»Da tut sich was«
SPIEGEL: Herr Pieroth, gegen die Bonner Pläne zum Abbau der Berlin-Förderung gibt es einen Proteststurm. Haben die Einwände des Senats, der Unternehmer und der Fachleute etwas genutzt?
PIEROTH: Ja. Auch in Bonn hat man verstanden, daß man den Berlinern zum 1. Juli nicht Steuererhöhungen und den Abbau der Berlin-Förderung gleichzeitig zumuten kann. Für den deutschen Durchschnittsverdiener mit 3500 Mark Bruttogehalt macht die Steuererhöhung einen Abzug von 18 Mark pro Monat aus. In Berlin wären durch eine zweiprozentige Absenkung der Arbeitnehmerzulage, wie es zunächst geplant war, noch mal rund 70 Mark weggefallen. Das geht natürlich nicht.
SPIEGEL: Kommt der Abbau also später?
PIEROTH: Ich möchte, daß der Abbau erst Anfang nächsten Jahres beginnt, und zwar in kleinen Schritten. Und es darf auch nicht die gesamte Zulage bis 1994 auf Null gefahren werden.
SPIEGEL: Werden Sie sich denn damit durchsetzen?
PIEROTH: Ich halte einen Zeitaufschub bis Ende 1995 für dringend nötig und deshalb in Bonn auch für erreichbar.
SPIEGEL: Letztlich geht es den Berlinern dann aber doch ans Portemonnaie?
PIEROTH: Der Abzug der Konzernzentralen aus Berlin und das teilweise Zurückfallen der Berliner Industrie auf das Niveau einer verlängerten Werkbank der bundesdeutschen Unternehmen führte ja zu niedrigeren Einkommen als in Hamburg oder München. Wenn es uns gelingt, die Berliner Industriestruktur zu verjüngen, dann können wir auch die Einkommensnachteile aus eigener Kraft überwinden. Aber dazu braucht man natürlich Zeit. Selbst fünf Jahre sind eine äußerst optimistische Vorgabe.
SPIEGEL: Werden von der neuen Bonner Linie auch die Unternehmen profitieren?
PIEROTH: Auch in Bonn hat man jetzt eingesehen, daß der Wegfall der Mauer nicht über Nacht die problematische Berliner Wirtschaftsstruktur verbessert hat. Wir haben immer noch keine preisgünstigen Zulieferbetriebe rund um die Stadt, wie das in Stuttgart oder Düsseldorf der Fall ist. Die nach wie vor bestehenden Fracht- und Einkaufsnachteile müssen ausgeglichen werden. Deshalb wird man die Herstellerpräferenz, also die Vergünstigung bei der Umsatzsteuer, doch etwas länger gewähren.
SPIEGEL: Das klingt, als hätte sich Berlin in Bonn weitgehend durchgesetzt.
PIEROTH: Soweit sind wir weiß Gott noch nicht. Selbst wenn wir Finanzminister Waigel überzeugt haben, hat der das Problem mit Brüssel. Die EG mißversteht, weil sie nur auf den Mauerabriß schaut, die Umsatzsteuerpräferenzen als mittlerweile überholte Subventionen. Da kämpfen wir momentan Seite an Seite mit der Bundesregierung.
SPIEGEL: Aber die Abnehmerpräferenz für westdeutsche Kunden von Berliner Produzenten ist nicht zu retten?
PIEROTH: Nein, da kann man Brüssel auch verstehen. Die ist aber auch nicht so besonders wirksam für die Berliner Betriebe.
SPIEGEL: Stirbt denn, wie bisher angekündigt, zum 30. Juni die Förderung des Wohnungsbaus durch das Berlinförderungsgesetz?
PIEROTH: Auch da tut sich was. Möglicherweise läuft das erst im nächsten Jahr aus. Das würde uns Luft geben, unseren Haushalt umzustellen auf die neue Ballungsraumförderung, die den Wohnungsbau in allen Großstädten stützen wird.
SPIEGEL: Was ist der Grund für das Umdenken in Bonn?
PIEROTH: Angesichts des immer offensichtlicher werdenden Zusammenbruchs der ostdeutschen Wirtschaft wird den Verantwortlichen klar, daß die Probleme mit einem wegbrechenden West-Berlin noch größer würden. Es ist natürlich eine viel bessere Lösung, West-Berlin zu einer Lokomotive des ostdeutschen Aufschwungs zu machen. Deshalb bahnt sich in Bonn jetzt diese Bereitschaft an, den Abbau der Berlin-Förderung so zu strecken, daß Berlin kräftig bleibt.
SPIEGEL: Das ist die optimistische Variante. Es gibt aber auch das düstere Bild, daß Berlin kriselt, verarmt oder, wie es neuerdings heißt, »verostet«.
PIEROTH: Beide Szenarien sind gleichermaßen wahrscheinlich. Es liegt an den politisch Verantwortlichen, den besseren Weg zu erreichen. Wenn wir da auch nur den kleinsten Fehler machen, dann ist das Armutsszenario realistischer.
SPIEGEL: Ist es dafür bedeutend, ob Berlin Regierungssitz wird?
PIEROTH: Für den Aufbau Ostdeutschlands und für den Zusammenhalt des neuen, wiedervereinten Deutschlands ist das ein ganz entscheidender Impuls. Aber die Verantwortung geht noch weit darüber hinaus. Zum ersten Mal seit 1200 Jahren können wir Europa vereinigen - und zwar mit Osteuropa, mit Rußland. Um diese einmalige Chance nutzen zu können, braucht man einen Brückenkopf. Die in den nächsten Jahren notwendige Hilfe für den Osten, ihn wirtschaftlich aufzubauen, aber auch ihn politisch friedlich zu halten, kann nur von Berlin, nicht vom fernen Bonn aus gelingen. o