ENGLAND / GEHEIMDIENSTE C und M
James Bonds Chef »M« heißt in Wahrheit »C«. »C« stand ursprünglich für Sir Mansfield Cumming, der 1910 erster Chef des britischen Geheimdienstes MI 6 wurde. »C« stand später für alle Cumming-Nachfolger. »C« steht heute für Sir Dick Goldsmith White.
Wer »M« ist, erfuhren Britanniens Bürger in den vergangenen Jahren auf der Leinwand. Wer »C« ist, erfuhren sie in der vorletzten Woche aus einer amerikanischen Illustrierten. Wissen aber dürfen sie es offiziell immer noch nicht -- denn nichts ist in England so geheim wie die Namen der Geheimen.
In Amerika schrieb »Time« eine Titelgeschichte über CIA-Chef Helms, in der Sowjet-Union nennt jede Zeitung KGB-Chef Andropow beim Namen, in Großbritannien jedoch gilt der Name des MI 6-Chefs White als Staatsgeheimnis.
Passanten hielten den grauhaarigen Sechziger, dessen schwarze Limousine jeden Morgen vor dem Haus Queen Anne"s Gate 21 vorfährt, bislang für einen erfolgreichen Bankier auf dem Weg zur Aufsichtsratssitzung.
Doch Queen Anne"s Gate 21 ist Englands Geheimdienst-Hochburg -- mit Hinterausgang zum Broadway 54 und der Grauhaarige ist »C«, Englands oberster Spion.
Vor vier Jahren schon hatte die satirische Zeitschrift »Private Eye« den Sir als »C« identifiziert, doch die Briten hielten's für Satire und White nach wie vor für einen »Mitarbeiter des Foreign Office« (so die Eintragung in Englands »Who"s Who").
Englische Journalisten, die um Sir Dicks wahre Identität wissen mochten, konnten ihre Kenntnis nicht verbreiten: In den Geheimhaltungs-Empfehlungen für die Insel-Presse -- den sogenannten »D-notices« -- ist festgelegt, daß britische Zeitungen nicht über die Methoden der Geheimdienste berichten oder die Namen der Geheimdienstchefs preisgeben dürfen.
Daß Sir Dick tatsächlich »C« ist, mußte deshalb im Ausland enthüllt werden -- wie jetzt von den beiden amerikanischen Spionage-Experten David Wise und Thomas B. Ross, aus deren neuem Buch »The Espionage Establishment« die New Yorker »Saturday Evening Post« einen Vorabdruck veröffentlichte.
Die beiden Amerikaner nannten nicht nur »C« beim Namen und gaben nicht nur seine Büroanschrift preis, sie verrieten auch die Telephonnummer von MI 6: Whitehall 2730.
Mehr noch: Wise und Ross demaskierten auch den Chef von MI 5, der britischen Spionageabwehr. Er heißt Edward M. Furnival-Jones, residiert im Leconfield House in der Londoner Curzon Street und firmiert offiziell als »Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums«.
Den Briten wären solche Enthüllungen Last verborgen geblieben -- von der »Saturday Evening Post« werden wöchentlich nur 7000 Exemplare auf die Insel geliefert, die diesmal obendrein durch einen Hafenarbeiterstreik in Liverpool liegenblieben. Doch zwei Londoner Zeitungen nutzten eine Lücke im System der »D-notices«.
Der »Daily Express« und der »Guardian« berichteten über den Wise-und-Ross-Report -- aber nur zum Teil in eigenen Worten, meist mit Anführungsstrichen: Zitate ausländischer Publikationen sind auch dann erlaubt, wenn dadurch »D-notice«-Geheimnisse gelüftet werden.
Der »Daily Express« gab sich mit diesem Trick noch nicht zufrieden. In einem Leitartikel räsonnierte das Blatt »Niemand kann erwarten, daß die Bevölkerung an eine Bedrohung ihrer Sicherheit glaubt, wenn englische Zeitungen einen Bericht veröffentlichen -- ob er wahr oder unwahr ist -, den der Rest der Welt, potentielle Feinde eingeschlossen, längst kennt.«
Die »Sunday Times« nahm schließlich den Kampf gegen die D-Dekrete auf. In einer Fortsetzungsserie über den Spion Philby nannte die Zeitung Sir Dick beim Namen und erläuterte in einer Fußnote: »In den voraufgegangenen Folgen haben wir Sir Dick White als »X« bezeichnet. Nachdem jedoch die Tagespresse seinen Namen immer wieder genannt hat, gibt es keinen Grund mehr, seine Identität zu verschleiern.«
Bisher blieb das D-Delikt des Blattes ungeahndet. »C«-White beantragte lediglich eine neue Telephonnummer für den MI 6.