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NIEDERSACHSEN Butterbrot umsonst

Mit über hundert Millionen Mark an Steuergeldern muß die niedersächsische Landesregierung für ein Industrieprojekt geradestehen - obwohl sie seit Jahren weiß, daß eine Pleite unausweichlich ist.
aus DER SPIEGEL 25/1981

Birgit Breuel, 42, hanseatische Bankierstochter und derzeit auch Wirtschaftsminister im Niedersächsischen, war sich über den Ernst der Lage schon vor ihrem Amtsantritt im klaren.

Die »Macht des Staates« dringe immer »stärker in den persönlichen Freiraum« ein, Staatsgläubigkeit sei auf dem Vormarsch, notierte sich die wirtschaftspolitische Sprecherin der Hamburger CDU 1976 in ihrem Buch »Es gibt kein Butterbrot umsonst«.

An die »Stelle von Wettbewerb und Eigeninitiative« seien »Subventionen und Bürokratie« getreten, und statt klarem Sinn für die Realitäten machte Frau Breuel allenthalben Wunschvorstellungen aus.

Kaum hatte der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht die Hamburgerin 1978 als Wirtschaftsminister von der Alster an die Leine geholt, kündigte Frau Breuel denn auch harte Therapie gegen den sanften Weg in den Sozialismus an.

Staatliche Leistungen samt angesammelten Vermögen seien »dem Gestaltungsraum der privaten Wirtschaft« zu übergeben. Der Staat habe, zumindest in Niedersachsen, sich auf »seine Rolle als Garant einer freiheitlichen Ordnung« zu beschränken. Motor weiteren Fortschritts sei von jetzt an »der freie Wettbewerb«.

Weniger Steuergeld, da war sich die Bankierstochter mit dem Regierungschef einig, sollten auch die Unternehmer zwingen, »Investitionen aus eigener Kraft« vorzunehmen. Es wäre nämlich »niemandem gedient«, steuerte Albrecht aus seinem Erfahrungsschatz als einstiger Manager der hannoverschen Keksfrabrik Bahlsen bei, überall unwirtschaftliche Arbeitsplätze zu erhalten.

Wirtschaftlichen Erfolg hat indes die neue Ordnungspolitik seit ihrer Verkündung vor drei Jahren kaum gebracht. Überdurchschnittliche Zuwachsraten zeigte bislang lediglich die Zahl der Konkurse, 1980 mit einem Plus von 23,5 Prozent weit über Bundesschnitt, und die allzu schnelle Bereitwilligkeit des Duos Albrecht --Breuel, private Unternehmen mit Millionen aus der Staatskasse zu sponsern.

Weil die niedersächsische Landesregierung in dem strukturschwachen Bundesland mit Arbeitsplätzen zur Landtagswahl 1982 aufwarten will, dürfen dabei auch solche Unternehmer mit prompten Staatsmitteln rechnen, deren marode Firmen nur mit Zuschüssen am Leben gehalten werden können.

Für über hundert Millionen Mark bürgten Regierungschef Albrecht und Wirtschaftsministerin Breuel seit Ende der siebziger Jahre zugunsten der Norddeutschen Ferrowerke. Obwohl die Ansiedlung der deutsch-norwegischen Firma in Emden zu keiner Zeit Gewinn versprach, gewährte die Ministerrunde mit lockerer Hand einen Zuschuß nach dem anderen.

Auch seit nach dreijähriger Bauzeit das 433 Millionen teure Eisenwerk -das Land Niedersachsen steuerte 37,5 Millionen Investitionszulage bei -- am 24. April dieses Jahres erstmals einen seiner beiden Reduktionsöfen angeheizt hatte, ging es nicht ohne staatliche Alimente. Trotz der jahrelangen Vorlaufzeit ist es den Ferrowerken bislang nicht gelungen, genügend Abnehmer für ihr Produkt zu finden. Eisenschwamm, aufbereitetes Erz also, dient als Rohstoff zur Stahlproduktion, die in der EG schon des längeren darniederliegt.

Allein für die nächsten anderthalb Jahre, rechneten Experten der landeseigenen Treuhand-Gesellschaft Anfang Mai der niedersächsischen Ministerrunde vor, wird das Prestigeobjekt über hundert Millionen Mark an Verlust einfahren -- mit steigender Tendenz.

Bei den beiden Betreibern, dem deutschen Stahlproduzenten Korf und der Bergwerksgesellschaft Sydvaranger aus Oslo, ist kein Geld zu holen, um eine anstehende Pleite zu vermeiden.

Die Konzernverluste der Korf-Stahl AG belaufen sich allein schon für die beiden Jahre 1978 und 1979 auf knapp siebzig Millionen; das norwegische Unternehmen war bereits im vergangenen Jahr mit seinen Eigenmitteln am Ende. Derzeit debattiert das norwegische Parlament, ob die Firma wert ist, mit einer Kapitalaufstockung durch Ausgabe neuer Aktien vor dem Bankrott gerettet zu werden.

Auch die deutschen Kreditgeber setzen auf die Subventionsbereitschaft der Norweger. In einer internen Stellungnahme hofft die Norddeutsche Landesbank, Führerin eines Bankenkonsortiums, daß »der norwegische Staat es sich aus wirtschaftlichen und politischen S.106 Gründen nicht leisten kann, auf ein Unternehmen wie Sydvaranger zu verzichten«.

Dabei war die Pleite programmiert. Daß sich Niedersachsen mit dem millionenträchtigen Eisenwerk ein künftiges Konkursunternehmen in das ohnehin von Arbeitslosigkeit gebeutelte Ostfriesland holen würde, wußte der einstige Bahlsen-Finanzdirektor Albrecht schon seit Jahren, spätestens seit dem 20. März 1978. Es war die eigene Staatskanzlei, die dem Regierungschef nach Einschaltung einer privaten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von der Ansiedlung des Werkes abriet.

In der »Ministerpräsidentenvorlage 423/78« warnten die Beamten den Regierungschef vor der Empfehlung des Wirtschaftsministeriums, eine Landesbürgschaft von hundert Millionen für die norddeutschen Ferrowerke zu übernehmen. Die »anliegende Beschlußvorlage« sei »sehr problematisch«, negative Aspekte »nicht ausreichend dargestellt«. Punkt für Punkt analysierte die Vorlage, warum bei dem geplanten Projekt nichts anderes als eine »Zukunftsruine« herauskommen würde.

So rechneten die Manager des deutsch-norwegischen Konsortiums als Kalkulationsgrundlage für das eigene Produkt mit einem Anstieg der Stahlproduktion in der EG um 91 Millionen Tonnen auf über 220 Millionen. Eine Zahl, die sich außerhalb jeglicher halbwegs seriösen Schätzung bewegte und in der amtlichen Analyse als »unrealistisch« verworfen wurde.

Die Firmenprognose zudem ziehe weder Eisenschwamm-Lieferungen aus der Sowjet-Union ins Kalkül, noch berücksichtige sie Importe aus Entwicklungsländern. Bei Überprüfung der Firmenkalkulation entdeckten die Beamten noch weitere geschönte Annahmen -- »Fehler, deren Korrektur« allein bis 1984 schon »zu Verlusten von 102 Millionen Mark führt«.

Vernichtendes Resümee der Vorlage: »Einen derartigen Verlust werden die selbst angeschlagenen Anteilseigner kaum selbst verkraften können.«

Die Hochrechnung aus dem eigenen Haus interessierte Albrecht wenig. Auch nicht die Tatsache, daß statt der verheißenen »1000 Dauerarbeitsplätze« schon damals nur noch »zirka 250 neue Arbeitsplätze« im Gespräch waren. Seit April dieses Jahres sind es noch 191 und diese trotzdem auf Dauer wohl kaum zu halten.

Zunehmende Ebbe in der Staatskasse zwingt Albrecht, seine Subventionspraxis zu überdenken. Gemäß der Breuelschen Erkenntnis, daß es wohl doch »kein Butterbrot umsonst« gibt, will der Regierungschef mit den Ferrowerken noch vor dem Herbst neu verhandeln. Grundsätzlich diesmal, und über »die Betriebsfortführung«.

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