»Da geht es links und rechts nicht weiter«
Wenn von den 620 Leuten, die es in der Stadt Schnackenburg an der Elbe noch hält, einer nach dem Doktor ruft und es nicht so schlimm ist, daß er mit Blaulicht gleich über Land ins Krankenhaus geschafft wird, dann muß er warten bis Dienstag oder Donnerstag.
An diesen beiden Tagen kommt regelmäßig mal der eine, mal der zweite Arzt aus Gartow die zehn Kilometer gefahren, um nach den Schnackenburgern zu sehen, von denen immerhin jeder dritte schon über 65 ist. Und wer wirklich nicht ganz auf dem Posten ist und Hustensaft oder Schmerztabletten braucht, muß sich, wenn der Arzt da war und nicht das Richtige bei sieh hatte, noch einmal bis zum anderen Tag gedulden.
Denn erst fährt der Arzt nach Gartow zurück und gibt seine Rezepte dort in der Apotheke ab. Der Apotheker packt die Medikamente in einen Holzkasten, den Holzkasten nimmt am nächsten Morgen der Busfahrer mit auf Tour und gibt ihn, wenn er in Schnackenburg hält, beim Kaufmann ab.
Schnackenburg liegt nicht im Hochgebirge, auch auf keiner Insel, sondern im niedersächsischen Landkreis Lüchow-Dannenberg und damit allerdings in auswegloser Lage, in »Sackgassenlage«, wie die Kreisverwaltung formuliert hat: Dieser östlichste Zipfel Niedersachsens ragt zwischen Mecklenburg und Altmark weit in die Deutsche Demokratische Republik hinein, und Schnackenburg, von wo an die Elbe als Trennungslinie dient, liegt wiederum im Zipfel am östlichsten, »da geht es links und rechts und geradeaus nicht weiter«, sagen die Einheimischen.
Rund 200 Kilometer lang sind die Grenzen des Kreises, rund 140 Kilometer davon sind DDR-, fast die Hälfte davon wiederum Elbgrenze. Nur auf einer Breite von 40 Kilometer Luftlinie gibt es eine Öffnung nach Westen. Aber auch da ist erst mal nichts als Wald und Lüneburger Heide, so daß der Landkreis »völlig auf sich selbst angewiesen ist«, wie Oberkreisdirektor Wilhelm Paasche, 63. sagt.
Das ist nicht selten auch jeder einzelne, der da wohnt. »In den abgelegenen Gebieten«, weiß Landwirtschaftsoberrat Heinrich Flügge und denkt dabei nicht nur an Schnackenburg, »ist eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung zuweilen schon nicht mehr gewährleistet.« Und sein Chef Paasche hält es mittlerweile für gottgegeben: »Unser Dilemma ist es, daß wir zu weit weg sind. Wenn eine Großstadt in der Nähe wäre, ginge es ja noch.«
Von halbwegs großen Städten her wie Uelzen (42 Kilometer von Lüchow) oder Lüneburg (72 Kilometer) aber sind »keine mittelzentralen Funktionen möglich« (Paasche>) will heißen: Im eigenen Revier können die Lüchow-Dannenberger zwar ihren allgemeinen Bedarf decken, »das haben wir schon«, beschreibt Stadtdirektor Gerhard Hoffmann in Hitzacker die Lage, »aber wenn es etwas Besonderes sein soll. dann müssen wir reisen«.
Am besten natürlich nach Hamburg oder Hannover, aber beide sind gleichermaßen rund 140 Kilometer entfernt und nur in zwei Stunden mit dem Wagen zu erreichen, mit der Bahn dauert es sogar drei oder vier, allemal »ein abenteuerliches Unternehmen«, wie Paasche einräumt, denn hinzu kommt noch: »Der öffentliche Nahverkehr fällt bei uns so gut wie flach.« Eisenbahnfahren kann man nur von Dannenberg in Richtung Lüneburg, ganze 16 Kilometer auf Kreisgebiet. den Rest besorgen Bus und, schneller. Anhalter.
Um mehrere zehntausend Jahre länger als das übrige Niedersachsen ist das Wendland, wie die Gegend heißt, vom Eis bedeckt gewesen, und es scheint, als habe es den Rückstand noch immer nicht aufgeholt, »ein bemerkenswerter Sonderfall«, wie es in einer Studie der »Akademie für Raumforschung und Landesplanung« heißt, »ein Gebiet in der Vereinsamung liegend, an dem die Entwicklung des industriellen Zeitalters fast spurlos vorübergegangen ist«.
Vom »Ostpreußen der Bundesrepublik« ist in den Lüchower Amtsstuben gern die Rede, nur war Ostpreußen. verglichen mit diesem Landkreis, nahezu ein industrielles Ballungsgebiet. Zwar ist Lüchow-Dannenberg fast halb so groß wie das Saarland, hat aber kaum mehr Einwohner als Kühe: 50 000, so viele leben in Linden und Limmer, zwei Stadtteilen von Hannover.
Nur 41 Menschen kommen auf den Quadratkilometer, das ist die niedrigste Quote zumindest in der Bundesrepublik, 67 immerhin waren es seinerzeit im auch schon menschenleeren Ostpreußen. Und so viel müssen es auch sein, wenn ein Landstrich existieren will: 60 bis 80 Einwohner je Quadratkilometer bilden erst jene »Minimaldichte«, die laut der Bremer »Gesellschaft für Landeskultur« erforderlich ist »für eine ausreichende tägliche Versorgung« der Bevölkerung.
Fast ein Drittel (30,3 Prozent) der Erwerbstätigen arbeitet in der Landwirtschaft, in manchen Orten steigt diese Agrarquote auf 80. in Bischof, 43 Bewohner, gar auf hundert Prozent. Nur 57 von jeweils tausend Einwohnern haben einen Arbeitsplatz in der Industrie -- was Industrie so heißt dort: In Lüchow gibt es eine Kugellagerfabrik, in Dannenberg ein Conti-Zweigwerk, der Rest hat die Größe der Hosenmanufaktur in Schnackenburg, wo 13 Frauen nähen.
Kein einziger ordentlicher Fabrikschornstein qualmt im Kreis, nicht ein Hochhaus ist gebaut, keine Unterführung irgendwo gebaggert worden, nirgends regeln Ampelanlagen den Verkehr, obschon rund 14 000
Pkw über die Chausseen fahren, Kennzeichen: DAN, die armen Nachbarn, wie im Nachbarkreis Uelzen buchstabiert wird.
Oder die alten. Nahezu zehntausend Lüchow-Dannenberger (17,9 Prozent) stehen im Rentenalter und sind 65 oder darüber, das Geburtendefizit verschlimmert sich von Jahr zu Jahr, in Metzingen (722 Einwohner) kamen letzthin binnen zwölf Monaten ein Mädchen und ein Knabe zur Welt, in Hitzacker leben soviel 65- wie 21jährige, und es gibt mehr Frauen im Alter von 82 als Mädchen von fünf, in Katemin zählt die weibliche Bevölkerung soviel 102- wie Einjährige: jeweils eine.
Und die Alten werden immer mehr, die Jungen ständig weniger. Die Entwicklung, die nach Meinung des Oberkreisdirektors »kaum irgendwo ihresgleichen haben dürfte«, beruht darauf, daß die jungen Leute, sobald sie mit der Schule fertig sind, in Scharen davonlaufen. »Wir kämpfen darum«, sagt Paasche, »die Bevölkerung zu erhalten, aber der größte Teil der Jugend wandert ab.«
Viele, weil es daheim an Arbeitsplätzen fehlt, pendeln zwar über die Kreisgrenze, manche sogar täglich bis nach Hamburg, wo es Jobs im Hafen gibt, aber die meisten packen ihre Sachen und kommen nie wieder. So passiert es, daß die Jugend-Fechter des TSV Hitzacker regelmäßig erste Plätze belegen, bei den Herren aber bekommt der Verein nicht einmal eine komplette Mannschaft zusammen, »weil die weg sind eines Tages«, so Stadtdirektor Hoffmann. dessen drei Kinder auch schon über alle Berge sind und nur noch zur Erholung nach Hause kommen. Immerhin: Wer weggeht, wird nicht arbeitslos, und wer bleibt, findet einstweilen noch immer eine Lehrstelle, »davon gibt's genug«, behauptet Wilhelm Paasche, freilich vor allem im Handwerk und bei kleinen Kaufleuten. Mit 8,7 Prozent war die Arbeitslosigkeit im Frühjahr zwar höher als in den Nachbarbezirken, aber noch gerade erträglich. Und es hatte schon böser ausgesehen: 1950, als durch Evakuierte und Flüchtlinge die Einwohnerzahl um 50 Prozent auf 75 000 kletterte, waren fast 26 Prozent arbeitslos gewesen, da hatte »das Elend größte Ausmaße angenommen«. wie eine Denkschrift aus jenen Tagen versichert.
Das Elend, das bis heute nachwirkt, war eine Folge des Krieges und der Grenze. die er durch Deutschland zog. Aus der Mitte des Reiches rutschte das Elbedreieck an den Rand der Republik, abgeschnitten von allen Verbindungen. die es bis dahin so eben am Leben erhalten hatten. Nicht nur Äcker und Weiden, Freunde und Verwandte waren plötzlich unerreichbar »drüben«, zertrennt waren auch wirtschaftliche Funktionen, verloren Salzwedel und Wittenberge, Städte, in denen man gearbeitet, gekauft, in den Schulen gelernt hatte.
Einst hatte Berlin vor der Tür gelegen, alle Bahnen und Straßen »waren nach dort ausgerichtet« gewesen, wie der Oberkreisdirektor noch weiß, die Domitzer Elbbrücken, zerstört im April 1945, hatten geradewegs in die Reichshauptstadt und nach Mecklenburg und Brandenburg und Pommern geführt. Nun muß, wer zum Onkel gegenüber nach Lenzen will, das mit bloßem Auge zu sehen ist, hin und zurück 330 Kilometer fahren, und »das stinkt einem«, sagt ein Schnackenburger.
Alle Förderungsmittel, die es für den »Zonenrand« gab, haben an der Misere nicht viel zu ändern vermocht. Freilich konnte damit etwa ein Hallenbad in Lüchow gebaut werden, aber die laufenden Kosten zehren nun an der Stadtkasse, und fast überall im Kreisgebiet weisen die kommunalen Haushaltspläne wachsende Ausgaben bei sinkenden Steuereinnahmen aus. Da müssen die Ratsherren von Schmarsau, das zur Samtgemeinde Lüchow gehört. schon darauf bestehen, nun den Bürgersteig ausgebaut zu bekommen. nachdem das Geld zuletzt nur für eine Straßenlampe gereicht hatte.
Freilich, ein Eldorado war der Landzipfel auch früher nie gewesen. Wo einst die Wenden wohnten, wo Dörfer danach Predöhl, Kriwitz, Kukate, Leute noch Bauseneick, Glabbatz, Klauke und Karminecke heißen, denen die Chronik nachsagt, daß »Fressen und Sauffen ihr erstes, ihr letztes, ihr allerbestes« sei, bleiben die Bewohner »im Schatten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entfaltung« stehen, wie der Dannenberger Oberstudienrat Berndt Wachter vermerkte.
Man war welfisch und erzkonservativ und wählte erst die Deutsch-Hannoversche, dann die Nationalsozialistische Partei: Bis 1933 gab es für Hitler hier stets zwanzig Prozent mehr Stimmen als im Reichsdurchschnitt, »eine demokratische Gesinnung«, so Wachter, »hatte sich nicht festsetzen können«. Heute liegt die CDU vorn, mit 59,5 Prozent bei der letzten Landtagswahl.
Daß der junge Graf Andreas aus der Familie derer von Bernstorff, die viel Wald und Feld ihr eigen nennt, so einfach und ohne Trompetenschall in Gartow das Schützenfest visitiert. kommt Gerhard Dieckmann, Bauer und Stadtdirektor in Schnackenburg, denn doch reichlich revolutionär vor, tritt der Herr Graf doch »wie ein richtiger Mensch« unter das Volk, »man kann ihn kaum unterscheiden«.
Aber wo sonst als beim Schützenfest sollte man den Grafen, sollte man sich treffen, es ist, wie Bauer Dieckmann sagt, »der einzige Zusammenhalt, den wir hier haben«. So erklärt sich, daß der Landkreis nicht weniger als 49 Schützenvereine zählt und einen Erntefestverein, was ziemlich dasselbe ist. »Viel Aufwand und Engagement«, bestätigen Kreisbeamte, wird da investiert, Trost für die Tristen.
In Schnackenburg. das laut »Bild«-Zeitung »nur Gott noch nicht vergessen« hat, geht es trotz -- oder wegen? -- aller Verlassenheit das ganze Jahr über rund, mal bei den Sängern, mal beim Posaunenchor, dann bei den Anglern und bei den Schützen, schließlich bei den Schiffern und im Sparklub beim Tütenball. Monika Witte, die am Ort das Café betreibt, erklärt den Selbsterhaltungstrieb: »Wir lassen uns nicht unterhalten, wir unterhalten uns selber.«
Das mag, für ein paar Stunden die Woche. ein paar Nächte im Jahr, die Misere vergessen lassen, an der auch sie teilhat: Ihren Sohn hat sie auf die Realschule zurückstufen müssen, weil der Besuch des Gymnasiums in Lüchow ihn »körperlich und seelisch kaputtgemacht« hat, um 6.15 Uhr morgens hatte der Zehnjährige mit dem Bus losfahren müssen und kam immer erst nachmittags nach Hause zurück.
Und an der Misere wird sich weder in Schnackenburg noch sonstwo im Landkreis so bald etwas ändern. Für die »Angleichung an moderne Wirtschaftsbelange« prophezeien Planer einen »Anpassungsspielraum von einem halben Jahrhundert«, das offenkundig aber noch gar nicht begonnen hat. In den vergangenen fünf Jahren sind 6,7 Millionen Mark Investitionszuschüsse, 17 Millionen Mark Darlehen, 20 Millionen Mark kommunale Finanzhilfe und 15 Millionen Mark für soziale und kulturelle Vorhaben nach Lüchow-Dannenberg gezahlt worden. Aber zur Wende im Wendland hat es nicht gelangt.
Rezession als Dauerzustand: Nach wie vor verlassen mehr Menschen den Kreis (1974: minus 341) als hinzukommen, liegt das Bruttoinlandsprodukt (1972) mit 9090 Mark je Einwohner (Niedersachsen: lt 760 Mark) unter Niveau. in Hitzacker registriert die Verwaltung: »Die Gewerbesteuer stagniert seit zehn Jahren.« Betonwerk und Sackfabrik haben Konkurs gemacht. und »kein Ersatz ist in Sicht«.
Mit mehr als vier Millionen Mark ist der Ausbau eines künstlichen Sees in Gartow gefördert worden, auch die wendländische Volkstanz- und Trachtengruppe in Lüchow hat Geld gekriegt. Doch zugleich ist im Jahresheft des Heimatkundlichen Arbeitskreises von »sterbenden Gemeinden« die Rede, von Redemoißel etwa, wo es bei der letzten Zählung niemanden mehr unter 15 gab, aber fast vierzig Prozent lebten von Rente, Pension oder Arbeitslosenunterstützung -- »soziale Erosion«, wie es in einer Denkschrift heißt.
Binnen zehn Jahren verloren manche Dörfer die Hälfte ihrer Bewohner und mehr. In Schnackenburg werden laut Stadtverwaltung noch immer »pro Jahr zwei, drei Häuser frei«, und da auch die Landwirtschaft schrumpft -- allenfalls ein Drittel der Betriebe gilt als entwicklungsfähig -, wird sich der Bevölkerungsschwund noch beschleunigen, solange andere Arbeitsplätze fehlen.
Da hilft es wenig, daß, wie Oberkreisdirektor Paasche sagt, »wir auch bei der Zerstörung der Landschaft stark rückständig sind«, daß »noch viel heile Welt« vorhanden ist, »wundersame Kräfte der Natur« noch unvermindert wirken. Durch die Kiefernwälder wechseln da die kapitalsten Hirsche, Seeadler kreisen noch, Schwäne streichen in Schwärmen über die Elbe, sogar Kraniche nisten an den Ufern und Störche in allen Dörfern.
Trotz Fauna floriert es nicht. Die »Oase an der Elbe«, mit der Schnackenburg wirbt, ist wirklich von dem »eigenartigen Charme«, den die Prospekte preisen, gut geeignet als Nationalpark, aber der ist man ja nicht. Man ist, nach Definition der Planer, »eine eigene Arbeitsmarktregion«, abgeschnitten von den großen anderen, und das bleibt so.
Wo nur 41 Menschen pro Quadratkilometer leben und entsprechend wenig erwirtschaften können, ist auch das Angebot an Dienstleistungen zwangsläufig bescheiden: Dienstleistungen benötigen eine Mindestzahl von Benutzern, um existieren zu können, und so liegt denn nicht nur der öffentliche Verkehr brach, auch Wasserversorgung, Abwasserbeseitigung und Müllabfuhr sind, so die Verwaltung, »in schwieriger Lage«. Nur 58 Prozent der Bewohner sind zentral mit Wasser beliefert, nur 44 Prozent an eine Kanalisation angeschlossen.
Zwar ziehen mehr und mehr Menschen zu, Städter vor allem aus Hamburg und Berlin, die das Wanderungsdefizit in Grenzen halten. Das mag auch »besser als gar nichts« sein, wie Paasche findet, aber die da kommen, ändern an der Lage nichts, allenfalls: »Manches Haus, das sonst verfallen würde, bleibt so Gott sei Dank erhalten« (Paasche).
Für 25 bis 35 Mark ist der Quadratmeter in Hitzacker, für zehn Mark noch in Lüchow zu haben, Katen und Bauernhäuser sind ab 39000 Mark angeboten, »Eiche-Stein-Fachwerkhäuser mit großem Dielentor«, so ein Inserat in der »Elbe-Jeetzel-Zeitung«, kosten, »am Bach gelegen« und mit 1500 Quadratmeter Grundstück, auch nur 65 000.
Die sich darin einrichten, profitieren von der Powerteh, jedenfalls haben sie nichts mit ihr zu tun oder teilen sie, aus welchem Antrieb auch immer, mit Absicht: Ruheständler, von denen mittlerweile 700 ihr Refugium in und um Hitzacker gefunden haben, der Gemeinde aber kein Geld einbringen, Künstler, Journalisten und ähnliche Intellektuelle, die sich an guter Luft und klarem Wasser weiden.
Kai Hermann, Reporter aus Hamburg, den es hintern Deich nach Landsatz getrieben hat, machte es eben nichts aus, daß an seinem Glas Apfelsaft die Fliegen kleben. Er hat in dem öd-malerischen Flecken »mehr Kontakte und intensivere als in der Stadt« gefunden, beim Fußball gegen die Dorf-Feuerwehr oder in der einzigen Kneipe dort, wo -- mag sein: weil -- es nicht ortsüblich Aal, sondern schick Pizza gibt. Und er will, ein Gartenbuch in der Hand, wohl »nie mehr weg«. Auch der Rixdorfer Maler Uwe Bremer bleibt in einem sogenannten Schloß am kleinen Gümser See und die Berliner Journalistin Sophie von Behr samt Sohn zu Breese in der Marsch in einem Bauernhaus, das knapp halb bewohnbar ist. »Was zuwandert«, kennzeichnet der Schnackenburger Stadtdirektor Dieckmann die Situation, »sind Rentner, was abwandert, sind junge Leute.« Für ihn, so hört man es quer durch den Landkreis, ist deshalb »Fremdenverkehr die einzige Alternative, die dieser Raum überhaupt hat«.
Doch bislang hat der Fremdenverkehr nicht einmal im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe neue Arbeitsplätze erbracht, und Kalkulationen besagen, daß die Branche nur gedeihen kann, wenn die Ansässigen garantieren, was »Mindestauslastung« genannt wird. Darauf ist, bei 50 000 Leuten im ganzen Kreisgebiet, nicht recht zu hoffen.
Hinzu kommt: »Fremdenverkehr ist immer nur ein Bein«, wie Stadtdirektor Hoffmann in Hitzacker weiß. Das zweite, industrielle, das dem Landkreis sozusagen ins Haus steht, taugt wohl auch nur zum Humpeln: Bei Langendorf an der Elbe will die Preußenelektra ein Atomkraftwerk hochziehen, das Raumordnungsverfahren läuft schon.
Das unheimliche Ding brächte zwar 200 Arbeitsplätze sowie eine Million Gewerbesteuer pro Jahr und würde der Vorstellung von Oberkreisdirektor Paasche gerecht, »daß wir unseren Teil tun sollten für die Energieversorgung der Bundesrepublik«. Aber ob es, wenn die Kühltürme erst dampfen, die Kraniche und die Künstler noch in ihren Nestern hält, ist zu bezweifeln.
Besser, die geplante Autobahn Hamburg-Berlin würde durch Lüchow-Dannenberg gelegt. »Das wäre«, träumt man in Hitzacker, »eine enorme Sache. eine Belebung dieses toten Raums.«
Wie tot auch immer: »Von Hause aus«, versucht Wilhelm Paasche zu lächeln, »sind wir hier sehr lebenslustig, das schreiben Sie mal.«
Bitte, vielleicht hilft"s weiter.