Sorge vor Kontrollverlust Droht Deutschland ein schwarzer Winter?

Erst aufgebaut, dann abgesagt: Weihnachtsmärkte im Coronaherbst
Foto: Sean Gallup / Getty ImagesWährend die Pandemie in einigen Regionen Deutschlands außer Kontrolle zu geraten droht, ist die neue südafrikanische Virusvariante Omikron offenbar bereits in Europa angekommen. In Amsterdam landeten am Freitag zwei Flugzeuge aus Kapstadt und Johannesburg – mit mehr als 80 infizierten Passagieren an Bord, wie Tests ergaben. Noch ist ungeklärt, ob sie sich mit der Mutante angesteckt haben.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte die Variante am Freitag als »besorgniserregend« eingestuft. Experten befürchten, dass die vielen Mutationen der Variante dazu führen, dass sich der Erreger schneller ausbreitet oder die Impfstoffe ihre Schutzwirkung verlieren. Am Freitag wurde ein erster Fall in Belgien bestätigt.
»Meine große Sorge ist, dass es zu einer Variante kommen könnte, die so infektiös ist wie Delta und so gefährlich wie Ebola«, sagte der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte in der ARD, wenn die möglicherweise gefährliche Variante auch Deutschland erreichen würde, dann wäre das ein riesiges Problem. »Denn es ist nichts schlimmer, als eine besonders gefährliche Variante in eine laufende Welle hineinzubekommen.« Die Variante scheine für Geimpfte und Ungeimpfte gefährlich zu sein.
»Daher müssen wir mit Reisebegrenzungen hier arbeiten, hier zählt wirklich jeder Tag, der gewonnen werden kann, bis diese Variante kommt«, so Lauterbach. Die Bundesregierung beschränkt von Sonntag an die Einreise aus Südafrika und sieben weiteren afrikanischen Ländern.
Lauterbach betonte, die Boosterimpfungen schützten auch vor dieser Variante, weil der Boostereffekt so enorm stark sei. Wenn sich diese Variante aber tatsächlich massiv durchsetzte, was man derzeit aber nicht wisse, »dann müsste ein neuer Impfstoff entwickelt werden. Der wäre dann in drei Monaten auf dem Markt«.
Wirtschaft fordert Impfpflicht
Während am Wochenende in einigen Städten Zehntausende Fußballfans in die Stadien strömen, wird der Ruf nach Lockdowns und Impfpflicht lauter. »In Teilgebieten Deutschlands mit extrem hohen Inzidenzzahlen wird es ohne einen Lockdown nicht gehen«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg.
»Unser Gesundheitssystem kommt an seine Grenzen, die Infektionszahlen steigen ungebremst«, so Landsberg. Volle Fußballstadien und Großveranstaltungen setzten ein vollkommen falsches Signal. Die bisher von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen reichten zur wirksamen Bekämpfung der Pandemie erkennbar nicht aus.

Ein Patient im Krankenhaus
Foto: Drägerwerk/ DPA»Gleichzeitig brauchen wir endlich eine mittelfristige Strategie, damit Deutschland nicht in die Endlosschleife der Pandemie gelangt«, sagte Landsberg. »Dazu gehört zum Beispiel die Einführung von Impfpflichten, insbesondere für berufsspezifische Gruppen in medizinischen Berufen und in der Pflege.«
Lauterbach kritisiert fehlende 2G-Kontrollen
Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus spricht sich für einen Teil-Lockdown aus. »Die Lage ist blitzgefährlich, die Lage ist akut. Wir müssen sofort handeln. Die Bundestagsfraktion der Union ist jedenfalls bereit, für zusätzliche Maßnahmen innerhalb von 24 Stunden zu einer Sondersitzung des Bundestags nach Berlin zu kommen«, sagte Brinkhaus der »Welt am Sonntag«.
Was insbesondere große Probleme mache, sei tatsächlich, dass die Kontrollen von 2G und 2G plus überhaupt nicht angemessen stattfänden, sagte SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach. »Und es sind aber gerade diese großen Veranstaltungen und auch die vollen Lokale, die vollen Geschäfte, die uns die Probleme machen.«

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach
Foto: Kay Nietfeld / dpaAus Sicht von Wirtschaftsvertretern führt kein Weg an einer Impfpflicht vorbei. »Das kommt zwar zur Bekämpfung der vierten Coronawelle zu spät, verschont die Menschen und die Wirtschaft aber vor Schlimmerem. Angesichts der dramatischen Pandemieentwicklung kann nur so ein drohender Lockdown abgewendet werden«, sagte Markus Jerger, Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft.
Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete 67.125 neue Positiv-Tests binnen 24 Stunden. Das sind 3201 Fälle mehr als am Samstag vor einer Woche, als 63.924 Neuinfektionen gemeldet wurden. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter auf 444,3 von 438,2 am Vortag. 303 weitere Menschen starben in Zusammenhang mit dem Coronavirus, insgesamt sind es damit 100.779. Bislang fielen in Deutschland mehr als 5,71 Millionen Coronatests positiv aus.