FAHNDUNG Charleys Tante
Westdeutschlands Polizisten sollen
die Strumpfgürtel fester schnallen. Der Obermeister der Kriminalpolizei in Minden, Alfred Goldstein, empfahl es in der November-Ausgabe der Fachzeitschrift »Kriminalistik«.
Zur Begründung des Transvestiten -Tips gab Kriminalist Goldstein die Einzelheiten einer polizeilichen »Verbrecherjagd in Frauenkleidern« preis: Das Unternehmen wäre fast durch »die Art der Kleidung und die sich daraus ergebenden Hindernisse« gescheitert.
Auf die"Art der Kleidung« war die Mindener Kripo im April 1963 verfallen. Damals belästigte ein unbekannter, etwa 185 Zentimeter großer Mann in Bundeswehr-Uniform ständig zwischen 22 und 23 Uhr alleingehende Frauen auf der Bundesstraße 65 (Minden-Osnabrück).
Die Spuren des Täters (Schuhgröße 45) verloren sich in der Pionierkaserne, die 600 Meter abseits der Bundesstraße liegt. Doch den unsittlichen Pionier fand man zunächst nicht.
Nachdem alle herkömmlichen Ermittlungsmethoden versagt hatten, revidierten »drei handfeste Kollegen« des Obermeisters Goldstein die Wäscheschränke ihrer Ehefrauen und erschienen mit Nylons, Falten-Röcken und ausgestopften Büstenhaltern zum Dienst, als seien sie Hauptdarsteller in dem Schwank »Charleys Tante«.
Perücken lieferte der ortsansässige Kostümverleih, die Armierung stellte die Polizei: pro Mannweib eine Dienstpistole, eine Leuchtpistole (mit vier Schuß weiß) sowie einen Beutel mit Leuchtpulver zum Bestreuen des Täters.
Zwar hielt sich die erotische Aura der drei Damendarsteller nach dem sachverständigen Urteil der Kollegen vom Sittendezernat in Grenzen. Doch da die Reizentfaltung im Dunkeln ausgeübt werden sollte, rechnete sich die Mindener Polizei noch eine reelle Chance aus.
Der Auftrag lautete: Nach Einbruch der Dunkelheit sollten die Kripo-Damen auf der Bundesstraße 65 in Abständen von 600 Metern »in unverdächtiger Weise« lustwandeln.
Um 21.30 Uhr stöckelten die Beamten los. Um 22.50 Uhr bewährte sich die Maskerade. Ein Pionier näherte sich mit unverkennbaren Absichten einer der vermeintlichen Damen. Die Reaktion des Lockenköpfchens ließ den Soldaten vor Schreck erstarren.
Die Dame schoß eine Leuchtpistole ab, richtete sie dann auf den Pionier-Bauch und knurrte: »Hände hoch!« Ein weiterer Damen-Imitator eilte herbei, so schnell ihn die Pfennigabsätze trugen. Gemeinsam führten sie den Festgenommenen ab.
Doch der Pionier überwand bald seinen Schock - unversehens hechtete er über einen Gartenzaun ins Dunkle. Zwar sausten die Beamten sofort hinterher, doch bei der Jagd über Hecken und Zäune wuchs der Vorsprung des Täters zusehends.
Die Polizisten verloren schon nach den ersten Sprüngen ihre Stöckelschuhe und liefen zunächst mühsam auf ihren Nylons weiter. Als ihnen aber dann noch die Strumpfhalter über die Beine rutschten, waren sie nicht mehr verfolgungsfähig. Sie mußten das Rennen aufgeben. Einer schaffte Büchsenlicht mit der Leuchtpistole, der andere schickte dem Flüchtenden einen Warnschuß und einen gezielten Schuß nach.
Unbemerkt gelangte der Pionier über den Kasernenzaun, mischte sich dienstfreudig unter die inzwischen alarmierten Suchtrupps und suchte längere Zeit unverdrossen und vergeblich sich selbst.
Beim nächsten Morgenappell in der Kaserne wurde der Ausreißer allerdings einwandfrei identifiziert: Er hatte eine leichte Streifschuß-Verletzung an der Ferse.
Kripo-Obermeister Goldsteins Fazit: Für Einsätze in Damenkleidung sollten nur Beamte verkleidet werden, die sich ihrer Strumpfhalter sicher sind.
Andererseits mußte Goldstein loben, wie die in ihren verrutschten Trikotagen zappelnden Kollegen den Erfolg der Aktion doch noch durch einen Meisterschuß gesichert hatten: »Ungefährlicher konnte die Verletzung nicht sein. Sie entsprach den Waffengebrauchsbestimmungen und diente zur schnellen Identifizierung.«
Verkleidete Kripo-Beamte in Minden Strumpfhalter gerutscht