ein großes zweibändiges Werk gewidmet. Er sieht im Nihilismus Nietzsches den »Normalzustand der Menschheit«. Aber man weiß, daß Heidegger auch den Nationalsozialismus eher positiv beurteilte.
Paris MARTIN FLINKER Maison d''edition/Librairie
Zerstörung der Kleinkrämerei
Im ganzen gesehen fand ich Ihren Diskussions-Beitrag recht erfreulich und bemerkenswert gerade zu einem Zeitpunkt, wo man sich, wie es vornehmlich unter Jugendlichen zu sehen ist, der Renaissance eines ins Extrem philosophierenden Denkers besinnt.
Der von Ihnen aufgezeichneten historisch irrelevanten Gemeinsamkeiten irgendwie ein Verhältnis zwischen dem Denker Nietzsche und dem Gewalttäter Hitler herauszusehen, betrachte ich allerdings kurzweg als einen Aberwitz. Manches läßt selbstverständlich darauf hindeuten, daß Hitler aus dem Gedankengut Nietzsches geschöpft hatte; brauchbar für seine größenwahnsinnigen Taten konnte er das Gedankengut jedoch nicht verwenden.
Mehr noch, von seiner passiven Kriegsführung hat er in »Ecce homo« verlauten lassen: Hatte Hitler dieses etwa nicht gelesen? -- Bestimmt, Hitler nahm sich vieles zur Lektüre, um so seine Dummheit zur Idee werden zu lassen. Ich denke an den gar nicht in Verbindung mit dem Nationalsozialismus zu bringenden Denker Ludwig Feuerbach, dem der naive Zeichner und Architekt Hitler gleich drei Räume -- ich glaube für ein germanisches Museum -- einrichten wollte.
In penetranter, geschichtsphilosophischer Kleinarbeit ist es Karl Schlechta gelungen, Fälschungen, die Nietzsche mitunter zur Legende werden ließen S.9 und ihn überdies zu einem gefährlichen Denker machten, aufzudecken. Nietzsches Denken widerlegt Hitlers Greueltaten.
Ein Beispiel: Bei Ihnen heißt es, daß beide nicht lange zu leben, sich in Eile glaubten. Dieses »Nicht-lange-zu-leben-Glauben« können wir nur aus Briefen von Nietzsche entnehmen. Die Tatsache sieht jedoch so aus, daß diese Briefe Fälschungen der Schwester sind. Ein vielleicht banales Beispiel; dennoch eins, das uns den Nietzsche zur Legende werden ließ.
Nietzsches Denken war ein apokalyptischer Traum, eine Philosophie, die in sich die Leidenschaft barg, zu zerstören und zu verwerfen, was alt und unbrauchbar, was morsch war. Wir kennen die Ziele seiner Zerstörung, wir wissen um seine Vorstellung einer neuen Ethik, wissen um Ausdruck und Höhepunkt seines Negierens. Aber es war nicht der Mensch als »Ganzes« gesehen, den er negieren und zerstören wollte: Es war seine Kleinkrämerei.
Nietzsche stand jenseits von Böse und Gewalt, schon darum kann er nicht in Betracht zu dem kleinkrämerischen Gewalttäter Hitler gezogen werden. Mit dieser ständig neu aufgerollten, für uns Philosophen längst unbrauchbar gewordenen Relation dieser zwei in sich grundverschiedenen Menschen wird nur mehr an der Legende des entstellten Nietzsche-Bildes gefeilt.
Freiburg (Bad.-Württ.) PROFESSOR DR. PHIL. JÖRG HESSE
S.9
... die deutsche Großstadt, dies gebaute Laster, wo nichts wächst,
wo jedwedes Ding, Gutes und Schlimmes, eingeschleppt ist. Müßte ich
nicht darüber zum I g e I werden? (Ecce homo).
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S.7Gemälde von Samuele Giovanoli (1877 bis 1941).*S.10Alice Miller: »Am Anfang war Erziehung« (Suhrkamp).*