PARTEIEN / SPD-STUDENTEN Come in
Hinter den verschlossenen Türen der Bad Godesberger Stadthalle plädierte SPD-Minister Karl Schiller für eine offene Partei. Die SPD, sprach er, müsse sich »auch mal ein bißchen verändern und beeinflussen lassen von Go-ins, Teach-ins, Sit-ins«.
Der formulierfreudige Ökonom empfahl -- im November letzten Jahres auf einer internen SPD-Bundeskonferenz -- den »lieben Genossinnen und Genossen«, Deutschlands protestierenden Go-in-Studenten zuzurufen: »Come in -- mit allen euren Methoden.«
Jugendbewegt gerierten sich die Genossen auch in den jetzt veröffentlichten »Sozialdemokratischen Perspektiven«. Auf der zweiten Seite des neuen Programms offeriert sich die SPD als eine Partei, »die Impulse der jungen Generation aufnimmt«, auf der letzten bescheinigt sie sich »Verständnis für den kritischen Geist der Jugend«.
Allerdings: Mit dem Verständnis für die aufmuckenden Pullover-Revoluzzer in den eigenen Reihen, den sozialdemokratischen Studenten, hapert es. Der ehemalige Chef des West-Berliner »Sozialdemokratischen Hochschulbundes« (SHB), Niels Kadritzke, 25, monierte, in der SPD verlören »Diskussionsbeiträge erst dann ihre parteischädigende Wirkung ... wenn Herbert Wehner sie liefert«.
Tatsächlich wird der SHB der konzertierten Wehner-Mannschaft immer unheimlicher. Mit Unbehagen verfolgt die Parteileitung die kleinen Schritte des Parteinachwuchses, der Abordnungen zur Ost-Berliner FDJ schickt und die Anerkennung der Oder-Neiße-Qrenze fordert, für den Abzug der Amerikaner aus Vietnam demonstriert und für die »Respektierung der DDR« eintritt. Und schon fürchtet der Hamburger SHB-Vize, Soziologie-Student Jens Litten, 24: »Die SPD will uns los sein.«
Käme es wirklich zum Bruch zwischen SPD und SHB, würden die Sozialdemokraten ihre Kinder bereits zum zweiten Male verstoßen: 1960 hatte den heute von Rudi Dutschke beherrschten »Sozialistischen Deutschen Studentenbund« (SDS), dem einst SPD-Fraktionschef Helmuth Schmidt und der Stadtrat für Volksbildung in Berlin-Charlottenburg, Harry Ristock, angehörten, der Bann aus Bonn wegen Linksabweichung getroffen.
Der Parteivorstand dekretierte damals, die Beziehungen der Partei zum SDS seien abgebrochen, und legte sich eine neue Nachwuchstruppe zu -- den SHB, der heute -- acht Jahre später -- auch schon wieder unverstanden ist.
Liebevoll von der SPD-Amme in der Bonner Führungs-Baracke mit Geld und Direktiven aufgepäppelt, hatte sich der Bund, wie später das SHB-Blättchen »frontal« zugab, zunächst zu einem »Musterknäblein« entwickelt, »das die SPD rechts zu überholen drohte«. Carlo Schmid freute sich über die artigen SHB-Studenten« »die auch den Mut haben, ja zu sagen«, und der SPD-Pressedienst rühmte »die unabdingbare Loyalität des Verbandes zur SPD«.
Das währte nicht lange. Denn es zog den SHB, wie zuvor den SDS, bald nach links. Als der Hochschulbund 1964 die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze forderte, grollte das SPD-Organ »Vorwärts« bereits: »Das richtige Augenmaß fehlte.« Als ein Jahr später in Marburg SHB-Kongreßteilnehmer einem Grußwort-Sprecher vom SDS applaudierten, lief SPD-Jugendreferent Waldemar Ritter wütend aus dem Tagungssaal.
Heute stehen die innerparteilichen wie außerparlamentarischen Oppositionellen vom SHB »was die Theorie betrifft, so weit links wie der SDS« (Litten), und auch in der Kritik an der Mutterpartei sind sie fast ebenso radikal wie die Radikalen vom SDS.
Der einstige SHB-Bundesvorsitzende Hajo Hauß warf 1965 der Parteiführung »faschistoides Verhalten« vor; auf der Bundesdelegierten-Versammlung 1967 war die Rede von »autoritären Tendenzen«. Der SHB-Landesvorstand Nordrhein-Westfalen attackierte den SPD-Eintritt in die Große Koalition ("Politik des Vertuschens"), und der SHB Berlin zieh den SPD-Landesvorsitzenden Kurt Mattick einer »Ignoranz, die Gefahr läuft ... einem neuen Faschismus den Weg zu bereiten«.
Von Berlin, wo Mattick dem SHB »parteischädigendes Verhalten« vorwarf, bis Bayern, wo SPD-Landeschef Volkmar Gabert die »extremen Individualisten« des SHB rügte, wuchs der Ärger über die aufsässigen SPD-Studenten.
Unter dem Datum vom 27. Februar 1967 ließ der Bonner SPD-Präsidiums-Funktionär Heinz Castrup schließlich den mit 40 000 Mark verschuldeten SPD-Studenten mitteilen, »daß Euch weitere finanzielle Unterstützung nicht mehr gewährt wird«. Nur böses Presse-Echo ("Frankfurter Rundschau": »Die SPD leistet einen neuen Beitrag zur Selbstzerstörung dieses demokratischen Staates") ließ Chef-Taktiker Wehner den Subventionsstopp widerrufen: »Keine Geldsperre.«
Seitdem verbindet SPD und SHB nur noch ein loses Zweckbündnis. Der von dem Bochumer Soziologie-Studenten Erdmann Linde, 24, Professoren-Sohn und Folklore-Fan, angeführte Studentenbund weiß, daß eine Tren-
* Mit der amerikanischen Protest-Sängerin Joan Baez (M.) in Essen.
nung von der nach immer zahlenden SPD die Organisation um ihre Existenzgrundlage brächte,
Die SPD wiederum fürchtet einen Aufstand des linken Parteiflügels, wenn sie mit dem SHB bricht, dem heute jeder dritte Student Sympathien entgegenbringt.
So versuchten führende Sozialdemokraten, sich unauffällig von den rebellischen Jungakademikern zu befreien. Hinter den Kulissen wollten sie, wie SHB-Chef Linde ("In Berlin wagt man vor Studenten kaum noch zu sagen, daß man SPD-Mitglied ist") berichtet, dein ungeratenen Parteisproß den Namen nehmen.
Im selben November, da SPD-Minister Schiller den Protest-Studenten »Come in« zurief, ließen die Sozialdemokraten ganz im Gegensatz dazu ihren SHB-Studenten gegenüber ein »Get out« vernehmen. Der SPD-Vorstand verkündete: Wir wollen keine »studentische Leiborganisation« mehr haben.
SHB-Chef Linde: »Die Parteispitze hat uns wiederholt aufgefordert, den »Sozialdemokratischen Hochschulbund« umzutaufen -- etwa in »Radikaldemokratischen Hochschulbund.«