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ENGLAND Cornflakes ohne Milch

»Zirkuspferd und »Geier schimpfen Labour-Politiker die Oppositionsführerin Margaret Thatcher. Ein schmutziger Wahlkampf hat begonnen.
aus DER SPIEGEL 15/1979

Labour-Abgeordneter William Hamilton zielte, auf keineswegs feine britische Art, unter die Gürtellinie:

»Sie hat alles an sich ändern lassen -- mit Ausnahme einer Gesichtsoperation. Ihre harte metallische Stimme wurde ersetzt durch eine künstlich-sinnliche Heiserkeit. Sie ist so ausgiebig trainiert worden wie ein Zirkuspferd, aber, bei Gott, sie ist viel gefährlicher, wenn man sie losläßt.«

Der ehrenwerte Abgeordnete sprach von jener Frau, die nach den britischen Wahlen am 3. Mai gute Aussichten hat, Englands erster weiblicher Premierminister zu werden: der konservativen Parteiführerin Margaret Thatcher. Und er sagte es nicht in privatem Kreis, sondern an vornehmem Ort -- im Parlament.

Hamilton, bekannt wegen seiner schon fast fanatischen Abneigung gegen die Monarchie, ist nicht der einzige, der solche Töne anschlägt. Labours Verkehrsminister William Rodgers erklärte Frau Thatcher zu einem einzigen »Frauen -Notstandsgebiet« und unterstellte ihr eine Politik, die dazu führen müsse, daß die »Stärksten überleben und die Schwachen an die Wand gestellt werden«.

Labours Abgeordneter Neil Kinnock, Linksaußen seiner Fraktion: »Mit einem Geier wie Thatcher sind die Tones in Not. Uns bleiben Wochen, um das klarzumachen.«

Einzig Premier James Callaghan blieb der Lady gegenüber distinguiert. Er warnte bei einem Strategie-Gespräch mit Labour-Ministern vor persönlichen Angriffen und will sich selbst nicht daran beteiligen.

Doch auch Callaghan strebt einen Persönlichkeits-Wahlkampf an, weil er weiß, daß er die beste Wahllokomotive seiner Partei ist. Zum erstenmal in der Geschichte Englands bot deshalb ein amtierender Regierungschef im Wahlkampf die persönliche Konfrontation mit der Oppositionsführerin auf den Fernsehschirmen an. Bisher hatte dies immer der Herausforderer verlangt. Und der Amtsinhaber, der seinen Gegner damit nicht aufwerten wollte, hatte abgelehnt.

Diesmal wich Margaret Thatcher aus: »Wir wählen keinen Präsidenten, sondern eine Regierung.« Eine Antwort, die, je nach politischem Standort, als Feigheit oder staatsmännische Größe interpretiert wurde. Labour-Staatssekretär im Gesundheitsministerium Stanley Orme: »Sie hat ganz offensichtlich Angst.«

Angst oder nicht -- schon jetzt steht fest, daß der Persönlichkeits-Wahlkampf, den Frau Thatcher vermeiden möchte, dennoch geführt werden wird. Die Presse will es so.

Selbst der seriöse und konservative »Economist« stellt fest: »Das Thema heißt »Thatcher.« Die Boulevard-Presse schlägt härter zu und sagt auch, warum: »Politik und nicht Persönlichkeiten? Viel Spaß. Das ist wie Cornflakes ohne Milch« -- mit anderen Worten unzumutbar.

Zwar warnt der Kolumnist Jon Akass in der »Sun": »Labour muß gut aufpassen, daß ihr kein männlicher Chauvinismus unterstellt wird, und immer klarmachen, daß sie nicht gegen Frauen im allgemeinen, sondern gegen diese besondere Frau ist«

Keith Waterhouse, »Kolumnist des Jahres« 1978, im Labour-nahen »Daily Mirror": »ich sage ja gar nicht, daß wir jetzt eine öffentliche Debatte darüber führen sollen, wie Mrs. Thatcher ihre Augenbrauen zupft«, schreibt dann aber doch: »Ich glaube schon, daß sie mit ihrer netten Stimme, ihren schönen Kleidern, dem wohlfrisierten Haar, dem gemütlichen Heim und der lieben Familie möglicherweise mehr Zeit darauf verwendet, schöne Blumen in schönen Vasen zu arrangieren, als sich darüber Gedanken zu machen, wie Britannien aussehen soll -- mit Ausnahme vielleicht für jene Handvoll, die das Glück hatte, wohlgeboren zu sein.

Der konservative »Daily Mail« sieht die Gefahr: »Das ist eine verabscheuungswürdige Strategie, denn sie wird den Wahlkampf zum billigen Sensationsgeschrei degradieren und dazu beitragen, daß die Wähler den letzten Rest von Respekt verlieren, den sie noch für die Berufspolitiker empfinden.«

Dies freilich ist nicht sicher, denn die Schmutzkampagne muß besonders die weiblichen Wähler abstoßen. Eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Meinungsumfrage des Marplan-Instituts ergab, daß in den 100 hart umkämpften Wahlkreisen, die über die Schlacht zwischen Labour und Konservativen entscheiden werden, die Frauen das Zünglein an der Waage sein könnten: 58 Prozent der weiblichen Wähler wollen danach für die Konservativen, nur 36 Prozent für Labour stimmen -- genug, um Margaret Thatcher eine bequeme Mehrheit im Unterhaus zu sichern.

Um diesen Vorsprung nicht zu gefährden, zögert die Oppositionsführerin, sich auf den politischen »Catch-as-catch-can« einzulassen. Sie will vermeiden, was die andere Seite herbeizuführen sucht: »auf dem falschen Fuß erwischt« zu werden ("Evening Standard"), denn das Ziel ihrer Gegner, so der »Observer«, ist klar: »Es geht um Maggies Nerven.«

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