DÄNEMARK Chaos oder Chaos
Der bulgarische General, Manöverbeobachter bei einer Nato-Übung in Schleswig-Holstein, hatte solches noch nie gesehen: Da fuhr eine mobile 155-Millimeter-Haubitze vor, bemannt mit vier jungen Däninnen in Kampfanzügen.
Der Gast aus dem Ostblock stampfte mit dem Fuß auf und polterte - wie die dänische Militärzeitschrift »Officersbladet« berichtete -, das seien doch keine echten Soldaten, man wolle ihn wohl mit »Propaganda« abspeisen.
Zweifel am Kampfwert des Staates Dänemark hegen auch die Nato-Partner. Eine Analyse, die amerikanische Sicherheitsexperten Anfang des Jahres dem US-Präsidenten Ronald Reagan vorlegten, beanstandet indes nicht die in Dänemarks
Armee weit gediehene Gleichberechtigung der Frauen, sondern sieht in »politischen Problemen« den Grund für eine »Schwächung der Nordflanke« des Bündnisses.
Obwohl Dänemark in dem Bericht nicht namentlich erwähnt wird, ist offenkundig, worauf die Strategie-Fachleute - unter ihnen der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger - anspielen: Seit fast sechs Jahren regiert in Kopenhagen der Konservative Poul Schlüter ohne Parlamentsmehrheit. 23mal wurde sein bürgerliches Vier-Parteien-Kabinett in verteidigungspolitischen Fragen bereits überstimmt.
Die Folge: Dänemark verhinderte Nato-Beschlüsse, die einstimmig gefaßt werden müssen, durch »Fußnoten«, in denen das skandinavische Land Vorbehalte geltend machte.
Die letzte sicherheitspolitische Niederlage für die Kopenhagener Regierung am vorletzten Donnerstag war besonders peinlich: Die von den Sozialdemokraten angeführte »alternative Mehrheit« setzte im Parlament, dem Folketing, gegen die Regierung einen Beschluß durch, wonach künftig jedem Nato-Kriegsschiff beim Einlaufen in dänische Hoheitsgewässer schriftlich mitgeteilt werden muß, daß Atomwaffen auf dänischem Hoheitsgebiet nicht geduldet werden.
Bei der Nato löste diese Entscheidung Alarm aus. Generalsekretär Lord Carrington sprach von einem »ernsten Rückschlag« für die Allianz, und Großbritannien stellte erbost die britische Unterstützung für Dänemark im Krisenfall in Frage.
Auch Washington, das sich prinzipiell weigert, Auskünfte über die Atombewaffnung seiner Schiffe zu erteilen, gab eine deutliche Warnung: Außenminister George Shultz erklärte, der Dänen-Beschluß »unterminiere« die atomare Abschreckung, und drohte mit »außerordentlich ernsten Konsequenzen für die Verteidigungs-Zusammenarbeit zwischen den USA und Dänemark«.
Die starken Worte kommen nicht von ungefähr: Das kleine skandinavische Land besitzt für die Nato große strategische Bedeutung - es kontrolliert die Verbindung zwischen Nord- und Ostsee; und es verfügt über die Oberhoheit auf Grönland, der größten Insel der Welt, auf der die USA ihr wichtiges Raketen-Frühwarnsystem unterhalten.
Zudem befürchtet die Nato, daß der Präzedenzfall Neuseeland in der Allianz Schule machen könnte: Vor knapp zwei Jahren hatte sich der Pazifikstaat grundsätzlich den Besuch atombewaffneter Schiffe verbeten. Die USA reagierten damals hart - sie kündigten den Neuseeländern sämtliche Sicherheitsgarantien auf.
Für den dänischen Ministerpräsidenten Schlüter kamen die empfindlichen Reaktionen der Verbündeten wie gerufen. Nur acht Monate nach einer Wahlniederlage, die seine Regierung praktisch manövrierunfähig machte, kündigte er vorigen Dienstag Neuwahlen für den 10. Mai an.
Zum Hauptthema des in Dänemark traditionell kurzen Wahlkampfs soll die Nato-Mitgliedschaft des Landes werden, die jetzt laut Schlüter »auf dem Spiel steht«. Der Premier hofft, daß sich die etwa 60prozentige Zustimmung der Dänen zum Verteidigungsbündnis im Wahlergebnis für das rechte Regierungslager widerspiegeln werde.
Ob das Kalkül das Taktikers aufgehen wird, ist aber fraglich: Die Sozialdemokraten, welche die Bündniszugehörigkeit im Prinzip gar nicht in Frage stellen, machen bereits mobil gegen die »Einmischung der Alliierten in unsere inneren Angelegenheiten«. Ihr Wahlslogan lautet: »Dänemark bestimmt selbst.«
Zudem zeichnet sich in dem nordischen Land immer deutlicher eine wirtschaftliche Krise ab, auf die Schlüters stets optimistisch auftretende »Kleeblatt«-Koalition von vier Rechtsparteien bislang nur mit dem Abbau des einst vorbildlichen Sozialstaats zu reagieren wußte.
Die 5,1 Millionen Dänen müssen mit einer enormen Auslandsverschuldung (14 000 Mark pro Kopf) leben. Die Inflationsrate liegt mit über vier Prozent deutlich höher als in den meisten Ländern, mit denen Dänemark Handel treibt. Wirtschaftsforscher sagen für die nächsten Monate einen starken Anstieg der Arbeitslosenzahl (1987: über acht Prozent) voraus.
Dennoch ist auch eine Machtübernahme durch die Sozialdemokraten nicht ausgemacht. Der neue Parteichef Svend Auken hatte in den sieben Monaten als Nachfolger von Anker Jorgensen wenig Fortüne bei seinem Bemühen, die zerstrittenen Parteiflügel zu einen.
Eine »Bereinigung« des politischen Klimas, die Schlüter sich von den Neuwahlen erhofft, ist für den 10. Mai kaum in Sicht - der notorische dänische Parteienwirrwarr steht dagegen. Meinungsumfragen sagen nur unwesentliche Gewichtsverschiebungen zwischen den derzeit neun im Parlament vertretenen Parteien voraus.
Die Kopenhagener Zeitung »Politiken« sieht denn auch für die Wähler am 10. Mai nur eine Alternative: »Chaos oder Chaos«.