NAHOST Clintons Strafgericht
Die Bombe in Washington traf, noch bevor die ersten Cruise Missiles in Bagdad einschlugen - und zwar das Weiße Haus, punktgenau. Kurz nachdem Präsident Bill Clinton den US-Streitkräften am Persischen Golf den Einsatzbefehl gegeben hatte, protestierte Trent Lott, republikanischer Mehrheitsführer im Senat: »Sowohl das Timing als auch die politische Linie sind zu diesem Zeitpunkt fragwürdig.« Lott: »Ich unterstütze die Truppe, aber nicht ihren Oberkommandierenden.«
Das war eine handfeste Sensation in der amerikanischen Hauptstadt. Denn bislang galt in der US-Politik die Regel: Wenn die Soldaten in den Kampf ziehen, üben Politiker aller Couleur den patriotischen Schulterschluß. Doch der Konsens ist nun weitgehend dahin - und das in einem Moment, da die Vereinigten Staaten auch international so massiv kritisiert werden wie schon lange nicht mehr: In einer Sondersitzung des Uno-Sicherheitsrats in der Nacht zum Donnerstag attackierten Russen und Chinesen die Entscheidung von Bill Clinton, Generalsekretär Kofi Annan sprach von einem »traurigen Tag für die Vereinten Nationen und für die Welt«.
Nur Englands Premierminister Tony Blair stand ohne Wenn und Aber hinter seinem Vorbild und schickte gar eigene Soldaten zu Hilfe. Die Bundesregierung in Bonn billigt zwar im Prinzip die Strafaktion, Außenminister Joschka Fischer allerdings, berichten Mitarbeiter, zweifle an deren Sinn.
Auch in Amerika gerät der Präsident unter Druck wie selten zuvor. Der Streit zeigt, wie verwundbar der Führer der letzten Supermacht inzwischen geworden ist, wie angreifbar nahezu jede seiner Entscheidungen. Denn am Donnerstag, keine 24 Stunden nach demAngriffsbefehl, wollte das Repräsentantenhaus ursprünglich über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (Impeachment) abstimmen. Mit dem Verfahren könnten die Parlamentarier Clinton wegen seines Verhaltens in der Affäre mit der Ex-Praktikantin Monica Lewinsky aus dem Weißen Haus jagen.
Nun debattieren Volk und Politiker, ob Clinton im Nahen Osten angreift, um daheim seinen Kopf zu retten. Die Fronten laufen quer durch die Parteien. So widersprach der gestandene Clinton-Gegner Newt Gingrich, scheidender Sprecher des Abgeordnetenhauses, seinem republikanischen Parteifreund Lott: Mit dem Angriff »üben die Vereinigten Staaten ihre Macht auf eine angemessene Art aus«.
Die Operation »Wüstenfuchs« begann am Mittwoch, neun Tage vor Weihnachten, nachdem Richard Butler, australischer Chef der Uno-Waffenkontrollbehörde Unscom, eilends die rund 140 Inspektoren aus dem Irak abgerufen hatte. Zuvor hatte Butler dem Uno-Generalsekretär seinen Bericht übergeben, in dem er Saddam Hussein beschuldigt, die Kontrollen zu behindern - und damit eine Vereinbarung vom November zu brechen, in der sich Bagdad zu voller Kooperation verpflichtet hatte.
In dem Papier für den Weltsicherheitsrat wirft Butler Bagdad schwere Verfehlungen vor. So hätten Iraker die Inspektoren am Fotografieren von Bomben gehindert; auch Video-Aufnahmen von einer verdächtigen Einrichtung seien der Unscom verwehrt worden. Weiterer Vorwurf: Ein Unscom-Team durfte das Hauptquartier der Baath-Partei nicht betreten. In dem Gebäude der Einheitspartei vermuten die Uno-Experten laut Bericht »wichtiges Material« für ihre Abrüstungsmission.
Butler erklärte die Weigerung zum Musterbeispiel für Bagdads Widerspenstigkeit. »In all den Jahren hat uns der Irak nie die ganze Wahrheit über sein Waffenprogramm erzählt«, klagte der Unscom-Chef, »und er tut es bis heute nicht.« Doch selbst nach Butlers Urteil ist die Abrüstung des Atomwaffen-Programms, die von der Internationalen Atomenergie-Behörde in Wien überwacht wird, weitgehend erledigt. Auch was die Bereiche »Raketensprengköpfe« und »Chemiewaffen-Programm« anbelangt, sieht Butler nur noch wenige offene Fragen, dann könne »die Akte geschlossen werden«.
Heftig umstritten aber bleibt der Bereich »biologische Waffen«. Internationale Fachleute, klagte Butler, hätten in den vergangenen 18 Monaten viermal die irakischen Einlassungen geprüft und seien zu dem Schluß gekommen, die Angaben Bagdads seien »das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben waren«.
Am Mittwoch, kurz vor 23 Uhr deutscher Zeit, schlugen die Alliierten zu - »ohne Verzögerung, Diplomatie oder Warnung«, so hatte Präsident Clinton es seinem Lieblingsfeind angedroht. Rund 200 Marschflugkörper, abgeschossen von US-Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen, schlugen in den ersten Angriffswellen auf irakischem Gebiet ein, mindestens eine der Cruise Missiles soll nach irakischen Angaben einen Palast des Diktators in seiner Hauptstadt nur knapp verfehlt haben. Das Ziel: »Iraks Potential an Massenvernichtungswaffen muß zerstört werden«, so Großbritanniens Premier Blair.
Irakische Einheiten schossen hektisch zurück, die Garben der Leuchtspurgeschosse ihrer Flugabwehr erhellten den Nachthimmel über Bagdad - offenbar ohne großen Erfolg. Was ihn schmerze, so Saddam, sei nicht so sehr die Attacke, sondern vielmehr, »daß sie nicht gekommen sind, um uns Auge in Auge gegenüberzustehen. Sie verlassen sich auf den langen Arm ihrer Technologie, und das ist kein Zeichen von Tapferkeit«.
Seit dem letzten Showdown am Golf im November haben die Alliierten ihre Streitmacht dort in voller Kampfstärke gehalten. 24 100 Soldaten sind im Einsatz, mehr als 20 Kriegsschiffe scharen sich um den US-Flugzeugträger »Enterprise« im Persischen Golf, mindestens 8 davon haben modernste »Tomahawk«-Marschflugkörper an Bord. Ein weiterer Träger, die »Carl Vinson«, ist in Marsch gesetzt.
Über 200 Kampfflugzeuge sind in der Region, darunter auch B-52-Langstreckenbomber, die von der britischen Insel Diego Garcia im Indischen Ozean aus starten, sowie Tarnkappen-Bomber und modernste Kampfjets. Dem Aufgebot hat Saddam Hussein militärisch wenig entgegenzusetzen. Zwar hat er 430 000 Soldaten unter Waffen, wie Experten des Londoner Instituts für Strategische Studien (IISS) schätzen. Doch von seinen rund 300 Jägern und Bombern sei derzeit allenfalls die Hälfte startklar.
Für verzweifelte Vergeltungsschläge könnte sein Arsenal chemischer und biologischer Waffen jedoch reichen. Tony Blair glaubt, Saddam Hussein habe genug der geächteten Kampfstoffe beisammen, um »die Weltbevölkerung dreimal« auszulöschen. Unscom-Chef Butler vermißt »40 bis 70« irakische Raketensprengköpfe mit den tückischen Killern.
Wie viele Trägerraketen die Iraker besitzen, ist allerdings umstritten. Die
* Am Mittwoch, wenige Stunden vor dem Angriff.
britischen IISS-Experten glauben, dem irakischen Diktator seien von über 800 russischen »Scud«-Geschossen nur noch »2 bis 8« geblieben, der Rest sei nachweislich zerstört.
Erst wenn alle Ziele auf der Liste des Pentagons getroffen seien, werde das Bombardement beendet, sagte Verteidigungsminister William Cohen. »Auf der Liste stehen sämtliche Orte, an denen Massenvernichtungswaffen hergestellt werden können.«
Clinton und Cohen überzeugen damit nicht alle Republikaner. Der Butler-Bericht, so Kongreßabgeordnete, sei nicht überraschend gewesen, die Eile hätte nicht not getan und habe wohl mehr mit Clintons drohendem Impeachment-Verfahren zu tun. »Der Präsident ließ angreifen, weil er wußte, daß wir die Abstimmung dann verschieben«, schimpft der New Yorker Abgeordnete Gerald Solomon, ein Republikaner.
Die Parteiführer hatten sich im Laufe des Mittwochs geeinigt, die Schicksalsabstimmung um wenige Tage zu verschieben. Der Präsident solle sich auf seine Arbeit als Oberkommandierender der Streitkräfte konzentrieren, die Truppe dürfe nicht verunsichert werden.
Laut Plan der Militärs in Washington sollten die Angriffe schon bald beendet sein. Als einen der Gründe für den hastigen Schlag nannte Clinton in einer 15minütigen Fernseh-Erklärung an die Nation, daß am Wochenende der muslimische Fastenmonat Ramadan beginne und man die islamische Welt beleidigen würde, wenn man dann noch kämpfe.
Der Verdacht, daß es mehr um sein eigenes Gesicht als um das Ansehen der Vereinigten Staaten geht, ist jedoch nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Dabei wird der Angriff von beiden US-Parteien gebilligt. Die Republikaner drängen seit Wochen und Monaten auf eine härtere Gangart gegenüber Saddam.
Doch im Uno-Sicherheitsrat wurde Clinton heftig attackiert. Der chinesische Uno-Botschafter protestierte gegen den Einsatz der USA und Großbritanniens und griff Butler an: Er sei zu eng mit den US-Interessen verstrickt. Solle die Arbeit der Inspektorengruppe Unscom weitergehen, dann keinesfalls mit Butler, sagte verstimmt der französische Uno-Botschafter, die Russen forderten gar den sofortigen Rausschmiß Butlers.
Denn ob der Butler-Bericht nun eine gezielte Vorlage für den Militärschlag Clintons war oder nicht - unbestritten ist, der irakische Diktator hat die Weltmacht USA immer wieder provoziert.
Saddam spürte, daß die USA, wichtigster Garant des Öl- und Handelsembargos gegen sein Land, im Weltsicherheitsrat mehr und mehr an Einfluß verloren. Die eher Irak-freundlichen Ratsmitglieder Frankreich, Rußland und China machten sich Hoffnung auf gute Geschäfte mit einem rehabilitierten Irak und daher für eine Aufhebung der Sanktionen stark. Saddam setzte darauf, mit jeder neuen Provokation die USA weiter zu isolieren. Nur Großbritannien stand immer entschlossen an Amerikas Seite.
Schon im Februar hatte Saddam nach wochenlanger Provokation über Washington geradezu triumphiert: Erst nachdem Uno-Generalsekretär Kofi Annan persönlich nach Bagdad gereist war, gab Saddam nach, Clinton mußte seinen Truppenaufmarsch abblasen.
Auch aus der letzten Konfrontation ging Saddam Mitte November mit einem Punktsieg hervor. Über Wochen hatten die Iraker Waffeninspektionen der Uno behindert; Clinton beorderte für den geplanten Vergeltungsschlag eine gewaltige Armada in die Golfregion - dann gab Saddam in letzter Sekunde abermals nach.
In dem ungleichen Duell zwischen der Weltmacht und dem Paria ist Saddam freilich schon Sieger, wenn er den Bombenhagel nur überlebt. Bislang hat die Propaganda Bagdads auch jede noch so bittere militärische Demütigung in einen Sieg gegen den »wilden Cowboy« und »Kindermörder« Clinton verwandelt.
In der arabischen Welt hofft Saddam nach dem Vergeltungsschlag aus Washington auf Solidarität. Ob er die erhält, ist fraglich. Allerdings fühlen sich arabische Staaten durch die ständige Parteinahme der Supermacht für Israel verraten. »Die Welt hat die seit dem Ende des Kalten Krieges gewachsene amerikanische Arroganz satt«, warnte Dubais »Khaleej Times«. Sogar Ägypten, Amerikas treuester Verbündeter in der Region, verwahrte sich immer wieder gegen jede militärische Aktion.
Daß es Clinton längst um mehr geht als nur darum, die Uno-Beschlüsse durchzusetzen, offenbarte seine Ansprache an die Nation. Keine zwei Stunden, nachdem Marschflugkörper in einer ersten Angriffswelle im Süden des Irak, nordwestlich von Bagdad, aber auch im Zentrum der Hauptstadt eingeschlagen waren, rief Clinton aus dem Oval Office zum Sturz Saddams auf: »Es wäre das beste für das irakische Volk, wenn es eine neue Führung bekäme.«
Auch wenn Saddam, einst von Amerika als Bollwerk gegen den revolutionären Iran aufgerüstet, nach der Besetzung des Golfemirats Kuweit 1990 dem Clinton-Vorgänger George Bush »schlimmer als Hitler« erschienen war - auf einen Sturz des Rebellen war Washington damals nicht erpicht.
Vor allem die Strategen im Pentagon warnten schon nach dem Golfkrieg 1991 davor, daß das Zweistromland auseinanderbrechen könnte: in einen schiitischen Süden, einen sunnitischen Mittelteil und einen kurdischen Norden.
Saddam Hussein habe vielleicht geglaubt, die Debatte um ein Amtsenthebungsverfahren werde die USA schwächen, sagte Clinton siegessicher in der Nacht des Angriffs: »Aber die Vereinigten Staaten haben wieder einmal gezeigt, daß sie handeln können, wenn es ihre vitalen Interessen gebieten.«
Erste Blitzumfragen des Nachrichtensenders CNN nur Stunden nach dem Angriff deuteten an, daß Clinton das Volk tatsächlich wieder auf seine Seite ziehen konnte: Mehr als 70 Prozent befürworteten den Angriff.
DIETER BEDNARZ, CLEMENS HÖGES,
MICHAELA SCHIESSL
[Grafiktext]
Militärische Stärke der USA am Golf TRUPPEN rund 24000 Soldaten von Armee, Marine, Marineinfanterie und Luftwaffe KRIEGSFLOTTE Mehr als 20 Schiffe, darunter der Flugzeugträger »Enterprise«. Acht Kriegsschiffe sind mit der neuesten Generation von Tomahawk-Marsch- flugkörpern bestückt. Der Flugzeugträger »Carl Vinson« und weitere Schiffe befinden sich auf dem Weg in die Krisenregion. LUFTWAFFE 201 Flugzeuge befinden sich in der Golf-Region. Zu der Luftflotte gehören Tarnkappen- Kampfflugzeuge vom Typ F-117A und Jagdbom- ber vom Typ F-14 und F-18. 17 Langstreckenbomber vom Typ B-52 sind im Indischen Ozean auf dem Stütz- punkt Diego Garcia stationiert. Sie sind teilweise mit Marsch- flugkörpern bestückt. Die ersten Angriffswellen Mehr als 200 Marschflugkörper feuern die Amerikaner von Schiffen und B-52-Bombern aus auf militärische Ziele im Irak ab. Die ersten Schläge richten sich gegen irakisches Militär im Süden des Landes. Weitere Angriffswellen zielen auf die Hauptstadt Bagdad. An den Angriffen waren außerdem land- und see- gestützte Kampfflugzeuge der Amerikaner und Briten beteiligt.
[GrafiktextEnde]
[Grafiktext]
Operation ''''Desert Fox''''
Militärische Stärke der USA am Golf
Die ersten Angriffswellen
[GrafiktextEnde]
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Militärische Stärke der USA am Golf TRUPPEN rund 24000 Soldaten von Armee, Marine, Marineinfanterie und Luftwaffe KRIEGSFLOTTE Mehr als 20 Schiffe, darunter der Flugzeugträger »Enterprise«. Acht Kriegsschiffe sind mit der neuesten Generation von Tomahawk-Marsch- flugkörpern bestückt. Der Flugzeugträger »Carl Vinson« und weitere Schiffe befinden sich auf dem Weg in die Krisenregion. LUFTWAFFE 201 Flugzeuge befinden sich in der Golf-Region. Zu der Luftflotte gehören Tarnkappen- Kampfflugzeuge vom Typ F-117A und Jagdbom- ber vom Typ F-14 und F-18. 17 Langstreckenbomber vom Typ B-52 sind im Indischen Ozean auf dem Stütz- punkt Diego Garcia stationiert. Sie sind teilweise mit Marsch- flugkörpern bestückt. Die ersten Angriffswellen Mehr als 200 Marschflugkörper feuern die Amerikaner von Schiffen und B-52-Bombern aus auf militärische Ziele im Irak ab. Die ersten Schläge richten sich gegen irakisches Militär im Süden des Landes. Weitere Angriffswellen zielen auf die Hauptstadt Bagdad. An den Angriffen waren außerdem land- und see- gestützte Kampfflugzeuge der Amerikaner und Briten beteiligt.
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Operation ''''Desert Fox''''
Militärische Stärke der USA am Golf
Die ersten Angriffswellen
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* Am Mittwoch, wenige Stunden vor dem Angriff.