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Canaris: »Ich kann nicht mehr mitmachen«

Hitlers Abwehrchef Wilhelm Canaris spielte stets eine Doppelrolle; er war Wegbereiter und Regimekritiker in einem. Er konspirierte gegen Hitler, aber den Aufstand wagte er nicht, er verriet und verabscheute doch den Verrat -- und glich darin vielen Offizieren, die sich zur Militäropposition zählten. In einer zeitgeschichtlichen Studie zeichnet SPIEGEL-Redakteur Heinz Höhne ein neues Bild »einer der interessantesten Erscheinungen der Epoche«.
aus DER SPIEGEL 34/1976

An der Wand zur Nachbarzelle 21 hörte der Häftling Kratzen und undeutliches Klopfen. Der unbekannte Nachbar versuchte offenbar, sich durch Morsezeichen mit ihm in Verbindung zu setzen. Doch der Häftling konnte nicht antworten; er hatte wohl einmal das Morse-Alphabet beherrscht, aber längst wieder vergessen.

Ein paar Tage später, in einem unbewachten Augenblick, trafen sieh die beiden Häftlinge in dem Zellengang des Konzentrationslagers Flossenbürg: Admiral Wilhelm Canaris, einst Chef der Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), und Rittmeister Hans Lunding, einst Offizier des dänischen Geheimdienstes.

Die beiden früheren Gegenspieler verabredeten, künftig mit Hilfe des gefängnisüblichen Klopfsystems zu kommunizieren: Das Alphabet, ohne den Buchstaben J, wird in fünf Gruppen zu je fünf Buchstaben eingeteilt; das erste Klopfen gibt die Buchstabengruppe an, das zweite den Buchstaben innerhalb der Gruppe.

Sobald Lunding das Klirren von Canaris' Fußfesseln hörte, preßte er das Ohr an die Wand. Anfangs verstand er nur wenig. Der Deutsche klopfte zu schnell, zuweilen verhaspelte er sich. Doch von Tag zu Tag wurde die Verständigung besser, und allmählich lernte Lunding die Geschichte seines Nachbarn kennen.

Die Klopfzeichen aus der Zelle 22 klangen zuversichtlich. Die deutsche Wehrmacht sackte unter den Schlägen der alliierten Streitkräfte zusammen, Ami-Pulks flogen unbehindert ein und aus und zerbombten Industrie, Brücken, Straßen und Bahnkörper. So bestand Hoffnung auf Befreiung durch den Gegner. Vorübergehend.

Am Abend des 8. April, gegen 22 Uhr, hörte Lunding wieder Türenschlagen in der Nachbarzelle. Der Däne wartete noch ein paar Stunden, bis es ruhig geworden war. Dann klopfte er an die Wand, und Canaris klopfte zurück -- seine letzte Botschaft:« Meine Zeit ist um. War kein Landesverräter. Habe als Deutscher meine Pflicht getan. Sollten Sie überleben, grüßen Sie meine Frau.«

Wilhelm Canaris, klein, schlank, schrullig, Menschenkenner und Fatalist, den klassische Schuld- und Schicksalsvorstellungen quälten, evangelischer Christ mit buddhistischen Beimengungen, Spion aus Passion, Nationalist aus Mission, Patriot und Verräter, fiel durch das Regime, das er selber mit aufgerichtet hatte.

Er war, wie Hitlers einstiger Staatssekretär im Auswärtigen Amt Ernst von Weizsäcker schrieb, »eine der interessantesten Erscheinungen der Epoche, wie Diktaturen sie zutage bringen und zur Vollkommenheit entwickeln«.

Eine deutsche Vita allemal. Im protzigen Wilhelminismus fühlte der Seeoffizier Canaris sich heimisch, der starke Staat war ihm Bedürfnis, Revolution und Republik waren ihm verächtlich.

Erst hielt es der aus dem Weltkrieg heimgekehrte U-Boot-Kommandant mit dem Sozialdemokraten Gustav Noske, damals »Volksbeauftragter«, weil der in Kiel die Matrosen-Revolte abwiegelte und, so schien es canaris, immerhin noch ein Stückchen Staat verkörperte; Canaris kam in Noskes Adjutantur. Er stellte Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht nach und begünstigte die Mörder; dann revoltierte er im Gefolge von Generallandschaftsdirektor Kapp und General von Lüttwitz gegen die Republik; Canaris blieb in der Adjutantur des Reichswehrministers.

Als der ungeliebte Staat von Weimar zerbrach, ging es, so sahen es die Republik-Verächter, wieder aufwärts. Kapitän Canaris, schon als Festungskommandant nach Swinemünde (Ostsee) abgeschoben, wurde, 1935, Chef der Abwehr im Reichswehrministerium. Fortan half er Hitlers Coups und Hitlers Kriege vorzubereiten und abzusichern.

Sobald jedoch sichtbar wurde, daß solche Machtentfaltung nicht nur die neugewonnene Macht, sondern darüber hinaus auch den Machtstaat insgesamt gefährdete, mühte er sich, die Aktionen, die er selbst mit durchzuführen half, zugleich auch zu sabotieren -- aber stets nur, bis der Coup gelungen oder der erste Schuß gefallen war. Dann stimmte er in den vaterländischen Jubel ein, wenngleich ihm beim Anblick zerschossener Straßenzüge und erschossener Menschen übel wurde.

Zwischendurch war viel von Widerstand die Rede, und darüber wurde, verhängnisvollerweise, auch Tagebuch geführt. Doch dabei blieb es. Canaris neigte »mehr zur konspirativen Resistenz«, urteilt ein Canaris-Zeitgenosse, »als zur revolutionären Aktion«.

Derart Widersprüchliches in Person, Aufstieg und Fall des Wilhelm Canaris bildet den Gegenstand einer neuen Canaris-Biographie, die SPIEGEL-Redakteur Heinz Höhne, 49, Autor zeitgeschichtlicher Bücher ("Der Orden unter dem Totenkopf«, »Kennwort: Direktor"), verfaßt hat. Auszüge daraus veröffentlicht der SPIEGEL in einer Serie, beginnend in diesem Heft (Seite 98)*.

Von dem Canaris, den das westdeutsche Kino- und Fernsehvolk kennen und weithin achten gelernt hat, bleibt da nicht viel. Aber auch, was Biographen wie Karl Heinz Abshagen, wohlwollend, und Historiker des Widerstandes, um das »andere Deutschland« besorgt, über Canaris schrieben, erweist sich vielfach als retuschiert, hier und da auch zur Heldenlegende geklittert.

Sobald nämlich, wie bei Höhne, historische Akribie höher rangiert als geneigtes Nachempfinden und verständliche Verherrlichung, treten bei Canaris, wie bei anderen Verschwörern, politische Nähe zu Hitler, Affinität zum Nationalsozialismus krasser hervor, kritiklose Begeisterung für großdeutsche Machtpolitik insbesondere. Im gleichen Maße verblassen nachgesagte Fähigkeit und Entschlossenheit zum Umsturz.

Es ist diese Ambivalenz, die Höhne in seinem 600-Seiten-Buch nachgezeichnet, mit erschöpfender Detailfülle belegt, aber auch mit den notwendigen Querverbindungen zUr Zeitgeschichte versehen hat.

Canaris« Geschichte ist die Geschichte dieser Ambivalenz und, zugleich, ein frappierendes Beispiel historischer Kontinuität, von Canaris auf den Nenner gebracht: »Wie der Offizier vor dem Weltkrieg selbstverständlich Mon-

* Heinz Höhne: »Canaris«. C. Bertelsmann Verlag, München; 624 Seiten; 36 Mark.

archist war, wie er nach dem Weltkrieg sich selbstverständlich darum bemühte, das Erbe des Fronterlebnisses zu bewahren, so selbstverständlich ist es heute ... Nationalsozialist zu sein. Und wir sind als Soldaten glücklich, uns zu einer politischen Weltanschauung bekennen zu dürfen, die zutiefst soldatisch ist.«

Canaris war gerade zehn Wochen im Amt, da machte sich Hitler an die Verwirklichung des Soldatischen. Unter Bruch des Friedensvertrages von Versailles verkündete er, am 16. März 1935, die allgemeine Wehrpflicht -- tollkühn, so schien es den führenden Militärs, die dasselbe seit dem Vertrag von Versailles gewollt, aber aus Furcht vor militärischen Sanktionen nicht gewagt hatten.

Canaris wurde angewiesen, alle militärischen Vorkehrungen der düpierten Franzosen, Engländer und Italiener auskundschaften zu lassen. Begeistert -- die »Volksgemeinschaft« wurde wieder »eine Wehrgemeinschaft« -- alarmierte er seine Leute, »ihre beste Kraft einzusetzen« den hohen Anforderungen dieser Tage zum Besten des Vaterlandes zu genügen«.

Nach dem Coup wurde Canaris am 1. Mai 1935 Konteradmiral sein Streben von Kindheit an. »Äußerlich war die Figur fertig«, so Höhne, »die später zur unsterblichen Legende werden sollte: der »Admiral Canaris.«

Tatkräftig machte sich der Konteradmiral daran, den Ausbau der Streitkräfte und den Aufbau der Kriegsmaschine gegen den Einblick fremder Geheimdienste und das Eindringen feindlicher Agenten abzuschotten -- »von der Waffenfabrik bis zum letzten Tanzsaal« (Höhne). Befehle und Richtlinien der Abwehrzentrale ("Vorsicht, Feind hört mit") versetzten Wehrmacht, Rüstungsbetriebe und Behörden in permanenten Alarmzustand.

»Das Privatleben von Geheimnisträgern bedarf einer steten Überwachung«, verordnete die Abwehr. Akten und Handtaschen militärischer Geheimnisträger sollten beim Verlassen eines Gebäudes geprüft, private Ferngespräche möglichst untersagt werden. »Gegenseitiger Besuch von Angestellten und ganz besonders solcher von außerhalb während der Dienststunden muß auf das geringste Maß und die geringste Zeit eingeschränkt sein, da er zu Verratszwecken erfolgen kann.«

Und in alle Welt schickte der Abwehrchef seine Agenten und Saboteure. Sie spionierten, wenngleich oft mit wenig Fortune, bei den französischen Erbfeinden wie bei den Canaris-Freunden ii; Spanien. Spione näherten sich im Segelboot der südafrikanischen Küste, Saboteure in Räuberzivil überfielen in Polen kurz vor Kriegsbeginn den Jablonka-Paß, Angehörige der gefürchteten Division Brandenburg sprangen in russischen Uniformen hinter den Sowjetlinien ab.

Wenn es im Reich kriselte, war der Abwehrchef in der Reichskanzlei zu finden. Allein 17 Hitler-Canaris-Besprechungen verzeichneten die Wachbücher für die Zeit zwischen Dezember 1935 und März 1936. Andererseits beeinflußten Meldungen der Abwehr zunehmend Hitlers Vabanquespiel am Rande des Krieges -- und sei es eine Falschmeldung, wie jene, die Canaris noch am späten Abend des 10. Februar 1936 Hitler vorzulegen wünschte.

Dieses Geheimdokument enthüllte angeblich den Text des Zusatzprotokolls zu dem französisch-sowjetischen Beistandspakt; Hauptpunkt: Im Falle eines Krieges gegen Deutschland sollten Franzosen und Russen gleichzeitig in das Reich eindringen. Hitler war so beeindruckt, daß er noch in der Nacht den Reichskriegsminister Werner von Blomberg anwies, die Vorbereitungen für den Einmarsch deutscher Truppen in die entmilitarisierten Rheinlande zu beschleunigen.

Am 7. März überquerten 19 Bataillone und 13 Batterien der Wehrmacht in Stärke von 30 000 Mann die Rheinbrücken. »Winterübung« lief an.

Genau zwei Jahre später, als Österreich an der Reihe war, tat sich der Abwehrchef mit selbstfabrizierten Tatarenmeldungen hervor -- »die auf militärische Vorbereitungen gegen Österreich schließen lassen« (Canaris) -, um die Österreicher einzuschüchtern: »Im Bereich des VII. Armeekommandos soll Urlaubssperre verhängt sein«; »In München, Augsburg und Regensburg wird Eisenbahnleermaterial zusammengezogen«.

Die Wehrmacht setzte sich, am 13. März 1938, wieder in Bewegung, zum erstenmal über die Reichsgrenze hinaus. Gespannt verfolgten Canaris und seine Mitarbeiter die aus dem Ausland einlaufenden Nachrichten, Fazit: »Meldungen der V-Männer aus Frankreich berichten im allgemeinen, daß Ruhe herrscht und normaler Dienstbetrieb bei der Truppe.« Die Nacht verbrachte der Abwehrchef auf dem Feldbett in seinem Arbeitszimmer.

Am nächsten Vormittag resümierte ein Abwehrbericht: »Vormarsch wird planmäßig fortgesetzt, die Luftwaffe veranstaltet Propagandaflüge über Österreich. Teile der eingesetzten Panzertruppe und der 27. Infanteriedivision werden heute mittag in Wien einmarschieren. Es wird angenommen, daß der Führer an dem Einmarsch teilnehmen wird.« Der Abwehrchef bestieg rasch ein Flugzeug, um noch rechtzeitig den Ort des historischen Spektakels zu erreichen.

Dann jedoch, noch im Mai desselben Jahres, als Hitler seinen »unabänderlichen Entschluß« verkündete, »die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Aktion zu zerschlagen«, sah sich Canaris ("Für Hitler! Gegen den Krieg!") »einer Schizophrenie ausgeliefert«, schreibt Höhne, »von der er sich nie wieder befreien konnte: Gleichzeitig Wegbegleiter und Möchtegern-Verhinderer von Hitlers Eroberungsplänen zu sein

Der Widerständler Canaris drängte den zögernden Generalstabschef, Generaloberst Ludwig Beck, zur Tat (Beck: »Aber ich habe Hitler doch eine Denkschrift geschrieben"), suchte den entschlossenen Oberquartiermeister Franz Haider zu gewinnen, schickte einen Unterhändler nach England, reiste selber nach Ungarn und Italien, um in London, Budapest und Rom Festigkeit gegen Hitler zu organisieren.

Der Abwehrchef Canaris jedoch führte prompt die Befehle aus, die Hitler ihm stellte -- psychologische Kriegführung gegen die Tschechoslowakei vor dem Angriff, aktive Beihilfe -- Handstreiche und Sabotage -- während des Angriffs, der am 1. Oktober 1938 beginnen sollte.

»Ich kann nicht mehr mitmachen«, stöhnte Canaris, »wir lassen uns nicht gebrauchen als Verbreiter von Greuelmärchen.« Als er dann nicht mehr mitmachen sollte -- Hitler hatte den Sudetendeutschen Freikorps unter Führung des Turnlehrers Konrad Henlein die

* Reichstührer-SS Heinrich Himmler (3. v. l.); Reichsminister Joseph Goebbels.

Sabotage- und Aufstandsarbeiten übertragen -, da pochte Canaris auf seine Kompetenz.

Als der Brite Chamberlain, der Franzose Daladier und der Italiener Mussolini die Tschechen fallenließen und Hitler das Sudetenland auslieferten, Krieg also nicht stattfand, reihte sich Canaris »in die Einheitsfront der Erleichterten und Jubilierenden ein« (Höhne>.

Zusammen mit den Abwehroffizieren Hans Oster und Helmuth Groscurth, beide führende Köpfe der Militäropposition, preschte Canaris im Wagen der Kolonne Hitlers nach, der in Befreierpose durch das Sudetenland fuhr. Als die drei Abwehrmänner in Hörsin, einem Dorf bei Eger, erfuhren, daß Hitler dort erwartet würde, machten sie am Dorfausgang die Straße frei.

Dann kam Hitler. »Da ist ja Canaris«, rief er und ließ halten. Der Admiral machte Meldung, Hitler sprach mit ihm und fuhr dann weiter. Der Widerständler Groscurth ärgerte sich: »Wie üblich, hielt der Admiral es nicht für nötig, uns vorzustellen.«

Canaris blieb im Zwielicht, bis ans Ende. Wankelmut und rigorose Entschlossenheit, Euphorie und Resignation folgten aufeinander. Es gelang ihm nicht, sich aus dem Teufelskreis zu befreien, den Tradition und Mentalität um ihn gezogen hatten.

Als nach vielem Hin und Her am 31. August 1939 der Angriff auf Polen unumstößliche Gewißheit geworden war, brach Canaris in Tränen aus und sagte:« Das ist das Ende Deutschlands.« Am nächsten Tag hielt er seinen Offizieren eine markige Durchhalterede. und das ihm bis dahin ungewohnte »Heil Hitler« kam ihm nun leichter über die Lippen.

In der Etappe hielt es ihn nicht mehr; beinahe täglich eilte er zum Kriegsschauplatz. Die Greuel gegen das polnische Volk empörten ihn, doch nur ein einziges Mal wurde er deswegen im Oberkommando der Wehrmacht vorstellig -- so gewunden, daß OKW-Chef Wilhelm Keitel hernach fragte: »Was wollte der Mann eigentlich?«

Dann wieder -- als der Angriff im Westen bevorstand -- spielte der Admiral, wie Haider später berichtete, »einseitig und eindeutig den Aufpeitscher«. Es sei »keine Stunde mehr zu verlieren, Hitler müsse weg« -- aber den Tyrannenmord verschmähte er nach wie vor, und vom soldatischen Gehorsam vermochte er sich auch jetzt nicht abzuwenden.

Canaris entrüstete sich über »die schlappen Generale«, aber eine führende Rolle wollte auch er nicht übernehmen: »Undenkbar, daß ein Mann aus der Marine die entscheidende Stellung im militärischen Widerstand irgendwie haben könnte«; in Deutschland könnte das nur ein General.

Gleichwohl verstrickte sich Canaris mehr und mehr in ebenso untaugliche wie gefährliche Versuche, über Vertrauensleute im Ausland Flankenschutz für den Umsturz im Reich zu finden. Er deckte die wachsende Widerstandsgruppe in der Abwehrzentrale. Ja, der Abwehrchef Canaris« der Führer, Reich und Armee vor Spionage, Sabotage und Verrat zu schützen hatte, rettete seinen Freund Oster aus tödlicher Gefahr, als ruchbar wurde, daß der Oberstleutnant die Termine für die An-

* Links: O. E. Hasse als Canaris, Vorn links sitzend: Martin Held als Heydrich.

griffe gegen Holland, Belgien und Frankreich verraten hatte.

Als Hitler in den Abhörberichten des Forschungsamtes Belege für den Verrat der Angriffsbefehle fand, befahl er Canaris und dessen Gegenspieler, SS-Obergruppenführer Heydrich vom Reichssicherheitshauptamt« den Verräter augenblicklich zu stellen -- was schnell gelang. Der Admiral konnte das Schlimmste gerade noch verhindern. Er erklärte hartnäckig, die Untersuchung seines Amtes hätte den Verdacht gegen Oster nicht bestätigt, und auch die Gestapo konnte er, damals noch in der Gunst von Reichsführer SS Heinrich Himmler, bewegen, den Fall fallenzulassen -- sein letzter Dienst für den Widerstand.

Am 24. August 1943, nachts, fragte Hitler seinen Intimus Martin Bormann nach Canaris: »Ich habe lange nichts mehr von ihm gehört.« Als Canaris davon erfuhr, strahlte er seinen Adjutanten Manfred Jenke an: »Sehen Sie, er will doch noch etwas von mir.« Dann wurde er nachdenklich: »Ach, was hat das noch für einen Zweck.«

Canaris« Ruf als Meisterspion war längst dahin, und der Druck von Gestapo, SD« Auswärtigem Amt und den Streitkräften auf die Abwehr nahm, der vielen Pannen und des Machtanspruchs der SS wegen, ständig zu. Die Abwehr, die bald mehr Referenten als Agenten beschäftigte, hatte weder Wind von dem Sowjet-Aufmarsch vor Stalingrad noch von der US-Landung in Italien bekommen; ja, ihr blieb sogar verborgen, daß der britische Secret Service die in England tätigen Abwehrspione enttarnt und umgedreht hatte und nun die Meldungen für Berlin selber verfaßte.

Am 11. Februar 1944 war es soweit: Die Abwehr wurde dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler zugeschlagen, Canaris gestürzt.

Canaris zog sich zurück und wurde gemieden, vorübergehend -- die Verratsaffäre aus dem Jahre 1940 war neu aufgerollt worden -- sogar auf Burg Lauenstein im Frankenwald unter Hausarrest gestellt. Als am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Bombe im Führerhauptquartier hochging, plauderte der Admiral in seinem Berliner Haus gerade mit seinem Nachbarn, dem berühmten Pianisten Helmut Maurer, und Baron von Kaulbars; Wenige Stunden nach dem Attentat, von dem Canaris völlig überrascht worden war, sandte er Hitler ein Ergebenheitstelegramm.

Drei Tage später wurde Canaris verhaftet. Als SS-Brigadeführer Walter Schellenberg vor ihm stand, sagte er: »Irgendwie habe ich gefühlt, daß Sie es sein würden.«

Canaris ging in sein Schlafzimmer, zog sich um und kehrte zu Schellenberg zurück. Einen Augenblick schaute Canaris ihn an, weinte und legte seinen Arm um ihn. Dann sagte er ruhig: »Nun denn, lassen Sie uns gehen.« Es ging, zuerst, zur Grenzpolizeischule nach Fürstenberg an der Havel, später in das Gestapogefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, schließlich in das Konzentrationslager Flossenbürg.

Im Morgengrauen des 9. April 1945, gegen sechs Uhr, bemerkte Canaris« Zellennachbar Lunding neue Unruhe in der Zelle des Admirals. Die Tür wurde aufgerissen: »Mitkommen.« Kurz darauf das Geräusch nackter Füße auf dem steinernen Boden des Ganges. Wieder ein Befehl: »Alles ausziehen.« Der Däne kauerte an einem Türspalt seiner Zelle. Er sah einen weißen Oberkörper und einen grauen Kopf vorüberhuschen: Canaris. Ihm folgten vier andere Todeskandidaten.

»Die Delinquenten wurden«, berichtete KZ-Arzt Hermann Fischer, »einzeln über den Hof zum Galgen getrieben. Sie mußten eine kleine Treppe besteigen. Dann wurde die Schlinge um den Hals gelegt und die Treppe weggezogen.«

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