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DEUTSCHLAND CSU: »Wir werden uns immer lauter melden«

Lambsdorffs Rücktritt als Wirtschaftsminister löst nicht die Personalprobleme der FDP. Seinem Nachfolger Bangemann fehlt die Unterstützung sogar des eigenen Landesverbandes. Fraglich bleibt, ob Genscher nach dem Verzicht auf den FDP-Vorsitz auch das Außenamt aufgibt. Die CSU hat einen Nachfolger bereit: Strauß. *
aus DER SPIEGEL 27/1984

Erwartungsvoll reisten die FDP-Größen aus der Provinz am Dienstagabend vergangener Woche wieder einmal nach Bonn, um mit dem Vorsitzenden und dem Präsidium der Partei Personalfragen zu besprechen.

In der Woche zuvor hatte Hans-Dietrich Genscher an gleicher Stelle, im Gästehaus des Auswärtigen Amtes, seine Besucher mit der Nachricht erfreut, er sei bereit, »spätestens im Februar 1985« sein Amt als FDP-Chef aufzugeben. Jetzt wollten die Gäste in einem Aufwasch Rücktritt und Nachfolge von Wirtschafts- und Justizminister regeln und vielleicht auch einen früheren Termin für Genschers Abschied festmachen.

Aber Genscher blockte gleich ab: Über einen gewissen Fall X könne »nicht geredet« werden. Am nächsten Tag treffe man sich ja im Bundesvorstand wieder. Als die Herren die Geheimnistuerei beklagten und der bayrische Landesvorsitzende Manfred Brunner Genaueres wissen wollte, wurde Genscher ärgerlich: »Ich werde das so machen, es wird schon deutlich werden, warum.«

Als Vorstand und Fraktion sich am Mittwoch um 12 Uhr im Bundeshaus versammelten, war das Rätselraten längst zu Ende. Aus den Rundfunknachrichten wußten die Freidemokraten bereits, daß Otto Graf Lambsdorff in der Nacht das Handtuch geworfen hatte. Sein Verteidiger habe ihn davon unterrichtet, das Landgericht Bonn werde das Verfahren wegen der Flick-Affäre gegen ihn eröffnen. »Ich habe daraufhin Dienstagabend«, heißt es weiter in seiner Erklärung, »dem Bundeskanzler mein Rücktrittsgesuch als Bundesminister für Wirtschaft eingereicht.«

Auf der Sitzung im Bundeshaus blieb nur wenig Zeit für Sentimentalitäten. In

ihrer Überlebensangst sind die Liberalen nicht mehr dazu aufgelegt, Gefühle von Betroffenen sonderlich zu schonen.

Genscher, der verspätet erschien, gab gleich zu Beginn zu Protokoll, daß er auch bald wieder gehen müsse. Und schon ging das Gemaule los, noch ehe der scheidende Minister die obligaten Dankesworte zu hören bekommen hatte.

Von Lambsdorffs Unschuld sei er überzeugt, sagte der Vorsitzende; er bewundere den Grafen, wie der die schwere Zeit durchgehalten habe. Nach ein paar Sätzen Lambsdorffs beschäftigte sich die Runde bereits mit dem Nachfolger, dem im Eilverfahren zum neuen Wirtschaftsminister gekürten Martin Bangemann.

Die Eröffnung des Verfahrens gegen den Grafen empfinden die meisten seiner Parteifreunde, trotz allem, als befreiend. »Wir sind endlich aus dem Stadium der Mutmaßungen heraus«, beschreibt Burkhard Hirsch die Stimmung, »die Partei braucht Schluß mit den personellen Unsicherheiten.«

Doch ein Ende der Querelen ist noch lange nicht abzusehen - im Gegenteil. In der FDP herrscht weiter Ungewißheit, wann Genscher mit seinem Rücktritt Ernst macht, wann Justizminister Hans Engelhard, vom Gerede über seine Amtsführung entnervt, aufgibt.

Auch der neue Mann ist vielen suspekt. Sie fürchten, Martin Bangemann könnte noch immer der alte sein: ein begnadeter Troublemaker, stets gut für Querschüsse, Verwirrung und Alleingänge, aber unfähig zu steter Arbeit, zum Ausgleich und zur Integration der Flügel, der letzte also, der zur Beruhigung einer desolaten Partei und zur Stabilisierung der Koalition etwas beiträgt.

Das Klima in der Koalition, das zeigte sich letzte Woche, ist ohnehin bereits äußerst gereizt. In zahlreichen Hintergrundgesprächen streuten der Anführer der CSU-Landesgruppe, Theo Waigel, und seine bayrischen Freunde, länger lasse sich der zweitstärkste Koalitionspartner die Aussperrung nicht mehr gefallen. Wieder einmal sei die CSU bei der Lambsdorff-Nachfolge erst nachträglich befragt worden - und exakt zu einem Zeitpunkt, da Franz Josef Strauß wegen des Todes seiner Frau handlungsunfähig gewesen sei. Waigel und seine Helfer drohten, beim nächsten Revirement sei Franz Josef Strauß an der Reihe - als Außenminister.

»Wir werden uns jetzt immer lauter und vorzeitiger melden«, kündigte ein Strauß-Freund an, »weil wir nicht bereit sind, die Ausgrenzungstaktiken und -praktiken länger zu ertragen.«

Gegen Martin Bangemann haben die Bayern vorläufig nur wenig einzuwenden. Sie halten ihm zugute, daß er schon frühzeitig, 1975, die Wende zur Union einleiten wollte. Und auch seine neuesten Avancen an die CSU ("Beide Parteien sollten aufeinander zugehen") kamen in München gut an.

Ganz anders in Bonn. Dort fühlten sich viele Freidemokraten durch erste Bangemann-Interviews in ihrer Sorge bestätigt, der habe wenig dazugelernt. Noch amtiert Genscher als Vorsitzender, schon erteilt sein Erbe Ratschläge für den Umgang mit der CSU. Noch hatte Lambsdorff den Dienst nicht quittiert, da gab der Nachrücker schon Auskunft, was er besser machen würde.

Nach diesem Einstand machen sich die Liberalen, aber auch die CDU-Oberen, auf einiges gefaßt. Der Kanzler weiß nicht recht, wer künftig für die Politik des Partners verantwortlich zeichnet, Genscher als Vizekanzler oder Bangemann als der designierte Parteivorsitzende.

Bangemann, so die Prognose, werde bald mit anderen Parteifreunden das Gerangel um Positionen und Konzepte anfangen - mit seinem Vorgänger Lambsdorff etwa oder mit Konkurrenten wie Generalsekretär Helmut Haussmann und Genscher-Vize Gerhart Baum.

Martin Bangemann, 49, der neue Wirtschaftsminister, hat in seinem Leben oft und gern etwas riskiert. Mit Vorliebe verteidigte der Anwalt aus dem schwäbischen Metzingen Ende der 60er Jahre Rebellen aus der Apo, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Auf verlorenem Posten kandidierte der Freidemokrat 1972 gegen die Vertreter der großen Parteien für das Oberbürgermeisteramt in Mannheim.

Zwei Jahre später wagte er sich, damals Vorsitzender der baden-württembergischen Freidemokraten, in die Fußstapfen des liberalen Reformers Karl-Hermann Flach: FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher berief den Renommierlinken, um den progressiven Flügel der Partei zu besänftigen, zum Generalsekretär. Doch die Rechnung ging nicht auf.

Bangemann legte sich mit dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt an und brüskierte die Gewerkschaften durch die Arbeit an einem Verbändegesetz. Zu allem Überfluß verschreckte er große Teile der Partei, als er forderte, in Baden-Württemberg müsse die FDP die Koalitionsaussage künftig offenhalten.

Die Wähler verstanden das zu Recht als Signal für einen Schwenk zur CDU. Genscher mußte seinen General feuern, _(Mit Carstens'' Staatssekretär Hans ) _(Neusel. )

um Treue zum sozialliberalen Bündnis in Bonn zu beweisen.

Nun kassiert Bangemann späten Lohn dafür, daß er sich früh gewendet hat. In der Sitzung von Vorstand und Fraktion am Mittwoch wurde jedoch deutlich, wie brüchig das Vertrauen in einen Mann ist, der sich so nahtlos vom Linken zum Ordoliberalen gewandelt hat - gerade bei denen, die Bangemann kennen: Ausgerechnet die Abgeordneten aus Baden-Württemberg favorisierten nicht ihren Landsmann aus Metzingen, sondern Lambsdorffs Parlamentarischen Staatssekretär, Martin Grüner, als neuen Wirtschaftsminister.

Grüner, so ihr Argument, habe ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz. Ein Wirtschaftsminister, meinte der bayrische Abgeordnete Josef Grünbeck, müsse anerkannt sein in Kreisen der Industrie, und daher sei Grüner die bessere Wahl.

Doch die Baden-Württemberger hatten noch anderes im Hinterkopf: ihre Erfahrungen mit dem einstigen Landesvorsitzenden Bangemann. Nie sei die Südwest-FDP so uneinig, konzept- und ziellos gewesen wie unter Bangemann, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende Hinrich Enderlein. Der Landesvorstand brachte letzte Woche kein Votum für Bangemann zustande.

So strittig die Qualitäten des neuen Ministers bei den eigenen Parteifreunden sind, so einhellig fällt bei Freidemokraten, trotz seiner Verwicklung in die Flick-Affäre, das Urteil über den bisherigen Wirtschaftsminister aus, der es nach Ludwig Erhard auf die längste Amtszeit gebracht hat: Graf Lambsdorff ist ein exzellenter Debattenredner, ein geschickter Unterhändler, der je nach Bedarf bestrickenden Charme oder polternde Grobheit einsetzt.

Unbezweifelbar auch sein Fleiß und seine Sachkunde. Wenn Lambsdorff im Parlament auftrat, in Moskau und Kuala Lumpur über Röhren oder Textilkontingente verhandelte, der Mann hatte seine Hausaufgaben gemacht, seine Gesprächspartner bescheinigten ihm Statur.

Und wie Lambsdorff die zwei Jahre seit Bekanntwerden der Ermittlungen gegen ihn physisch und psychisch durchgehalten hat, das festigte seinen Ruf als zäher Steher. In Wahrheit aber war der Graf selbst oft unsicher, ob er mit seinem Festhalten am Amt sich und der Regierung wirklich einen Dienst erwies.

Lambsdorff begründete seinen Rücktritt damit, »das Amt des Ministers und die Arbeit des mir anvertrauten Ministeriums würden Schaden leiden, meine eigene Wirksamkeit wäre in Frage gestellt«, wenn er während des Verfahrens im Amt bliebe.

Doch die gleichen Gründe hätten ihn spätestens bei Anklageerhebung zu dieser Entscheidung zwingen müssen. Lange Zeit hatte der Graf diesen Schritt auch geplant, er ließ sich aber von Genscher zum Ausharren bewegen.

So lange durchstehen konnte Lambsdorff nur, weil ihm subjektiv nie Zweifel an seiner eigenen Integrität kamen. Der Vorwurf der Bestechlichkeit erscheint dem selbstgewissen Mann absurd: Für ihn ist heute so klar wie damals, daß die Interessen der Firma Flick und die Interessen der deutschen Wirtschaft, damit aber auch die Interessen der Bundesrepublik, identisch waren.

Zu einer Entscheidung, von deren Richtigkeit der Minister so durchdrungen war, brauchte er aus seiner Sicht nicht mit Geld verlockt zu werden.

Eine lupenreine marktwirtschaftliche Orientierung war die Grundlage seiner Erfolge auf internationalem Parkett. Lambsdorff hat damit einiges erreicht im Kampf gegen Protektionismus. Doch diese ideologische Fixierung war zugleich Grundlage seiner Mißerfolge.

Marktwirtschaftler Lambsdorff fand kein Konzept zur Lösung der Probleme in den längst nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Prinzipien arbeitenden Krisenbranchen Stahl und Werften. Immer wieder beharrte er auf seinem Glaubenssatz, die Unternehmen müßten allein zurechtkommen. Gleichzeitig jedoch schüttete er Milliarden Mark an Subventionen aus, ohne Bedingungen damit zu verknüpfen.

Zu den größten Versäumnissen des Wirtschaftsministers Lambsdorff aber gehört, daß bis heute der Umweltschutz im Wertekatalog der Regierenden weit hinten rangiert; er gab den Interessen der produzierenden Wirtschaft fast immer Vorrang. Er fragte nie nach den Grenzen von Fortschritt und Wohlstand. Ökologische Gefahren nahm er nicht ernst. Die Warner vor Risiken des Wachstums waren für ihn Traumtänzer.

Lambsdorff ist der erste amtierende Bundesminister der Nachkriegsgeschichte, den Staatsanwälte vor Gericht anklagen. Doch selbst wenn er in diesem Verfahren, angesichts einer schwierigen Beweislage, rehabilitiert davonkommen sollte - es dürfte nicht der letzte Prozeß gegen den Freidemokraten sein.

Wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung, vor allem in jener Zeit, als Lambsdorff Schatzmeister der nordrhein-westfälischen FDP war, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut vor Gericht gestellt (wenn nicht beide Verfahren zusammengezogen werden); und angesichts der Materialfülle, die von den Staatsanwälten in zahllosen Parteispenden-Verfahren angehäuft wurde, stehen dann die Vorzeichen schlecht: Lambsdorff selbst hat nie bestritten, vor seiner Ministerzeit Spenden akquiriert zu haben. Vehement gewehrt hat er sich stets gegen jeden Vorwurf, er habe Gelder in die eigene Tasche gesteckt oder für eine bestimmte Amtshandlung erhalten.

Wenn im Herbst der Bonner Richter Hans-Henning Buchholz den Strafprozeß gegen Lambsdorff, dessen Vorgänger, den jetzigen Chef der Dresdner Bank Hans Friderichs und den früheren Flick-Gesellschafter Eberhard von Brauchitsch eröffnet, wird unter den 114 Zeugen Bundeskanzler Helmut Kohl auf Listenplatz 25 der prominenteste sein. Der für die Anklage wichtigste aber ist Rudolf Diehl, 63, Zeuge Nummer 2. Er ist der Mann, der für das Weltunternehmen den geheimen Spendenfluß an Politiker

aufzeichnete, »streng nach buchhalterischen Grundsätzen«, wie die Ermittler feststellten.

Den Weg zu Diehl hatten die Strafverfolger über die Kirche gefunden. Unter dem Aktenzeichen 41 Js 178/78 fand die Staatsanwaltschaft Bonn heraus, daß der Flick-Konzern mit den Brüdern von der Steyler Mission in Sankt Augustin bei Bonn im Geschäft war: Das Unternehmen zahlte insgesamt 12,3 Millionen Mark auf die Konten der ordenseigenen »Soverdia GmbH«, einer »Gesellschaft des Göttlichen Wortes«, die sich laut Satzung »mildtätigen, kirchlichen und religiösen Aufgaben« in aller Welt widmet.

Mildtätig daran war der Verdienst für beide Seiten. Die Firma konnte ihre Zuwendung als Spende voll von der Steuer absetzen. Zehn Prozent behielten die frommen Missionare, zehn Prozent Walter Löhr, ein inzwischen verstorbener CDU-Abgeordneter, der den Dreh gefingert hatte: 80 Prozent flossen in eine von Diehl verwaltete Sonderkasse zurück, meist cash. Missionspater Josef Schröder, oft der Überbringer des Bargelds, erinnert sich an eine Begegnung im Jahre 1976: Das Geld sei, habe Diehl gesagt, »für die Bundestagswahl«.

Als im November 1981 Staatsanwälte und Steuerfahnder Diehls Büro durchsuchten, händigte er ihnen eine schwarze Aktentasche mit zwei weißen Briefumschlägen aus. In den Kuverts steckten drei Schlüsselpaare, die in Safes bei der Dresdner Bank in der Düsseldorfer Nordstraße paßten.

Mit der Öffnung der Schließfächer begann der größte Polit-Krimi der Bundesrepublik. Denn das »Pharaonengrab« (ein Ermittler) enthielt wichtige Belege über Millionenzahlungen des Flick-Konzerns. Sorgfältig nach Parteien und Personen unterschieden, hatte der Buchhalter einen Almanach der westdeutschen Politprominenz angelegt - 137 Eintragungen allein zwischen dem 1. April 1974 und Ende 1978 - von Achenbach (FDP) bis Wienand (SPD).

Beim Studium der Diehlschen Liste stellten die Fahnder fest, daß die Gelder in einem für Flick besonders wichtigen Zeitraum besonders reichlich geflossen waren. 1975 hatte Flick knapp dreißig Prozent seiner Daimler-Benz-Aktien an die Deutsche Bank mit einem Gewinn von 1 934 563 811 Mark verkauft. Diesen Buchgewinn wollte der Konzern nicht beim Fiskus versteuern (Steuersatz: 56 Prozent), sondern nach Möglichkeit steuerfrei wieder anlegen, gestützt auf Paragraph 6b des Einkommensteuergesetzes. Die Ausnahmegenehmigung zu dieser Anlage mußte der Wirtschaftsminister geben: Erst war Friderichs damit befaßt, dann Lambsdorff.

Nach der Staatsanwaltschaft, die für ihre Ermittlungen ein halbes Jahr länger brauchte als im Zeitplan ursprünglich vorgesehen, hält nun auch das Gericht für zweifelhaft, das amtlich sanktionierte Steuergeschenk sei ohne Gegenleistung erbracht worden. Auch der Preis steht, laut Anklage, fest; Lambsdorff erhielt, so weist die Diehlsche Liste aus, 135 000 Mark in vier Einzelbeträgen ("wg. Graf Lambsdorff"), Friderichs, summa summarum 375 000 Mark ("wg. Dr. Friderichs").

Für »Zuwendungen an den jeweiligen Bundeswirtschaftsminister« spreche, so argumentieren die Staatsanwälte in ihrer Anklage, daß Zahlungen jeweils dann erfolgten, wenn in Sachen Steuerbefreiung Entscheidungsprozesse bevorstanden oder eine »zügigere Bearbeitung der Anträge« vonnöten war.

Juristisch heißt das: Die Amtsträger Friderichs und Lambsdorff hätten sich der Bestechlichkeit, von Brauchitsch der Bestechung schuldig gemacht. Für eine Verurteilung reicht der Nachweis, daß die Minister neben sachlichen Erwägungen auch Gedanken an ihre Parteikasse Einfluß auf ihre Entscheidung eingeräumt haben. Denn strafbar macht sich ein Minister schon dann, wenn er bereit ist, sein Ermessen davon abhängig zu machen, ob er Geld für die Partei (oder für sich selber) bekommt.

Dieser Rechtsauffassung ist offensichtlich die 7. Große Strafkammer auch gefolgt. Letzte Woche ließ zwar Lambsdorff vor der FDP-Fraktion erkennen, die Kammer werde sich für Vorteilsannahme entscheiden, die mildere Variante der Korruptheit; aber einem justizinternen Notenwechsel zufolge wollen die Richter in dieser Woche das Verfahren so eröffnen, wie es die Staatsanwälte formulierten: wegen Bestechlichkeit (Lambsdorff/Friderichs) beziehungsweise Bestechung (von Brauchitsch).

Noch vier Wochen vor der Anklageerhebung im letzten November war die Rede nur von Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung; so sollte auch die Anklage aussehen - »sofern ich nicht mit anderer Weisung versehen werde«, schrieb der Leitende Oberstaatsanwalt Franzbruno Eulencamp Ende Oktober 1983 ans NRW-Justizministerium.

Am 11. November trafen sich dann die Eulencamp-Leute und Generalstaatsanwalt Walter Steffens zu einer Dienstbesprechung über »die Sach- und Rechtslage« im Kölner Justizpalast. »Eine einheitliche Auffassung«, heißt es im entsprechenden Vermerk, »konnte insoweit nicht erzielt werden.« Die Bonner Ermittler baten um Bedenkzeit. Sechs Tage später schon benutzte der Leitende Oberstaatsanwalt als Betreff die Floskel »Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit«.

Um den zu untermauern und nachzuweisen, setzen die Staatsanwälte auf ihren Zeugen Nummer zwei. Umgekehrt versuchen die Verteidiger, den Kronzeugen der Anklage für unglaubwürdig zu erklären. Noch bevor die Bonner Behörde formell ihr Verfahren gegen »Dr. Friderichs u.a.« im Februar 1982 begann, war die Diehl-Liste schon fester Bestandteil des Ermittlungsganges. Generalstaatsanwalt Steffens meinte, die Abrechnungen Diehls seien »über Jahre hinweg handschriftlich und mit großer Sorgfalt« geführt worden, und gab Weisung, dies auch im Eröffnungsvermerk ("Seite 93") deutlich zu machen. Diehl hatte fast immer den Verwendungszweck _(Am Donnerstag letzter Woche vor dem ) _(Untersuchungsausschuß des Bundestages. )

auf der Quittungsrückseite notiert und vom früheren Flick-Gesellschafter Konrad Kaletsch oder später von Eberhard von Brauchitsch gegenzeichnen lassen. Was mit dem Geld »effektiv geschah« (Diehl), hat er nicht gewußt - so erzählte er es jedenfalls seinen Vernehmern, so erklärte er sich auch am Donnerstag letzter Woche als Zeuge vor dem Bonner Flick-Ausschuß. Die »weitere Verwendung des Geldes« habe ihn »nicht mehr interessiert«.

Um die Glaubwürdigkeit ihres Kronzeugen zu bekräftigen und eine Verbindung zwischen der Geld-Ausgabe aus Diehls schwarzer Kasse und möglichen Empfängern nachzuzeichnen, rekonstruierten die Staatsanwälte für jeden Tag, an denen »wg. Dr. Friderichs« oder »wg. Graf Lambsdorff« vermerkt wurde, die Tagesabläufe der Minister und die Termine von Brauchitschs, der als Überbringer in Verdacht kam.

Aus Brauchitschs Tageskopien und den Terminkalendern von Friderichs und Lambsdorff ließ sich öfter feststellen, daß Brauchitsch mit den Bonner Ministern zu den fraglichen Zeiten zusammengekommen war. So hatte beispielsweise am 19. März 1976 von Brauchitschs Sekretariat notiert, Minister Friderichs habe ausrichten lassen, ihm sei ein Termin am 22. März recht; doch sei der Treffpunkt »heikel«, auch deshalb, weil die Düsseldorfer Altstadt zu auffällig sei wegen der Autos.

Im Terminkalender von Brauchitschs fanden die Staatsanwälte unter dem 22. März 1976 die Notiz: »Ca. 21.30 Min. F./ Metzk«. In Metzkausen bei Düsseldorf wohnt von Brauchitsch, die Diehl-Quittung über 75 000 Mark trug das Datum des 22. März.

Auch bei Lambsdorff tauchen exakte zeitliche Parallelen auf. So notierte Diehl für den 6. Dezember 1977: »v. B. wg. Graf Lambsdorff 30 000 Mark«. Am Abend dieses Tages traf sich von Brauchitsch mit Lambsdorff; jedenfalls erinnerte der Flick-Mann den Grafen per Brief ausdrücklich an »unser Zusammentreffen in Bonn am 6. Dezember«. Für die Staatsanwaltschaft war das ein Indiz mehr für die Richtigkeit der Diehlschen Listen.

Die Verteidiger versuchten derweil, die Bedeutung des Zeugen Diehl zu entwerten und all jene als Vorverurteilte oder Angehörige »journalistischer Todesschwadronen« (Lambsdorff) zu brandmarken, die über den Fortgang des rechtsstaatlichen Verfahrens schrieben.

Als etwa der »NRZ«-Redakteur Horst-Werner Hartelt im Juli 1983 berichtete, Lambsdorff habe »angeblich zugegeben«, längere Zeit »ständiger Berater des Flick-Konzerns« gewesen zu sein, schlug der Graf zurück. Hartelt, der den Freidemokraten mit früheren Enthüllungen in der Flick-Affäre genervt hatte, mußte sich öffentlich in der »NRZ« entschuldigen. Die Düsseldorfer Anwaltskanzlei Graf von Goltz (Sozius: Otto Graf Lambsdorff) dankte Hartelts knieweich gewordenem Chefredakteur Jens Feddersen, der seinen Korrespondenten bei der Berichterstattung nicht eben unterstützt hatte, schriftlich für die »schnelle und m. E. elegante, aber auch faire Lösung«.

Ruppig gingen die Verteidiger und Beschuldigten auch mit Diehl um. Immerhin hätten, so Friderichs-Anwalt Eberhard Wahle, »rund 60 Prozent der Zeugen die (sachliche) Unrichtigkeit der Diehlschen Aufzeichnung« bestätigt. Friderichs kritisierte, Buchhalter Diehl habe seine Unterlagen »keinesfalls mit besonderer Sorgfalt geführt«.

Lambsdorffs Verteidiger Egon Müller nannte Diehls »personale Zuordnungen« mal »willkürlich«, mal »unzuverlässig und deshalb ohne Indizwert«. Der Name seines Mandanten stehe eigentlich nur für die »parteipolitische Richtung, in welche die Gelder gezahlt worden sind«.

Auch Diehls früherer Chef von Brauchitsch wertete dessen Aufzeichnungen zuerst als »Phantasie« ab. Die drei Beschuldigten erklärten, der im Mai 1981 ermordete FDP-Bundesschatzmeister Heinz Herbert Karry habe wohl all die Gelder bekommen. Noch heute bleiben sie dabei, obgleich die Staatsanwälte auch diesen Hinweis verfolgten, aber nichts Entlastendes entdeckten.

Inzwischen aber hat von Brauchitsch »ausdrücklich oder zumindest konkludent« (Staatsanwaltschaft) zugestanden, dem Ex-Buchhalter bei mindestens 40 von 51 Einträgen die Namen der Geldempfänger genannt zu haben. Überraschend das Beispiel aus der Anklageschrift: Die Erwähnung des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt, der kein Geld von Flick bekommen hatte, dessen Name aber in der Liste stand, war von den Verteidigern stets als Indiz für Diehls Unglaubwürdigkeit gewertet worden. Dann aber habe von Brauchitsch eingeräumt, daß er selbst dem Buchhalter den Namen Brandt oder auch den des Genossen Erhard Eppler genannt habe, weil die Gelder »zur Verwendung in deren Bereich« bestimmt gewesen seien.

Bis heute hat Graf Lambsdorff jede Zuwendung in der Zeit seiner fast siebenjährigen Ministerzeit bestritten. Mehrfach forderten der promovierte Jurist und sein Verteidiger die Staatsanwälte auf, ihnen schlüssig Tatort und Tatzeit zu benennen; tatsächlich gibt es keine Zeugen für eine Übergabe des Geldes. Auch die Überprüfung aller Konten von Lambsdorff erbrachte nichts.

Bankauszüge, natürlich, würden in solch dubiose Geschäfte - wenn es sie denn gab - nicht passen. Spender und Empfänger, meint die Staatsanwaltschaft, »verfügten über nahezu unbeschränkte Möglichkeiten«, durch Zwischenschaltungen

»einzelne Beträge summenmäßig aufzuteilen« oder »zeitversetzt auf Konten nationaler und internationaler Banken« unterzubringen und so »jegliche spätere Kontrolle auszuschalten«.

Beim Kronzeugen Diehl haben Zwischenschaltungen nicht ausreichend funktioniert. Als er 1972 die Leitung der Abteilung Buchhaltung/Finanzen übernahm, verdiente er mehr als 100 000 Mark im Jahr und nochmals 20 000 Mark dazu, schwarz, im verschlossenen Umschlag. 1978 steckte er 476 000 Mark Sonderzuschlag nebenbei ein, an der Steuer vorbei. Ein kleiner Mann?

Sein zu versteuerndes Jahreseinkommen 1980 betrug 750 000 Mark. Nach den Berechnungen der Finanzbehörde hinterzog er von 1972 bis 1979 exakt 507 182 Mark Einkommensteuer und 1974 bis 1980 Vermögensteuer in Höhe von 20 464 Mark. Im April 1982 schied Diehl aus den Diensten der Firma, blieb aber auf der Pay-roll bis 31. Dezember 1983.

Seither ist er Pensionär, hat die Steuer-Nachforderung beim Finanzamt bezahlt und einen Strafbefehl über 541 845 Mark beglichen - was die Ermittler etwas irritierte. Bevor Diehl ausschied, hatte Flick ihm allerdings versprochen, für alle finanziellen Nachteile im laufenden Verfahren aufzukommen.

Die Sorge der Staatsanwälte, Rudolf Diehl könne im Gegenzug seine Aussagen abschwächen, blieb zumindest bis letzten Donnerstag unbegründet. Rudolf Diehl blieb vor dem Flick-Ausschuß auf dem Kurs der Anklageschrift.

Ob seine Aufzeichnungen vor dem Landgericht ausreichen, am Ende eines auf mehr als ein Jahr veranschlagten Strafverfahrens die Angeklagten zu verurteilen, steht dahin. Mit Sicherheit steht nur fest, daß Graf Lambsdorff auch nach einem Freispruch vom Korruptionsvorwurf nicht ins Kabinett zurückkehrt.

Der Graf wird eine Weile lang abwechselnd auf der Abgeordneten- und der Anklagebank Platz nehmen müssen - und kann von dort aus nur mit stark gebremstem Einsatz mithelfen, seine Partei bei den wichtigen Landtagswahlen des nächsten Jahres über die Sperrklausel zu hieven oder ihr Wegmarken für den künftigen Kurs zu stecken.

Viele Parteifreunde wollten den Neuanfang bereits jetzt, mit neuem Personal an der Parteispitze und im Kabinett. Bereits am letzten Dienstag hatten einige Landesvorsitzende bei Genscher nachgefragt, ob er sich nicht schon in diesem Jahr zurückziehen könne. Das Nebeneinander von Kaum-noch und Nochnicht-Parteichef könne sich verhängnisvoll auswirken. Auch Generalsekretär Haussmann findet es, trotz Bedenken gegen den Sonderparteitag, »schlecht, wenn von der Sommerpause bis Februar ungeklärte Führungsfragen diskutiert werden«.

Das gilt nach Ansicht der Provinzfürsten auch für Justizminister Engelhard. Rigoros forderten sie letzte Woche in der Sitzung von Fraktion und Parteivorstand seine Ablösung. Fehler seien Engelhard nicht anzukreiden, gab der Berliner Walter Rasch die Richtung an, aber er verdeutliche nicht das liberale Profil. Alle Probleme müßten jetzt in einem Zug gelöst werden, pflichtete der Hesse Wolfgang Gerhardt bei, nur so habe die FDP eine Chance, das Tief zu überwinden.

Nicht eine Kabinettsumbildung, sperrte sich Genscher, stehe zur Debatte, sondern nur die Lambsdorff-Nachfolge. Ein größeres Revirement sei schon deshalb nicht möglich, weil der CSU-Chef derzeit, nach dem Tod seiner Frau Marianne, nicht ansprechbar sei.

Die Begründung brachte die Liberalen auf. Es sei »schlechter Stil«, schimpfte das Vorstandsmitglied Wolf-Dieter Zumpfort, wenn auf diese Weise die Debatte abgewürgt werde. Auch ohne Trauerfall hätte die Parteiführung sicher einen anderen Grund »vorgetäuscht«.

Die Schwäche der Engelhard-Gegner zeigte sich erst, als der Abgeordnete Detlef Kleinert süffisant fragte: »Wen wollt Ihr denn als Justizminister?« Wie Genscher zögern auch seine Satrapen, die beiden Kandidaten, die sich für die Nachfolge anbieten, zu benennen: Gerhart Baum oder Burkhard Hirsch. Beide tragen das Stigma, gegen das Bündnis mit der Union gestimmt zu haben.

»Will die Partei eine neue Entnazifizierung?« fragte Hirsch verbittert. Am Ende der Debatte betonte Hessens Gerhardt, über eine Gesamtlösung müsse im Vorstand am 9. Juli noch einmal gesprochen werden. »Ich garantiere, daß die Diskussion in der Partei darüber sonst weitergeht. Wir dürfen das nicht ausufern lassen.«

Auch die CSU ging verbiestert in die Sommerpause. Wieder einmal hatten die Christsozialen in der lezten Woche erfahren müssen, daß sie auf der Bonner Koalitionsbühne ohne Strauß nur eine Statistenrolle spielen.

Besonders pikiert waren sie über den Zeitpunkt der Entscheidung. »Kohl«, so ein enger Strauß-Vertrauter, »hätte die Personalangelegenheit auch schon vor dem Unglück von Frau Strauß mit uns bereden können. Der Lambsdorff-Rücktritt kam ja nicht aus heiterem Himmel.«

Revanchieren wollen sich die Christsozialen spätestens, falls Genscher auch als Außenminister zurücktritt. Dann, so Waigel, gelte die Parole: »Der neue FDP-Vorsitzende ist in keinem Fall der Außenminister.«

Der CSU-Chef kann sich derzeit seiner Gefolgschaft in Bonn sicher sein. Allzu laut und triumphierend, so wird jetzt in der Landesgruppe geklagt, hätten Kohl und Genscher damit geprahlt, Strauß sei an die Kette gelegt.

Dabei habe der doch recht gehabt, als er unmittelbar nach der Wende, im Oktober 1982, Neuwahlen forderte. Damals hätte die CDU/CSU eine Chance gehabt, die Liberalen auszubooten und die absolute Mehrheit zu gewinnen - und Strauß wäre jetzt Vizekanzler.

Unter Liberalen und Christdemokraten breitete sich letzte Woche die Sorge aus, die CSU-Rechnung werde doch noch aufgehen. Sie argwöhnen, Genscher könnte, der parteiinternen Anfeindungen überdrüssig, auch das Außenamt aufgeben - um Nachfolger des EG-Präsidenten Gaston Thorn zu werden.

Mit Carstens'' Staatssekretär Hans Neusel.Am Donnerstag letzter Woche vor dem Untersuchungsausschuß desBundestages.

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