Zur Ausgabe
Artikel 60 / 109

GIPFELTREFFEN Bushs neue Konzilianz

Diplomatie in Zeiten des Wahlkampfs: Beim G-8-Treffen auf Sea Island nutzt der angeschlagene US-Präsident die einst gescholtenen Vertreter des »alten Europa« zur politischen Selbstdarstellung. Aber die inszenierte Harmonie verdeckt nur dürftig die weiter bestehenden Gegensätze.
aus DER SPIEGEL 25/2004

Für seine nächste Reise hat sich George W. Bush politisch korrektes Terrain ausgesucht: Beim Gipfeltreffen in Dublin Ende kommender Woche will sich der US-Präsident mit Bertie Ahern, dem irischen Staatschef und derzeitigen EU-Ratspräsidenten, treffen. Hauptziel: die Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und der Europäischen Union.

Trotz der Allerweltsagenda ist der Abstecher auf die Grüne Insel - Übernachtung im malerischen Schloss Dromoland inklusive - mehr als bloße diplomatische Routine.

Denn gut ein Jahr nachdem der US-Präsident mit seinem Einmarsch im Irak traditionelle Bindungen aufs Spiel setzte, langjährige Freunde Amerikas brüskierte und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Gegner des blutigen Abenteuers als Repräsentanten eines »alten Europa« verhöhnte, hat Bush die unlängst noch gescholtenen Politiker als wertvolle Gesprächspartner wiederentdeckt.

Zu Hause angeschlagen wie noch nie seit Beginn seiner Amtszeit vor dreieinhalb Jahren, buhlt der US-Präsident jetzt um Beistand jeder Art: Besuche im befreundeten Ausland sollen vom mörderischen Konflikt im Irak ablenken und von den lästigen Schwierigkeiten an der politischen Heimatfront.

Ein Fototermin beim gebrechlichen Papst Johannes Paul II., Händeschütteln mit Italiens Premier Silvio Berlusconi - jeder Anlass ist Bush derzeit recht, um sich als dynamischer Politiker von Weltrang in Szene zu setzen.

Denn ausgerechnet kurz vor Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs haben Image und Popularität des Präsidenten einen dramatischen Tiefpunkt erreicht: Weder

die Bestallung der neuen Übergangsregierung in Bagdad noch lokale Waffenstillstandsabkommen haben die blutigen Gefechte im Irak vermindert.

Und auch im angeblich befriedeten Afghanistan eskalieren die Überfälle - erst vergangene Woche gab es ein Massaker unter chinesischen Bauarbeitern bei Kunduz.

Schlimmer noch: Die von Bush gefeierten Erfolge beim globalen Kampf gegen den Terror ("Die Welt ist ein sichererer Platz geworden") erwiesen sich vergangenen Donnerstag als blamabler Fehler der Regierungsstatistik - in Wahrheit stieg 2003 die Zahl der Anschläge und Toten im Vergleich zum Vorjahr.

Angesichts solcher Pannen und sinkender Umfragewerte müssen Bushs Politikerkollegen jetzt als Claqueure für ein besseres Renommee des US-Präsidenten sorgen.

Deshalb gab Bush vorvergangenes Wochenende, beim 60. Jubiläum zur Landung der Alliierten in der Normandie, den versöhnlichen Führer der Supermacht. Zerwürfnisse wegen des Irak? Vergessen und vergeben, dafür wurde an den alten Schlachtfeldern und Soldatengräbern historische Freundschaft zelebriert.

Und als zum Staatsakt für den verstorbenen Ronald Reagan am vergangenen Freitag politische Prominenz aus der ganzen Welt zum Kondolenzbesuch in Washington eintraf, versuchte sich der republikanische Enkel des 40. US-Präsidenten im Kreise der Staatsgäste als würdiger Nachfolger des schon zum Nationalhelden erhobenen »Verteidigers der Freiheit« (Bush).

Auch der Gipfeltreff auf dem bereits sommerlichen, mondänen Sea Island, wohin Vater George und Mutter Barbara 1945 ihre Hochzeitsreise machten, sollte George W. Bush - wenn schon nicht als legendären - so immerhin als legeren Kommunikator vorführen: So gab es statt der Vorfahrt in gepanzerten Limousinen fröhliches Herumkurven in Golf-Karts; statt steifer Kleiderordnung offene Kragen oder Freizeitdress; statt diffiziler Debatten am runden Tisch lockere Spaziergänge am Strand.

Der dreitägige Ausflug vermittelte ein Bild kollektiven Gleichklangs und ließ Wahlkämpfer George W. als saloppen Kumpel erscheinen, der schwierigste Polit-Probleme beim Small talk mit »Tony«, »Gerhard«, »Wladimir« und den anderen G-8-Gästen geradezu im Handumdrehen aus der Welt schafft.

Am Schluss hieß es dennoch: »Mission nicht erfüllt«. Denn Bushs Sommergäste erwiesen sich trotz der angenehmen Temperaturen längst nicht so sonnig wie erwünscht. Jenseits des öffentlichen Schulterklopfens musste der US-Präsident eine ganze Reihe von Enttäuschungen einstecken.

Zwar gab es unisono Zustimmung zu Israels Rückzugsplänen aus dem Gaza-Streifen, und die Gipfelakteure riefen die Bürgerkriegsparteien im Sudan einmütig zur Waffenruhe auf. Doch jenseits weiterer, wenig kontroverser Gemeinplätze - etwa zum Kampf gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen oder zur gemeinsamen Ausbildung von Friedenstruppen für Afrika - wurde Gastgeber Bush ziemlich undiplomatisch abgebürstet.

Seine vor Monaten angekündigte grandiose Vision zur demokratischen Reform und zur wirtschaftlichen Neuordnung der arabischen Welt? Eingedampft auf einen bescheidenen Reformappell. Nato-Einsatz im Irak? Vorerst keine Chance. Großzügiger Schuldenerlass für die neue Regierung in Bagdad? Rundweg abgelehnt.

Vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Staatschef Jacques Chirac, der sich auch äußerlich - fast stets in Schlips und Kragen - von der textilen Kameraderie absetzte, bildeten ein geschickt operierendes Tandem der Nein- beziehungsweise Non-Sager.

Mit beinahe rüder Deutlichkeit rügte Chirac die von Bush betriebene Initiative für den Nahen Osten: Die Länder der Region »brauchen keine Missionare der Demokratie«, mokierte sich der Franzose über den Plan, den viele arabische Staaten als plumpe Einmischung der USA empfinden.

Chirac forderte hingegen eine Partnerschaft auf der Grundlage von »Pragmatismus, Respekt, Vertrauen und Dialog«, und Bundeskanzler Schröder sekundierte: »Veränderungen dürfen nicht von außen« kommen. »Es gab wohl Bedenken«, verkaufte Bush anschließend umständlich sein Zugeständnis, »dass wir wollten, die Welt solle so aussehen wie Amerika. Das wird nicht passieren.«

Auch bei dem von Bush verfochtenen Schuldenerlass für den Irak, der im Ausland 120 Milliarden Dollar Geldforderungen (Deutschland: 5,3 Milliarden) angehäuft hat, musste der US-Präsident eine Schlappe hinnehmen. Denn statt den Irak zu entlasten, sollen vordringlich die Außenstände der ärmsten Länder verringert oder ganz abgeschrieben werden.

Die peinlichste Abfuhr holte sich der US-Präsident jedoch mit seinem Vorschlag, Nato-Truppen zum Kriegseinsatz in den Irak zu entsenden.

Gerade erst hatte Bush die jüngste Uno-Entscheidung zur Zukunft des Irak als »großen Sieg« gepriesen und der britische Premier Blair, Bushs engster europäischer Vertrauter, behauptet, nun stünden die Rebellen einer »geeinten Welt« gegenüber - da klafften schon wieder Risse in der hoch gelobten internationalen Solidarität.

Weil Soldaten des Bündnisses bereits vor Ort im Einsatz seien, »sollte die Nato dort beteiligt sein«, formulierte Bush seinen verklausulierten Vorstoß: »Wir werden mit unseren Freunden von der Nato arbeiten, damit sie zumindest die Rolle, die sie bis jetzt übernommen haben, weiterspielen oder sie hoffentlich noch ein bisschen ausweiten.«

»Nicht opportun«, war die so prompte wie deutliche Antwort Chiracs, »da habe ich die größten Vorbehalte.«

Auch an der Reaktion von Kanzler Schröder fand Bush wenig Freude. Im Zwiegespräch überzog der US-Präsident

seinen Besucher zwar mit Nettigkeiten, plauderte über Haushund Barney und lobte gar die Nahost-Politik von Außenminister »Jokscha« Fischer. Doch beim Thema Irak ließ der umgarnte Kanzler den Amerikaner hängen.

Es habe »keinen Versuch gegeben, sich über Details zu einigen«, bilanzierte später ein Bush-Helfer vage. Schröder war deutlicher: Früher hätten die Amerikaner gewünscht, die Nato solle im Irak »an Stelle der Koalition« treten. Das sei jetzt vom Tisch. »Bemerkenswert«, meinte Schröder lakonisch kurz zum Positionswechsel der USA.

Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer sah das einen Tag später gegenüber dem SPIEGEL allerdings etwas anders: Wenn die Iraker um einen Einsatz des Bündnisses bitten, könne man Bagdad »nicht die Tür vor der Nase zuschlagen«.

Bushs Flexibilität jedenfalls überraschte selbst Bundeskanzler Schröder. Spät abends, im Kaminzimmer eines noblen Golfclubs, sinnierte er über die deutschamerikanischen Beziehungen: »Die Bereitschaft der USA sich zu bewegen, hatte ich vor einem halben Jahr für völlig unmöglich gehalten.«

Der diplomatische Burgfrieden dürfte indes nicht lange halten: Das Zerwürfnis über die »massive Entschuldung« des Irak - was im Diplomaten-Jargon rund 80 Prozent der Außenstände bedeutet - ist nur aufgeschoben; und wenn Mitte des Monats das Nahost-Quartett (USA, Uno, EU und Russland) zusammentritt, droht die transatlantische Einigkeit an den gegensätzlichen Auslegungen der so genannten Roadmap wieder aufzubrechen.

Über die Dauer der neuen Konzilianz machte sich denn auch Gerhard Schröder wenig Illusionen. Eine Prognose allerdings wollte er nur ungern abgeben: »Nicht zu optimistisch«, so der Kanzler.

Diese Töne brachten den US-Präsidenten freilich nicht mehr aus seiner ausdauernd zur Schau getragenen Gastgeberlaune: »Die Freiheit gewinnt im Nahen Osten an Fahrt«, dröhnte er bei der Abschluss-Pressekonferenz im Kongresszentrum von Savannah. Ganz in Siegerpose formulierte Bush: »Dieser Gipfel kam zum entscheidenden Zeitpunkt.«

Selbst dem Treffen mit seinem hartleibigsten Gegner, Präsident Chirac, konnte der düpierte Bush noch positive Seiten abgewinnen. Als der Franzose die lokale amerikanische Küche pries, frohlockte Bush schadenfroh über die kulinarische Entdeckung seines gefürchteten Gegners: »Und ganz besonders hat er unsere Cheeseburger gemocht.«

»Exzellent«, stimmte Chirac zu und resümierte mit dem lukullischen Lob die Wohlfühl-Atmosphäre auf der G-8-Insel Sea Island: luftige Hülle, künstliches Aroma, wenig Substanz. RALF BESTE,

STEFAN SIMONS

Zur Ausgabe
Artikel 60 / 109
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren