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Chomeini war plötzlich mitten in Kuweit

SPIEGEL-Reporter Peter Schille über Krieg und Kriegsangst am Golf *
Von Peter Schille
aus DER SPIEGEL 44/1987

Der Krieg ist überall, nur im Auge des Zyklons ist Frieden.

Basra hat der Iran in Trümmer gehauen und Bagdad bombardiert. Im Persischen Golf brennen Ölinseln, von Amerikanern und Irakern in Brand geschossen. Öltanker stehen in Flammen. Selbst in der heiligen Stadt Mekka gab es Aufruhr und Tote.

Ringsum geht die Welt zugrunde doch in Kuweit herrscht Ruhe. »Wir führen Frieden«, sagen die Kuweiter, ein Volk schlauer Händler, »die anderen führen Krieg.«

Gelegentlich meldet sich die Wirklichkeit zurück. Dann graben sich iranische Geschosse, ziellos wie halbherzige Drohungen, in den kuweitischen Sand. Oder sie zerplatzen im Golf.

Feindliche Treffer sind Zufall, vielleicht gar nicht beabsichtigt? Reißt einmal eine Rakete, made in China, einem kuweitischen Tanker ein Loch oder beschädigt eine Ölpier - dann kommt plötzlich der Krieg in einem Sprung ganz nahe.

Doch der Frieden wehrt sich mit aller Gewalt: Die U.S. Navy nimmt Rache, so behutsam indes, daß der Frieden keinen Schaden leidet und der Krieg nicht kriegerischer wird.

Beängstigender sind die nächtlichen Kanonaden auf Basra. Da es zu heiß zum Schlafen ist, hört man dem Krieg ein wenig zu. Brüllend dringt der Geschützdonner durch das Rasseln der Klimaanlage. Ergeben zählen die schlaflosen Bewohner Kuweits- ihre Herzen schlagen für den Irak - die iranischen Granaten, die, 80 Kilometer nördlich ihrer Betten, von der Halbinsel Fau in den schwarzen Himmel rasen.

Kuweit spielt Frieden. Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen sind Stadt und Land, etwas größer, aber minder fassungslos als Schleswig-Holstein, ein strahlender Rummelplatz. Als seien sie unverwundbar in ihren weißen Dischdaschas, den knöchellangen Kutten, schießen die Herren Kuweits in Luxuslimousinen über die Arabian Gulf Road, auf sechs Spuren in Cadillac-Breite.

Sie jagen der Nacht die einzige Unterhaltung ab, die das puritanische Emirat bietet. Ihr Lieblingslaster ist der Geschwindigkeitsrausch, ein Liter Super kostet 33 Pfennige.

Die Straße führt am Golf entlang. Weit draußen, in unsicherer Ferne, findet der Krieg statt. Der Iran gegen den Irak und den Rest der Welt; Kuweit ausgenommen? Es ist still, nur die Motoren surren. Alle Lichter brennen. Auf den Wolkenkratzern glühen die Leuchtreklamen, Signale des Big Business und Zielscheiben zugleich.

Tags in der weißen Sonne gibt sich Furchtlosigkeit als Furcht zu erkennen: Die amerikanische Botschaft ist ein Fort, eingemauert in Beton, von Stacheldraht und schwerbewaffneten Armeeposten umrundet. Panzersperren schließen alle Ministerien ein, Maschinengewehre begrüßen die Bittsteller, ihre Autos werden bis unter die Motorhaube untersucht.

Die Paläste des Emirs und seines Kronprinzen: Festungen mit Meeresblick.

Entblößt ist nur die iranische Botschaft an der lärmenden Istiklal-Straße: Sie behauptet ihre Unerschrockenheit bis in die Schaukästen am Gartenmäuerchen, aus denen Chomeini schweren Blicks ins Leere düstert - vergebens, kein Mensch wirft dem Ajatollah einen Stein ins Gesicht. Die Ikone der islamischen Revolution - ein Opfer kuweitischen Hochmuts?

Tüchtig geht Kuweit seinen Geschäften nach. Die City paradiert mit Hochhäusern und gläsernen Bürotürmen aus Manhattan, die sich in die Wüste verirrt haben; Amerika mit arabischen Untertiteln; ein eisgekühlter Alptraum: Die Hölle bräche herein, fielen die Klimaanlagen einmal aus.

Die Börse, in italienischen Marmor gehüllt, versammelt zweimal täglich Makler und Investoren zu gemessenen Transaktionen. Mit Ferngläsern verfolgen die Spekulanten von der Galerie aus die staatlich kontrollierten Bewegungen der Aktienkurse.

»Der Krieg zwingt zur Vorsicht, wir scheuen das Risiko wie niemals zuvor«, sagt Hischam el-Uteibi, der junge Börsenpräsident. »Der Ölboom ist vorbei, längst ist nicht mehr so viel Geld im Land wie früher.«

In seinem pompösen Büro läßt Uteibi in goldenen Tassen Tee servieren. Er rührt mit goldenem Löffel um und spricht zu goldenem Lächeln goldene Worte: »Die Geschäfte gehen Gott sei

Dank jeden Tag besser!« Nicht so gut wie einst: Krieg und Krise haben das jährliche Pro-Kopf-Einkommen seit 1980 halbiert und auf 10000 Dollar heruntergebracht.

Der Frieden duldet nur Zuversicht, keine Angst. Der fremde Besucher, abgetastet und durchleuchtet in jedem öffentlichen Gebäude, das er betritt, nimmt als Alltagsgefühl jedoch überall verhohlene Unruhe wahr.

»Die Angriffe von außen sind keine Gefahr«, sagt Abd el-Fattah el-Badr, Chef der kuweitischen Öltankergesellschaft, »vor dem Krieg sind wir sicher.« Er brummt in sich hinein, sein mächtiger Leib gluckst fröhlich: »Die U.S. Navy macht uns das Leben bequem. Aber wie soll man sich vor Angriffen von innen schützen? Und vor Saboteuren und Attentätern unter iranischem Einfluß? Wir können doch nicht die ganze Bevölkerung verdächtigen!« Verdächtigen wohl, aber überwachen? Kuweits Dünkel ist von klugen Zweifeln erschüttert.

Ehe er den Hafen Mina el-Ahmadi kontrollieren kann, wird Badr, 50, selbst kontrolliert. Die Öllager, Fassungsvermögen 14,5 Millionen Barrel Rohöl, sind ein Hochsicherheitstrakt mit 3000 Beschäftigten, die wie Gefangene gehalten werden - die Schatzkammern Kuweits. In Mina el-Ahmadi wird Öl und Gas aus allen 26 Sammelstationen des Landes gehortet, bevor man es auf die Schiffe pumpt.

Am blauen Horizont verschmilzt die Sonne vier Tanker mit der flirrenden Luft. An der South Pier füllt sich ein rostiger Panama-Pott mit Öl. Schwarzer Qualm steigt in den Salzwind, und von den Fackeln der Raffinerien weht Schwefelgestank heran.

Das Öl fließt Tag und Nacht: Obwohl die Opec Kuweit zu einer Fördermenge von nur 996000 Barrel täglich verpflichtet hat - der Emir hat höflich zugestimmt -, übertrifft die Produktion diesen Grenzwert an guten Tagen bis um das Anderthalbfache.

Ein Staatsgeheimnis? Mit versiegelten Lippen weist Badr alle Fragen zurück. Er grunzt und läßt seine in zierlichen weißen Schuhen steckenden Füße erregt über den Teppich wippen.

Um all dieses Öl, auf das allein sich ihr Glück gründet, pünktlich ihrer Kundschaft liefern zu können, hatten die Scheichs von Kuweit erst die Sowjet-Union, dann die USA und Großbritannien in den Golf gelockt. Kein Staat widerstand der Versuchung, der Verführer stieß auf grenzenlose Bereitschaft, sich verführen zu lassen.

Der füchsische Dreh hat sich gelohnt. »Der Service ist perfekt«, sagt Badr, »wir haben keine Einbußen erlitten.« Mitte Oktober verkaufte Kuweit Tag für Tag 1,3 Millionen Barrel Rohöl sowie 350000 Barrel Diesel und Benzin - nach Japan, Südkorea, Indien und Westeuropa, befördert auf 23 eigenen Tankern, von denen die Amerikaner 11 und die Briten 3 in die Obhut ihrer Kriegsmanne genommen haben.

Dazu hat Badr drei sowjetische Tanker gechartert, sie tragen die Namen großer Marschälle: Behütet von 11 russischen Kreuzern, Fregatten und Minensuchbooten, unterstützt von 27 gemieteten Tankern aus Gibraltar, Panama oder Liberia, schleppen sie kuweitisches Öl im Pendelverkehr durch den Golf. Jenseits der Straße von Hormus,

bei Chor Fakkan, im Schatten der Vereinigten Emirate, sind sieben Vorratsschiffe verankert, schwimmende Tankstellen, aus denen die Großkunden zapfen.

Das Öl strömt in einer endlosen Kette von Schiffen aus Kuweit in die Welt. Allein das habgierige Japan hat 45 Tanker eingesetzt.

Aber es dauert immer länger, bis die Konvois sich formiert haben, immer ängstlicher schleichen sie durch den Golf. Von Mina el-Ahmadi aus, mit seinen drei Verladepiers, begleitet die kuweitische Marine sie mit einem ihrer acht Schnellboote, made in Bremen, durch die Zwölf-Meilen-Zone.

Schwarzgelbe Bojen markieren die Fahrrinnen bis zum Ahmadi-Feuerschiff. Dahinter liegen, klirrend vor Kriegslust, die maritimen Beschützer. Während sie nach Süden fahren, zwängen sich vor Dubai und Abu Dhabi und Bahrein hochbeladene Tanker und Frachter in die Lücken.

Auf ihrer Fahrt ins Freie, wie auf ihrer Fahrt zurück, werden die Konvois - Nummer 12 ist eben heil gelandet - immer größer: Da bis Ende September Minensuchboote knapp waren, mußten ihnen flaggenlose Hochsehschlepper als Sperrbrecher den Weg bahnen.

Die Empfangskomitees vor der iranischen Küste warten geduldig. Den Pasdaran, Chomeinis ergebenen Revolutionswächtern, sind die Reisewege des Öls vertraut. Sie lauern auf zahllosen Inselchen und Ölplattformen. Unermüdlich setzen sie Minen aus, greifen sie ausfahrende Tanker an oder stoppen einfahrende Frachter, die aussehen, als hätten sie Waffen für den Irak geladen, Waffen, die über den kuweitischen Hafen Schueiba nachts mit Lastwagen ans Ziel gelangen.

»Nur die Russen dürfen unbehindert passieren«, sagt Badr neidisch, »merkwürdig, wo sie doch die irakische Armee so liebevoll ausrüsten.«

Die Pasdaran haben ihre 13 Meter langen Rennboote mit zwei 250-PS-Motoren in 50 Knoten schnelle Geschosse verwandelt. Die flachen Flitzer sind auf den Radarschirmen kaum zu erkennen, was Badr, der in Tankern denkt, überhaupt nicht verstört: »Die Navy kann 2000 in fünf Minuten zerschmettern.«

Inschallah, fügt er hastig hinzu, so Gott will.

Die kuweitische Marine ist mit zweien ihrer Bremer Schnellboote ständig auf Patrouille vor der 200 Kilometer langen Küste des Emirats. »Regelmäßig greift sie Pasdaran-Boote auf«, sagt ein westlicher Experte, der die Lage mit Seefahreraugen analysiert: »Im Schutz der Grenzinsel Bubijan steuern die Terroristen in den Golf, Richtung Süden, Kurs Kuweit. Sie haben Waffen für Sympathisanten Chomeinis geladen. Meist entkommen sie. Gehen sie in die Falle, werden sie, wie Verbrecher gefesselt, heimlich an Land geschleppt.«

Die Marine des Emirs ist derart ergrimmt über den einsickernden Nachschub, daß sie in ihrem Mißtrauen alle Fischer am Fischen hindert. Selbst die Reusen zerrt sie ans Licht, weil die Pasdaran ihre Lieferung, in Ölpapier gepackt, oft unter Wasser deponieren.

Iranische Teufeleien: Sie werden totgeschwiegen aus Sorge, im schiitischen Zweig der Familie Kuweit »könnte das Böse ausbrechen«, sagt Badr, »wir rechnen mit allem«. Auf einmal ist ihm der Krieg so dicht auf den Fersen, daß er erschrickt .

Die famose Familie Kuweit, ein undurchsichtiger Bereicherungsverein, zählt 1,7 Millionen Mitglieder. Nicht einmal die Hälfte besitzt Bürgerrechte, fast 60 Prozent sind ausländische Hilfsorgane: Die Hände kommen aus Pakistan, die Rücken aus dem Irak ,das Lächeln besorgen Filipinos, das Dienen Bangladescher, Palästinenser halten den Laden in Schwung, die Inder verwalten den guten Ton, die Kinder werden nach der stillen Art Sri Lankas erzogen. Ägypter steuern die Taxis, Sudanesen kehren die Straßen sauber, und bei 50 Grad im Schatten gibt's für die Sklaven hitzefrei.

Wer seine Arbeit verliert, muß Kuweit in Wochenfrist verlassen. Elend ist unerwünscht, Armut wird ausgewiesen.

Noch heute sind beinahe 100000 Iraner, 30000 mehr als die iranische Botschaft zugibt, im kuweitischen Exil zu Hause: Mechaniker, Bauarbeiter, Krämer. Jedes Jahr fahren sie über Dubai heim in die Ferien und kehren erholt - auch dankbar? - wieder. Oder als Anhänger Chomeinis.

Die Ungewißheit nagt am Wohlbefinden: Die Iraner, mit dickeren Muskeln ausgestattet als die Einheimischen, verstärken nicht nur die alteingesessene Schiiten-Minderheit - 65 Prozent der Kuweiter bekennen sich zur sunnitischen Variante des Islam - sie verstärken, allein durch Anwesenheit, auch die Angst der Kuweiter vor Chomeini. »Ein paar schwarze Schafe«, sagt Ahmed Behbehani, 47, einer der schiitischen Notabeln, »entscheiden über die Reputation von uns allen.«

Ist die Entscheidung bereits gefallen? Am 19. Januar ließ der Aufseher der Nachtschicht auf der Ölverladeinsel vor Mina el-Ahmadi einen TNT-Sprengsatz hochgehen. Feuer brach aus, zehn Meilen vor der Küste, die Plattform flog in Fetzen, doch das Öl hörte nicht auf zu fließen. Der Mann war Schiit, Badr hatte ihm »nie getraut«. Nach sieben Tagen war der Schaden behoben. Der Brandstifter samt Spießgesellen wurde im Juni zum Tode verurteilt.

Kuweitis Schiiten hatten ihre Unschuld verloren, nie zuvor hatten sie gewagt, Hand an ihre Heimat zu legen, fremde Attentäter erledigten die Anschläge für sie. Am 22. Mai explodierte ein kuweitischer Techniker, Schiit aus neureicher Familie, mit seinem Sprengsatz, den er an einen Propangastank legen wollte.

Die Explosion blieb nicht geheim. Flugblätter flatterten durch die Straßen, sie feierten die »glücklichen Märtyrer« und die »Geburt einer kuweitischen Hisb Allah«. Chomeini war plötzlich mitten in Kuweit, und der Emir mußte höchstpersönlich im Fernsehen auftreten und Gerechtigkeit versprechen.

Das Hieb- und Stichwort hieß Loyalität. Schiitenclans verdammten in Zeitungsanzeigen die schiitische Sabotage und legten Treueschwüre ab. Trug einer der Saboteure einen klingenden Familiennamen, wurde er öffentlich verstoßen. Untertänig empfahlen sie sich und ihre Vaterlandsliebe dem Vaterland.

»Haben wir nicht immer fromme Sunni-Frauen geheiratet? Sind wir nicht seit 200 Jahren brave Kuweiter?« Der Schiit Abd el-Rassul Abd el-Rida Behbehani, 57, klagt den Unverstand an: »Nicht alle Schiiten sind Partisanen der islamischen Revolution. Chomeini predigt Politik und nicht Religion. Im Golfkrieg werden irakische Schiiten und Sunniten von iranischen Sunniten und Schiiten getötet. Chomeini macht uns keine Angst. Seine paar kuweitischen Anbeter sind Hochverräter. Sie müssen gehängt werden.«

Wer so hartnäckig Unerschrockenheit beteuert, dem muß es an Courage fehlen: Abd el-Ridas Würde ist sein Harnisch gegen jeden Verdacht. 20 Jahre dient er nun dem Herrscherhaus Sabbah als Rechtsbeistand. Er kennt alle Staatsgeheimnisse, alle Staatsverträge, alle Staatsakten, und »der Emir kennt mich und er liebt mich«. Ihn, den Schiiten.

»Die Spaltung bekümmert uns tief« gesteht Dr. Rascha al-Sabbah, Vize-Rektorin der Universität. »Unsere nationale Einigkeit droht auseinanderzubrechen, gerade in dieser kritischen Zeit.«

Als Mitte Juli im Herzen Kuweits zwei schiitische Attentäter, Söhne Kuweits, von ihrer eigenen Autobombe zerrissen wurden, demonstrierten proiranische Studenten, allesamt Schiiten, vor dem Justizpalast für ihre zum Tode verurteilten Gefährten. »Welch eine Herausforderung!« sagt die Vize-Rektorin.

Der Emir ließ sie toben in der Hitze und wies alle Zumutungen zurück: Die Todeskandidaten wurden nicht gehängt. »Ist es so schwer zu verstehen, daß unsere Geduld allmählich erschöpft ist?« fragt Rascha. »Wie können wir einfach weiterleben, wenn tags unsere Schiffe angegriffen werden und nachts das Echo der Kanonen in unseren Ohren dröhnt?«

Bei all ihrem sanften Hochmut: Die Feindseligkeiten des Iran sind den Kuweitern heftig in die Glieder gefahren. »Noch nennen wir den Teufel nicht bei seinem Namen Chomeini«, sagt ein hoher Beamter des Außenministeriums. Doch Staatssekretär Suleiman Madschid Schahin spricht so laut, wie es einem arabischen Diplomaten möglich ist, in Zimmerlautstärke also, von einer »direkten Bedrohung Kuweits durch den Iran«.

Gegen den Widerstand aller Nachbarn hat Kuweit die öst- und westlichen Geschwader in den Golf gebeten - »aber doch nur deshalb«, sagt Schahin, »weil außer unserem Ölhandel auch der Weltfrieden gefährdet ist. Wir sind ein kleines Land, wer uns beschützen will, ist uns willkommen. Wieso sollen wir die Last allein tragen?« Zäh stellt er seinen Staat als hilfsbedürftiges Wesen dar, schwach und ohne Muskeln.

Und was kostet der Schutz? Wer bezahlt dafür? Die ehrenwerten Mitglieder der »Sozialen Gesellschaft« wollen gar nicht mehr aufhören zu lachen. Die Amerikaner etwa? Die Europäer? Gar Japan? Eine Million Dollar täglich.

»Wir bezahlen, wie gewöhnlich!« ruft der junge Medizinprofessor Adnan Schati, der zwölf Jahre in Madison, Wisconsin, studiert hat: »Das ist wie mit der Mafia. Sie beschützt dich, und du mußt blechen. Washington will jeden Tag mehr von uns, da das Risiko jeden Tag steigt . »

So reich ist Kuweit, daß es sich sogar von seinem Mißgeschick loskaufen kann. Die Macht ihrer Milliarden lindert die Angst der Kuweiter. Ihre Angst heißt Chomeini.

Jeden Montag trifft sich die »Soziale Gesellschaft« in einem weißen Haus beim Fußballstadion. Tee trinkend und rauchend räsonieren Politiker, Beamte und Professoren über den Lauf der Welt. Sie sitzen in bequemen Polstern, verbiegen sich nervös ihre Fingerknochen, bis es knackt, als entlade sich innere Spannung. Und sie reden.

Das ist der Stand der Dinge: »Kuweit ist eine Ameise, der Iran ein Elefant; er ruht nicht, bis ihm die Ameise gehört.«

»Wenn der Irak fällt, wird der Mörder Chomeini, dieses Tier, durch Kuweit und Saudi-Arabien bis nach Mauretanien marschieren.«

»Wir werden uns aber nicht in den Krieg ziehen lassen«, sagt ein Ministerialbeamter und schaltet das irakische Fernsehprogramm ein.

»Aber sie werden kommen, egal wie wir uns betragen«, ruft sein Gegenüber.

»Jetzt sind ja die Amerikaner da, und die Iraner sind wütend wie ein Bienenschwarm. Wenn die Navy uns aber im Stich läßt, was geschieht dann mit den Bienen?«

Ein anderer weiß es anders: »Der Golf ist ein Faß voller Skorpione, jede Stunde wird ein neuer geboren. Es ist lebensgefährlich, den Finger hineinzustecken.«

Ein ehemaliger Abgeordneter: »Wir unterhielten gute Beziehungen zum Iran lebten glücklich wie gute Nachbarn miteinander. Der Handel blühte. Alle Waren aus dem Iran und dem Irak gingen durch Kuweit nach Saudi-Arabien und umgekehrt. Jetzt ist alles aus, nichts als Verlust.«

Der Vertraute eines Ministers schaltet den Fernseher wieder aus: »Den Amerikanern kann man nicht trauen. Deshalb wollen wir ihre Fregatten auch nicht in unseren Häfen und ihre Bomber nicht auf unseren Flugplätzen haben. Insgeheim sind sie bestimmt längst dabei, ihren Einfluß auf unsere Kosten zu mehren.«

»Die Amerikaner prahlen nur deshalb so wild mit ihrer Stärke weil sie mit dem Iran wieder ins Geschäft kommen wollen«, sagt ein Lehrer.

»Alles richtig«, sagt der ehemalige Abgeordnete, »doch wir sind in der besseren Position: Wir besitzen das Öl, das alle besitzen wollen.«

Sie reden und reden, berauschen sich an ihren Worten und rekeln sich in ihren

langen weißen Gewändern wie sehr weltliche Ordensmänner.

Noch über Jahre werden die Ölquellen in der Wüste und vor der Küste nicht versiegen. Seit 1756 herrscht die Familie Sabbah über das Emirat, das einmal von nichts als vom Perlentauchen und vom Seehandel lebte. Der Sand war unfruchtbar, Esel schleppten das Trinkwasser vom Schatt el-Arab herbei.

Erst 1948, als das Erdöl alle Traditionen veränderte, trat auch Kuweit in das 20. Jahrhundert ein. Der Emir baute Kraftwerke und Meerwasserentsalzungsanlagen, Straßen und ein Haus für jeden Bürger, als Geschenk. Es war unmöglich, in Kuweit nicht reich zu werden.

Und all das sollen sie aufgeben? Nicht verteidigen, besser: verteidigen lassen? Können sie aber sicher sein, daß ihre auserkorenen Verteidiger es auch ernst meinen mit der Verteidigung?

Ahmed el-Rabi, Professor für Islamische Philosophie, der radikalste Linke im Emirat, Mitglied des 1986 aufgelösten Parlaments, mißtraut dem amerikanischen Freund heftiger als seinem ärgsten Feind: »Die Amerikaner wollen den Golf nur amerikanisieren. Sie haben ihn bloß deshalb zu einem Kriegsmuseum gemacht, weil sie sich für immer bei uns niederlassen wollen. Für die Russen darf kein Platz übrigbleiben.«

Für Rabi richtet sich kuweitische Politik nun nach der Logik des Schlachtfeldes, nach der Weisheit des Krieges: »Solange der Golf Amerika gehört und von der Navy besetzt ist, wird sich hier nichts bessern.« Nur weil sich unter den 50 Abgeordneten »einige verfassungsgemäß verhielten, der Regierung auf die Finger schauten und ihre kritischen Diagnosen veröffentlichten«, sagt Rabi, »nur deshalb wurden wir entlassen«.

Kuweits bester Freund, die Saudi-Monarchie, und Kuweits stärkster Leibwächter, die Reagan-Monarchie, bestanden auf Abschaffung der Kritik. Selbst der Präsident des Journalistenverbandes, der Schiit Ahmed Behbehani, entschuldigt »im nationalen Interesse« alle Beschränkungen als notwendig.

Vom Zank im eigenen Haus erlöst, konnte sich Kuweit endlich der Weltpolitik widmen. »Iran ist ein Papiertiger«, schwört Ahmed Dscharallah, Chef der Tageszeitung »EI-Sijassa«, mit großen Gesten. »So dumm und senil ist Chomeini doch noch lange nicht, daß er auch noch eine Front am Golf eröffnet.«

Statt Angst zeigt Dscharallah Verachtung: »Uns geht's doch blendend. Wenn der Iran unsere Tanker beschädigt, lassen wir sie in Bahrein reparieren. Die Versicherung zahlt.«

In seinem Studierzimmer im Erdgeschoß der stillen alten Universität von Kuweit hat der Soziologe Chaldun el-Nakib den endgültigen Schlachtplan entwickelt, der alle Schlachten beenden soll. Weil er »wie jeder vernünftige Mensch am Golf Angst hat; weil unsere Regierung der Sache nicht mehr gewachsen

ist; weil sie viel zu autoritär über unsere Köpfe hinweg handelt«, trug Nakib, Dekan der Philosophischen Fakultät, in einem Symposium 200 Zuhörern seine Revolutionsetüde vor. Drei Zeitungen berichteten darüber, der Emir zog nur die Augenbrauen hoch und wollte nichts gehört haben.

Der Iran, so Nakibs dringende Empfehlung, müsse alsbald von einer internationalen Streitmacht erobert und besetzt werden, damit er sich selbst und seine Nachbarn nicht länger zerstören könne.

Nakib stellt sich eine alliierte Besatzungstruppe vor: europäische, amerikanische, sowjetische Regimenter, angereichert mit arabisch-islamischen Kämpfern. »Das wäre das Happy-End für uns alle.«

Kuweit muß endlich handeln, ruft der beleibte Professor mit glänzenden Augen. Er ist stark erregt, obwohl er Beruhigungspillen schluckt und Malventee trinkt. »Je nachgiebiger wir dem Iran gegenüber sind, desto mordlüsterner werden die Ajatollahs.«

Ein »hoher amerikanischer Würdenträger am Golf«, der sich im Schutz der Anonymität wie einer der Kreuzritter aufführt, von denen er abzustammen hofft, spendet Trost mit der Weltsicht der USA: Er glaubt, zwischen Kuweit und der Straße von Hormus vornehmlich die Freiheit gegen den Kommunismus verteidigen zu müssen.

»Wir sind die Friedensstifter, die Russen doch nicht! Ihnen traut niemand, auch die islamischen Staaten nicht. Bringen sie nicht in Afghanistan täglich Moslems um? Uns trauen sie alle. Auf uns kann man sich verlassen. Wir sind 30000 Mann stark! Wir machen keine Geschäfte mehr mit dem Iran, liefern keine Waffen mehr, o nein. Bald werden wir auch ihr Öl nicht mehr brauchen.«

»Iran ist der Rüpel«, sagt der Kreuzritter aus Amerika, »der Bösewicht, der Gesetzesbrecher, der Iran ist der Wegelagerer an der Straßenecke: Wann immer er es wagt, unsere Schiffe anzugreifen - werden wir zurückschlagen.«

Heiter setzt er hinzu: »Maß für Maß, Fall für Fall. Wir haben auf jeden Angriff die richtige Antwort.«

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