Coronageschäfte im Frühjahr 2020 »Liebe Melanie, wollte dich nur fragen, ob Bayern Schutzmasken braucht«

Vor dem Untersuchungsausschuss »Maske« in Bayern müssen die zuständigen Minister aussagen. Erkenntnis: Die chaotische Organisation zu Pandemiebeginn begünstigte dubiose Deals.
Von Jan Friedmann, München
Ministerin Huml auf dem Weg zum Untersuchungsausschuss: »Es gab so gut wie nichts«

Ministerin Huml auf dem Weg zum Untersuchungsausschuss: »Es gab so gut wie nichts«

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Angelika Warmuth / dpa

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»Beruflich bin ich Ärztin und Abgeordnete«, sagt die Zeugin. Ladefähige Adresse derzeit: die bayerische Staatskanzlei. Mit den Angaben zur Person von Melanie Huml beginnt ein langer Tag im Münchner Maximilianeum. Es geht vor dem Untersuchungsausschuss um die Frage, welche Rolle die zuständigen Ministerinnen und Minister bei der Beschaffung von Coronaschutzmasken spielten – und ob sie von dubiosen Deals Kenntnis hatten.

Huml, mittlerweile Europaministerin im Kabinett von Markus Söder, führte in der Hochphase der Pandemie das bayerische Gesundheitsministerium. Im Januar 2021 wurde sie von ihrem Nachfolger Klaus Holetschek abgelöst. Von halb zehn am Vormittag bis viertel vor sechs Uhr am Nachmittag berichtet sie an diesem Montag von ihrer Sicht auf die Vorgänge während der »Bandemie« – sie spricht das Wort in fränkischem Dialekt mit weichem Konsonanten aus.

Tenor: Es sei damals darum gegangen, in einer Notlage möglichst schnell möglichst viele Masken zu besorgen. Zu vorhandenen Angeboten habe es in der Frühphase kaum Alternativen gegeben.

Das ist auch insgesamt die Verteidigungslinie der bayerischen Landesregierung und der CSU, die Opposition sieht das ganz anders. Der Untersuchungsausschuss steht kurz vor Ende der Beweisaufnahme, mit den letzten drei Zeugen Huml, Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern und Söder am Freitag. Die Opposition spricht von einer »Showdown-Woche«, gegen Ostern soll der Abschlussbericht vorliegen.

»Um Leben und Tod«

Das Bild nach knapp 50 Sitzungen innerhalb eines halben Jahres: Im Frühjahr 2020 herrschte weitgehend Wildwest beim Kauf von Coronaschutzausrüstung. Bundes- und Landesregierung nahmen, was sie bekommen konnten, zu fast jedem Preis. Das nutzten findige Geschäftemacher und machten mit der Not fabelhafte Deals.

Rund 48 Millionen Euro Provisionen kassierte Andrea Tandler, Tochter eines CSU-Granden, dafür, dass sie der Schweizer Firma Emix Trading den Weg zu Maskengeschäften mit Bund und Land bahnte. Bayern bezahlte den Höchstpreis von 8,90 Euro pro Stück. Den Kontakt ins bayerische Gesundheitsministerium hatte die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier vermittelt. Hunderttausende Euro verdienten auch der damalige CSU-Landtagsabgeordnete Alfred Sauter und der Bundestagsabgeordnete Georg Nüßlein damit, dass sie Masken der hessischen Firma Lomotex organisierten.

Weitere fragwürdige Deals dieser Dimension förderte der Ausschuss nicht zutage. Allerdings kamen viele Mails, Interventionen und Lieferantentipps ans Licht, die die politisch Verantwortlichen im Nachhinein eher schlecht aussehen lassen. Mit der Regierungskunst des so stolzen Freistaats war es zumindest zu Pandemiebeginn nicht weit her.

Die ehemalige Gesundheitsministerin Huml beginnt ihren Auftritt mit einem 20-minütigen Coronarückblick: »Es war eine intensive, für uns alle herausfordernde Zeit«, erzählt Huml. Besonders für ihr zuvor sehr kleines Ministerium: »Auch wir mussten uns alle in dieser Phase neu organisieren.« Gerade bei der Beschaffung von Schutzausrüstung sei es »um Leben und Tod gegangen«. Jeder Hinweis, jeder Kontakt sei da hilfreich gewesen. »Der Markt war weltweit zusammengebrochen, es gab so gut wie nichts.«

SMS von Hohlmeier

Im März bekam Huml eine SMS von ihrer Parteifreundin Hohlmeier: »Liebe Melanie, wollte dich nur fragen, ob Bayern Schutzmasken braucht, weil da 1 Mio Restposten in der Schweiz existiert. Eilige Interesseanmeldung nötig, da viele Anfragen. Ich bin nur Übermittler der Nachricht. Der Händler ist Lieferant für die Schweizer Armee. Verlangt angeblich normale Preise. Ich wollte Dir das zumindest zur Kenntnis geben, damit Du entscheiden kannst, ob ihr in Kontakt treten sollt. Lg Monika.«

»Eilige Interesseanmeldung nötig, da viele Anfragen. Ich bin nur Übermittler der Nachricht.«

SMS von Monika Hohlmeier (CSU) an Melanie Huml (CSU)

Huml verwies sie an die zuständige Beamtin und schrieb: »Schön, dass Du an uns gedacht hast.« Später bekundete die Ministerin in der Antwort »großes Interesse«. Es war der Türöffner zu dem Emix-Geschäft.

Sie habe Hohlmeiers Textnachricht gewertet als »Übermittlung, dass es da ein Angebot geben könnte«, erklärt Huml vor dem Ausschuss. Sie habe es direkt an die Fachebene weitergeleitet. »Wir hatten damals nicht viele weitere Angebote.« Und: »Weder kenne ich Frau Tandler, noch habe ich jemals mit ihr gesprochen.«

Hinweis vom Skilehrer

Persönlich unangenehmer für die Ministerin ist ein Angebot, welches letztlich nicht zu einem Abschluss führte. Eine Firma nahm über den Skilehrer von Humls Söhnen Kontakt auf. Humls Mann schickte den Hinweis per E-Mail dann weiter ins Ministerium. Huml selbst fragte im Fortgang mehrfach nach, was aus dem Angebot geworden sei, sie telefonierte dazu auch mit ihrem Amtschef. Ihr Mann habe »als Bürger gehandelt«, als er den Hinweis weitergereicht habe, verteidigt sich Huml. Und: »Ich habe keine Verhandlungen geführt.« Allerdings kann sie auf Nachfrage keinen anderen Fall nennen, wo sie sich in ähnlicher Weise engagiert habe.

So macht Humls Aussage deutlich, dass die Regierenden sich durchaus nach einzelnen Lieferungen erkundigten: Söder fragte bei Huml nach, wie es um die Beschaffung stehe. Sie fragte bei der Fachebene nach. Huml erkundigte sich bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), woran es denn bei der Sonderzulassung für eine Emix-Lieferung hake.

Und Söder nahm am Münchner Flughafen fotogerecht eine Charge in Empfang, die ein Passauer Unternehmer beschafft hatte. Hinweisgeber damals: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der auch auf dem Flughafenfoto dabei war. Später stellte sich heraus, dass die Ware Mängel hatte.

Wurden Tipps von Abgeordneten bevorzugt behandelt?

Die Opposition sieht darin System: »Was von Abgeordneten kam, ist prioritär behandelt worden«, so die Einschätzung des Grünenobmanns Florian Siekmann. Demgegenüber sei die Beschaffungsstruktur vernachlässigt worden. »Das ganze Pandemiemanagement war mehr Schein als Sein.« Als schließlich eine ministeriale Unterstützungsgruppe eingerichtet wurde, waren schon mehrere Tausend unbeantwortete Mails aufgelaufen.

In die Geschichte der bayerischen Coronabewältigung dürfte auch ein Dokument eingehen, das im Ausschuss vergrößert im Bild an die Wand geworfen wird: Ein in krakeliger Handschrift geschriebener Zettel mit Namen von elf Firmen und Personen, die Wirtschaftschaftsminister Hubert Aiwanger mit grüner Ministertinte auf einen kleinen Notizzettel geschrieben hatte: Die Namen möge man regelmäßig anrufen und nach Masken fragen. Einige der Genannten gehörten den Freien Wählern an.

Nach langer Wartezeit bestreitet Aiwanger am Abend nach Huml den zweiten Teil der Mammutsitzung. Er wehrt sich gegen Vorwürfe der Vetternwirtschaft und gegen die Betrachtung im Nachhinein, die den Untersuchungsausschuss präge. Diejenigen Kritiker, die jetzt nachkarteten, hätten damals nicht geholfen. Man habe sich danach richten müssen, sagt Aiwanger, welche Angebote überhaupt Abschlüsse versprochen hätten.

»Ich habe nirgendwo nur einen Cent bekommen oder sonst eine Vergünstigung«, sagt der Vizeministerpräsident. »Ich bin persönlich vorwegmarschiert und habe Verantwortung übernommen.«

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