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»Da rieselt der geistige Kalk«

Parteijugend in der Krise: Mitgliederschwund bei Jungsozialisten, Jungdemokraten und Junger Union
aus DER SPIEGEL 40/1980

Im CDU-Pressedienst verbreitet Matthias Wissmann, 31, Bundesvorsitzender der Jungen Union, Schadenfreude über seine Konkurrenz zur Linken: Die Jusos, jubiliert er, seien »immer mehr auf dem absteigenden Ast«.

Im SPD-»Vorwärts« wiederum frohlockt Willi Piecyk, 32, Bundesvorsitzender der Jungsozialisten, über Ausfallerscheinungen zur Rechten: »Die Union hat den Kontakt zur Jugend verloren.«

Recht haben beide. Denn der organisierte Nachwuchs sowohl der Sozialals auch der Christdemokraten steckt derzeit in seiner bislang wohl schwersten Krise. Die FDP-nahen Jungdemokraten gar bestehen vielerorts nur noch auf dem Papier.

Mitgliederschwund und Müdigkeit, Ziellosigkeit und Zerrissenheit kennzeichnen die Juniorenverbände ausgerechnet in einem Wahljahr, in dem Bonns Politiker mehr denn je bemüht sein müssen, auch die Jugend für die Parlamentsparteien zu erwärmen.

Beunruhigt zeigen sich die Wahlstrategen gar nicht einmal wegen der Grünen, die mit dem Motto »SPD, FDP, CDU -- nein danke« zwar bei der Europawahl jede zehnte Jungwählerstimme kassierten, aber Umfragen zufolge ihren Zenit längst überschritten haben.

Die Bonner Planer ängstigt vielmehr, daß unter den 9,8 Millionen Wahlberechtigten zwischen 18 und 29 Jahren die »Partei der Nichtwähler« rapide wächst -- mit bösen Folgen für sämtliche Bundestagsparteien.

Die Wahlbeteiligung der Jungwähler, die seit der Bundestagswahl 1972 stetig abnimmt, hatte bei den jüngsten Landtagswahlen ein weiteres Tief erreicht: Sie lag um zehn bis 14 Prozentpunkte niedriger als bei den übrigen Wählern; jeder dritte, mancherorts gar jeder zweite Jungbürger enthielt sich der Stimme, selbst dort, wo Protestparteien kandidierten.

Wenn die schleichende Abwendung anhält, steht letztlich die Regierungsfähigkeit von Sozialdemokraten und Christenunion auf dem Spiel. »In einer Situation, in der sich zwei ungefähr gleich starke politische Blöcke gegenüberstehen«, heißt es in einem internen Wahl-»Thesenpapier« der Jungsozialisten, »wäre es für die Sozialdemokratie fatal, wenn 20 oder 30 Prozent der jungen Generation sich daran gewöhnten, entweder alternativ oder überhaupt nicht zu wählen.«

Die Union wiederum muß jegliche Hoffnung auf einen Regierungswechsel aufgeben, wenn sich die Mehrheit der Jungwähler ihr weiterhin, wie nun schon seit 1969, versagt. Zur Zeit sei die CDU/CSU, so Gerhard Herdegen, Bonner Bürochef des Allensbacher Instituts, »wieder einmal und offenkundig noch härter« als früher durch ihr »Defizit bei den Jungwählern« belastet. CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber hat denn auch allen Anlaß, die Unionsjugend markig zur Mitarbeit anzuspornen: »Kämpft, wie ihr noch nie gekämpft habt.«

Ob der Appell befolgt wird, ist fraglich. Die meisten Mitglieder der Jungen Union -- aber auch der Jusos und Judos -- scheinen sich mit dem Spitzenkandidaten ihrer eigenen Partei weniger identifizieren zu können als in irgendeinem Wahlkampf zuvor.

Die Jungsozialisten, tief enttäuscht über die Energie- und Wirtschaftspolitik der Koalition, haben sich lediglich zu der Aussage durchgerungen, es gebe einige Gründe, die SPD »noch einmal zu unterstützen, wenn auch zum Teil mit zusammengebissenen Zähnen« (Vorsitzender Piecyk). Sofern die Jusos sich in ihren Ortsvereinen aktiv am Plakatieren und Zettelverteilen beteiligen, S.76 tun sie's zumeist gegen Strauß, weniger für Schmidt.

Ähnlich die Jungdemokraten: Nur um »Schlimmeres« zu verhindern, empfehlen sie die Wahl der FDP -- obgleich deren Regierungspolitik, wie Judo-Vorsitzender Christoph Strässer sagt, »keinerlei Attraktivität für junge Wähler« habe.

Auch die Junge Union streitet, jedenfalls außerhalb Bayerns, für ihren Kandidaten vorwiegend lustlos. »Verdammt schwer« sei es, stöhnt ihr NRW-Vorsitzender Reinhard Göhner, diesmal »überzeugend für die Union zu werben«.

Nach außen hin, auf Plakaten und in Werbeschriften, lassen sich CDU und CSU zwar mit Vorliebe als »jung und dynamisch«, als »Partei für die Jugend« darstellen. In internen Veranstaltungen dagegen machen auch Spitzenpolitiker kein Hehl daraus, wie fern sie der Jugend stehen.

»Die jungen Leute«, klagte der westfälische Landeschef Kurt Biedenkopf vor Parteifreunden, »kommen nicht zu uns. Mit unseren Grundsätzen allein können sie wenig anfangen. Kaum einer in der Partei wäre in der Lage, sie ihnen wirklich zu erklären. Auch die Junge Union nicht.«

Verflogen ist bei den Christdemokraten die noch vor drei, vier Jahren gehegte Hoffnung, in der Jugend zeichne sich eine massive Trendwende zugunsten der Union ab. Damals war der SPD-Vorsprung bei den Jungwählern vorübergehend geschrumpft, die Junge Union und ihre »Schülerunion« meldeten Zuwachs, während Jusos und Judos Mitglieder verloren.

Inzwischen jedoch haben die Unionsstrategen erfahren müssen, daß ein Minus bei den Linken nicht zwangsläufig ein Plus für die Rechten bedeutet. Während sich die JU in Straußens Stammland, vor allem wegen anhaltenden Zulaufs jungrechter Gymnasiasten, noch »im Aufwind« sieht, ist, wie der »Bayernkurier« bereits letztes Jahr verriet, beim Unionsnachwuchs »im übrigen Bundesgebiet ein deutlicher Abwärtstrend bemerkbar«. Stephan Eisel, Vorsitzender des Rings Christlich-Demokratischer Studenten, klagt, daß der Opposition »die Felle bei der jungen Generation zunehmend wegschwimmen«.

In Baden-Württemberg stehen nach einem Rekordbestand von 19 000 Jung-Unionlern im Jahr 1978 derzeit nur noch 18 500 auf der Liste. Und: Während früher vielerorts jeder zweite zugleich der CDU angehörte, haben dort gegenwärtig nur noch 23 Prozent der JU-Mitglieder das Parteibuch.

In Alfred Dreggers Hessen »stagniert es seit einem Jahr«, räumt der dortige JU-Geschäftsführer Herbert Schnaudt ein. Zu einem Hessen-Kongreß »Jugend für Strauß«, zu dem 300 Delegierte erwartet worden waren, kamen ganze 50. In Helmut Kohls pfälzischer Heimat sank der JU-Bestand von 25 000 auf 24 400, auch dort begleitet von einem »galoppierenden Rückgang« (Landesvorsitzender Helmut Klapheck) der CDU-Jungwähler.

Weiter fortgeschritten als die Krise der Oppositionsjugend ist freilich der Niedergang des Koalitionsnachwuchses. Jungsozialisten und Jungdemokraten haben den enormen politischen Einfluß, den sie Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre besaßen, weitgehend verspielt.

Damals erschienen die Jusos, die sich »die größte politische Jugendorganisation« des Landes nannten, manch einem als »einzig relevante sozialistische Kraft« (Professor Walter Jens) in der Bundesrepublik: Sie bestimmten den Verlauf von Parteitagen wie die innerparteiliche Diskussion; bei Demonstrationen gegen Mietwucher und Mißverwaltung vermochten sie Zehntausende zu mobilisieren.

Nicht minder erfolgreich agierten die Jungdemokraten jener Jahre, darunter der heutige Innenminister Gerhart Rudolf Baum und der Parteigeneral Günter Verheugen. Sie ermöglichten den Wandel der FDP vom nationalliberalen Honoratiorenklüngel der Ära Mende zur sozialliberalen Partei Walter Scheels, stritten für die Mitbestimmung wie die Anerkennung von DDR und Oder-Neiße-Linie und trugen dazu bei, die innerparteilichen Voraussetzungen für die Brandt/ Scheel-Koalition von 1969 zu schaffen.

Mittlerweile hat sich bei Jusos wie Judos eine Entwicklung vollzogen, die SPD-Vorstandsmitglied Horst Ehmke schon vor fünf Jahren kommen sah: Die Parteijunioren seien »vom Aussterben bedroht«.

In der Gruppe der rund 350 000 Sozialdemokraten unter 35 Jahren ist der Anteil jener, die ihr Satzungsrecht nutzen, sich den Jungsozialisten anzuschließen, vielerorts auf fünf Prozent geschmolzen. (Immer mehr SPD-Mitglieder im Juso-Alter allerdings arbeiten statt bei den Jungsozialisten in den Vorständen und Fraktionen der Partei mit, wo die unter 35jährigen bisweilen die Mehrheit stellen.)

»Jeder Fußballverein«, meint Martin Wentz, Ex-Juso-Chef von Hessen, »würde seinen Vorstand feuern, wenn die so einen Mitgliederschwund hätten wie wir.« Bundesweit gibt es, parteiinternen Schätzungen zufolge, nur mehr in jedem fünften Ortsverein eine Juso-Gruppe.

»Praktisch zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken« sind derweil die Jungdemokraten, die sich, wie FDP-Chef Genscher feststellt, »in eine nie dagewesene Ferne zur Partei begeben« haben und von liberalen Spitzenpolitikern seit langem nicht mehr ernst genommen werden. Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff über den Nachwuchs: »Ein Flohzirkus, bloß kleiner S.78 und nicht so lustig.« Alt-Judo Baum: »Eine Splittergruppe.«

Zählten die Jungliberalen 1974 offiziell noch 30 000 in ihrem Gefolge, so schätzt die FDP die Mitgliederzahl heute auf 12 000, Berge von Karteileichen inbegriffen. In Berlin beispielsweise macht von gut 200 Registrierten gerade ein Dutzend wirklich mit.

Parteijugend-Vertreter, ob von Jusos, Judos oder JU, führen unisono die Krise ihrer Organisation vor allem auf Fehler der Mutterpartei zurück, nur im Ausnahmefall auf eigenes Versagen.

In Bremen, wo letztes Jahr nur 17 Prozent der 18- bis 24jährigen für die CDU stimmten, erklärte der Junge-Union-Vorsitzende Wolfgang Bartels, die örtliche Partei sei halt »für die junge Generation nicht wählbar gewesen«. Andere Jung-Unionler, vor allem in Norddeutschland, sehen in der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß eine der Hauptursachen des Abschwungs. Viele Jungsozialisten wiederum meinen, die SPD-Spitze habe mit Maulkorb-Erlassen den Spielraum der Junioren allzusehr eingeengt.

Weithin unstrittig ist die These, Arbeitsplatzmangel, Numerus clausus und Radikalenbeschluß hätten unter den Jugendlichen ein derart hohes Maß an Anpassungsbereitschaft und Autoritätshörigkeit erzeugt, daß nun selbst die Parteijugend-Verbände die Auswirkungen zu spüren bekämen. Auch Jung-Unionler wie das schleswig-holsteinische Vorstandsmitglied Trutz Graf Kerssenbrock räumen mittlerweile ein: »Viele Jugendliche fühlen sich durch unseren Staat verunsichert, überwacht und beschnüffelt.«

Die sozialpsychologischen Folgen haben sich längst auch in demoskopischen Daten niedergeschlagen, wie sie etwa das Jugendwerk der Deutschen Shell unlängst publizierte. Danach glauben nur 54 Prozent der Westdeutschen zwischen 17 und 29 Jahren, »daß man ruhig in der Schule und im Beruf sagen kann, was man denkt, ohne dadurch gleich Nachteile zu haben«, 43 Prozent halten solche Offenheit für »nicht günstig«. Jeder zweite Jugendliche befinde sich, kommentierten die Shell-Forscher, »auf dem Weg zum Duckmäusertum«.

Nach Ansicht von Juso- wie Judo-Sprechern haben der Radikalenerlaß, die Atompolitik und die Anti-Terrorgesetze der Bundesregierung die Koalitionsjugend -- die in all diesen Punkten Gegenpositionen bezogen hat -- in eine tiefe »Glaubwürdigkeitslücke« gestoßen.

»Die Jungsozialisten werden«, weiß ihr ehemaliger Vorsitzender Gerhard Schröder, »viel mehr, als sie es selbst wahrhaben wollen, mit der Politik der Mutterpartei identifiziert. Da kannst du machen, was du willst.« Jede »Misere«, sagt auch Juso-Chef Strässer, werde »denen da oben« zugeschrieben, »also auch der FDP, und das schlägt voll auf uns durch«.

Anfang der siebziger Jahre sei das anders gewesen: »Da war es leicht zu beweisen, daß Arbeit in den Institutionen etwas bewegt«, erinnert sich der hessische FDP-Abgeordnete und einstige Jungdemokrat Eberhard Weghorn. »Da konnten wir ja noch Erfolge nachweisen« -- Strafrechtsreform, Entspannungspolitik, Liberalisierung der Kriegsdienstverweigerung. »Doch dann, um 1974, kam die Wende, mit den Terroristengesetzen und all dem Zeugs. Das hat auf unsere Mitglieder wie ein Hammer gewirkt.«

In jenen Jahren auch begannen die von Bonn frustrierten Jusos und Judos, ihre Verbände mit selbstquälerischen Theoriediskussionen ins Abseits zu steuern. Die Jungliberalen verfaßten ein »chaotisches Strategiepapier« (Ex-Vorsitzender Hans-Peter Knirsch), dessen Aussagen sie Jugendlichen kaum noch zu erklären vermochten. Kernsatz: »Wir unterstützen eine Politik, die wir eigentlich bekämpfen.«

Bemüht, einerseits den Kontakt mit jungen Radikalliberalen außerhalb der FDP zu pflegen, andererseits den jährlichen 50 000-Mark-Zuschuß aus Bonn zu sichern, schlugen die Judos einen abenteuerlich anmutenden Zickzacckurs ein: Mal definieren sie sich forsch als »sozialistischer Kampfverband links von der SPD«, der »am Klassenkampf teilnehmen« müsse, um die »Diktatur der Bourgeosie« zu zerschlagen. Dann wieder bekannten sie sich fromm zu Genschers »Partei des Eigentums«, die lediglich auf einen »bürgerlich-progressiven Kurs« zu bringen sei.

Auch die Jusos haben wenig unterlassen, ihre Zielgruppe -- Schüler, Lehrlinge und junge Arbeitnehmer -vor den Kopf zu stoßen. »Mit dogmatischen Glaubenskämpfen«, sagt das ehemalige Bundesvorstandsmitglied Ottmar Schreiner, »haben wir binnen einer Stunde neu eingetretene Jungsozialisten so frustriert, daß sie für zwanzig Jahre die Schnauze voll hatten.«

In der Zeit der internen »Fraktions- und Linienkämpfe« schrumpfte bei den Jusos nicht nur der Mitgliederbestand, sondern, so die Ex-Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul, auch die »Sensibilität für neue politische Fragestellungen": Während die jungen Sozialdemokraten über die Theorie des »staatsmonopolistischen Kapitalismus« stritten, verschliefen sie den Anbruch des Öko-Zeitalters.

Der SPD-Jugend, resümiert der West-Berliner Parteisprecher Wilhelm Wiegreffe, sei auf diese Weise in den siebziger Jahren das Kunststück gelungen, »sowohl den Anschluß an die Alternativen als auch den bodenständigen Bezug zur Gewerkschaftsjugend« zu verlieren. (Erst seit wenigen Monaten steigt der Prozentsatz der jugendlichen Arbeitnehmer unter den Juso-Mitgliedern wieder an, während der Anteil der Schüler und Studenten sinkt.)

Geschwunden ist im Verband allenthalben der Glaube, durch Juso-Arbeit in den Parlamenten linke Politik forcieren zu können. »Unsere damaligen Wortführer Wolfgang Roth und Karsten Voigt«, klagt ein Alt-Jungsozialist, »sitzen im Bundestag und stimmen für Schmidt.« Ex-Juso-Chef Schröder über seine Vorgänger: »Die sind in Bonn herumgelaufen und haben die Backen S.80 aufgeblasen, quasi als Kanzler der Jugend.«

Durch staatsmännisches Getue haben sich aber auch -- wohl mehr noch als die Jusos -- viele Jungunionler bei ihrem Publikum verdächtig gemacht. Der christdemokratische Nachwuchs, heißt es in einer kürzlich erschienenen Jubiläumsschrift der JU Baden-Württemberg, erscheine als »Jasager-Union«, als eine »Vereinigung der Radfahrer-Naturen«.

»Wo Wohlverhalten und Anpassung den Aufstieg garantieren und zum Maßstab der Arbeit werden, braucht man sich über Leerlauf auf der ganzen Linie hinsichtlich der politischen Schlagkraft nicht zu wundern«, schreibt der Autor Siegfried Schiele, Direktor der Stuttgarter Landeszentrale für politische Bildung. Und er fragt: »Hat man nicht zu Recht den Eindruck, daß bei einem großen Teil des Nachwuchses der Union bereits der geistige Kalk rieselt?«

Gefördert wird die Kalkproduktion durch eine organisatorische Besonderheit. Die vielbeschworene »Klammerfunktion« der JU, die CDU- und CSU-Mitglieder vereint, ermöglicht es der Strauß-Jugend, die anderen Landesverbände permanent politisch zu erpressen.

Aus Angst, die Bayern könnten ihre immer wieder mal ausgesprochenen Abspaltungsdrohungen wahrmachen, verzichtet die JU-Bundespitze um Wissmann seit Jahren auf sämtliche sozial- oder jugendpolitischen Initiativen, die den strammen Rechten aus dem Freistaat mißfallen könnten.

Weil Strittiges in der Regel auch an der Basis ausgeklammert wird, verkümmerten viele Ortsgruppen zu unpolitischen »Freizeit- und Fanklubs für alternde Jugendfunktionäre«, wie das ehemalige Bundesvorstandsmitglied Wulf Schönbohm feststellt: »Bei Grillpartys und Autorallyes erscheinen die Mitglieder zuhauf, bei der Diskussion über handfeste politische Fragestellungen sind die Präsenz und das Interesse dürftig.«

Diese Eigenart offenbarte sich auch beim »Deutschlandtag«, dem höchsten JU-Gremium, im Juni dieses Jahres. Die Beschlußvorlagen glichen, wie Teilnehmer rügten, »Bildzeitungstexten« und wirkten »hingerotzt«, Lust zur Debatte zeigten nur wenige. »Die JU«, urteilte der nordrhein-westfälische Delegierte Hans-Josef Vogel, »macht keine Politik zum Anfassen, sondern zum Abheften.«

Immerhin, neuerdings wird auch in der Jungen Union diskutiert, wie es zu der Kluft zwischen Jugend und Parteien kommen konnte. Die meisten JU-Funktionäre sehen, so scheint es, die Ursache weniger in Fehlentwicklungen der etablierten Politik als vielmehr in einer Fehlentwicklung der westdeutschen Jugend.

Niedersachsens JU-Chef Hartmut Büttner stieß auf ein »erschreckend geringes« Politikinteresse bei den Jungen. Der Nachwuchs, meint der saarländische CDU-Fraktionsführer Ferdi Behles, halte nichts von »Fleiß und Disziplin«, zeige »ausgeprägtes Konsumdenken« und suche »vorrangig das Gemeinschaftserleben«.

Neuen Zulauf erhoffen sich die meisten CDU-Strategen folglich durch Einsatz von mehr Musik, mehr Gemütlichkeit und eine Reform der parteiinternen Kleiderordnung. Der rheinlandpfälzische JU-Vorsitzende Helmut Klapheck rät dringend zum Verzicht auf »Aktenköfferchen und Kleidung a la Paradiesvogel aus den Modeboutiquen«. Strauß-Berater Hans Klein, Abgeordneter in Bonn, empfiehlt seinen Parteifreunden, auch mal Popmusik anzuhören: »Könnten wir mitreden über John Travolta«, meint Klein, »hätten wir auch einen leichteren Gesprächseinstieg für ernsthafte Themen.«

Den Bundestagswahlkampf bestreitet die Junge Union nun vorwiegend mit Anzeigen im Comic-Stil ("He, Typ ... Schock ... Klick, klick ... Schick die SPD bei der Wahl auf Rente") und einer bundesweiten Zelttournee mit Joy Fleming und Karin Anders -- Disco statt Diskussion.

Jungsozialisten und Jungdemokraten experimentieren ebenfalls mit neuen Arbeitsformen wie Songgruppen und Zeltlagern, Straßentheater und Radwanderungen. Die jungen Linken teilen jedoch durchweg nicht die Ansicht, der Grund für die geschwundene Attraktivität der Parteijugend sei vorwiegend bei den Jugendlichen zu suchen. Der bayrische SPD-Vize und Jugendexperte Jürgen Böddrich hält es schlicht für »dummes Geschwätz, die Jungen pauschal als uninteressierte Aussteiger und Schlappis abzutun«. Auch für Juso-Schröder ist die »schlichte These von der unpolitischen Jugend großer Mist«.

Mehr als 15 000 Jugendliche bei einer Mai-Fete der Hamburger Grünen; 30 000 beim Frankfurter Festival »Rock gegen Rechts«; 150 000 Kernenergiegegner in Bonn -- »wann«, fragt Schröder, »waren denn mehr Jugendliche politisch als heute? Wer trägt denn den Widerstand gegen Kernenergie und Berufsverbot?«

Zwar sei, meinen Juso- wie Judo-Aktivisten, die große Mehrheit der Jugendlichen für ein stetiges politisches Engagement nicht zu gewinnen; das aber sei auch vor zehn Jahren nicht anders gewesen. Eine Minderheit jedoch sei nach wie vor zur Mitarbeit bereit -zur Zeit allerdings kaum in den alten Parteien, eher schon in der Öko-Szene und in Bürgerinitiativen, in der Gewerkschaft oder in der Kirchenjugend.

Daß die meisten Jugendlichen nach wie vor »irgendwo links von der Mitte stehen« (Juso-Analyse), zeigen in der Tat Wahlergebnisse, aber auch Untersuchungen wie die Shell-Jugendstudie über die »Einstellung der jungen Generation zu Arbeitswelt und Wirtschaftsordnung«. Die Resultate deuten auf breite Zustimmung zur parlamentarischen Demokratie, auf eine überwiegend S.82 positive Haltung zu den Gewerkschaften, aber ein eher negatives Unternehmerbild -- typische Urteile: »gewinnorientiert«, »energisch«, »autoritär«, »machtgierig«.

Mithin scheint Franz Josef Strauß richtig zu liegen, der im Januar in einem Brief an CSU-Sekretär Stoiber und die Münchner Minister Pirkl (Soziales) und Maier (Kultus) tiefer Sorge Ausdruck gab: In der jungen Generation sei noch immer »keine Tendenzwende zugunsten der liberal-konservativen Positionen« feststellbar, wohl aber »politische Orientierungslosigkeit«.

Die freilich scheint nicht zuletzt auch darin begründet, daß sich die Erscheinungsbilder der großen Parteien immer mehr angleichen, daß soziale Probleme immer komplexer werden und die politischen Kenntnisse vieler Jungwähler äußerst dürftig sind.

Bei einer Befragung von 2000 nordrhein-westfälischen Jungarbeitern fanden Kölner Wissenschaftler letztes Jahr heraus, daß nur 17 Prozent in der Lage waren, SPD und FDP als derzeitige Regierungsparteien zu bestimmen. Lediglich 41 Prozent der Befragten beschrieben das Bonner Parlament zutreffend als Volksvertretung. Drei Prozent entschieden sich für die Antwort, der Bundestag sei »ein gesetzlicher Feiertag«.

Selbst viel besser informierte junge Leute, glaubt der einstige Juso-Vize Rudolf Scharping, Geschäftsführer der Mainzer SPD-Landtagsfraktion, würden abgeschreckt von den »manchmal unvermeidlichen, oft aber bürokratisch gehandhabten Regularien« der alten Parteien. Ein Teil der Jugendlichen, meint der niedersächsische Sozialdemokrat und Ex-Juso-Professor Jens-Rainer Ahrens, wolle »nicht akzeptieren, daß Reformen unter Umständen erst nach jahrelangen zähen Kämpfen verwirklicht werden«. Gerade die SPD, obschon »nach wie vor Reformpartei«, erscheine auf Grund der »zahlreichen Klippen auf dem Reformkurs« manchem Jugendlichen als »zu vorsichtig«.

Geradezu »abstoßend« wirke auf viele junge Leute, wie die schleswigholsteinische Juso-Vorsitzende Bettina Morik glaubt, »das Verhalten der Berufspolitiker gegenüber der Öffentlichkeit. Die schirmen sich ab, die glauben, sie sind was Besseres«. Seit Politiker wie Willy Brandt und Erhard Eppler durch glatte Macher in den Hintergrund gedrängt worden seien, »ist bei keiner der staatstragenden Parteien mehr vorhanden, was auf Jugendliche Faszination ausüben könnte«.

Auch der SPD-Abgeordnete Heinz Rapp, Autor einer einschlägigen Parteistudie, sieht eine der Ursachen des Jugendverhaltens in einem Defizit an persönlicher Glaubwürdigkeit. Beim jüngsten katholischen Kirchentag, auf dem Tausende von Jugendlichen Fragen der Energie- und Entwicklungspolitik diskutierten, sei allen Parteien eine Lektion erteilt worden.

Beim jungen Katholikentag-Publikum habe sich nicht nur ein »Ausbruch aus der aufs Materielle fixierten Welt der Elterngeneration« offenbart. Der Jubel für die Nobelpreisträgerin und Armenhelferin Mutter Teresa habe, so Rapp, gezeigt: »Wahrheit muß erfahrbar sein, muß erlebt werden können. Diese Jugend sucht Sicherheit auch wieder in der Orientierung an Personen« -- nicht nur in abstrakten Programmen.

Bei ersten Kontakten mit örtlichen Kirchenjugendgruppen mußten hessische Jungsozialisten kürzlich erfahren, »daß die mit ihrer politischen Arbeit schon viel weiter sind als wir« (Ex-Landesvorsitzender Wentz). Verblüfft erkannten die vermeintlichen Jugend-Profis der SPD, daß in vielen Kirchengemeinden »hervorragende Aktionen zum Thema Dritte Welt laufen«, von denen bei den Jungsozialisten bislang weithin nur schwadroniert wurde.

»Wir haben wahrscheinlich in den letzten Jahren zu viel verkehrt gemacht, um jetzt erwarten zu dürfen, daß die Jugendlichen plötzlich wieder in die Parteien strömen«, sinniert ein Hamburger Juso. »Vielleicht sollten wir mal eine Zeitlang zu den anderen gehen, gut zuhören und mitmachen.«

Nur mit fleißiger »Vertrauensarbeit« in Initiativen und Vereinen, Gewerkschaftsgruppen und Kirchengemeinden, glaubt auch der ehemalige Juso-Bundesvorsitzende Karsten Voigt, könnten die Parteijunioren noch »verhindern, daß eine neue Jugendbewegung an uns vorbeiläuft«.

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