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RUNDFUNK Chaos-Tage beim MDR

Krise bei einem Groß-Sender der ARD: Nach dem Rausschmiss von Verwaltungsdirektor Rolf Markner kämpft Senderchef Udo Reiter ums Überleben. Die Vorwürfe gegen ihn: mangelndes Controlling, Quersubventionierung und ein undurchschaubares Firmengeflecht.
Von Hans-Jürgen Jakobs und Andreas Wassermann
aus DER SPIEGEL 44/2000

Es steht Aussage gegen Aussage. MDR-Intendant Udo Reiter, 56, beschuldigte per Pressekonferenz seinen Verwaltungsdirektor Anfang vergangener Woche schwerster Verfehlungen bei der Anlage von Geldern. Und: »Er hat weder mich noch den Verwaltungsrat über die hohen Risiken informiert.« Deshalb wurde der Mann »ab sofort« suspendiert.

Der gefeuerte Manager Rolf Markner, 64, schlug zwei Tage später zurück. Das sei »Ehrabschneidung«, konterte er in der »Süddeutschen Zeitung«, Reiters angebliche Unkenntnis sei »frei erfunden«. Alle Risiken und Verluste bei Finanzanlagen seien im üblichen Jahresbericht offen gelegt.

Mündlich habe er den MDR-Chef bereits im Herbst 1999 auf eine gefloppte Ecuador-Anleihe hingewiesen, bei der die Rundfunkanstalt 2,6 Millionen Mark verlor, erzählte Markner. Einen Sonderbericht zur Finanzsituation ("Management Letter") habe er dem Verwaltungsrat bei einer Sitzung Anfang Juli geben wollen, doch der Intendant habe abgewinkt: »Nein, das ist ja alles gut gelaufen, legen Sie das wieder in den Panzerschrank.«

MDR gegen MDR: Ein solches Spektakel hatte der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch nie geboten. Das beste Programm des ostdeutschen Großsenders lief tagelang auf dem eigenen »Schlachthof«, dem Sitz des Sendezentrums im Süden von Leipzig.

Einer sagte die Unwahrheit bei dem »Showdown an der Pleiße« ("Die Welt") - aber wer? War es Reiter, der konservative Ex-Hörfunkchef des Bayerischen Rundfunks? Oder doch der im Dienst stets penible Markner, der privat erfolgreich mit exotischen Papieren wie Moskauer Stadtanleihen spekulierte?

»Wir haben beide geglaubt, Recht zu haben«, sagt Senderchef Reiter dem SPIEGEL in seinem Büro, der ehemaligen Kantine des früheren Leipziger Schlachthofs. Der Verwaltungschef, so die neueste Version, habe ihn zwar über alles informiert - doch für Reiter sei die Information nicht zu erkennen gewesen.

Doch mit dieser Erklärung ist die Debatte über das Finanzgebaren der öffentlich-rechtlichen Groß-Anstalt keineswegs beendet. Rundfunkräte und Politiker sind noch immer irritiert, selbst TV-Hierarchen sind ins Grübeln geraten. »Das gegenwärtige Millionenspiel verstehen unsere Zuschauer nicht mehr«, sagt MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl: »Viele Kollegen befürchten, das enge Verhältnis zwischen Zuschauern und Programmmachern könnte in diesen Tagen Schaden nehmen.«

Für die Landespolitiker in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hat eine andere Beziehung Schaden genommen - die zum Senderchef Reiter. »Es gibt seit längerem Planspiele für eine neue Intendanten-Besetzung«, sagt ein Vertrauter des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU). Im Verwaltungsrat sind die Finanzanlagen nächste Woche Thema einer Sondersitzung. »Wir werden sehen, ob sich personelle Konsequenzen ergeben«, so Karl Gerhold, Chef des Kontrollgremiums.

»Schlägt der Verwaltungsrat eine Ablösung Reiters vor, würden wir dem folgen«, erklärt MDR-Rundfunkrat Heiko Hilker (PDS). Andernfalls werde er mit Kollegen die Abwahl der Verwaltungsräte betreiben - wegen Verletzung der Kontrollpflichten.

Äußerst besorgt verfolgen die anderen ARD-Chefs und die ZDF-Manager das Treiben. Denn am 14. Dezember entscheiden die Abgeordneten im Dresdner Parlament, ob die von anderen Landtagen bereits beschlossene Erhöhung der Rundfunkgebühren um zwölf Prozent auf 31,58 Mark zum 1. Januar Wirklichkeit wird.

Nach den Chaos-Tagen des MDR steht eine Mehrheitsfront aus PDS und vielen CDU-Parlamentariern gegen den Plan. Bleibt es dabei und kippt so die fest eingeplante höhere TV- und Radiogebühr, fehlen den Öffentlich-Rechtlichen bis Ende 2004 insgesamt rund fünf Milliarden Mark.

Alarmiert versuchen die Ministerpräsidenten, mit einem neuen Vorschlag die Sachsen gnädig zu stimmen: Künftig sollen die Landtage alle zwei Jahre offen über die Finanzen von ARD und ZDF diskutieren können - auf der Grundlage eigens erstellter Rechenschaftsberichte.

Die Sache stehe zwar »auf der Kippe«, er setze aber auf die »Kraft der Argumente«, sagt Reiter über die Gebührenfrage. In Einzelgesprächen versucht er derzeit, renitente Unions-Abgeordnete zu überzeugen, dass die Öffentlich-Rechtlichen ohne mehr Geld nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Reiter weiß aber auch: Geht es schief, gilt ihm der Zorn der gesamten ARD.

Der MDR galt viele Jahre als eine Art Vorzeigebetrieb innerhalb der ARD, besonders in Unions-Kreisen. Reiter brachte serienweise von sich aus ungewöhnliche Ideen für die überfällige Reform auf: Wegfall der kleinen maroden Anstalten wie Radio Bremen oder Sender Freies Berlin, eine zentrale übergeordnete Einheit »ARD Berlin« für die Hauptstadtberichterstattung, Einfrieren der Rundfunkgebühr.

Beflügelt vom Erneuerungswillen, hatte Reiters Truppe nach der Wende eine ARD-Anstalt neuen Typs schaffen wollen: flexibler, schneller, sparsamer als die West-Gebilde.

Nach dem Modell großer Konzerne finanzierte der MDR etwa seine teuren Bauten - 450 Millionen Mark kostet allein die neue Zentrale - über Leasingverträge: Das schonte die Kasse, da die Leasingraten erst über die Jahre hinweg anfallen. Verwaltungschef Markner konnte so 600 Millionen Mark, die von der ARD als Anschubfinanzierung gezahlt wurden, profitabel an den Börsen anlegen. Seit 1993 hat sich das Kapital auf inzwischen knapp 1,2 Milliarden Mark vermehrt.

Große Hoffnungen setzte das Management auf die Auslagerung einzelner Aktivitäten, etwa Produktion, Technik und sogar die Tanzereien des Fernsehballetts. Sie gingen auf die Drefa Media Holding GmbH über, die inzwischen rund 20 Tochterfirmen und Beteiligungen umfasst - und die 1999 bei 240 Millionen Mark Umsatz rund 13,7 Millionen Gewinn auswies. Hier entstehen Folgen für »Tatort« oder »Polizeiruf 110«, auch das »Sandmännchen« wird von der Drefa vermarktet.

Das privatwirtschaftlich organisierte Reich soll, so der Plan, der Konkurrenz in München, Köln, Hamburg und Berlin wichtige Film- und TV-Aufträge abspenstig machen und den Standort Leipzig aufwerten. Tatsächlich stiegen die Kirch-Gruppe und die Kinowelt Medien AG als Mitgesellschafter bei Drefa-Firmen ein. »Ohne uns«, so Reiter zu Recht, »gäbe es hier immer noch eine medienwirtschaftliche Wüste.«

In dem Verbund zwischen dem gebührenfinanzierten MDR und dem privaten Drefa-Reich lassen sich Gelder nach Belieben verschieben. Was da wohin fließt, ist freilich den Landesrechnungshöfen zuweilen ein Rätsel. In einem Bericht, der in einer Entwurffassung seit Monaten beim MDR zur Beantwortung liegt, stellen die staatlichen Prüfer schlechte Noten aus. Reihenweise monierten sie »Quersubventionierungen« - ohne den MDR, so das ernüchternde Fazit, sei keines der Drefa-Beteiligungsunternehmen am Markt überlebensfähig.

Fast zwei Drittel aller Aufträge für Drefa-Firmen kommen - mit Garantien und Festpreisen - vom MDR. Fast jeder Dritte der bei den Tochterfirmen Beschäftigten erhält sein Gehalt vom MDR. Das seien »Übergangsregelungen«, um überhaupt beginnen zu können, erwidert Reiter. Auf Dauer freilich dürften die Töchter natürlich nicht abhängig vom MDR sein.

Besonders auffällig finden die Rechnungsprüfer 31 Millionen Mark Verlust der MDR-Werbetochter in den Jahren 1998 und 1999 - die entstanden nicht zuletzt durch hohe Programmkosten, die der MDR in Rechnung stellte. Teilweise weigerte sich das Finanzamt in der Vergangenheit, die vorgelegten Kostenverrechnungen anzuerkennen. Es handele sich, so Reiter, um »rein bilanzielle Verluste«. De facto habe die Werbetochter 1999 rund 27,5 Millionen Mark zum MDR-Haushalt beigetragen.

Hier läge der »eigentliche Skandal«, sagt der Anwalt Kurt-Ulrich Mayer (CDU), Präsident des Medienrats der Sächsischen Landesmedienanstalt: »Die können da reinpacken, was sie wollen - das ganze Geflecht ist nicht transparent.«

In der Sprache der Bilanzprüfer heißt es nüchtern: »Im Rahmen unserer Jahresabschlussprüfung ergaben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsbeziehungen zwischen Konzerngesellschaften nicht immer zu angemessenen Konditionen abgewickelt werden«, so die PwC Deutsche Revision in ihrem Bericht für 1999.

An anderer Stelle orten die Experten Missmanagement. Es lägen »derzeit keine Regelungen zur Konzernleitung vor«, heißt es, auch ein Controlling für alle MDR-Beteiligungen gebe es nicht. Oder: »Eine übergeordnete Planung innerhalb des Unternehmensverbunds besteht nicht.«

Offenbar war auf dem Weg zum ARD-Konzern manches unterblieben. »Wir empfehlen dem MDR, Regelungen für ein systematisches Vertragsmanagement einzuführen«, schrieben die Prüfer. Und erst mit Beginn des Jahres 2000 hätte der MDR begonnen, ein Risikofrüherkennungssystem einzuführen und das Controlling zu reformieren. »Inzwischen haben wir alle Forderungen der Wirtschaftsprüfer erfüllt«, kommentiert Reiter.

Der Streit mit den Finanzexperten hat dem MDR-Chef in der Politik viel Sympathien gekostet. Schon fordert Biedenkopf-Sprecher Michael Sagurna ein Überdenken des bisherigen MDR-Konzepts: »Regelmäßig müssen die Ausgründungen streng geprüft und teilweise rückgängig gemacht werden.« Reiter signalisiert Einlenken: Natürlich müssten nicht alle Ü-Wagen von Privattöchtern angeboten werden, sagt er. Die Online-Aktivitäten hat er bereits von der Drefa ins Haupthaus zurückgeholt, auch vom Filmverleih Progress trennt er sich.

Aufgeben aber mag Reiter, dessen Vertrag bis Mitte 2003 läuft, allen Widrigkeiten zum Trotz nicht. Ein neues Führungsteam, in dem neben Reiter nur Ostdeutsche sitzen, soll für Schwung sorgen. Neuer TV-Direktor wird beispielsweise Wolfgang Vietze, bisher als Stellvertreter im Haus.

In PR-Dingen berät sich der geplagte Intendant inzwischen mit dem Ex-Boulevardjournalisten Hans-Hermann Tiedje, der 1998 dem damaligen Kanzler Helmut Kohl im Wahlkampf aushalf. Auch Opponent Markner ist wieder eingebunden. Er ist, trotz Suspendierung, weiter als Geschäftsführer der MDR-Werbung tätig.

Das sei zwar »die schwerste Situation in meiner Laufbahn«, gesteht MDR-Chef Reiter, doch die Aufgabe sei zu lösen: »Selbstverständlich mache ich weiter.«

HANS-JÜRGEN JAKOBS, ANDREAS WASSERMANN

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