»Da gibt es allerhand Ganoven«
Sie wolle das heute noch in Ordnung bringen, sagte die junge Frau mit dem Moped, dessen Versicherungsnummer schon seit einer Weile ungültig war. Es war eine nette Frau, wohl anzusehen, und da verzichtete der Polizist auf eine Anzeige.
Am nächsten Morgen stand der Schutzmann in der Wohnung in Rastatt, in der die Witwe lebte, und wollte kassieren. Er drückte die Frau an die Wand, küßte sie. Mehr war dann nicht, aber es langte zu sieben Monaten Strafhaft mit Bewährung. Wegen »Anzeigenvereitelung und versuchten sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung einer Amtsstellung«, wie das Schöffengericht urteilte.
Ein haariges Urteil vielleicht für solch einen Schwächeanfall. Aber so ist oft das Entree, das Polizisten Appetit auf Verbotenes macht, ein Kuß oder eine Flasche Schnaps, nahezu Läßliches.
»Beim ersten Kontakt sieht immer alles ganz unverfänglich aus«, sagt Georg Sieber, lange Zeit Münchner Polizeipsychologe. »Da holt ein Verkehrssünder seine Brieftasche raus und sagt: Hier, Herr Wachtmeister, haben Sie die 30 Mark Verwarnungsgeld. So schöne Sonne heute, und dann soviel Pech. Wissen Sie was? Kommen Sie doch mal mit segeln, ich habe eine Jacht drüben am See.«
Dann segelt er mit und erfährt ein neues Lebensgefühl, und dann kann es schon sein, daß er das nächste Mal wieder ein Auge zudrückt. Viele Krimikarrieren von Polizisten, das steht fest, begannen mit einer Gefälligkeit und führten geradewegs ins harte Verbrechen.
Gegen neunzehn Vollzugsbeamte gleichzeitig erhob vor einiger Zeit die Staatsanwaltschaft in Frankfurt Anklage wegen Bestechlichkeit, Unterlassung von Diensthandlungen und Strafvereitelung. Die Beschuldigten gehörten sämtlich zur Polizeistation in Kronberg nahe Frankfurt, wo sich viel Prominenz angesiedelt hat.
»Bin ich großziegiger Mensch«, bekannte der aus Ungarn stammende Inhaber der Kronberger Nachtbar »Moulin Rouge« später vor Gericht, »hab'' ich gegeben Freibier. Hab'' nix verlangt von Polizisten, wollt'' nur freindlich sein.«
Natürlich waren die Beamten aus dem Taunus dann auch so freundlich, bei etlichen Bars mit der Sperrstunde nicht kleinlich zu sein und über nächtliche Autofahrten angesäuselter Gäste großzügig hinwegzusehen. Sie waren auch nicht so prüde, einem mehrmals wegen Verkehrsdelikten bestraften Bauunternehmer die Einladung zu einer Weihnachtsfeier im Königsteiner »Grünen Baum« abzuschlagen, zu Essen und Trinken a la carte auf Kosten der Firma.
Verurteilt wurde am Ende keiner von ihnen, doch eine Bemerkung des Frankfurter Richters Rolf Schwalbe, der einen Vers aus dem 1. Brief des Paulus an die Korinther zitierte, blieb in den Gerichtsprotokollen stehen: »Euer Ruhm ist nicht fein. Wisset ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig versäuert?«
Haft für einen Kußraub, Freispruch für lockere Dienstmanieren, das zeigt, wie schmal mitunter der Grat ist, auf dem Polizisten und ihre Richter einander begegnen.
Wie denn, wenn Verkehrspolizisten nicht auch mal von einer Anzeige absehen, samt den Flensburger Punkten, und statt dessen nur dreißig Mark verhängen? Wenn die Schupos in weinreichen Landstrichen über fünf Schoppen hinterm Steuer ganz anders denken als die Kollegen anderwärts, die sofort pusten lassen? Wenn Polizeibeamte eben nicht auch immer mal nach menschlichem Ermessen handeln, knapp an der Vorschrift vorbei? S.77
Dem Bürger wäre damit nicht gedient, schon gar nicht der Polizei, deren Ruhm dadurch wohl nicht feiner würde.
Beruhigend, so gesehen, daß ohnehin vor Gericht fast nur jene Fälle landen, in denen die Schwelle zur Straftat glatt überschritten wurde. Welcher Mann würde nicht erst einmal zwinkern bei dem Freudenruf des Horst Seuffert, einst stellvertretender Polizeipräsident in Wiesbaden und Leiter des Ordnungsamtes, der eines Tages einen Kollegen anstieß: »Komm mit, wir können kostenlos saufen und vögeln«?
Aber so einfach für nichts war das wohl doch nicht zu haben. In den Wiesbadener Lokalen »Crazy Sexy« und »Petit Coin« unternahmen die beiden fortan regelmäßig »Kontrollgänge«. Und den Damen des Puffs, der dazugehörte, wurde vom Geschäftsführer für eine Woche die Miete erlassen, wenn sie dem Vizepräsidenten gefällig waren.
»Ich habe die Dirnen trotzdem immer bezahlt«, behauptete der Herr über Schankerlaubnisse und Nachtkonzessionen hinterher, wiewohl ihm dies weder das Landgericht Wiesbaden abnahm noch das Landgericht Frankfurt, das nach Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) tätig werden mußte. Unterdessen wurde Seuffert wegen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme zu 15 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Ein Schuldspruch wegen versuchter Nötigung war zuvor schon vom BGH bestätigt worden, in dem Punkt, bei dem nun gar nicht mehr gelacht werden darf. Der Beamte hatte einer österreichischen Dirne, die nicht mit ihm ins Bett wollte ("Nicht für tausend Mark gehe ich mit Ihnen aufs Zimmer"), kraft Amtes mit einer Ausweisung aus der Bundesrepublik gedroht: »Dann bist du ganz schnell weg hier.«
Die Versuchung, aus dem Amt Kapital zu schlagen, ist, wie Sieber glaubt, für Polizisten allgegenwärtig. »Das geht häufig nach dem Schneeballsystem. Da wird etwa einer befördert, von dem alle wissen, der sitzt in einer Zockergruppe, der hat eine Biene laufen. Das kann ich doch auch, vielleicht nur ein bißchen.«
Vielleicht so wie die beiden Münchner Streifenpolizisten, die einen Verlagskaufmann bei angeblich 120 Sachen auf dem Mittleren Ring stoppten und ihm anschließend gegen Barzahlung von 400 Mark die Papiere wieder aushändigten. Oder wie ein anderer Münchner Polizeibeamter, der 500 Mark von einem Mann kassierte, der zwar keinen Führerschein mehr hatte, aber doch so gerne weiterfahren wollte. Für 70 Mark das Stück erwarben Kraftfahrer, die mit ihren Autos den TÜV nicht mehr überzeugen konnten, bei einem Hamburger Polizeiobermeister die notwendigen Plaketten.
Einen Amtsmißbrauch von ländlicher Schlichtheit ersann ein Dorfpolizist, 39, aus Schleswig-Holstein. Schon lange war er mit einem Lehrer aus der Nachbarschaft verfeindet, und als der eines Tages nach einem Fest nach Hause fahren wollte, holte ihn der Gendarm aus dem Auto und brachte ihn zwecks Abnahme einer Blutprobe nach Glückstadt aufs Revier. Anzeichen von Trunkenheit nahmen die Kollegen an dem Lehrer zwar nicht wahr, aber Blut zapften sie doch.
Das Päckchen mit der Probe schickte der Landwachtmeister dann selber ans Kieler Institut für Rechtsmedizin. Die Chemiker dort hatten so etwas noch nicht erlebt: Mehr als 30 Promille waren in dem Reagenzglas, genug, um ein paarmal zu sterben.
Erst das Landeskriminalamt klärte die biologische Sensation. Der Polizist S.79 hatte das Blut des gehaßten Nachbarn etwas angereichert, mit Beerenlikör.
Auch untereinander bedienen sich Polizisten der vielfältigen Möglichkeiten ihres Amtes. Als im Hamburger Stadtteil Niendorf zwei Beamte des Mobilen Einsatz-Kommandos (MEK) mit einem Kleinlaster zwei Verkehrsschilder flach fuhren und daraufhin von einem Streifenwagen gestoppt wurden, zog einer der Spezialpolizisten den Revolver, scheuchte die Kollegen in Deckung und brauste davon.
Die MEK-Männer, so stellte sich heraus, hatten Bier in größeren Mengen getrunken; die Waffenschau brachte dem einen zehn Monate mit Bewährung ein.
Publik werden solche Affären, wenn überhaupt, allenfalls in Lokalblättern. Als Sonderfall muß es dann erscheinen, wenn, wie in Berlin, ein Polizeiobermeister mit zwei Promille im Blut erst einen Nebenbuhler in den Oberschenkel schießt und dann mit einer Maschinenpistole ins Spandauer Rathaus stürmt, um seine dort arbeitende Frau aufzustöbern.
Beachtet werden Prozesse wie der gegen den Bonner Polizeikommissar Peter Hochrath, der wegen fortgesetzter Untreue und Betrugs vom Landgericht zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Als Assistent des TV-Moderators Camillo Felgen in dem Dauerbrenner »Spiel ohne Grenzen« hatte er jahrelang im Fernsehen ein gutes Bild abgegeben; als Verwalter eines Bonner Tankstellenunternehmens, dessen Gewinn dem Sozialwerk der Gewerkschaft der Polizei zugute kommen sollte, lenkte er durch Auszahlung von Geisterlöhnen an nicht vorhandene Arbeitskräfte und durch andere Kunstgriffe 130 000 Mark auf sein privates Konto.
Wirbel machte auch das Bündnis zwischen dem Duisburger Detektiv-Institut Kocks KG und einem Rudel von Polizisten, die der privaten Firma gegen Honorar von 100 bis 800 Mark pro Auftrag jahrelang interne Daten über Bundesbürger an die Hand lieferten. Neun Beamte, darunter ein Kriminalhauptkommissar, mußten mit Geldstrafen und Freiheitsentzug für den kriminellen Zuträgerdienst büßen.
Häufig aber werden die hauseigenen Verfehlungen auch im Hause erledigt. Feine Unterschiede gibt es da in den Abstrafungen nach deutschem Disziplinar- und Beamtenrecht, die manchmal schon vor, meist aber nach einem Richterspruch fällig werden: Verweise, Geldbußen, Gehaltskürzungen, Rangherabsetzungen, auch schon mal Entfernung aus dem Dienst. Verweis und Geldbuße (bis zum Viertel eines Monatsgehalts) kann der Dienstvorgesetzte einfach selbst verschreiben. Und ein Instanzengestrüpp ohnegleichen --Personalrat, Disziplinarkammer, Minister, Disziplinarhof, Verwaltungsgericht auf drei Ebenen -- verzögert die Abrechnung mit Ausreißern oft auf Jahre, blockiert sie zuweilen auf Dauer.
Nur wenn ein Polizist von einem ordentlichen Gericht wegen einer vorsätzlichen Tat zu mindestens einem Jahr verurteilt wird, muß er unverzüglich aus dem Dienst entlassen werden. »Die Gerichte wissen das auch«, sagt Horst Grimminger, »da geben sie eben nur neun Monate. Dann haben wir das faule Ei, und wir werden es nicht los.«
Die ganz gewöhnliche Kleinkriminalität bei der Polizei, für manchen die Premiere zu schweren Verbrechen, dringt kaum je nach außen. Da beleiht für Bier- und Schnapskäufe ein 48jähriger Kriminalhauptmeister in Düsseldorf den von ihm verwalteten Asservatenschrank des Polizeipräsidiums um einige Tausender und behält am Ende knapp 2000 Mark für sich. Da zapft in Essen eine Sachbearbeiterin im Präsidium die Vorschußkasse der Kripo um 25 000 Mark Fahndungsgelder an, um damit ihr Hobby, die Reiterei, finanzieren zu können. Da bucht in Heidelberg der Zahlstellenleiter der örtlichen Polizeidirektion 18 000 Mark auf sein Privatkonto um.
Nirgends gezählt werden die Fälle, in denen Polizeibeamte am Verkehr auf ungebührliche Weise teilnehmen. Ein Dienstabteilungsleiter der Autobahnpolizei Göttingen beispielsweise nahm binnen neun Monaten 42 ausländischen Kraftfahrern, die bei Ordnungswidrigkeiten erwischt worden waren, insgesamt 4300 Mark als Sicherheitsleistung ab. In der zutreffenden Annahme, daß sich die Ausländer nie wieder sehen lassen würden, vernichtete er die Belege und behielt das Geld für sich.
Und obwohl die Quittungsblöcke für gebührenpflichtige Verwarnungen von den Regierungshauptkassen streng kontrolliert werden, gelingt es Autobahnräubern in Uniform, das Sicherheitssystem zu überwinden. Ein Innendienstleiter der Autobahnwache Walsrode (Strecke Hannover--Bremen) verwirrte die Beamten der Lüneburger Bezirksregierung beim Empfang neuer Blockbündel derart, daß eine Handvoll Formulare unbemerkt in seine Hand kamen; er wurde geschnappt, bevor er Verkehrssünder auf eigene Rechnung verwarnen konnte.
Andere machen es weniger umständlich und melden dem Amt, ihre Formulare seien aus dem Spind gestohlen worden oder sonstwie verlorengegangen. In der Nähe von Freiburg etwa entrichteten 300 Verkehrssünder je 20 Mark Verwarnungsgeld an einen Obermeister, der die Quittungen dafür mit Druckbuchstaben aus der Kinderpost gefälscht hatte.
Ein Autobahndelikt besonderer Art beging ein 38jähriger Beamter, der letztes Jahr nach einem Verkehrsunfall auf der Strecke Frankfurt--Köln einem verletzten Kraftfahrer das Scheckheft samt Scheckkarte stahl. In der Stadt kommt ähnliches öfters vor. Mehrere Haupt- und Obermeister in Hamburg und Berlin wurden erwischt, als sie sich an Leichen vergriffen.
Die Polizisten waren jeweils von Amts wegen zu den Toten gerufen worden, mal welche, bei denen die Todesursache nicht eindeutig war, mal Selbstmörder. Und weil die Lage so günstig schien, suchten sie ein bißchen S.80 in den Taschen der Leichen, klaubten das Bargeld heraus und steckten es ein.
Das vertraute Wort, wonach Gelegenheit Diebe macht, paßt Polizisten allem Anschein nach nicht schlechter als jedermann. Vom Landgericht Duisburg beispielsweise wurde letzten Juli ein Obermeister, 34, zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er in den Garderoben von Tennishallen in Mülheim und Hilden neben Bargeld 37 Euroschecks gestohlen und später die Unterschriften unter den Schecks gefälscht hatte.
Auch bei Diebstählen in Kaufhäusern und Supermärkten hält die Polizei wacker mit. In Hannover war es der Leiter des größten Innenstadtreviers, der in einem Supermarkt ein paar Schuhe mitgehen ließ. In einem Kaufhaus, gleichfalls in Hannover, vergaß der stellvertretende Schutzpolizei-Kommandeur von Oldenburg Schinken und Salami zu bezahlen. In Rastatt war der einstige Kripochef der Stadt mit dabei, als seine Schwägerin während eines gemeinsamen Bummels durch ein Warenhaus mehrere Paar Hausschuhe, S.81 zwei Wandleuchten, einen Tortenheber, ein Glas Honig und dazu Fleischwaren. Butter, Käse und Spielzeug unbezahlt in einen Kinderwagensack und in ihre Einkaufstasche verschwinden ließ.
Hinterher überzeugte der Kripomann die Rastatter Schöffen, er habe von der aufwendigen Selbstversorgungsaktion nichts bemerkt, und die beiden Gläser Babynahrung, die sich noch in seiner Hosentasche fanden, habe er dort nur vor dem Zerbrechen bewahren wollen.
In der Modeabteilung bei Karstadt in Saarbrücken alarmierte eine Kleiderverkäuferin eine Kollegin: »Passen Sie auf den Mann da auf, der nimmt gleich das bordeauxfarbene Kleid mit.« Minuten später holten Karstadt-Detektive das Gewand (Wert: 320 Mark) aus einer C&A-Tüte, die der Mann in der Hand trug. Der faule Kunde war der Leiter der Bereitschaftspolizei des Saarlandes, Polizeidirektor Herbert Boussonville, Nettogehalt: 4000 Mark.
Seine Frau, seit Jahren im Klimakterium, habe das Kleid gestohlen und es ihm dann heimlich in die Tüte gesteckt, behauptete der Polizeichef. Doch das Amtsgericht Saarbrücken in erster Instanz nahm ihm das nicht ab und verurteilte ihn am 16. März wegen Diebstahls zu 3000 Mark Geldstrafe.
Bei Ladendiebstählen werden die Strafverfolgungsbehörden nur tätig, wenn der Bestohlene Anzeige erstattet, so wie in Saarbrücken. Anders hielt es der Chef des Phono-Kaufhauses »Saturn« in Köln, dem das »gute Verhältnis zur Kölner Polizei« mehr am Herzen lag.
Einem mit einer Pistole bewaffneten Kunden, Kriminaloberrat von Beruf, war letzten November im »Saturn« eine Mark auf den Boden gefallen. Als er sich danach bücken wollte, spürte er etwas Hartes im Kreuz und ließ das Geldstück liegen. Was da so klemmte, unter dem Popeline-Mantel versteckt, entdeckte wenig später der »Saturn«-Betriebsschutzleiter: eine unbezahlte Schallplatte, Händels Concerti grossi, Opus 6, Preis: 27,90 Mark.
Kaufhaus- und Kripoleitung aber machten von der Sache kein Aufhebens -- bis zwei Wochen danach der Betriebsschutzleiter Skrupel bekam und doch noch Anzeige erstattete. Die Staatsanwaltschaft mußte gegen Beamte des Kölner Polizeipräsidiums wegen des Verdachts der Strafvereitelung ermitteln.
Im Dienst erworbene Kenntnisse verwendete ein Kriminalkommissar, der letztes Jahr in Ravensburg vor Gericht stand. Der Beamte, beschäftigt im Diebstahldezernat der Friedrichshafener Kripo, hatte auf einem Einkaufsmarkt einen Pappkarton mit sechs Weinflaschen (Gesamtpreis: 24 Mark) zur Hälfte geleert, den freien Platz S.84 dann unauffällig mit anderen Waren im Werte von 130 Mark gefüllt und zum Schluß alles wieder fachgerecht mit einem Klebeband verschlossen.
Der Diebstahlsspezialist hatte nur übersehen, daß auf seinem Karton das Preisschild fehlte; er wurde überführt, als die Kassiererin den Inhalt begucken wollte.
Während der Ermittlungen gegen den Oberkommissar kam noch allerhand heraus. Nach einem Diebstahl bei einem Kunsthändler in Überlingen hatte er während einer Hausdurchsuchung neun kolorierte alte Stiche mitgehen lassen und sie, unterm Pullover versteckt, in seine Wohnung geschafft.
Das vortreffliche Fachwissen kam auch dem Einbruch-Sachbearbeiter der Marburger Kripo zugute. Er half in zwei Supermärkten mehrmals mit Rat und Tat bei der Einrichtung von Alarmanlagen; trotzdem stiegen immer wieder Diebe ein. Jahrelang fahndete der Kriminalobermeister nach den Übeltätern -- bis Kollegen dahinterkamen, daß der Einbruchsaufklärer selber der Einbrecher war.
Berlins »City«-Polizeichef Günther Freund weiß, wie so was bisweilen anfängt: »Da braust eine Funkstreife zu einem Laden, dessen Schaufenster aufgebrochen worden ist. Die restlichen Waren stehen noch da, der Geschäftsinhaber auch. ''Nehmt mal das Zeug, das da liegt'', sagte er dann schon mal. ''Holt''s euch doch mit und verteilt es unter eure Jungs!''«
Ihm »darf das nur nicht zu Ohren kommen«, sagt der Polizeidirektor, für den die Polizei ansonsten noch immer ein »absolut lauteres« Unternehmen ist.
Schwer zu vereinbaren mit dieser guten Meinung ist nicht nur die schlechthin ordinäre Kriminalität bei Polizeibeamten, das Knacken und Klauen. Die Lauterkeit leidet auch erheblich unter den vielfältigen Querverbindungen zwischen deutschen Polizisten und der Unterwelt. Die Art der Intimitäten reicht von freundschaftlichen Tips vor Polizeiaktionen über gemeinsame Straftaten mit Profis bis hin zur offenen Zusammenarbeit mit Hehlern -- ein ganz spezielles Problem, bei dem der gute Zweck das Unrecht zu heiligen scheint.
Da erwies sich etwa in Heidelberg eine ganze Serie von sorgsam vorbereiteten Razzien als Flop. Gute Bekannte aus dem Milieu saßen statt beim Zocken daheim vorm Fernseher, andere waren wie vom Erdboden verschluckt. Das hielt an, bis die Kripo in ihren eigenen Reihen fahndete: Ein Bediensteter aus der Datenabteilung der Polizeidirektion hatte seinen Spezis in der Unterwelt rechtzeitig Rat erteilt.
Unter dem Verdacht, Spielhöllenbesitzer gegen ein Schmiergeld von 20 000 Mark vor anstehenden Hausdurchsuchungen gewarnt zu haben, wurde in Essen ein Kriminalobermeister aus dem Verkehr gezogen. Er hatte einer Sonderkommission des Landeskriminalamtes angehört -- zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels. Verhaftet wurde ein 30jähriger Kriminalhauptmeister unter dem Vorwurf, in Wuppertal mit einer italienischen Betrüger-Mafia kooperiert zu haben. Und im Oktober bekam ein Polizeibeamter vom Landgericht Dortmund neun Monate, weil er, laut Urteilsbegründung, von einem geplanten Raubüberfall vorzeitig gewußt und dann nicht etwa der Kripo, sondern den Räubern den heißen Tip gegeben hatte.
Solcher Nebentätigkeit überführt wurden in Berlin auch zwei weibliche S.85 Polizeibedienstete. Sie hatten eine Autoschieberbande mit amtsinternen Daten versorgt sowie mit Blanko-Papieren aus dem Kraftverkehrsamt.
Gelegentlich kommt es zu echtem Teamwork zwischen Räuber und Gendarm. In München schloß sich ein Schupo mit einem professionellen Dieb zusammen, der schon vier Jahre Gefängnis hinter sich hatte, und knackte während der dienstfreien Nächte die Automaten in 30 Gaststätten. Die Beute, eine kleine Lastwagen-Ladung voll, lagerten die beiden in der Wohnung des Polizisten. Denn dort, kombinierten sie, werde die Polizei zuallerletzt Diebesgut vermuten.
Auf das Vertrauen der Kollegen ist in der Tat meist Verlaß -- selbst dann noch, wenn krumme Touren längst Reviergespräch sind. Die Solidarität, mit der Polizisten sich immer wieder gegenseitig bedenken, dieses Zunftbewußtsein trägt dazu bei, daß die Aufklärung kollegialer Verbrechen oft schwieriger ist als die Ermittlungen gegen ausgebuffte Profis.
Zu groß ist offenbar die Verlockung, die Fülle der Möglichkeiten zu nutzen, die zur Natur des Amtes gehören. Das beginnt bei der genüßlichen Willkür im Umgang mit Bürgern, geht allzuoft über dubioses Zeugen-Verhalten, wenn Kollegen vor Gericht stehen, reicht bis zur gezielten Abschottung gegen interne Ermittlungen.
Da fährt etwa in Berlin ein Polizist mit seinem privaten Mercedes 280 S von hinten auf den Kraftwagen eines Privatmannes auf -- und wenig später wird der Gerammte, nicht etwa der Polizist, zur Zahlung eines Bußgeldes verurteilt. Denn nach den Angaben des Beamten war doch dieser Bürger in einer stehenden Autoschlange plötzlich rückwärts gefahren und hatte dabei das Polizisten-Auto demoliert.
In diesem Fall ging es daneben, weil ein akribisch arbeitender Sachverständiger nach langem Getüftel herausfand, daß der Polizeibeamte aufgefahren war und nicht der Bürger rückwärts.
Da steht -- ebenfalls in Berlin, letzten Sommer -- eine junge Frau wegen Hausfriedensbruch vor Gericht, weil sie angeblich am 18. Januar an einer gewaltsamen Besetzung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche teilgenommen hat und von einem Polizeibeamten nach dessen eidlicher Bekundung um 23 Uhr beim Verlassen des Gotteshauses gesehen worden ist. Photos, zufällig geschossen, ergeben dann, daß derselbe Beamte die Frau schon um 22.30 Uhr auf dem Kurfürstendamm bei einer spontanen Demonstration festgenommen hat. Keine Chance mehr für einen Kirchgang -- und Freispruch für die 21jährige.
Weil offenbar auch für Richter Polizisten nicht mehr das sind, was sie ja vielleicht einmal waren, und weil es ständig Reibereien um Zeugenaussagen von Beamten gab, gingen die Polizeiverwaltungen in mehreren westdeutschen Großstädten allen Ernstes daran, ihre Leute vor größeren Prozessen zu einem beamteten »Zeugenberater« zu schicken oder ihnen ein »Merkblatt für den Polizeibeamten vor Gericht« mit auf den Weg zu geben. »Wir sind darauf gekommen«, erläuterte treuherzig der Leiter der Rechtsabteilung der Hamburger Polizei, Rudolf Buss, »weil Beamte in Prozessen nicht immer die glücklichste Figur machten.«
Auf einem dieser Spickzettel hieß es beispielsweise: »Die Pflicht zur Aussage berechtigt den Beamten, durch Einsicht in seine persönlichen und dienstlichen Unterlagen die Erinnerung an seine Wahrnehmungen aufzufrischen« --Unterlagen, an die ein gewöhnlicher Mensch gar nicht erst herankommt.
Oder: »Wird dem Zeugen Widersprüchlichkeit zwischen früheren Angaben und den in der Hauptverhandlung gemachten Aussagen vorgehalten oder von ihm selbst erkannt, ist bei Ungewißheit, welche der beiden Aussagen den Tatsachen entspricht, eher die Richtigkeit der früheren Angaben zu unterstellen.«
Dies sei »schon fast Anstiftung zur Falschaussage«, erboste sich die »Vereinigung Berliner Strafverteidiger«. Die Zeugenberater haben ihren Souffleurdienst inzwischen eingestellt, und die »Merkblätter« wurden eingezogen oder entschärft. Doch mit der Wahrheit haben Polizisten es auch weiterhin schwer. Dann vor allem, wenn es gilt, außer sich selbst auch noch einem in Verlegenheit geratenen Mitarbeiter zu helfen.
In Duisburg beispielsweise standen zwölf junge Leute vor Gericht, die sich S.86 nach einer nächtlichen Fete eine Schlägerei mit 42 Polizisten geliefert hatten: Wegen ruhestörenden Lärms hatte die Polizei die Party kurzum mit der »chemischen Keule« aufgelöst. Der Einsatzleiter aus jener Nacht aber wollte seine Zeugenaussage nur machen, wenn er sie vom Blatt ablesen durfte. Starke dienstliche Beanspruchung, erklärte dieser Polizeiführer den perplexen Richtern, habe ihn daran gehindert, seine Aussage auswendig zu lernen. Erst dreihundert Mark Ordnungsgeld halfen dem Zeugen, seine Erinnerung wiederzuerlangen.
»Nibelungentreue«, entfuhr es einem Würzburger Amtsrichter, als ein Polizist zwei Kollegen, die mit 2,1 Promille im Blut auf der Autobahn Dienst getan hatten, mit unwahren Angaben decken wollte. »Er hat eine von den Gefälligkeitsaussagen gemacht, die hundertmal gutgehen und einmal nicht«, sagte der Richter und verurteilte den Mann zu acht Monaten Haft mit Bewährung.
In Frankfurt marschierte eine ganze Horde von Polizisten im Gerichtssaal auf, um einem Kriminaloberkommissar beizustehen, der Aussagen von Häftlingen mit Schlägen erpreßt hatte. »Falsch verstandene Kameraderie« hielt die Oberstaatsanwältin ihnen vor und beklagte die »Solidarisierung bei Teilen der Frankfurter Kripo« zugunsten eines Beschuldigten.
Kopf und Kragen kann es einen kosten, wenn er es wagt, diesen Corpsgeist zu mißachten. Als Bremens Kripochef Herbert Schäfer vor Jahren den nicht unbegründeten Verdacht hatte, zwei auf den Strich spezialisierte Kriminalbeamte plauderten Internes an die Unterwelt aus, ließ er mit richterlicher Genehmigung heimlich die Telephone dieser Mitarbeiter abhören. Durch eine Indiskretion platzte das Unternehmen, und nun starteten Personalrat und Gewerkschaft der Polizei (GdP) einen Generalangriff gegen ihren obersten Ermittler und beschuldigten ihn mangelnder Menschenführung und fehlender Fürsorgepflicht.
»Wenn man mich wegen der Abhörangelegenheit abschießt«, sagte der Kripochef damals, »wird nie mehr von Polizeibeamten gegen Polizeibeamte ermittelt werden können. Und das wäre verheerend.« Ein halbes Jahr später mußte er seinen Posten räumen; das Ermittlungsverfahren gegen die verdächtigen Beamten wurde eingestellt.
Im Krimi-Milieu der Großstädte gehört es denn auch zum Fachwissen, daß vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Polizisten keineswegs auszuschließen ist. In Hamburg etwa haben sich Schupo und Kripo daran gewöhnt, daß sie von Fahrraddieben, Dealern oder Einbrechern mit den Worten empfangen werden: »Was wollt ihr? Ihr macht doch auch hier die Kelle.«
In der Großkommune ist diese Ansicht seit langem populär, sind Geschichten über innige Kontakte zwischen S.87 Polizei und Unterwelt so selbstverständlich im Gespräch wie das letzte Tor vom HSV-Bomber Hrubesch. Dort, im flackrigen Milieu von St. Pauli, unternahm die Polizeiführung schon vor fast zehn Jahren Untersuchungen in eigener Sache.
Siebzehn Beamten vom viel beredeten Revier 15 an der Reeperbahn, der »Davidwache«, wurde damals vorgeworfen, Schmiergelder empfangen und dafür die Halb- und Unterwelt auf der ziemlich sündigen Meile mit Informationen versorgt zu haben. Doch nach langwierigen Ermittlungen stellte die Staatsanwaltschaft sämtliche Verfahren wieder ein -- unter dem Hallo der St. Paulianer. »Auf der Reeperbahn«, wußte ein Lokalreporter, »lacht man sich eins.«
1977 erreichte der Korruptionsverdacht auch die Chefetagen der Hamburger Polizei. Ausgeräumt ist die Sache bis heute nicht, und sie ist unterdessen zu einem farbenreichen Musterbeispiel dafür gewachsen, wie schwer, wie schier unmöglich es ist, Beziehungen zwischen Kriminalern und Kriminellen nachzuweisen.
Vier Staatsanwälte und neun Kripoleute forschten, bevor die Gerüchte aufkamen, in einer »Sonderkommission organisierte Wirtschaftskriminalität« nach Stoßbetrügern und Hehlern. Die Gauner waren nach Meinung von Kiez-Kennern dabei, sich in der Art von Großunternehmen in hierarchisch aufgebauten und arbeitsteilig gegliederten Gruppen zu organisieren.
Im Zuge dieser Fahndung vertrauten einige Informanten den Sonderkommissären auch die letzten Neuigkeiten von der Polizei an: In der Szene kursiere eine Kartei, die -- nach ihrem Erfinder benannt, einem Geschäftsmann Vogel -- zahlreiche Namen von bestechlichen und unbestechlichen Kriminalbeamten enthalte. Diese »Vogel-Kartei« sei zwar auch bei der Polizei gelandet -- dort aber verschwunden.
Andere Ganoven, die sich die Sonderkommission vorgenommen hatte, wußten noch Aufregenderes. Einschlägige Vernehmungsprotokolle aus dem Polizeipräsidium, so plauderten sie aus, befänden sich jeweils schon am Morgen nach der Niederschrift in Kopie bei den Betroffenen. Etwa 60 Hamburger Polizeibeamte stünden bereits bei der Unterwelt »in Lohn und Brot« (Polizeinotiz). Ein »hoher Polzeiführer« habe wegen Wettverbindlichkeiten einen Schuldschein über 200 000 Mark bei einem Notar hinterlegen müssen.
Ob''s stimmte? In einem Bericht vom 12. Oktober 1977 erläuterten sechs Sachbearbeiter aus der Sonderkommission, weshalb sie für all diese Anschuldigungen nichts Beweiskräftiges beibringen könnten: So gut wie nie sei ein Informant bereit gewesen, seine Behauptungen mit einer Unterschrift zu besiegeln. Abschottung und Tarnung, S.88 so der Bericht, funktionierten außerdem bei den organisierten Verbrechern perfekt. Gegen »Verräter« gingen »Femegerichte« mit »einschneidenden Maßnahmen« vor -- »diese reichen vom St.-Pauli-Verbot bis zu schweren Mißhandlungen«.
Über den »hohen Polizeiführer« wußte auch der für die Sonderkommission tätige Staatsanwalt Rolf Lang etwas. Kripobeamte hätten erfahren, daß er »in regelmäßigen Abständen« und bei »kaltem Buffet« im Vergnügungslokal »Cherie« am Steindamm »dem Geschäftsführer ... über polizeiinterne Aktionen berichtet«.
Gemeint war der Kripochef der Hansestadt höchstselbst, der damals 57jährige Kriminaldirektor Hans Zühlsdorf.
Das Tanzlokal »Cherie«, das von Zühlsdorf in der Tat hin und wieder besucht wurde ("Sie kommen als Fremder ... und gehen als Freund -einhundertfünfzig zauberhaft schöne Frauen aus allen Erdteilen möchten Sie verwöhnen"), gehört dem einstigen Hamburger Boxpromotor und heutigen Nachtklub-Eigner Wilfried Schulz. Dieser große Boß rühmte sich seiner guten Bekanntschaft zu dem hochgestellten Polizisten schon seit den sechziger Jahren, als Zühlsdorf in Hamburg noch das Sittendezernat leitete.
»Ich habe Schulz oder auch das ''Cherie'' stets nur zu Informationsgesprächen aufgesucht, und auch das meist nur in Begleitung eines Beamten«, wehrte sich der Kriminalchef und wies alles zurück. In seinem Haus wurden auch die übrigen Beamten vernommen, an deren Namen die Sonderfahnder geraten waren.
Das Resultat war stets gleich. Die Polizisten dementierten, das war''s dann. Henning Voscherau, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender in der Hamburger Bürgerschaft, der die Untersuchungen mit angeregt hatte, sieht das Ergebnis so: »Es bleibt, daß die Polizeibehörde wenig oder gar nichts getan hat. Sie hat immer nur die Erklärungen der Beschuldigten protokolliert, und damit war die Sache erledigt. Ermittlungsansätze wurden nicht genutzt, Zeugen nicht gehört.«
Von Zühlsdorf nicht, wie es hätte sein sollen, »zur Ordnung gerufen« (Voscherau) wurde im Präsidium der Leiter des Fachkommissariats FD 633 ("Spezielle Diebstahlsdelikte"), Götz Sitte, von dem die praktische Erkenntnis stammt: »Man muß die Ganoven eben auch mal poussieren.«
Sittes Spezialität ist es, Bestohlenen wie den durch Diebstähle betroffenen Versicherungen auf unbürokratische Weise wieder zu ihrer Habe zu verhelfen -- häufig mit Hilfe von V-Leuten aus dem Hehlermilieu. Das System ist einfach: Der Eigner oder seine Versicherung zahlt, die Unterwelt kassiert, die Polizei vermittelt den Handel.
Mehrmals nächtlichen Besuch erhielt zum Beispiel das Antiquitätengeschäft »Galerie 1900« im Viertel Pöseldorf. Immer fehlten morgens wertvolle Jugendstil-Lampen. Und stets tauchte wenig später ein Mann in der Galerie auf und behauptete, er könne die Sachen wiederbeschaffen.
Auch als die Polizei nach einem neuen Einbruch meldete, zwei gestohlene Leuchten im Wert von je 20 000 Mark seien für 8000 Mark aus Hehlerkreisen wieder offeriert worden, und der Galerist sich zur Zahlung bereit erklärte, war der Mann zur Stelle: »Wir haben die Lampen jetzt.«
Es war ein V-Mann der Polizei, und er hatte die Lampen bereits bei der Kripo hinterlegt. Der bestohlene Ladenbesitzer zögerte dann zwar mit der Zahlung und handelte den Kaufpreis um über die Hälfte herunter, aber die Polizei erwies sich als honoriger Geschäftspartner der Diebesleute. Erst als der Agent die schließlich zugesagten 3000 Mark kassiert hatte, rückte sie die Lampen heraus.
Um die Informanten aus der Szene bei Laune zu halten, reichen die 100 000 Mark meist nicht aus, die Hamburgs Polizei alljährlich aus öffentlichen S.91 Mitteln für Spitzeldienste bereithält. So ein Einbruch, nach dessen Aufklärung der Geschädigte oder, besser noch, ein Versicherungskonzern angegangen werden kann, hilft da schon manchmal aus der Klemme.
Ende Juni 1979 tauchte bei dem persischen Teppichhändler Mohammad Mirza-Agha am Hamburger Zippelhaus der Kriminalhauptmeister Hartwig Behrens auf; in seiner Begleitung war der Hauptmeister Erwin Schumacher, beide erfolgreiche Einbrecherjäger aus der Dienststelle des Diebstahl-Kommissars Sitte. Sie brachten dem Händler schlimme Nachricht: In den nächsten Tagen, so hätten sie aus der Unterwelt erfahren, solle in seinem Lager eingebrochen werden.
Drei Tage und Nächte saß der Perser samt Familie vergeblich auf der Lauer. In der vierten Nacht, als er an die Prophezeiung schon nicht mehr glaubte, hebelten zwei Leute die Türen zu seinem Lager auf und luden 127 Orientteppiche im Wert von 175 000 Mark in einen auf dem Hof bereitstehenden Transporter. Doch Pech, als die Arbeit getan war, fanden die beiden plötzlich das Hoftor verschlossen.
Darauf alarmierten die Diebe telephonisch ("Wir sitzen in der Falle") ihren Auftraggeber, den 26jährigen Kaufmann Jani Rosenberg, der ihnen Pläne des Teppichlagers nebst einer Liste der dort lagernden Teppiche mitgegeben hatte. Nur das Wesentliche hatte ihnen Rosenberg, ein Zigeuner, nicht gesagt: Daß er ein V-Mann der Hamburger Polizei war.
Wie durch Zauber -- es heißt, es war ein Nachtwächter -- öffnete sich wenig später das Tor zur Straße, und die Einbrecher fuhren mit der Beute davon. Noch nicht eine Woche später sah der Bestohlene die Teppiche, mit Ausnahme von 13 besonders schönen Stücken, im Polizeipräsidium wieder.
Zuvor hatte ihn erneut der Kriminalhauptmeister Behrens mit dem Kollegen Schumacher aufgesucht und 12 000 Mark Belohnungsgeld mit der Begründung losgeeist, dies werde die Fahndung nach den Tätern fördern. Mirza-Agha heute: »Ich hatte hundert Prozent Vertrauen, bevor ich das Geld überwies und die Teppiche wiederbekam. Polizeibeamte, dachte ich, die sind vom Staat, die sollen doch das Gesetz vertreten, da kommt man nicht auf den Gedanken, daß die etwas Unrechtes tun.«
Die Hamburger Richter, die den Teppichdieben vergangenen Februar eine »erhebliche Strafmilderung« zubilligten, waren hingegen der Meinung, »daß sich die Polizei in dieser Sache nicht so verhalten hat, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, und daß sie insbesondere den Eintritt jeglichen Schadens hätte verhindern können«.
Die Staatsanwaltschaft untersuchte noch, ob der V-Mann Rosenberg oder die Kriminalbeamten oder alle zusammen mit dem Teppich-Coup lediglich einen Türken bauten, um bei dem Perser ihre Kassen aufzufrischen, als dem Kripomann Behrens letzten Monat die Liaison zu einem anderen Polizeispitzel zum Verhängnis wurde. In fremden Revieren, in Kiel, wollte Behrens einen von ihm betreuten Vertrauensmann partout nicht den schleswig-holsteinischen Kollegen überlassen. Darauf zapften die stutzig gewordenen Kieler das Telephon des V-Mannes an und hörten heimlich mit, was er mit seinem Vertrauten aus der Hansestadt zu besprechen hatte. Ergebnis: Meldung nach Hamburg, Hausdurchsuchung bei Behrens und dessen Kollegen Schumacher. S.94 Am 22. Mai kam Behrens in U-Haft.
Amtshilfe zwischen Hehlern und Betroffenen ist fester Brauch. Meist überweisen die Versicherungen die Wiederbeschaffungsprämien direkt an die Polizei, nicht nur in Hamburg. Die Möglichkeit, daß durch diese Belohnungsgelder Diebstähle erst angeregt werden, nehmen viele Kripostellen in Kauf. Und in der Tat macht die Methode alles einfacher -- nicht nur für Verbrecher und Fahnder, sondern eben auch für die Betroffenen.
Ein Hamburger Kriminalist: »Die Versicherer betteln uns regelrecht um Mithilfe an. Sie haben erkannt, daß man über die V-Leute viel Geld sparen kann. Nur, daß jetzt die Kripo zögert.«
Daß sich in letzter Zeit manche Kollegen doch wieder etwas zurückhalten bei dieser Vermittlung, ist womöglich dem Hamburger Kriminaloberrat Winfried Getto zuzuschreiben, 1979 Leiter einer auf Schallplatten-Raubdruck angesetzten Sonderkommission. Gemeinsam mit einem seiner Beamten, dem Kriminaloberkommissar Peter Reichard, hatte Getto in der Künstlerkneipe »Klimt« an Hamburgs Rothenbaumchaussee (Eigentümerin: Reichards Freundin) sich mit einem V-Mann namens Peter Friese getroffen. Was Friese dann erzählte, brachte Oberrat Getto später zu Papier: »An der Dienststelle FD 633 liefen unsaubere Dinge. Beamte dieser Dienststelle arbeiteten mit V-Leuten in der Weise zusammen, daß sie Stehlgut so lange zurückziehen, bis die Versicherungen eine Belohnung zusagten. Danach würde diese Belohnung im Verhältnis neun Teile für den Beamten und ein Teil für den V-Mann aufgeteilt.«
Auch über Kripochef Zühlsdorf wußte der Spitzel Neues: »K. D. Zühlsdorf habe enge Kontakte zu dem bekannten Wilfried Schulz. Er, Friese, habe Zühlsdorf vor einiger Zeit im Lokal ''Cherie'' gesehen. Dort habe Zühlsdorf, vermutlich mit einem Kollegen, am Tisch von Schulz bei Sekt und Champagner gesessen, sei zwischendurch mal mit einem Mädchen weggegangen und nach einer Weile zurückgekehrt. Er habe nicht gesehen, daß Herr Zühlsdorf etwas bezahlt habe.«
Keine zehn Stunden waren nach dem Gespräch vergangen, da saß V-Mann Friese im Hamburger Flughafen-Restaurant aber auch schon mit Kriminaldirektor Zühlsdorf nebst drei Beamten des Referats »Personen- und Sachfahndung« zusammen und berichtete brühwarm über seinen »Klimt«-Treff: Was er den beiden Kriminalbeamten Getto und Reichard dargetan habe, das habe er nur erzählt, weil die beiden gedroht hätten, ihn bei der Unterwelt als V-Mann zu verpfeifen.
Vier Tage später berief Zühlsdorf den Oberrat Getto als Chef des »Raubdruck«-Sokos ab und versetzte den Oberkommissar Reichard -- aus »organisatorischen Gründen«, wie es hieß. S.95
Doch Winfried Getto sah es eher so, daß ihn sein Chef »von einer bestimmten kriminellen Szene fernhalten« wolle, beschwerte sich beim Polizeipräsidenten, und der alarmierte den Senat. Einen Monat später zog Hamburgs damaliger SPD-Innensenator Werner Staak den höchsten Kripomann der Stadt von der kriminellen Szene ab.
Staak zitierte Zühlsdorf zu sich und eröffnete ihm, daß er noch vor seiner Pensionierung am 1. Februar 1980 eine Studie über die »organisierte Kriminalität und ihre Bekämpfung in Hamburg« erarbeiten solle. Für die Dauer dieser Tätigkeit, so der Senator, werde Zühlsdorf in die Verwaltung abgeordnet.
Der kaltgestellte Kriminaldirektor indessen, schon Verfasser eines Buches mit dem Titel »Bekämpfung organisierter Verbrechen« und in dieser Sache fit, hielt sich mit der neuen Studie nicht lange auf, übergab seinem Senator vorzeitig das Schriftwerk und setzte sich schon am 1. September wieder an seinen alten Schreibtisch -- vier Monate vor Beginn des Ruhestandes.
Der Streit unter den Kriminalspitzen ging weiter. Im Gegenzug brachte Oberrat Getto seine Erlebnisse mit dem V-Mann Friese noch einmal amtlich zu Papier und gab das Protokoll zu den Akten seines Präsidenten. Der erstattete bei der Staatsanwaltschaft gegen Zühlsdorf Strafanzeige und untersagte dem Direktor »ab sofort aus dringenden dienstlichen Gründen« die weitere Ausübung der Amtsgeschäfte.
Nächste Runde an Zühlsdorf. Er verfaßte seinerseits eine Strafanzeige gegen Getto und zog vor das Hamburger Verwaltungsgericht -- das prompt entschied, Zühlsdorfs Widerspruch gegen seinen Hinauswurf habe aufschiebende Wirkung. Am Morgen des 11. Oktober saß der Unterweltfachmann wieder an seinem Arbeitsplatz im 11. Stock des Polizeipräsidiums.
Ein paar Tage vor dem Ruhestand aber, Anfang 1980, hinterlegte ein Beamter aus der Landespolizeidirektion eine neue Beschuldigung gegen Zühlsdorf bei der Staatsanwaltschaft. In einer St.-Pauli-Gaststätte, so hatte der Kripomann protokolliert, sei ihm ein 8-Millimeter-Pornofilm vorgeführt worden, auf dem er Zühlsdorf in voller Aktion erkannt habe.
Wenig später lenkte SPD-Fraktionsvize Henning Voscherau, zugleich Vorsitzender des Innenausschusses in der Bürgerschaft, in einer kleinen Anfrage das Augenmerk des Senats auf Ermittlungen einer Sonderkommission in London, die sich mit der angeblichen Unterwanderung von »Scotland Yard« durch Kriminelle befasse:
»Sind dem Senat diese Vorgänge bekannt. Fällt dem Senat auf, daß der Londoner Ermittlungsgegenstand starke Ähnlichkeit, teilweise bis hin zu Details, zu den Vorwürfen und Gerüchten aufweist, die sich beharrlich seit Jahren in Hamburg halten?«
Schließlich forderte Voscherau, daß diese Vorwürfe »in geeigneter Weise« untersucht werden müßten, und zwar »nicht beschränkt auf Vernehmungen am Schreibtisch, sondern durch mühsame, vielleicht jahrelange Suche nach Beweisen draußen ''in der Szene''«.
Am Abend des Tages, an dem der Politiker die interne Großfahndung anregte, wurde auf dem U-Bahnhof Borgweg im Stadtteil Winterhude der einstige V-Mann Peter Klingbiel, 33, von einem S.96 rollenden Zug überfahren. Zwei Wochen vor seinem Tode hatte der Szenenkenner bei der Staatsanwaltschaft zu den Vorwürfen gegen die Hamburger Polizei ausgesagt. »Als ich schon bremste, fiel plötzlich einer auf den Stoßdämpfer«, versicherte hinterher der U-Bahn-Zugführer, der sich das Unglück so recht nicht erklären konnte.
Inzwischen hat der Hamburger Senat eine Sonderkommission mit vier Staatsanwälten und 23 Kripoleuten eingerichtet. Gerüstet mit sieben Autos und einer Kollektion von Funk- und Tonbandgeräten, versucht die Kommission nun, in der alten Revierwache 11 nahe dem Hauptbahnhof dem Klüngel zwischen Polizei und Unterwelt auf die Spur zu kommen.
Hans Zühlsdorf, mittlerweile im Ruhestand, sammelt weiter Punkte. In dem Lokal, in dem ein Beamter der Landespolizeidirektion ihn auf einem Pornofilm erkannt haben will, fand die Kommission bisher niemanden, der sich an so etwas erinnert. Und der Hamburger Anwalt, in dessen Tresor angeblich ein von Zühlsdorf unterzeichneter Schuldschein über 200 000 Mark liegt, dementierte die Existenz von beidem, Schuldschein und Tresor. Auch das Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung, das einst die Begründung für Zühlsdorfs Kaltstellung als Hamburger Kripochef lieferte, wurde eingestellt.
In der Sonderkommission machte sich schon wenige Monate nach Arbeitsbeginn Depression breit. Ein Beteiligter: »Beamte, die seit 20 Jahren gemeinsam mit der Bahn zur Arbeit fahren, gucken sich plötzlich nicht mehr an. Wenn der eine einsteigt, steigt der andere aus.« In vielen Dienststellen, in denen die Kommission recherchieren muß, heißt die Losung: Kein Wort sagen, und wenn, dann mit Anwalt. Kripoleute berichten von Einbrüchen zu Hause und von durchwühlten Schreibtischen. Es setzt Strafanzeigen wegen übler Nachrede, falscher Anschuldigung, Strafvereitelung, Nötigung und anderer Delikte -- gegen Verdächtigte wie gegen Kommissionsmitglieder.
Und auch die Festnahme des V-Mann-Spezialisten Hartwig Behrens lieferte den 27 Sonderfahndern nach fast einjähriger Tätigkeit nicht das große Erfolgserlebnis. Zühlsdorf daheim: »Die Sonderkommission steht unter Erfolgsdruck. Da muß sie mindestens einen schlachten.«
Der große Durchbruch im Geflecht zwischen Ober- und Unterwelt ist noch nicht zu erkennen. Ein führender Beamter sieht den Ausgang so: »Ein Staatsanwalt ist in der Regel gar nicht imstande, einen Kriminalisten selbst zu überführen. Und die Schwierigkeit bei Ermittlungen von Kripoleuten gegen Kripoleute ist, daß der andere alle Tricks beherrscht, um sich aus der Affäre herauszuwinden. Er kann sich mit seinem ganzen Berufswissen wehren.«
S.79Als Assistent in der TV-Serie »Spiel ohne Grenzen«.*S.80In einem illegalen Spielkasino in Kassel.*