TANGER Business as usual
Durch Absperrungsketten marokkanischer Franco - Schützen hindurch wälzte sich ein halbverhungertes, verdurstendes Bataillon französischer MG-Schützen vom Bahnhof Tanger in die Stadt hinein. In bezug auf die April-Unruhen in der internationalen Zone hatten sich Madrid und Paris geeinigt, gemeinsam das Territorium von Tanger zu besetzen, um weitere Aufstandsversuche unmöglich zu machen. Dem Kontrollkomitee von Tanger, das sich aus den Generalkonsuln der Signatarmächte von Algeciras, wo 1906 der internationale Status von Tanger bestätigt wurde, zusammensetzt, war es nicht möglich gewesen, allein Herr über den von Sowjet-Agenten angezettelten Putsch zu werden.
Spanien war mit französischer Beteiligung einverstanden unter der Voraussetzung, daß spanische Truppen zuerst in Tanger einrückten (SPIEGEL 16/52). Die Franzosen wurden also in verplombten Güterwagen durch Spanisch-Marokko hindurch nach Tanger transportiert. Unterwegs hatte jedoch die Lokomotive Maschinenschaden. Es gab so schnell keine Ersatz-Lokomotive. So hatten also die Poilus runde 15 Stunden, in heißer Mittagssonne und in kalten afrikanischen Nachtstunden, eingesperrt in ihren Viehwagen gesessen.
Die Besucher der Kaffees und Bars und die Eckensteher betrachteten mit sichtbarer Schadenfreude den so wenig imponierenden Einmarsch der Grande Armée. Die spanischen Sperrkordons seien aufgezogen, um jeden Angriff der beunruhigten Bevölkerung auf die Franzosen im Keime zu ersticken, erklärte der spanische Kommandeur seinem französischen Kollegen beim Willkommensgruß mit vollendeter Grandezza.
Spanien hat das Tanger-Statut von 1945, das eine internationale Kontrolle der Zone bestimmte, durch ein fait accompli ausradiert. Das Kontroll-Komitee von Tanger, aus dem sich die Sowjetunion 1945 zurückgezogen hat, weil sie sich an der Einsetzung des spanischen Vertreters stieß, hatte den von Sowjetagenten angezettelten Putsch nicht allein ersticken können.
Am 21. April übernahm Madrid wieder diese Rechte. Der belgische Kommandeur der internationalen Polizei, Oberst Legrand, wird zwar im Amt bleiben, aber nur als Chef der bewaffneten Polizei Die Kriminalpolizei und vor allem »segurida« (Sicherheitspolizei) übernehmen die Spanier. Franco hat vorgeschlagen, daß eine internationale Konferenz sein Vorgehen nachträglich sanktionieren soll.
Der spanische Staatschef kann sich das heute bereits leisten:
* Die Arabische Liga bedeutete seinem Außenminister Don Martin Artajo während dessen Orientreise, daß sie mit Spaniens Vorgehen in der Tanger-Frage durchaus einverstanden sei.
* Washington ließ durch seinen Botschafter in Madrid, Mac Veagh, das spanische Außenministerium wissen, daß es seinen Maßnahmen in Tanger sympathisch gegenüberstehe. Spanien revanchierte sich sofort, indem es dem Botschafter mitteilte, es wolle die US-Handelsrechte in Spanien, die durch einen Vertrag vom Jahre 1912 festgelegt sind, auch auf Spanisch-Marokko ausdehnen.
Die Kabellinien von Hamburg, Zürich, Rotterdam und London nach Madrid und Tanger beginnen jedoch langsam zu glühen. Die Importeure fragen an, wie sie in ihren Ost-West-Handelsgeschäften, die bisher so schön über Tanger florierten, disponieren sollen. Die Antworten von unten lauten beruhigend. Keine Bange. Die Geschäfte werde wie gewöhnlich abgewickelt.
Als außer den Sowjet - Agenten in Tanger auch die Hochfinanz damit begann, die Koffer zu packen, glätteten die Spanier die aufgerührten Wogen. Madrid denke nicht daran, die Henne, die goldene Eier legt, zu schlachten. Zwar muß Big Business in Zukunft Steuern zahlen. Bisher war das in Tanger nicht nötig. Aber für Sicherheit zahlt man gern ein paar Dollars.
Nur die Zigaretten-Jobber haben sich noch nicht beruhigt. Das spanische Tabak-Monopol schickte einen seiner Direktoren nach Tanger, und die Schieber ahnen Böses. Luckies stiegen von 80 auf 110 Peseten die Stange.