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»Da ist Musik drin«

Deutsche und Perser brachen zu neuer Wirtschaftsbrüderschaft auf: Gemeinsam wollen die milliardenschweren Manager aus Nahost und die Kruppianer aus Essen Mammutprojekte durchziehen. Zunächst einmal kaufte sich der Schah mit einigen hundert Millionen bei Krupp ein. Insbesondere den Konjunkturexperten gefällt der Handel.
aus DER SPIEGEL 30/1974

Alt-Bundeskanzler Willy Brandt erfuhr als einer der ersten die Neuigkeit. Am vergangenen Sonnabend, während eines Spazierganges durch die Wälder seiner Jagd in der Eifel, eröffnete Berthold Beitz, Herr mi Hause Krupp, seinem Bonner Gast, er habe sich mit dem Schah von Persien über ein Milliarden-Geschäft geeinigt, das nicht nur für seinen Konzern, sondern auch für Westdeutschlands Wirtschaft und Währung von Belang sei.

Der Iran werde sich an der wichtigsten Krupp-Tochter, der Fried. Krupp Hüttenwerke AG, beteiligen. Willy Brandt gratulierte: »Das ist das erstemal, »daß ich davon gehört habe, daß die Ölgelder sinnvoll angelegt werden.«

Tags zuvor, am 12. Juli, hatte der Schönste unter den Wirtschaftsführern der Republik mit dem Mächtigsten unter den Persern eine Absprache getroffen, die

* für einen geheimgehaltenen Betrag -- vermutlich zwischen 200 und 300 Millionen Mark -- einen Verkauf von 25,04 Prozent des Kapitals der Hüttenwerke an den Iran vorsieht;

* zur Gründung einer gemeinsamen Investitionsgesellschaft in Zürich führen wird, die beiden Partnern zu gleichen Teilen gehört und insbesonders Projekte in der Dritten Welt, aber auch in Industrieländern durchziehen soll. Die auf neutralem Boden angesiedelte Gemeinschaftsgründung soll den Deutschen endgültig den Weltmarkt öffnen. Beitz: »Da ist Musik drin.« Denn iranisches Ölkapital und westdeutsche Technik -- so Dirigent Beitz -- seien eine so schlagkräftige Kombination, daß es für die Konkurrenten »schwieriger wird«. Und so ist denn auch der »Einzelkämpfer« (Beitz über Beitz) froh, daß er dem »weltweiten Ansturm der nationalen und multinationalen Konzerne aus den Industrie-Staaten zuvorgekommen ist«.

Den ersten Vorstoß beim Teheranei Kaiserhof wagte Beitz im Mai 1973, als er gemeinsam mit dem damaligen Bonner Wissenschaftsminister Klaus von Dohnanyi, Bonns Botschafter in Persien. Georg von Lilienfeld, und dem Stahlindustriellen Willy Korf bei Hof empfangen wurde. Das Protokoll hatte den Essener Top-Manager neben den Herrscher aller Perser plaziert. und Beitz nutzte die Gelegenheit. die Idee vorsichtig zu ventilieren.

Ein gutes halbes Jahr später waren die Pläne schon etwas konkreter. Im Februar dieses Jahres erörterte der Testamentsvollstrecker des letzten Krupp-Herrn, Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, mit dem Kuratorium der Krupp-Stiftung, die das gesamte Vermögen der Industriellen-Dynastie 1967 übernahm, seine Ideen für eine Zusammenarbeit mit dem Iran. Als die »noch sehr vage Konzeption keinem Widerspruch begegnete, wurde Beitz konkreter. Im Mai 1974 traf er abermals den Schah, und am 12. Juli schließlich war der Handel perfekt.

Einige Tage zuvor, am Morgen nach dem Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft, hatte Beitz den Vorstandssprecher seiner Hausbank, der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, in seine nahöstlichen Pläne eingeweiht. Beim Frühstück eröffnete er dem verdutzten Bankier, er habe sich mit dem Schah eingelassen. Ponto kommentierte knapp: »Dolle Kiste.«

Wortreicher, doch mit gleicher Vehemenz urteilten Ende vergangener Woche auch Bonns Regierer. Kanzler Schmidt etwa, vom derzeitigen Krupp-Manager und früheren Schmidt-Staatssekretär Ernst Wolf Mommsen auf das genaueste informiert, fand: »Daß wir dergleichen im Laufe der Jahre in größerem Umfang kriegen, daran ist kein Zweifel.«

Die Krupp-Aufsichtsrate hatten schon vorher eingewilligt.

Wirtschaftsstaatssekretär Rohwedder gratulierte sich und den Kruppianern: »Das liegt auf unserer Linie.« Sein Kollege Otto Schlecht verkündete bündig: »Ein vernünftiger Schritt.« Und Abteilungsleiter Dieter von Würzen konnte »das nur richtig finden. Das ist sicher der bessere »Weg, als daß die Ölmilliarden in der Welt rumgeistern und das Währungsgefüge in Unordnung bringen«. Finanzstaatssekretär Karl Otto Pöhl sagte voraus: »Das ist der Anfang einer Entwicklung. Die Ölmilliarden suchen Anlage. Warum nicht bei uns? Ich begrüße das.«

FDP-Graf Otto von Lambsdorff war ebenso einverstanden ("Damit ist ein guter Schritt zur Lösung des Problems der Re-Investition von »Öldollars« getan worden") wie EG-Kommissar Wilhelm Haferkamp, der Beitz telephonisch beglückwünschte.

Die Krupp-Aufsichtsräte hatten schon vorher eingewilligt: Gewerkschaftsbankier Hesselbach ebenso wie Dresdner-Chef Ponto, Daimler-Benz-General Joachim Zahn ebenso wie der Vorstandsvorsitzende der Westdeutschen Landesbank Ludwig Poullain.

Auch Unternehmensfremde applaudierten. Matthias Schmitt, Vorstandsmitglied bei AEG, sagte voraus: »Das wird kein Einzelfall bleiben, denn die deutsche Industrie braucht Kapital, da die eigene Volkswirtschaft es nicht mehr in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen kann.«

In ihrer Euphorie interessierten sich die Herren kaum noch dafür, welche Folgen sich zumindest für Krupp dadurch ergeben, daß nun die Perser kommen. Durch ihren Kapitalanteil von 25,04 Prozent bei den Krupp-Hüttenwerken steigen die Männer aus dem Morgenland immerhin zu einem bestimmenden Aktionär des 26 000 Mann starken Unternehmens auf. Sie verfügen über die Sperrminorität, die ihnen über ihr gesetzlich garantiertes Vetorecht bei wichtigen unternehmenspolitischen Entscheidungen einen maßgeblichen Einfluß auf den Gang der Geschäfte erlaubt.

Da alle für das Unternehmen lebenswichtigen Beschlüsse eine 75-Prozent-Mehrheit verlangen, können die Neu-Kruppianer zum Beispiel verhindern. daß ihre Firma sich neuen Geschäftszweigen zuwendet oder das Gesellschaftskapital erhöht.

Doch sowohl Beitz, als Aufsichtsrat der Holding Fried. Krupp GmbH der erste Herr im Hause, als auch der GmbH-Vorstandsvorsitzende Ernst Wolf Mommsen sind »sicher«, daß ihre neuen Partner an einem florierenden Unternehmen interessiert sind, das den westdeutschen Arbeitnehmern sichere Arbeitsplätze garantiert -- eine These, der bislang nicht einmal die Gewerkschaften widersprechen mochten.

Um so aufgeregter begrüßten die Kapitalvertreter im Krupp-Aufsichtsrat schon in der vergangenen Woche ihre neuen Kollegen. Gemeinsam mit nahezu allen anderen Top-Managern der deutschen Wirtschaft sind sie dringend an guten Auslandskontakten interessiert, die ihnen die Möglichkeit zu deutschen Direkt-Investitionen jenseits der Grenzen eröffnen. So war die Creme der deutschen Wirtschaft Ende April zu einer mit großem Aufwand veranstalteten deutsch-iranischen Investitionskonferenz ins Reich des Schahs aufgebrochen. Doch das Ergebnis blieb eher allgemein.

Schon Anfang des Jahres hatte etwa Dietrich Wilhelm von Menges, Vorstandsvorsitzender im größten Maschinenbau-Konzern des Kontinents, der Gutehoffnungshütte, angekündigt, die deutsche Industrie müßte technisch anspruchslose, arbeitsintensive Produktionen ins Ausland verlegen und sich auf die »high sophisticated technology« konzentrieren (SPIEGEL 7/1974).

Noch dringender erscheint Managern und Politikern allerdings, daß sie die Öl-Milliarden aus dem Orient langfristig und zuverlässig anbinden, daß der internationale Geld- und Kapitalkreislauf durch solide Investitionen von Arabern und Persern in den Industriestaaten allmählich wieder stabilisiert wird.

Durch die Vervierfachung der Rohölpreise lenken die Ölherrscher des Nahen Ostens seit Ende letzten Jahres einen Multimilliarden-Dollarstrom in ihre Kassen, der das durch eine flaue Wettkonjunktur und hohe Inflationsraten ohnehin angeschlagene Wirtschafts-, Währungs- und Außenhandelsgefüge der westlichen Welt zu unterspülen droht.

So werden in diesem Jahr allein die acht Erdölproduzenten Nordafrikas und des Nahen Ostens mit 72 Milliarden Dollar Öleinnahmen etwa 55 Milliarden Petrodollar mehr als im vergangenen Jahr kassieren. Die Einkünfte aller in der Opec vereinten Ölexporteure werden für dieses Jahr auf 105 Milliarden Dollar geschätzt (1973: 25 Milliarden Dollar).

Die Schulden der Industrieländer wurden immer größer.

Dieser gewaltigste Transfer von Devisen, den die Industrieländer je zu verkraften hatten, reißt riesige Löcher in die Zahlungsbilanzen der Verbraucherländer. Denn bevölkerungsschwache Ölländer wie Saudi-Arabien, Kuweit, Abu Dhabi und Libyen können nur einen Bruchteil ihrer zusätzlichen Kollekte zum Einkauf von Investitions- und Konsumgütern oder Waffen im Westen verwenden. Folge: Ihre Ölkunden sind nicht in der Lage, die Devisenlücke durch vermehrte Exporte in den Nahen Osten zu stopfen.

Selbst bevölkerungsstarke Länder wie der Iran und der Irak werden vorläufig noch von der Dollarspringflut überschwemmt, da sie ihren neuen Reichtum so schnell nicht im eigenen Land unterbringen können.

Immerhin bemühen sich die Entwicklungsplaner in den Ölländern nun, ihre rückständigen Volkswirtschaften so rasch wie irgend möglich zu industrialisieren. Mit ehrgeizigen Programmen wollen Perser und Algerier innerhalb einer Generation den Anschluß an westliche Entwicklungsstandards erreichen und Milliarden in den Bau von Stahlwerken, Raffinerien, Tankern. Gasverflüssigungsanlagen, petrochemischen Betrieben, Zementfabriken und Automobilunternehmen pumpen.

Dennoch: Trotz aller Anstrengungen der arabischen Finanzminister, ihre Staatseinnahmen auch wieder auszugeben, werden sich bereits in diesem Jahr rund 65 Milliarden überschüssige Öldollar in den Kassen der neureichen Wüstenstaaten häufen. In den Handelsbilanzen der Industrieländer aber werden sich diese Überschüsse der Ölexporteure als ein Defizit von insgesamt 35 bis 40 Millionen Dollar niederschlagen, und die Entwicklungsländer werden 1974 einen Fehlbetrag von 25 Milliarden Dollar zu verkraften haben.

Einziger Trost der Währungsexperten und Wirtschaftspolitiker des Westens: Anders als einst Scheich Schachhut von Abu Dhabi, der seine Einnahmen Schein um Schein im Schlafzimmer gestapelt hatte, würden -- so ihre Hoffnung -- die renditebewußten Ölfürsten ihre Überschuß-Milliarden nur in den westlichen Geld- und Kapitalmärkten investieren können. Um ohnehin devisenschwache Länder wie Italien, Frankreich oder Großbritannien vor dem raschen Ausverkauf ihrer Währungsreserven zu bewahren, hätten europäische und amerikanische Banken daher lediglich Petrodollar arabischer Provenienz anzusammeln und an diese Defizitländer auszuleihen.

Die von den Verbraucherländern gezahlten Öldevisen würden also über die Gelddrehscheibe Eurodollarmarkt, auf dem die großen internationalen -- Banken untereinander Mark, Dollar und andere Devisen verschieben oder an Industriekonzere und Regierungen borgen, von den Ölländern zurück zu den Importeuren fließen. Durch das sogenannte Recycling der Petrodollar würden sich die Öldefizite der Industrieländer gleichsam selbst finanzieren -- freilich nicht auf Dauer: Die Ölabnehmer müßten sich nämlich ständig tiefer bei ihren Lieferanten verschulden.

Im ersten Quartal dieses Jahres geriet das Devisenkarussell denn auch zunächst erwartungsgemäß in Schwung. Die Kassenwarte der Ölländer legten ihre tiberschüssigen Petrodevisen zum größten Teil auf Dollar-, und Pfundkonten der internationalen Banken an, die wiederum mehr Furokredite als jemals zuvor an die Regierungen der Industrieländer weiterschaufelten.

So nahmen die entwickelten Staaten in den ersten drei Monaten dieses Jahres mit 10,549 Milliarden Dollar fast soviel Gelder auf, wie die Banken auf dem Euromarkt 1973 insgesamt ausgeliehen hatten (12,012 Milliarden Dollar). Vor allem die Regierungen Italiens, Großbritanniens und Frankreichs langten mit Krediten von insgesamt acht Milliarden Dollar in den scheinbar unerschöpflichen Eurotopf.

Doch schon im zweiten Quartal zeichneten sich die Grenzen des Eurogeldmarkts als Verschiebebahnhof für die Öldollar ab. Denn die Araber stellten ihre überschüssigen Devisen nur als kurzfristige Einlagen mit Laufzeiten von wenigen Monaten oder gar Tagen zur Verfügung. Die Regierungen der Defizitländer aber suchten langfristige Kredite zur Finanzierung ihrer Importüberschüsse.

Nun verfügen die Eurobanker mit ihren sogenannten Roll-over-Krediten zwar über ein Instrument, um kurzfristige Einlagen in langfristige Anleihen zu transformieren: Bei diesen Krediten leihen die Banken Gelder zu variablen Zinsen für mehrere Jahre aus, die ihre Gläubiger ihnen nur für wenige Monate überlassen haben und die sie daher nach Fristablauf durch Aufnahme neuer Kurzfrist-Kredite ersetzen müssen. Die Zinsen, die der Langfrist-Schuldner zu tragen hat, werden von Zeit zu Zeit den Kreditkosten auf dem Markt für kurzfristige Gelder angepaßt.

Trotz dieser Zinsklausel, durch die sich die Banken vor Verlusten bei der Refinanzierung schützen, aber fühlten sich die Eurobanken durch die Dimensionen der erforderlichen Kredit-Transformationen schon bald überfordert. Insbesondere nach den Marktstörungen durch die Pleite der Kölner Herstatt-Bank wuchs die Unsicherheit selbst bei den feinen Adressen des Geldgewerbes.

Top-Bankiers wie David Rockefeller von der New Yorker Chase Manhattan Bank und Franz Heinrich Ulrich von der Deutschen Bank warnten, daß die Kreditwürdigkeit der Euro-Schuldner sich ständig verschlechtert habe und bei der weitverbreiteten »Aus kurz mach lang«-Methode das Risiko für die Euro-Institute zu stark wachse. Der Kollaps einer größeren Eurobank aber würde zum Zusammenbruch des gesamten internationalen Geldmarktes und unweigerlich in eine neue Weltwirtschaftskrise führen.

Die Vorliebe der Ölmagnaten galt bisher den Grundstücken.

Als einzige Rettung vor der ersten Krise der neuen Ölzeit erscheint deshalb Bankern, Managern und Wirtschaftspolitikern das langfristige Engagement der Ölländer in den westlichen Industriestaaten. Doch bislang mochten sich die Neureichen aus dem Nahen Osten nicht recht binden. Zwar stellten sie dem internationalen Währungsfonds fast drei Milliarden Dollar zur Weiterleitung an Defizit-Länder zur Verfügung. Persien, Saudi-Arabien und Kuweit kauften für etwa 300 Millionen Dollar Anleihen der Weltbank. Aber vor langfristigen Industriebeteiligungen schreckten die Ölmagnaten »meist noch zurück.

Bis Persien bei Krupp einstieg, waren Grundstücke die beliebteste privatwirtschaftliche Anlageform. So zahlten die Kuweitis 17 Millionen Dollar für die insel Kiawah vor der Küste von South Carolina, auf der sie luxuriöse Zweitwohnungen für reiche Amerikaner bauen wollen. In Atlanta (US-Staat Georgia) lassen die Investmentexperten des Ölemirats für 100 Millionen Dollar ein Hotel- und Bürogebäude errichten.

In der Londoner City kaufte sich Scheich Said Bin Sultan Al Nahajjan von Abu Dhabi mit 36 Millionen Pfund in bar in das Verwaltungsgebäude von Commercial Union. einem der größten britischen Versicherungsunternehmen, ein.

In der Bundesrepublik stiegen die Araber vorerst bescheidener ein. So kaufte der Sultan von Oman, Kabus Bin Said, für zehn Millionen Mark das Berghotel »Almhütte« bei Garmisch-Partenkirchen als Sommersitz für seine Mutter. Über angebliche Grundstückskäufe in der Hamburger City durch britische Mittelsmänner arabischer Finanziers gab es bislang nur Gerüchte.

Spektakuläre Aktienkäufe der Ölfürsten wie im Fall Krupp aber wurden auch im Ausland noch nicht bekannt. Zwar besitzen die Kuweitis, die über die erfahrensten Anlageberater der Ölländer verfügen, Aktien von Amerikas Superkonzernen wie General Motors, General Electric, National Cash Register, IBM, Eastman Kodak, 3M Corp. und Avon Products sowie von britischen Kapitalgesellschaften. Aber die Kuweit-Anteile liegen bei allen Firmen unter zehn Prozent und wurden meist heimlich an der Börse zusammengekauft.

Die Industrie-Ehe zwischen Schah Resa und Berthold Beitz verheißt den deutschen Industriellen mehr als jene stille Teilhaberschaft. Sie rechnen sich aus, daß der Fall Krupp Schule machen wird und auch andere Ölstaaten zu einträglichen Engagements in Westdeutschland führen wird. Diese Transaktionen würden den Deutschen und ihren europäischen Partnern doppelten Nutzen stiften:

* Die Devisenschwemme würde auf unverfängliche Weise in die westlichen Industrieländer zurückfließen und überdies die Ölländer für das wirtschaftliche Wohlergehen dieser Staaten interessieren;

die Konzernbilanzen würden durch neue spendable Kapitalgeber aufpoliert, größere Projekte auch in Drittländern wären leichter zu finanzieren.

Nach Berthold Beitz' Meinung war kein anderer Konzern Westdeutschlands für den Coup besser gerüstet als die traditionsreiche Essener Firma, die sich im Umgang mit Kaisern und Potentaten bestens auskennt.

Entscheidung durch »Blut und Eisen«.

Die großen Fragen der Zeit, fand etwa Reichskanzler Bismarck, würden nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse entschieden, »sondern durch Blut und Eisen«. Und die Krupps gaben mehr als ein Jahrhundert lang Entscheidungshilfe, bis der letzte Alleinherrscher der Dynastie nach dem Zweiten Weltkrieg dem Kanonengeschäft abschwor.

Für Preußen produzierte Alfred Krupp seit 1859 serienmäßig Geschütze. Zuvor hatte er seine Erfindung, die Stahlkanone, schon Ägyptern und Russen verkauft.

Nur 60 Jahre nach der Gründung der ersten Gußstahlfabrik durch Friedrich Krupp mußte die Welt dessen Sohn Alfred als Kanonenkönig akzeptieren. Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurde der Feind von Krupps Mörsern und Kanonen geschlagen.

Das Haus Krupp wurde Hoflieferant für Kanzler, Kaiser und Kriegsverbrecher. Neue Waffen -wie die Geschütze »Dicke Bertha« und »Dicker Gustav« -- festigten den zweifelhaften Ruf der Dynastie. Und die U-Boote Krupps beeinflußten den Ausgang des Ersten Weltkrieges -- indem sie die Vereinigten Staaten zum Eingreifen provozierten.

»Mit Stolz« sah schon Kaiser Wilhelm II. durch Krupp-Kanonen den Namen des Vaterlandes überall in der Welt verherrlicht.

Den Dank des Vaterlandes wußte später auch der Führer angemessen abzustatten. Am 12. November 1943 erließ Adolf Hitler die sogenannte Lex Krupp, ein Gesetz, das den Krupps gestattete, den gesamten Konzern wie einen Erbhof vom Vater auf den ältesten Sohn übergehen zu lassen.

Das war in den Worten des Führers -- für die Rüstungsfirma Fried. Krupp »die höchste Anerkennung für ihre unvergleichlichen Leistungen. bei der Verstärkung der militärischen Macht Deutschlands«.

Mit dem Untergang dieser Macht begann auch der Abstieg der Kanonen-Dynastie. Alfried Krupp, Ururenkel des Firmengründers, verwandelte das legendäre Familienunternehmen in eine Kapitalgesellschaft. Sein Sohn Arndt -- ohnehin mehr dem süßen Leben zugetan -- wurde als Frührentner mit einer Apanage von jährlich zwei Millionen Mark abgeschoben. Alfrieds Intimus, Berthold Beitz, seit 1953 Generalbevollmächtigter in Essen, managte das Familienunternehmen schließlich in eine Sackgasse. Im Jahre 1966 war Krupp mit drei Milliarden Mark Verbindlichkeiten zum größten Schuldner Deutschlands geworden.

Verluste brachten vor allem jene Firmen, die der Konzern nach dem Willen der alliierten Siegermächte längst hätte abstoßen müssen: Hüttenwerke und Kohlenzechen. Beitzens Fehler: Zu spät ließ er unrentable Zechen schließen; noch 1965 wurden 330 Millionen Mark in die Montanbetriebe investiert. Zu stark engagierte er sich in krisenanfälligen Branchen -- so in der Baumaschinen-Produktion, in der Blechherstellung und im Schiffbau.

Bonn forderte von den Krupps einen hohen Preis.

Dafür hatte sich der frühere Versicherungskaufmann beizeiten jenseits der Grenzen umgetan. Im weißen Krupp-Jet war der Starverkäufer des Hauses auch im Ostblock ständig unterwegs. Das Ostgeschäft verstärkte er von fünf auf 23 Prozent der gesamten Ausfuhr des Konzerns.

Im Krisenjahr 1966 allerdings, als der Krupp-Konzern bei einer Bilanzsumme von 5,3 Milliarden Mark allein den Banken 2,5 Milliarden schuldete, wurden den Finanziers die Beitz-Geschäfte zu riskant. Die Ausfuhrkredit-Gesellschaft mbH (Aka) -- Gesellschafter waren damals 54 bundesdeutsche Banken -- teilte dem Generalbevollmächtigten mit, daß sie keine weiteren Exportkredite zur Verfügung stellen werde.

Der Staat, der schon früher -- so nach der Expansion 1871 und nach dem Ersten Weltkrieg -- mit Anleihen und Subventionen geholfen hatte, war einmal mehr zur Krupp-Stützung aufgerufen.

Diesmal allerdings war die Hilfe für den Familienkonzern nicht gratis: Die Bundesregierung und das Land Nordrhein-Westfalen sprangen mit Bürgschaften über insgesamt 450 Millionen Mark ein, uni dem Konzern aus der Finanzklemme zu helfen. Banken sagten weitere 100 Millionen Exportkredite zu.

Der hohe Preis: Beitz und sein Dienstherr mußten sich verpflichten, einen Verwaltungsrat mit den Rechten eines AG-Aufsichtsrates zu berufen und das Unternehmen schließlich in eine Kapitalgesellschaft umzuwandeln.

In den neuen sechsköpfigen Verwaltungsrat wurden als erste die Vertreter der wichtigsten Krupp-Gläubiger berufen: Hermann Josef Abs von der Deutschen und Werner Krueger von der Dresdner Bank. Vier Monate nach dem Tod Alfrieds, Ende November 1967, übernahm die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung das gesamte Vermögen.

Nur mühsam faßte der Konzern wieder Fuß. Stiftungspräsident Beitz grollte im Park der Krupp-Villa Hügel, wo er in einem Nebengebäude Posten gefaßt hatte. Nacheinander verschliß er mehrere Generaldirektoren. Günter Vogelsang etwa hielt sich 62 Monate, Juergen Krackow ganze 66 Tage.

Doch allmählich ging es aufwärts. Nachdem unrentable Konzernteile -- so die Lastwagenproduktion, das Krupp-Kaufhaus und die Kruppschen Konsumanstalten -- abgestoßen worden sind, sucht Beitzens neuester Generaldirektor Mommsen derzeit den schwächlichen Montanbereich aufzubessern.

So erwarb Krupp vom rheinischen Industriellen-Clan Werhahn Anfang 1974 die Firmengruppe Buckau-Walther, die sich auf Feuer- und Umweltschutzanlagen mit Erfolg spezialisiert hat. In den Bereich des Engineering, des Verkaufs von fortschrittlicher Technologie, gehört auch die 1971 eingegliederte Polysius AG, die ganze Zementfabriken exportiert.

Auch die Perser ließen sich vor Monaten von dem Angebot technischen Krupp-Know-hows locken. Nach der Gründung einer Krupp Iran GmbH in Teheran wurde im Frühjahr 1974 zusammen mit der staatlichen Gesellschaft Idro eine Engeneering-Firma (Gesellschaftskapital: eine Million Mark) gegründet, die für den Iran ganze Anlagen -- so Zement- und Zuckerfabriken -- planen soll.

Interessiert sind die Perser vor allem auch an der Herstellung von Teilen für ihre Automobilindustrie. Die Krupp Hüttenwerke AG prüfen ferner die Möglichkeiten zum Aufbau einer Edelstahlindustrie.

Darüber hinaus plant Krupp für die neuen Besitzer zusammen mit Korf, Klöckner, Mannesmann und Salzgitter ein Hütten-Stahl- und Walzwerk.

Dabei soll es nicht bleiben. Die neue Wirtschaftsbrüderschaft, so vermutet Beitz, werde den Auftragsbestand der Krupp Iran von derzeit rund 300 Millionen Mark schon bald wuchern lassen.

Dem SPIEGEL gegenüber hatte sich der Schah bereits um die Jahreswende gebrüstet: »In zehn Jahren werden wir das sein, was die Deutschen heute sind. Wir werden dann dasselbe Pro-Kopf-Einkommen haben wie Sie heute in der Bundesrepublik.«

Zwar ist der Iran mit einem Bruttosozialprodukt von 17,6 Milliarden Dollar im letzten Jahr und einem Pro-Kopf-Einkommen von 555 Dollar (Bundesrepublik: 5965 Dollar) noch fast ein Entwicklungsland. Doch die nun ins Land strömenden Milliarden heizen einen Super-Boom, wie ihn nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch die Japaner erlebten. Im letzten Jahr wuchs die persische Wirtschaft um über 20 Prozent, in diesem Jahr wird sich das Tempo, so erwarten Experten, selbst nach Abzug der Inflationsrate von derzeit über 13 Prozent noch verdoppeln.

Zu den ehrgeizigsten Projekten der Teheraner Wirtschaftswunder-Planer gehören vor allem der rapide Ausbau der Erdöl- und petrochemischen Industrie, die Erschließung und der Abbau der großen Eisen- und Kupfererzvorkommen und die massive Steigerung der Eisen- und Stahlproduktion.

Die Stahlerzeugung soll von zuletzt vier Millionen Tonnen pro Jahr bis 1978 auf sechs Millionen Tonnen, bis 1983 sogar auf 20 Millionen Tonnen hochgefahren werden -- für Krupp ein weites Feld.

Die westdeutschen Stahlbosse mischen dabei schon längst kräftig mit. So schloß im Oktober letzten Jahres die National Iranian Steel Industries mit der deutschen Korf Engeneering GmbH -- ein Gemeinschaftsunternehmen der Klöckner-Werke AG und der Korf-Stahl AG -- einen Liefervertrag über ein Stahlwerk mit einer Jahreskapazität von 1,2 Millionen Tonnen. Thyssen soll eine weitere Anlage für jährlich 350 000 Tonnen liefern.

Trotz der bereits sichtbaren Industrialisierungserfolge wird es Irans Wirtschaftsstrategen schwerfallen, die hoch gesteckten Entwicklungspläne in nur einer Dekade zu verwirklichen.

Die Herrscher über das 32-Millionen-Volk der Perser haben zwar das Geld, ganze Industrien und die dringend benötigte Technologie zu kaufen. Aber sie verfügen nicht über genügend ausgebildete Arbeitskräfte, die damit umgehen können.

Noch immer können sechs von zehn Iranern weder schreiben noch lesen. Der Schah verkündet zwar kostenlose Bildungsprogramme für die ganze Nation, aber es gibt nicht genügend Lehrer dafür. Davon will Resa Pahlewi freilich nichts wissen: »In wenigen Jahren werden wir mit Hilfe von Videokassetten und anderen modernen Hilfsmitteln den besten Bildungsstandard erreichen.«

Und so wie er sich jetzt im Stahlsektor bei Krupp einkaufte, so hat der Schah auch schon längst die petrochemische Industrie des Auslands im Visier: »Warum sollte ich nicht einige Bayer-Aktien kaufen?« fragte er schon vor einem halben Jahr.

»Wir werden nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, unsere Ölgelder in die westlichen Länder zurückzupumpen«, beschreibt Regierungschef Hoveida die Teheraner Strategie. Und Irans Ex-Finanz- und derzeitiger Innenminister Jamschid Amusegar prophezeite: »Geld, das wir hier nicht ausgeben können, werden wir im Ausland investieren, um unsere Rohstoffquellen zu sichern oder um in Unternehmen einzuziehen, deren Produkte oder Technologien wir wollen.«

Bei Krupp wollen sie vor allem die Technologie. Mit dem Kaufpreis für die Hüttenaktien erwarben die Iraner die Erfahrung der Essener aus 162 Konzernjahren und den neuesten Stand Kruppscher Technik. Laut Gründungsabsprache sind die Deutschen verpflichtet, ihr Know-how »unentgeltlich« der gemeinsamen Zürcher Tochtergesellschaft zur Verfügung zu stellen.

Wie diese Hilfe freilich aussehen soll, weiß auch Unterhändler Beitz noch nicht so recht: »Sicher heißt das nicht, daß wir zum Beispiel 50 Ingenieure ein Jahr lang damit beschäftigen, ein Projekt in Übersee zu planen und durchzurechnen.«

Dafür ist dem Manager etwas anderes klar geworden: Die Erwartungen seines neuen Teilhabers und die gemeinsamen Ziele sind so weit gesteckt, »daß wir uns schwer am Riemen reißen müssen.

Am Donnerstag dieser Woche will Beitz die Führungsmannschaft des Konzerns zum Mittagessen bitten, um sie auf die neue Aufgabe scharfzumachen.

Sich selbst schickt der Schah-Vertraute erst noch einmal in den Urlaub. Am Donnerstagnachmittag wird er dorthin fliegen, wo er seit 25 Jahren seine Ferien verbringt, nach Kampen auf Sylt. Denn: »Da bin ich ein Stück vom Inventar.«

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