SCHECKKARTEN Concorde oder Airbus
Wer bei Wöhrl, einem Münchner Bekleidungshaus, Rock oder Hose kaufen will, braucht weder Geld, Scheck noch Kreditkarte. Mit etwas Fingerfertigkeit ist das Bezahlen erledigt, ohne daß der Kunde als Ladendieb verdächtigt wird.
Scheckkarte genügt: Die Kassiererin an der Computerkasse schiebt das Plastikrechteck mit dem braunen Magnetstreifen auf der Rückseite in den Schlitz eines Lesegeräts, während der Käufer seine vierstellige »Persönliche Identifikations-Nummer« in eine verdeckte Tastatur tippt - schon ist der Handel perfekt, die Kaufsumme gespeichert.
Am Abend, nach Ladenschluß, wird der Datenträger, eine Diskette, zur Hausbank gebracht, der Rechnungsbetrag automatisch vom Konto des Kunden abgebucht und dem Modehaus gutgeschrieben.
Bei Wöhrl, beim lokalen Textil-Konkurrenten Ruppert und an einigen Münchner Tankstellen vollzieht sich der bargeldlose Zahlungsverkehr elektronisch perfekt - ohne Scheinerascheln, ohne irgendeinen papierenen Beleg.
Doch die Kunden begegnen dem Test, der seit gut einem Jahr läuft, noch mit Skepsis. Nur etwa zehn Käufer täglich, berichtet Wöhrl-Geschäftsführer Günter Heinritz, trauen dem Karten-Zauber. Die meisten wollen, wie gehabt, »unbedingt ihren Scheck loswerden« (eine Kassiererin). Dennoch ist Heinritz optimistisch: »Das hat Zukunft, sonst hätten wir uns ja nicht daran beteiligt.«
Anfang nächsten Jahres soll das neue Plastikzeitalter auch im Rhein-Main-Gebiet anbrechen. Dort will die Frankfurter »Gesellschaft für Zahlungssysteme« (GZS), eine gemeinsame Gründung der westdeutschen Banken und Sparkassen, die elektronischen Zahl-Karten als Geld-Ersatz einführen.
Etwa 500 bis 700 Computerkassen, sogenannte Point-of-sale-Terminals, erwartet GZS-Geschäftsführer Herbert Dorner, werden »am Ende einer auf zwei Jahre angelegten Testphase« dem Verbund angeschlossen sein.
Und natürlich läuft der Frankfurter »Feldversuch« (Dorner), im Zentrum der Banken, noch umfassender und noch raffinierter.
Während in München nur etwa 300 000 Scheckkarten-Inhaber, die bei der Stadtsparkasse, bei der Hypo-Bank oder bei der Bayerischen Vereinsbank ein Girokonto unterhalten, am Probelauf beteiligt sind, sollen in Frankfurt, zumindest theoretisch, fast alle der 17,5 Millionen westdeutschen Euroscheck-Kunden elektronisch bezahlen können - jedenfalls jene neunzig Prozent, die bereits ihre persönliche Geheimnummer zugeteilt bekommen haben und sich damit auch an den rund tausend bislang installierten Geldausgabeautomaten selbst mit Barem versorgen können.
Das Frankfurter Pilotprojekt ist auch technisch weiterentwickelt. Der Rechnungsbetrag, von der Ladenkasse registriert, und die auf dem Magnetstreifen kodierten Informationen über den Kunden, die das Lesegerät dazuspeichert,
werden nicht erst auf Disketten zwischengelagert ("off line"); vielmehr sollen alle Ab- und Zubuchungen über direkte Datenfernleitungen ("on line") zentral erfaßt werden.
Der Eintausch von Münzen und Geldscheinen gegen Ware oder Dienstleistungen kommt vielleicht aus der Mode. Die GZS schätzt, daß in »fünf bis sieben Jahren durchaus ein Bedarf von rund 46 000 Terminals bestehen könnte« - vor allem dort, wo selten Kleckerbeträge über den Ladentisch geschoben werden: in exklusiven Modeboutiquen, Supermärkten und Warenhäusern.
Pro Jahr könnten dann, »bei entsprechender Akzeptanz durch alle Beteiligten« (Dorner), acht Prozent aller Geldtransaktionen oder 17 Prozent des gesamten Handelsumsatzes elektronisch abgewickelt werden.
Den potentiellen Partnern, Händlern wie Kunden, versucht das Kreditgewerbe deshalb die Plastikkarte schmackhaft zu machen. »Die Argumente, die für das POS- (Point-of-sale-) System sprechen«, werben die drei Münchner Geldinstitute, »sind vielfältig.« Die Banken verweisen *___auf die »erhöhte Flexibilität des Kunden beim Einkauf«, ____der auf Sonderangebote und Okkasionen »spontan ____reagieren« kann, ohne ständig Bargeld oder Schecks bei ____sich führen zu müssen, *___auf Zinsgewinne für Kunden wie Händler, weil das Geld ____bis unmittelbar vor dem Kauf auf dem Konto verbleibt ____und dem sofort gutgeschrieben wird, *___auf die »Verringerung der Bargeldbestände«, die das ____Sicherheitsrisiko reduzieren, *___und auf »kürzere Wartezeiten an den Geschäftskassen«.
Untersuchungen haben ergeben, daß eine Barzahlung durchschnittlich 30 Sekunden, die Abwicklung mit einer Kreditkarte 75 und eine Scheck-Einreichung 90 Sekunden dauert, das elektronische Abbuchen hingegen nur 15 Sekunden.
Vor allem auf den Zeitvorteil verweist auch GZS-Chef Dorner. Mit POS wolle die Banken-Organisation »die Rationalisierungsbemühungen des Handels um Beschleunigung des Kassenvorganges aktiv unterstützen«. Das System ermögliche zudem, beispielsweise an Tankstellen, eine Selbstbedienung rund um die Uhr. Und die Ladenkassen seien ohnehin bereits an Datenverarbeitungsanlagen angeschlossen, um »verschiedene warenwirtschaftliche Funktionen« zu erledigen, so etwa die Lagerbestandsbewertung.
Die Rationalisierung macht allerdings auch Jobs im Handel entbehrlich. Wenn der Kunde die Kode-Markierung an der Ware selber über ein Lesefeld zieht, werden Kassiererinnen nicht mehr gebraucht.
Die Geldinstitute versprechen sich von der Einführung des POS-Systems eine drastische Senkung ihrer Personalkosten und den Abbau des Papierstaus. Der Aufwand für die Bearbeitung eines Schecks, bislang mit etwa drei Mark taxiert, soll je »Geschäftsvorfall« auf 80 Pfennig gedrückt werden.
Vor allem aber suchen die Banken nach einem wirksamen Mittel, um die Expansion der Kreditkarten-Organisationen (American Express, Diners Club, Visa) zu bremsen. Gut 600 000 Bundesbürger, immerhin ein Drittel mehr als noch vor drei Jahren, tragen eines dieser drei bunten Kärtchen in der Tasche.
Die GZS-Eurocard erwies sich als wenig tauglich, den Trend zu stoppen: Der neue Banken-Service wurde nicht als Alternative, sondern allenfalls als Ergänzung des herkömmlichen Scheckkartensystems von der Kundschaft aufgenommen. »Durch das Vordringen von Kreditkarten-Organisationen« sieht der Vorstandsvorsitzende der Stuttgarter Landesgirokasse, Walther Zügel, »das Geschäft der Banken gefährdet, wenn sie nicht rechtzeitig eine Strategie dagegen entwickeln«.
Und auch GZS-Chef Dorner spornt zur Eile an. Da die GZS ohnehin bereits als deutsche Euroscheck-Zentrale fungiert, bot sich das neue Zahlungsmittel an. Die Euroscheck-Karte, schwärmt Dorner, sei »als Scheckgarantiekarte national und international hervorragend eingeführt« und »technisch für eine entsprechende multifunktionale Nutzung vorbereitet«. Dorner: »Wir sollten den Anschluß an das Ausland in dieser wichtigen technologischen Weiterentwicklung nicht verpassen.«
Dabei ist die Magnetstreifen-Karte, technisch gesehen, schon überholt. Die französischen Banken und die Post experimentieren seit Mitte 1982 in Caen, Blois und Lyon mit Plastikkarten, in die winzige Chips eingebaut sind. Die Mikroprozessoren, fünf mal fünf Millimeter groß, haben eine 10- bis 15mal größere Speicherkapazität als der simple Magnetstreifen.
In die »carte a memoire« ist ein individuelles Kreditvolumen einprogrammiert. Jeder Einkauf wird vom Mini-Computer registriert und von der Kreditsumme abgezogen. Jeden Monat wird das Dispositionslimit automatisch neu aufgefüllt, nach etwa 200 Geldtransaktionen muß die Karte erneuert werden.
125 000 Testkarten sind bislang im Umlauf und können an 650 Verkaufsstellen eingesetzt werden. Nächstes Jahr soll der Versuch auch auf die Großstädte Marseille, Lille und Bordeaux ausgedehnt werden - dann in Millionenauflage.
Die »geniale Erfindung« (so das Magazin »Le Point") taugt nicht nur zum elektronischen Bezahlen, zur Benutzung öffentlicher Fernsprecher, Fahrkartenautomaten und Parkuhren oder zur Abrechnung für Bildschirmtext-Dienste. Sie kann obendrein auch als Gesundheitspaß benutzt werden, mit eingespeicherten Angaben über Blutgruppe, Impfungen und unverträgliche Medikamente, oder als Studentenausweis mit Vermerken über Studienverlauf, Examina und Noten.
Die Franzosen, schwärmte die Londoner »Times«, seien »bei der Anwendung der Computer-Technologie im Banken- und Dienstleistungssektor führend in Europa«. Eben dies, meint das Pariser Wirtschaftsmagazin »Les Echos«, sei allerdings auch der »Schwachpunkt« der Chipkarte: »ihre französische Herkunft«.
Insbesondere das westdeutsche Bankengewerbe ist nicht geneigt, das welsche System zu übernehmen. Als der Stuttgarter Landesgirokassen-Chef Zügel vorigen Herbst vorschlug, in der Neckar-Region - parallel zum Frankfurter Magnetstreifen-Test - die französische Version zu erproben, wurde das Vorhaben durch ein Veto des Zentralen Kreditausschusses, in dem die Spitzenverbände der deutschen Kreditwirtschaft zusammengeschlossen sind, brüsk abgeblockt.
»Aller Voraussicht nach«, räumt GZS-Geschäftsführer Dorner zwar ein, »wird die Magnetstreifentechnik eines Tages von der Chipkartentechnik ergänzt und vielleicht sogar abgelöst werden.« Aber »wichtige Fragen«, behauptet er, seien »noch nicht zufriedenstellend gelöst«, die Chip-Lösung sei »technisch noch nicht ausgereift«.
So seien die Chips noch zu teuer (etwa fünfzig Mark), ihre »dauerhafte Implantation in eine Karte« nicht hinreichend sicher. Und nicht geklärt seien einstweilen noch »Fragen der nationalen und internationalen Normierung«.
Gerade unter diesem Aspekt indes ist der französische Postminister Louis Mexandeau zuversichtlich, »daß die französische Norm international wird« - dank einem Kooperationsvertrag zwischen dem französischen Chipkarten-Hersteller Bull und dem niederländischen Philips-Konzern.
Aus französischer Perspektive nimmt sich die Verweigerungshaltung der Deutschen denn auch eher als kleinliche Rivalität aus: Die GZS, argumentieren Fachleute in Paris, wolle mit aller Gewalt ihr Euroscheck-System durchdrücken, das vor allem in Frankreich nur von wenigen Banken mitgetragen wird.
GZS-Chef Dorner wiederum wirft den Franzosen vor, ein solides europäisches Gemeinschaftswerk einem nationalen Höhenflug zu opfern. Für ihn stellt sich die Frage, ob die französischen Kollegen »ihre eigene 'Concorde' bauen wollen oder mit uns den 'Airbus'«.