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Atomkraft »Da ist vor der Wahl gefingert worden«

aus DER SPIEGEL 29/1994

SPIEGEL: Herr Schröder, sachlich richtig, politisch nicht durchsetzbar - so urteilte Ihr christdemokratischer Vorgänger Ernst Albrecht über ein Entsorgungszentrum in Gorleben. Werden Sie jetzt zu seinem Testamentsvollstrecker?

Schröder: Mit diesem unsinnigen Satz schleppten sich alle herum, die unangenehme Entscheidungen treffen mußten - auch ich. Ich bin zwar mit den Zielen der Bewegung in Gorleben einig . . .

SPIEGEL: . . . gegen die Sie jetzt die Polizei aufmarschieren lassen.

Schröder: Die friedliche Räumung des Hüttendorfs war ein Musterbeispiel für das Verhalten des Staates und für zivilen Widerstand in der Demokratie. Wenn es gelänge, dies fortzusetzen, wäre ich sehr froh. Die Auseinandersetzung soll nicht eskalieren. Aber ich bin nicht gewählt worden, um mich aus Konflikten herauszuhalten, sondern um die Gesetzlichkeit durchzusetzen.

SPIEGEL: Der Protest richtet sich diesmal gegen den Transport von ausgedienten Brennelementen in sogenannten Castor-Behältern quer durch die ganze Republik. Hundertschaften, berittene Polizisten, Hubschrauber und Grenzschutz stehen bereit. Das soll der neue Dialog mit der Anti-Atom-Bewegung sein?

Schröder: Niemand kann garantieren, daß es friedlich bleibt. Ich darf und will _(* Mit Mikrofon, im Hüttendorf Republik ) _(Freies Wendland. ) keinen niedersächsischen Polizeibeamten in eine Situation persönlicher oder gesundheitlicher Bedrängnis bringen.

SPIEGEL: Wann kommt der erste Castor aus dem baden-württembergischen Philippsburg? Bundesreaktorminister Klaus Töpfer sagt, die Kraftwerksbetreiber hätten einen unanfechtbaren Anspruch auf den Transport.

Schröder: Das bestreiten wir. Die jetzige sogenannte Umgangsgenehmigung mit dem Atommüll stammt aus dem Jahre 1983, damals war die Landesregierung noch anders zusammengesetzt. Zehn Jahre lang ist diese Genehmigung nicht in Anspruch genommen worden. Wenn die Betreiber das jetzt, ohne daß das Land erneut prüfen kann, tun wollen, ist das rechtsmißbräuchlich.

SPIEGEL: Müssen wieder Gerichte ran?

Schröder: Ja. Für einen Transport zum jetzigen Zeitpunkt gibt es selbst nach Angaben der Betreiber in Philippsburg keinerlei Notwendigkeit. Da ist politisch vor der Wahl gefingert worden.

SPIEGEL: Nennen Sie Fakten.

Schröder: Die Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Strahlenschutz, untersteht dem christdemokratischen Minister Töpfer. Weiterhin muß die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn die notwendigen Prüfberichte, die uns noch nicht vorliegen, erst beurteilen. Wir sind nicht überzeugt, daß die Strahlung, die von den Brennelementen ausgeht, richtig gemessen wurde. Geräte sind ausgefallen, deswegen werden wir auf externen Sachverstand zurückgreifen müssen.

SPIEGEL: Das klingt sehr nach Verzögerungstaktik.

Schröder: Im Interesse der niedersächsischen Bevölkerung muß ich exakt darauf achten, daß die Grenzwerte für Strahlung, die als hinnehmbar gelten, eingehalten werden.

SPIEGEL: Falls das Zwischenlager in Gorleben für abgebrannte Brennelemente in Betrieb geht, wollen Sie die Teilnahme an weiteren Gesprächen über einen Energiekonsens, die mit Stromerzeugern, Parteien und Gewerkschaften laufen, aufkündigen. Warum eigentlich, ein erstes Papier aus dieser Runde sieht doch auch eine Zwischenlagerung vor?

Schröder: Richtig, aber daran sind wesentliche Bedingungen für einen geordneten Ausstieg aus der Kernenergie in den nächsten Jahrzehnten gekoppelt. Erst wenn der Zeitpunkt für die Stillegung aller Atomkraftwerke formuliert ist, sind die Mengen für die Entsorgung bekannt.

SPIEGEL: Vom Ausstieg wollen die Unternehmen offenbar wenig wissen.

Schröder: Es geht nicht, daß die Industrie sich jetzt Rosinen aus dem Konsens-Papier herauspickt, das auch in der SPD höchst umstritten ist. Wer das langfristige Gesamtkonzept, so wünscht es sich ein Teil der Stromerzeuger, zerreißen will, dem sage ich: ohne mich. Ich dachte, ich hätte es mit redlichen Gesprächspartnern zu tun. Da muß ich mich wohl eines Besseren belehren lassen.

SPIEGEL: Was will denn der andere Teil der Atomkonzerne?

Schröder: Wir haben beispielsweise mit der PreussenElektra ein rationales Arbeitsverhältnis, auch wenn die eine andere Meinung zur Kernenergie haben. Die haben akzeptiert, daß Investitionen in die Kernenergie keine große Zukunft haben. Wir reden mit denen über Gaskraftwerke, Importkohle, Energiesparen oder über Windenergie. Die wollen ihr Geld gewinnbringend anlegen, und das sollen sie in unserem Land.

SPIEGEL: Ein Gesetz wird nun die bisherigen Regeln zur Entsorgung novellieren. Erstmals soll es ausreichen, für die zwingend vorgeschriebene Entsorgung von Nuklearmüll ein Zwischenlager nachzuweisen. Das Gesetz ist im Bundestag schon durch.

Schröder: Gegen unseren Willen. Ich habe dem Bundespräsidenten Roman Herzog jetzt einen Brief geschrieben und, bei allem Respekt vor seinem Amt, unsere Argumente vorgetragen. Entgegen einem Antrag von Niedersachsen hat es die christ-liberale Regierungsmehrheit abgelehnt, das Gesetz als zustimmungspflichtig im Bundesrat zu behandeln . . .

SPIEGEL: . . . in dem die SPD-Länder über eine Mehrheit verfügen. Herzog sollte also einem der ersten Gesetze in seiner gerade begonnenen Amtszeit die Unterschrift versagen?

Schröder: So ist es. Unsere Bedenken gegen das Gesetz sind schwerwiegend. Niedersachsen wird es mit einem Normenkontrollantrag in Karlsruhe verfassungsrechtlich überprüfen lassen, falls es in Kraft tritt. Nach Beschlüssen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in ähnlichen Fragen sehe ich gute Chancen.

SPIEGEL: Die Industrie beruft sich auf völkerrechtlich gültige Verträge zur Rücknahme von Atommüll aus ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen, die ebenfalls nach Gorleben sollen.

Schröder: Daran kommt man in der Tat nicht vorbei. Entsorgung in Deutschland wird notwendig sein. Niedersachsen wird dazu einen Beitrag leisten müssen. Wir sind bereit, eine Entsorgungsanlage anzubieten, dann sollen die anderen Länder nachziehen. Aber Niedersachsen wird nicht zum Atomklo der Republik werden. Wer, wie Minister Töpfer, meint, uns austricksen zu können, der wird nicht weit kommen.

SPIEGEL: Konkret: Wird es ein Zwischenlager in Gorleben geben?

Schröder: Ich glaube nicht, daß wir das anbieten sollten. Wenn für den Schacht Konrad bei Salzgitter in einem ehemaligen Eisenerzbergwerk die sichere Einlagerung von mittel- und schwachaktivem Atommüll sauber durchgeprüft ist, dann sage ich: Verschont uns mit dem anderen Kram.

SPIEGEL: Wohin mit dem Atommüll?

Schröder: Die Lasten müssen verteilt werden. Es geht doch nicht an, daß die härtesten Kernkraftbefürworter in Bayern nicht bereit sind, eine einzige Entsorgungsanlage zu installieren. Oder daß der berühmte Kernenergiekritiker und Stuttgarter Umweltminister, mein Parteifreund Harald B. Schäfer, radikale Reden hält, aber sonst nach der Parole verfährt: »Zünd das Haus des anderen an, verschone meines.«

SPIEGEL: Die SPD will nach dem Nürnberger Parteitagsbeschluß von 1986 in zwei Jahren alle Meiler stillegen.

Schröder: Das ist Wunsch und keine Realität. Das dauert noch rund 30 Jahre, bis ein Totalumbau der Energieversorgung zu schaffen ist. Die SPD muß nicht nur sagen, aus was sie rauswill, sie muß auch sagen, in was sie reinwill.

SPIEGEL: Als Juso-Aktivist haben Sie 1980 in Gorleben demonstriert. Heute hängen da Plakate: »Erst der Albrecht, dann der Schröder, der Schiet wird immer blöder.«

Schröder: Ich kenne viele aus der Anti-Atom-Bewegung persönlich. Einige habe ich sogar vor Gericht verteidigt. Daß die nicht differenzieren können oder wollen, ist schmerzhaft. Y

* Mit Mikrofon, im Hüttendorf Republik Freies Wendland.

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