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SCHMUGGEL »Da haben alle gelogen«

In Krefeld beginnt der größte Steuerhinterziehungsprozeß der deutschen Justizgeschichte. Ein V-Mann soll durch Zigarettenschmuggel 161 Millionen Mark am Fiskus vorbeigeschleust haben. Handelte er mit Wissen oder gar im Auftrag der Behörden?
aus DER SPIEGEL 17/1999

Es war ein richtig großes Familienfest. Mehr als hundert Verwandte, Bekannte und Freunde versammelten sich im Brüggener Ortsteil Bracht, um den 40. Geburtstag der Jubilarin zu begehen. Zum Braten floß jede Menge Pils, eine Zwei-Mann-Kapelle spielte zum Tanz, und die Gäste im »Haus Uhle« amüsierten sich bis tief in die Nacht.

Viele der geladenen kannten einander. Nur zwei der Gratulanten, die sich am 13. März 1993 zum Feiern nahe der deutsch-niederländischen Grenze eingefunden hatten, waren den meisten fremd. Sie wurden als »gute Bekannte« von Alfred Maske vorgestellt, dem Ehemann der Jubilarin.

Der eine von ihnen, Kurt Obaron, ein Zollbeamter aus Nettetal, kannte Maske zu dieser Zeit über 20 Jahre, der andere, Cees de J., ein niederländischer Zöllner, seit fast 10 Jahren. Beiden war eines gemeinsam: Sie hatten die »Vertrauensperson« (VP) Maske als geheimen Informanten und Mitarbeiter ihrer jeweiligen Behörde geführt.

Nun, sechs Jahre später, ist es mit der Vertraulichkeit vorbei. Von Dienstag dieser Woche an steht »VP Alfred« vor Gericht.

Im bislang größten Steuerhinterziehungsprozeß der deutschen Justizgeschichte will die Staatsanwaltschaft Krefeld dem gelernten Speditionskaufmann und langjährigen V-Mann nachweisen, daß er beim Schmuggel von Zigaretten 161 Millionen Mark am Fiskus vorbeigeschleust hat. Laut Anklage handelte Maske, 58, mittlerweile arbeitslos, »aus grobem Eigennutz« und kassierte für sein Tun rund eine Million Mark - »normaler Spediteurslohn« für 500 000 Lkw-Kilometer, wie dieser sagt.

Der Prozeß wird höheren Ortes seit Monaten mit Spannung und Bangen erwartet. Die Spitzen mehrerer Behörden, bis hinein ins Bonner Finanzministerium, ließen sich über den Fall Maske informieren. Im Kölner Zollkriminalamt (ZKA) ist man hoch nervös. Zollfahndungsämter und Staatsanwaltschaften in der ganzen Republik warten darauf, was vor der Wirtschaftsstrafkammer Krefeld alles ausgebreitet wird. Denn Maske behauptet, den gigantischen Schmuggel nicht nur mit Wissen, sondern sogar im Auftrag deutscher und niederländischer Behörden betrieben zu haben.

Die Staatsanwaltschaft hält dies durch ihre Ermittlungen für widerlegt. »In keinem einzigen Fall«, so die Anklage, sei es dem V-Mann »gestattet worden, einen entsprechenden Beförderungsauftrag auszuführen«. Doch hinter vorgehaltener Hand fällen Beamte, die die Akten kennen, ein vernichtendes Urteil: Die Ermittlungen seien »saumäßig geführt« worden und »von dem Ziel geleitet« gewesen, »die Wahrheit zu vertuschen«. Für einen Zollfahnder steht fest: »Da haben alle beteiligten Behörden gelogen.«

Laut Anklage war der Schmuggel vergleichsweise einfach gestrickt. Demnach beförderte die Martha Maske Internationale Transporte oHG in Brüggen-Bracht nahe Mönchengladbach, bei der Alfred Maske, ein Sohn der Firmeninhaberin, für monatlich 4333 Mark netto als Auftragsakquisiteur und Fahrer angestellt war, zwischen dem 8. Januar 1993 und dem 25. Januar 1994 knapp 761 Millionen unversteuerter Zigaretten von holländischen Zollfreilagern in Rotterdam oder Nijmegen nach Spanien und Italien. Von insgesamt 81 Lkw-Fuhren seien 43, meist Marke »Winston«, bei San Sebastian oder Barcelona gelandet. 38, überwiegend »Marlboro«, habe man nach Mailand gebracht.

Den Frachtpapieren zufolge sollten die Zigaretten, so die Staatsanwaltschaft, über das südspanische Hafenzollamt Algeciras an der Meerenge von Gibraltar aus der Europäischen Union ausgeführt und dann nach Afrika verschifft werden. Somit wären in der EU keine Steuern und Abgaben fällig geworden. Tatsächlich jedoch hätten die Zigaretten »Algeciras nie erreicht«, seien noch in der EU - illegal - entladen und dann auf dem Schwarzmarkt Spaniens und Italiens verkauft worden.

Die spanischen Stempel und Unterschriften, die den Export der Ware über Algeciras belegen sollten, waren nach Erkenntnis der Ermittler getürkt. Die »gefälschten Erledigungsabschnitte« habe man von Algeciras oder Madrid nach Holland zurückgeschickt. »Wahrscheinlich« sei dies mit Hilfe eines in Spanien »bestochenen Zöllners« geschehen. Mitangeklagt sind zwei weitere ehemalige Fahrer der Spedition Maske.

In Gang gekommen waren die Ermittlungen um die Jahreswende 1993/94 fast zeitgleich von drei Seiten. Zum einen fiel der Zollfahndung im bayerischen Lindau auf, daß zwischen dem 25. November und dem 9. Dezember 1993 drei Maske-Transporte mit insgesamt 30 Millionen unversteuerter Zigaretten über das Zollamt Hörbranz-Autobahn nach Deutschland eingeführt worden waren. Deren »Erledigungsstempel« seien, so die Lindauer Fahnder, gefälscht gewesen. Deshalb verständigten sie im Januar 1994 das Zollkriminalamt.

Dort war wenige Tage zuvor bereits Post aus Brüssel eingegangen, von der Generaldirektion Zölle und indirekte Steuern der Europäischen Kommission. Die bat das ZKA am 11. Januar aufgrund eines Hinweises aus den Niederlanden, »Ermittlungen in Deutschland zu veranlassen«, da offenbar drei Maske-Transporte mit Zigaretten nicht ordnungsgemäß über Algeciras aus der EU ausgeführt worden seien.

Zum anderen verunglückte am 24. Januar abends ein Lkw der Spedition Maske, der laut seiner Transportpapiere nach Algeciras unterwegs war, in der Nähe von Brüggen. 171 Kartons Zigaretten, bei dem Unfall beschädigt, wurden vernichtet. Die restlichen 8,29 Millionen unversteuerter »Winston« durfte der Fahrer wieder mitnehmen. Von zu Hause aus war zuvor, um 22.30 Uhr, noch eigens der Leiter des Zollamts Schwanenhaus, Obaron, zum Unfallort geeilt - der langjährige Führungsbeamte des V-Mannes Maske. Dessen Frau hatte Obaron verständigt.

Am 19. April 1994 wurde Maske verhaftet. Noch am selben Tag räumte er bei einer ersten Vernehmung die Schmuggelfahrten ein. Der Vorwurf der Steuerhinterziehung sei ihm jedoch »unverständlich«. Bereits »vor dem ersten Transport« habe er schließlich »den Fahndungsbehörden Mitteilung gemacht« und diese »dann ständig informiert«.

Den Ablauf des Zigarettenschmuggels schilderte Maske, der dem Düsseldorfer Fahndungsamt zu dieser Zeit schon mehr als 20 Jahre lang als »Vertrauensperson« diente, so: Auf »Veranlassung der niederländischen und der deutschen Zollfahndung« sei er im Sommer 1992 in die Schweiz gereist, habe dort einen Mann namens Peter Lütscher kennengelernt und sich diesem als Inhaber einer Spedition vorgestellt. Etwa zwei Monate später habe Lütscher ihn gefragt, »ob ich auch Zigarettentransporte machen könnte«. Da er gewußt habe, »daß es sich bei dem Ansinnen des Lütscher nur um ein illegales Geschäft handeln konnte«, habe er sofort seinem VP-Führer, Zollamtmann Brond-Hendrick B., berichtet.

B., so Maske, habe ihm gesagt, er solle »da dranbleiben«, um Hintermänner Lütschers sowie Strukturen des internationalen Zigarettenschmuggels »in Erfahrung zu bringen«. Er habe deshalb Lütscher, der alle Vorwürfe bestreitet, öfter getroffen und hierüber »die Zollfahndung immer sofort informiert«. Zwei der Treffen, eines in Düsseldorf und eines in Amsterdam, wurden von Beamten sogar observiert.

Nachdem die Fahrten bereits monatelang liefen, habe er, so Maske weiter, schließlich »selbst darauf gedrängt«, daß B. endlich handle. Der Führungsbeamte habe ihm jedoch geantwortet, er solle sich »nicht aufregen«. Angesichts der Komplexität der Ermittlungen könne es »zwei Jahre dauern«, bis man zugreife. Fast wörtlich dasselbe habe ihm sein niederländischer VP-Führer J. gesagt. »Fahr Alfred, fahr«, habe der ihn zudem noch stets ermuntert.

Bereits kurz nach Maskes Verhaftung begannen in Holland umfangreiche Ermittlungen. Dabei kam eine Sondergruppe der Reichskriminalpolizei Ende März 1996 zu dem Schluß, sowohl die Zollfahndung als auch der polizeiliche Nachrichtendienst der Niederlande hätten von den Zigarettentransporten Maskes 1993 gewußt.

J., der Maske mindestens seit 1988 für die Zollfahndung als V-Person zur Aufdeckung vornehmlich von Drogengeschäften führte, gab der Reichskriminalpolizei zu Protokoll, er und zwei Vorgesetzte hätten im August 1993 beschlossen, Maske »einige Zigarettentransporte durchführen zu lassen«.

Für die Sonderermittler war damit klar, daß es sich bei Maskes »Testfahrten« um »das wissentliche Zulassen eines Betrugs« durch niederländische Behörden gehandelt habe. Unklar sei allerdings geblieben, »welches Fahndungsziel« J. »mit den genehmigten Transporten verfolgte«.

Aufgrund der Erkenntnisse der Polizei nahm das niederländische Finanzministerium im Juli 1996 Steuerbescheide von über 100 Millionen Mark gegen die Firma Maske sowie die Dortmunder Spedition Schenker-Rhenus zurück. Die hatte auf Maskes Vermittlung die Zollformalitäten für die Transporte übernommen und haftete damit auch steuerrechtlich. Wegen der nunmehr aufgedeckten Rolle der niederländischen Behörden bei dem Schmuggel sah das Ministerium »keinerlei Chance« mehr, »die Bescheide aufrechtzuerhalten«.

Eindeutig stellte die Reichskriminalpolizei außerdem fest, Maske habe auch den deutschen Zoll bereits »Ende 1992 über die Zigarettentransporte« informiert. Maskes Führungsbeamter J. habe im Zeitraum der Schmuggelfahrten »regelmäßig« Maskes deutschen VP-Führer B. kontaktiert.

B. und andere Zollfahnder, mit denen Maske von 1992 bis 1994 in Verbindung stand, räumen zwar ein, von Zigarettentransporten Maskes nach Spanien gewußt zu haben. Sie seien jedoch davon ausgegangen, so die Beamten, daß es sich dabei um legale Fahrten gehandelt habe.

Eine Einlassung, für die Ermittler anderer Behörden nur Spott übrig haben. »Jedem deutschen Zöllner war 1992/1993 völlig klar, daß nach Spanien keine legalen Transporte mehr gingen«, so ein ranghoher Fahnder. »Alles andere ist Unsinn.«

Die Staatsanwaltschaft Krefeld hingegen stellte Verfahren wegen Strafvereitlung gegen mehrere Zollfahnder nach eigenen Angaben »ohne Ermittlungen« ein: »Zureichende Anhaltspunkte« für strafbares Verhalten habe es nicht gegeben.

Das kann man auch anders sehen. Denn Maskes Führungsbeamter B. notierte schon am 6. Dezember 1992, Lütscher habe »VP Alfred« die »Mitarbeit beim Schmuggel von Zigaretten von Belgien und den Niederlanden nach Norditalien und nach Spanien angeboten«. »Alfred« habe ihm erklärt, er sei »zu einer Mitarbeit zur Aufklärung der Schmuggelwege und der Abnehmer bereit«.

Damit kannte B., fünf Wochen vor Abfahrt des ersten Lkw, das genaue Drehbuch der geplanten Straftat. Ausdrücklich verwies B. in dem Vermerk darauf, daß Lütscher bereits amtsbekannt sei und in Freiburg gegen ihn wegen Schmuggels ermittelt werde.

In einem weiteren Vermerk vom 24. Januar 1993, der auch an die Amtsleitung ging, hielt der VP-Führer nochmals den »Plan der Operation« fest. Ausführlich schildert er darin, daß die Zigaretten in Rotterdam abgefertigt würden und die Spedition Schenker die Papiere erledige. Auch von einem »bestochenen Zollbeamten« und »Tarnladungen« für die Fahrten ist bereits die Rede.

Dennoch notierte B., wenn ihm »Alfred« in den Monaten danach von durchgeführten Transporten im Auftrag Lütschers erzählte - und das war sogar nach B.s Angaben »häufig« -, er habe den V-Mann angewiesen, »Zigaretten ausschließlich auf legalem Wege zu transportieren«.

Daß B. diese Weisung offenbar vor allem zur eigenen Absicherung schriftlich festhielt, sie in Wirklichkeit aber selbst kaum ernst nahm, legt eine Notiz des Beamten vom 5. Dezember 1993 nahe. Darin heißt es nochmals ausdrücklich, Maske transportiere »Zigaretten für den einschlägig bekannten schweizerischen Schmuggler Peter Lütscher«. Die Zigaretten würden wohl »durch gefälschte oder durch von bestochenen Beamten erledigte« Papiere »dem überwachten Verkehr entzogen«. An den Transporten, die zu dieser Zeit drei- bis viermal pro Woche liefen, hinderte B. seinen V-Mann jedoch nicht.

Warum B. dem Treiben so lange zusah, ist Kollegen anderer Fahndungsämter ein völliges Rätsel. Dem sei »die Sache über den Kopf gewachsen«, vermutet Maskes Anwalt Willi Steinbrink. Über andere mögliche Motive will er nicht spekulieren.

Weil aus Maskes Sicht bei den Ermittlungen nichts voranging, informierte er im Dezember 1993 neben B. den Sachgebietsleiter Zoll und Verbrauchssteuern im Düsseldorfer Fahndungsamt, Hans-Joachim E., über seine Fahrten. Maske habe ihm berichtet, die Papiere für die Transporte würden in Madrid »in einer Bar binnen einer halben Stunde erledigt«, sagte E. der Staatsanwaltschaft später. Nach diesem Treffen habe er Maskes Führungsbeamten »meinen Verdacht mitgeteilt, daß Maske Zigaretten schmuggele«. Ob B. daraufhin etwas veranlaßt habe, wisse er nicht.

Für Anwalt Steinbrink ist das Gespräch mit E. ein »weiterer klarer Beweis dafür, daß mein Mandant unschuldig ist«. Maske, so Steinbrink, »wäre doch geradezu irre gewesen, einem Zollbeamten von sich aus von Schmuggelfahrten zu erzählen, wenn er diese auf eigene Faust unternommen und ein Verbrechen zu verbergen gehabt hätte«. Da deutsche und niederländische Behörden von den Transporten gewußt hätten, seien die Zigaretten zudem - steuerrechtlich gesehen - »niemals der zollamtlichen Überwachung entzogen« worden. Damit, so Steinbrink, liege auch keine Steuerhinterziehung vor.

Da Maske selbst nach Eingeständnis der Behörden ein höchst erfolgreicher V-Mann war (Obaron: »Er zog Straftäter an wie die Motten das Licht"), versuchte das Zollkriminalamt im Herbst 1993, den Düsseldorfer Kollegen »VP Alfred« abspenstig zu machen. Der 110-Kilo-Mann mit der Statur eines Boxers sollte in die polnische Zigarettenmafia eingeschleust werden.

Die Operation platzte, unter anderem weil Maske die Beamten aus Köln für »zu unprofessionell« hielt. Maske: »So wie die das angelegt hatten, mußte die Sache schiefgehen.«

In Deutschland wurde »Alfred« im Februar 1994 »abgeschaltet«. Für seinen holländischen Freund und VP-Führer J. nahm Maske hingegen schon wenige Tage nach Ende der U-Haft am 8. Juli 1994 die Arbeit wieder auf - mit Transporten von Rauschgift. Pro Container, den »Alfred« auffliegen ließ, erhielt er, wie eh und je, 25 000 Mark. Maske schied aus holländischen Diensten erst 1996 - aus gesundheitlichen Gründen. WOLFGANG KRACH

Wolfgang Krach
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