Carters Mannschaft - »gute Manager«
Der neue Präsident. in Wolljacke und Jeans, saß in der angemieteten Datscha reicher Freunde auf der Urlaubsinsel St. Simons vor der Küste Georgias auf einem großkarierten Sofa und diskutierte über Amerikas Wirtschaft. Um Carter herum seine Minister und Berater in ähnlicher Freizeitkluft.
Denn für Amerikas kommende Regierung gibt es so viel zu tun, daß Carter sein künftiges Kabinett schon über drei Wochen vor der Vereidigung zur ersten Sitzung einberief.
Offiziell hatte er -- um nicht den Eindruck einer vorzeitigen Machtübernahme zu erwecken -- zwar vor allem nach St. Simons gebeten, damit sich die Damen und Herren, die in Zukunft mit ihm und miteinander arbeiten sollen. überhaupt erst einmal kennenlernten.
Doch die Mitglieder von Carters künftiger Regierungsmannschaft waren einander keineswegs fremd, sondern zum Teil schon vor 15 Jahren zusammengekommen oder kannten sich aus jahrelangem Nebeneinander in Washington.
Mochte der Meister auch im Wahlkampf verkündet haben, es wäre ihm am liebsten, er könnte »eine neue Generation« politischer Führer erschließen -- die Regierungsmannschaft des Außenseiters Carter stützt sich vorwiegend auf Insider des Washingtoner Establishments, gegen das er seinen Feldzug geführt hatte. Insgesamt 88 Jahre haben seine 17 Top-Leute in früheren Regierungsämtern verbracht.
Carters Kabinett und sein Stab von Sonderbeauftragten (zum Teil mit Kabinettsrang) setzt sich zusammen aus
* Mitgliedern früherer Administrationen wie Cyrus Vance (künftig Außenminister), Michael Blumenthal (Finanzen), Harold Brown (Verteidigung), Joseph Califano (Gesundheit, Bildung und Wohlfahrt), Patricia Harns (Wohnungsbau und Stadtplanung), Zbigniew Brzezinski (Nationale Sicherheit), Charles Schultze (Wirtschaftsbeirat), James Sehlesinger (Energiefragen), Theodore Sorensen (CIA);
* gestandenen Kongreßabgeordneten wie Rebert Bergland (Landwirtschaft). Brock Adams (Verkehr), Andrew Young (Uno-Botschafter) und sogar
* persönlichen Freunden wie Griffin Dell (Justiz), Bert Lance (Biiro für Management und Budget). Nur drei Mitglieder der Carterschen Kerntruppe sind weder Washington-Insider noch Spezis:
* Juanita Kreps (Handel), Ray Marshall (Arbeit) und Cereil Andrus (Inneres).
Als diese Mannschaft nach einem »sehr langsamen und detaillierten, gründlichen und wohldurchdachten Prozeß« (Carter) endlich am Tag vor Heiligabend komplett war, reagierte Amerika ebenso verwirrt, wie es ein Jahr lang auf den Kandidaten Jimmy Carter reagiert hatte.
Das neue Kabinett zeigt, daß Jimmy Carter durchaus nicht so aus einem Guß ist, wie sein Moralismus vermuten ließ. Die Welt durfte gut tun, sich auf eine gewisse Ambivalenz einzustellen: Amerikanische Positionen werden auch unter dem Baptisten Carter nicht für die Ewigkeit bezogen, sondern bei Bedarf durchaus wieder abgeändert.
Ein »Gefühl der ... Enttäuschung, die an Verzweiflung grenzt«. überkam bei der Kabinettsliste den liberalen Ko-
* Schlesinger (Energie), Sorensen (CIA), Califano (Gesundheit).
lumnisten Anthony Lewis, vor der Wahl einer der lautesten Gefolgsleute Carters. Die Regierung sei »zu konformistisch, zu alt ... im wesentlichen ein Kabinett mit Männern von gestern«.
Besonders schlimm: »Wer hätte geglaubt, daß ein neuer demokratischer Präsident sich für die Fragen der nationalen Sicherheit ein Team aussuchen würde, dem kein einziger Kritiker des Vietnamkriegs angehört?«
Kollege William Greider stimmte zu: »Mindestens sechs aus der Carter-Mannschaft waren dabei, als die großen Lügen der 60er Jahre erzählt wurden -- und niemand von ihnen ist aufgestanden.«
»Die Einsichten der Menschen ändern sich«, hielt die »New York Times« dagegen, »und es wäre töricht, diese hervorragenden (Männer) aufgrund von Ansichten auszuschließen. die sie vor einem Jahrzehnt vertreten haben.«
Alles in allem, befand das Blatt, habe Carter »ein starkes Kabinett« auf die Beine gebracht. Und der »Christian Science Monitor« urteilte: »Carter verdient gute Zensuren.«
Das empfand offenbar auch der künftige Präsident selbst. Denn er hatte zwar nicht die versprochenen neuen Gesichter ausgewählt, wohl aber ein anderes Wahlkampf-Versprechen wahrgemacht -- daß er »niemandem verpflichtet« sei.
So überwand er das beinahe ultimative Verlangen des immer noch mächtigen Gewerkschaftsgreises George Meany, dessen Protegé John Dunlop zum Arbeitsminister zu machen. Meany-Stellvertreter Kirkland auf die telephonische Anfrage, wer denn Meanys zweite Wahl sei: »John Dunlop« -- und die dritte Wahl? »John Dunlop«
Ebensowenig aber gab Carter dem Druck von Farbigen und Frauenverbänden nach, anstelle von Dunlop einen ihrer Favoriten zu ernennen. Er entschied sich für den -- einschlägig vorgebildeten -- Wissenschaftler Ray Marshall aus Texas.
Meany, der konservative Senator Henry Jackson, Carter-Idol Admiral Rickover sowie das frisch gegründete, stramm rechte »Komitee für die gegenwärtige Gefahr« scheiterten auch bei dem Vorhaben, Carter den Ex-Verteidigungsminister James Schlesinger als neuen Pentagon-Chef aufzuzwingen.
Carter entschied sich statt dessen für den Wissenschaftler Harold Brown, der einst unter Johnson Luftwaffenminister war und durchaus als einer der Väter des Bombenkrieges gegen Vietnam gelten kann. Inzwischen aber tritt er für energische Rüstungskontrolle und den Fortgang der Salt-Verhandlungen mit den Sowjets ein.
Wenn Carter all denen nachgegeben hätte, die entscheidend zu seiner Wahl beigetragen hatten und nun ihren Preis forderten, es wären, schrieb James Reston in der »New York Times«, gewiß »keine fröhlichen Weihnachten« geworden.
So aber war am Ende ein Team entstanden, das frei ist von Extremisten der einen wie der anderen Couleur« weniger konservativ als die einen, weniger populistisch als die anderen fürchteten, eine weitgehend unpolitische Mannschaft, in der Intelligenz dominiert und nicht Ideologie: Weniger als die Hälfte der 17 Team-Mitglieder erwähnen in ihren offiziellen Biographien, daß sie Demokraten sind.
Nach den Worten Carters ist es in erster Linie ein Team von »Machern«, nicht nur »Denkern«, von Männern und Frauen, die er bei der Vorstellung mit Prädikaten wie »guter« oder »hervorragender Manager« bedachte.
Und das entsprach genau dem, was er im Wahlkampf immer wieder angekündigt hatte: Seine Regierung werde sich durch »straffes, kompetentes Management« auszeichnen.
Jeder Manager soll seinen Arbeitsbereich so souverän wie möglich verwalten, aber die politischen Entscheidungen verbleiben dem Präsidenten, der im Oval Office des Weißen Hauses, unterstützt von einem jungen, aggressiven Stab, die Fäden zieht. Kaum eines der Kabinettsmitglieder, Schlesinger vielleicht ausgenommen. dürfte die Statur oder den Ehrgeiz haben, den Boß in den Schatten zu stellen.
Carters persönlicher Stab war noch nicht benannt, da wurden schon die ersten Warnungen laut, der neue Präsident könnte dem Beispiel Nixons folgen und im Weißen Haus eine Parallelregierung einrichten -- unter Ausschaltung der Ministerien, mit seinen eigenen Haldeman und Ehrlichman.
Einer allzu großen Selbständigkeit seines Stabes baute Carter indessen vor, indem er -- originellste seiner Ernennungen -- seinen Vize Mondale zum Stabschef des Weißen Hauses machte: Neuheit im System der USA.
Denn der amerikanische Vizepräsident ist, außer daß er durch Tod oder Amtsunfähigkeit des Präsidenten an dessen Stelle tritt, laut Verfassung lediglich Vorsitzender des Senats und damit notorisch unterbeschäftigt. Deshalb waren die Vizes vieler Präsidenten oft unbedeutende, manchmal zwielichtige Figuren -- oder sie konnten ihre Fähigkeiten nicht beweisen.
Walter Frederick ("Fritz") Mondale hingegen, ein anerkannter Liberaler, gilt als Carters bester Mann, er ist laut Carter selbst »auf das höchste qualifiziert, das Land zu führen«.
Das noch nicht vereidigte Kabinett des noch nicht vereidigten Präsidenten wurde von Carter auf der Klausurtagung von St. Simons bereits so beschäftigt wie im Ernstfall.
Wichtigster Punkt der Tagesordnung: Maßnahmen zur Ankurbelung der US-Wirtschaft. Darunter als Einzelpunkt: Bundeshilfe für die unverändert am Rande des Bankrotts vegetierende Metropole New York.
Und wie ein richtiger Präsident ließ Jimmy Carter auch gleich die wichtigsten Sachverständigen hinzuziehen: New-York-Gouverneur Hugh Carrey und New-York-Bürgermeister Abraham Beame flogen zur Audienz ins »Weiße Haus« nach St. Simons.