VIERMÄCHTE-STATUS Conants Wünsche
Mit einer Sinnfälligkeit, die schwerlich noch übertroffen werden kann, offenbarte die Berlin-Debatte des Deutschen Bundestags in der letzten Woche, wie weit Wünsche und Möglichkeiten des Parlaments der Bundesrepublik auseinanderklaffen, wenn es um Fragen geht, die mit Berlin und der Wiedervereinigung Deutschlands zusammenhängen.
In emphatischen Reden forderten Abgeordnete aller Fraktionen, Berlin müsse die Funktionen einer deutschen Hauptstadt so rasch wie möglich übernehmen. Das Auswärtige Amt jedoch hatte vor der Debatte bei den Botschaftern der Westmächte mündlich erfragt, wie denn wohl deren Regierungen über das Berlin-Problem dächten. Und die Vertreter der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Bonn hatten geantwortet, der Standpunkt ihrer Regierungen sei unverändert: Westberlin dürfe weder Bundeshauptstadt noch vollberechtigtes Bundesland werden. Die Westmächte befürchten, die Sowjets könnten sonst den Viermächte Status der Stadt aufkündigen.
Der Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes in Bonn, Ministerialdirektor Professor Wilhelm Grewe, hatte den Abgeordneten des Bundestags in Ausschußberatungen dargelegt, wie beschränkt die deutschen Möglichkeiten sind. Er sagte, man wisse nicht einmal, wieviel Bundesbehörden zum Beispiel nach Berlin gebracht werden könnten, ohne daß der Vier-Mächte-Status der Stadt gefährdet wird. Grewes Zuhörer waren sich - einschließlich der Abgeordneten aus Berlin - einig, daß es nicht sinnvoll ist, durch allzu große Berlin-Freudigkeit ein Risiko zu laufen.
Anfrage bei den Alliierten
In den nächsten Wochen wird nun - als Ergebnis der Berlin-Debatte des Bundestags - in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments über die Frage beraten werden, ob nicht wenigstens die zweiundzwanzig Berliner Abgeordneten in Bonn künftig volles Stimmrecht haben sollen. Bisher haben sie nur beratend wirken dürfen. Auch diese Prüfung des Bundestags vollzieht sich im luftleeren Raum, solange gilt, was der amerikanische Botschafter Conant in dieser Sache - am 10. März 1956 - dem Bundeskanzler Adenauer geschrieben hat:
»Wie ich erfahre, erwägt der zuständige Bundestagsausschuß ... (daß Bundestagswahlen) in Berlin wie in den Bundesländern abgehalten werden sollen. Es scheint mir im gegenwärtigen Zeitpunkt, wo es im Interesse der Bundesregierung wie ihrer drei westlichen Verbündeten liegt, den besonderen Status und die rechtliche Einheit Berlins aufrechtzuerhalten, besonders unerwünscht, den Anschein zu erwecken, daß Berlin den Ländern gleichgestellt wird.
»Sie werden sich in diesem Zusammenhang des Vorbehalts erinnern, der im Absatz 4 des Genehmigungsschreibens vom 12. Mai 1949 der Militärgouverneure zum Grundgesetz dargelegt ist und folgendermaßen lautet:
Ein dritter Vorbehalt betrifft die Beteiligung Großberlins am Bund. Wir interpretieren den Inhalt der Artikel 23 und 144 (2) des Grundgesetzes dahin, daß er die Annahme unseres früheren Ersuchens darstellt, demzufolge Berlin keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder im Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden wird, daß es jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen darf.
»Meines Erachtens hat sich hinsichtlich dieser Angelegenheit weder die Rechtslage noch die politische Lage geändert. Ich hoffe daher, daß die Haltung der Bundesregierung einer Ausdehnung des Bundeswahlgesetzes auf Berlin gegenüber ablehnend bleibt, sowohl was die Art der Benennung von Berliner Vertretern zum Bundestag als auch deren Nichtstimmberechtigung in den gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik betrifft.«
Angesichts des Zwiespalts zwischen gesamtdeutschem Wollen und gesamtdeutschem Können, den dieser bisher unveröffentlichte Brief Conants offenbart, hat sich der SPD-Wahlexperte Walter Menzel den Plan einfallen lassen, die Berliner Abgeordneten sollten nur bei solchen Gesetzen stimmberechtigt sein, die ohnehin automatisch in Berlin gelten.
Doch auch dieser bescheidene Plan hat wenig Aussicht, von den Westmächten akzeptiert zu werden. Immerhin will das Auswärtige Amt in Kürze noch einmal eine offizielle Anfrage an die Vertreter der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Bonn richten, wenn es auch nicht viel Hoffnung hat, daß sich der Standpunkt der drei Mächte geändert haben könnte.