Zur Ausgabe
Artikel 25 / 58

GRÖNLAND Dänisch groß geschrieben

aus DER SPIEGEL 15/1950

Die dänischen Kolonialbeamten üben faktisch eine Art Diktatur aus«, schrieb Jung-Grönländer Jens Kreutzmann den Dänen schon vor Jahr und Tag ins Stammbuch.

Diesen Eindruck gewann auch Ministerpräsident und Grönland-Minister Hans Hedtoft, als er vorletzten Sommer Dänemarks letzte Kolonie besuchte. Die ist fast 50mal so groß wie das königliche Mutterland.

»Ich habe dort ein großes Stück meines Herzens verloren«, erklärte er, als er nach Kopenhagen zurückkehrte, und ging energisch daran, die schlechte dänische Kolonialmaschinerie in Schwung zu bringen. Hedthoft möchte sein in Grönland verbliebenes Herzstück auch künftig ohne Auslandspaß aufsuchen können.

Zwar bilden die zarten Keime einer grönländischen »Los-von-Dänemark«-Bewegung noch keine akute Gefahr für das dänische Herrenvolk. Indessen hätte fortgesetzte Kopenhagener Wurstigkeit leicht Wunder wirken können. Damit kein Wunder geschieht, ist Dänemark neuerdings entschlossen, in Grönland einer Revolution von unten zuvorzukommen. Letzte Woche legte die dänische Grönland-Kommission nach 14 Monaten harter Arbeit Parlament und Oeffentlichkeit 1100 Seiten Denkschrift vor.

Was während des Krieges in Indochina, Burma und Indonesien japanische Selbständigkeitspropaganda kräftig auflodern ließ, brachten die Amerikaner in Grönland erst zum Glimmen. Die Dänen hatten in den verflossenen 230 Herrschafts-Jahren mit Holzhäusern und Hafenanlagen zwar auch einige Zivilisations-Kostproben in die nördlichen Breiten geschafft. Aber was die Amerikaner ab April 1941 mit 7000 importierten Arbeitern aus Grönlands Felsenboden stampften, ging beim Schein zerbeulter Petroleumlampen bis ins nördliche Thule von Mund zu Mund.

Die Alten begnügten sich mit kindlichem Staunen. Die junge Intelligenz kam indes bald dahinter, daß etwas faul sei im Staate Dänemark. Bereits nach dem ersten Weltkrieg hatten die Fortschrittlichsten dezent zu meutern begonnen. Kopenhagen reagierte nicht.

Im Weltkrieg Nr. 2 sahen die Grönländer dann, daß ihr Land sich auch ohne Kopenhagen ganz gut regieren ließ. In den dänischen 1945-Jubel über den Abzug der deutschen Besatzer platzten alarmierende Berichte: Das nordische Kolonialvolk forderte schlicht eine Aussprache über die künftige Stellung Grönlands Kopenhagen meinte, es gebe nichts zu besprechen.

Die dänischen Behörden wurden erst hellhörig, als amerikanische Schreckschüsse den Kritik-Lärm der dänischen Presse ("Grönland ist alles andere als eine Musterkolonie") noch übertönten. In den USA wurde Stimmung gemacht für Ankauf oder Kontrolle Grönlands.

New Yorks »Sunday News« meinte bieder, Dänemark solle den USA die Insel schenken. Senator Bertrand Gearhard (Kalifornien) schlug vor, man müsse Grönland anbieten als 49. Staat in die USA einzuziehen. Ein Sprecher der dänischen USA-Gesandtschaft wunderte sich witzig, daß man nicht gleich Dänemark als Nr. 50 eingeladen habe.

Im UNO-Kolonialausschuß rupften kolonialfeindliche Delegierte aus Süd- und Mittelamerika und den Araberstaaten mit den alten Kolonialmächten England, Frankreich und Belgien diverse unterdrückte Hühnchen und vergaßen auch Grönland nicht. Dänemark gelobte gründliche Besserung.

Die sei sehr nötig, betonen die Grönländer. Sie ärgern sich schon darüber, daß viele Dänen es nicht anders wissen, als daß auf Grönland Eskimos - übrigens ein uraltes indianisches Schimpfwort - leben.

Eskimos gibt es nur noch an der unwirtlichen Nordostküste und im abgelegenen Thule. Die Mehrheit der Grönländer ist eine Mischrasse mit einem guten Schuß europäischen Blutes. Früher nach der Insel gekommene Seefahrer, Fischer und Jäger heirateten im Lande und mehrten sich nach Kräften.

Schon vor tausend Jahren gaben friesische Fahrensleute auf Grönland Gastspiele. Vor 150 Jahren gab es dort 6000 »Eingeborene«. Heute sind es rund 20000. Man findet deutsche Namen wie Kleist, Chemnitz, Kreutzmann. Motzfeld und Heilmann.

Ihr schweres Geschütz richteten die fortschrittlichen Grönländer auf die »Grönlands Styrelse« (Grönland-Direktorat) in Kopenhagen. Das hat Grönland lange wie ein Naturschutzgebiet behandelt: Der Grönlandhandel war Direktorats-Monopol.

Früher erhielten die Grönländer für Häute und Pelze nur Naturalien: meist dünne Kleidung, Holzbretter und Grütze. Seit einigen Jahren zahlt man ihnen Geld. Wenig genug: für 1 Kilo gereinigten und verpackten Fisch beispielsweise nur zehn Oere (6 Pfennig).

Noch heute beherrschen nur drei bis fünf Prozent der Grönländer die dänische Herrenvolksprache. Viele, die sie lernen möchten, finden keine Möglichkeit dazu. Daher können sie keine Fachbücher über Technik und Fischerei lesen. Die gesamte Literatur in grönländischer Sprache füllt auf dem Bücherbord nur einen Meter. Wenn man zwei Kochbücher und ein Büchlein über Säuglingspflege dazurechnet.

Der Gesundheitszustand der Insel-Kolonie ist eher ein Krankheitszustand. Grönland ist das führende Tuberkulose-Land der Welt, den meisten seiner Einwohner verfaulen die Zähne frühzeitig im Munde. Vor allem aber sind die Geschlechtskrankheiten weit verbreitet

Schlechte Unterkünfte sind dafür verantwortlich: Einzimmerhäuschen aus Torf oder Holz mit nur einem Fensterchen. In der einen Ecke pflegt ein Kanonenofen, in der anderen eine Holzpritsche für die ganze Familie, in der Mitte ein Tisch zu stehen. Stühle gibt es nicht. Zeitungsbilder von Greta Garbo und Clark Gable blicken von der Wand auf stinkende Fisch- und Fleischreste am Boden herab.

Für die Geschlechtskrankheiten - und für die meisten unehelichen Kinder - sind die dänischen Arbeiter verantwortlich, stellte die dänische Aerztin Dr. Johanne Christensen fest. Beispielsweise die hundert, die im Kryolithwerk Ivigtut arbeiten.

1939 gab es dort nur 7 Prozent illegale Babys. 1948 waren die Prozente »in diesem Sodom und Gomorrha« auf 41 Prozent, in der »Stadt« Julianehaab sogar auf 47 Prozent heraufgeklettert. Ein Drittel der unverheirateten Mütter gaben Dänen als Väter an. Denen wurden die einheimischen Mädchen von geldhungrigen Eltern für 30 bis 40 Kronen je Bootsladung frei Haus geliefert, berichtet Dr. Christensen. Sie glaubt, diesen Zuständen könne gesteuert werden, wenn man nur verheiratete dänische Arbeiter nach Grönland schickt.

Besserung solcher - und vieler anderer - Mißstände versprach Ministerpräsident Hans Hedtoft den Grönländern in der Hauptstadt Godthaab (Gute Hoffnung). Die Skepitker rieten, das Arbeitsergebnis der dänischen Grönland-Kommission abzuwarten, die 1949 die Insel besuchte.

Jetzt wurde es fertig; gleich 20 Entwürfe für neue Grönland-Gesetze. Die bedürfen lediglich noch des von vornherein sicheren Mehrheitssegens, um auf der wichtigen Bastion eines eventuellen arktischen Ost-West-Krieges eine gewaltige Umwälzung hervorzurufen.

Kopenhagen will die bürokratischen Barrieren zwischen Mutterland und Inselkolonie beseitigen. Privates Unternehmertum soll freien Zutritt haben, eine allmählich abzubauende staatliche Kontrollinstanz wird die Grönländer in den ersten Jahren vor Ausbeutung schützen.

Mit hundert Millionen Investierungskronen sollen Handwerksbetriebe, Fischerei, Schafzucht und Konservenindustrie ausgebaut werden. Grönland braucht eine neue wirtschaftliche Basis

Jahrhundertelang lebten seine Einwohner von Seehund. Die Robbe lieferte Fellbekleidung. Fleisch und Speck fürs Menü und Tran für die Funzel. Aber mit der zunehmenden Erwärmung der Arktis (Grönlands Sommertemperatur: früher 11, jetzt 20 Grad) verzogen sich die Seehunde polwärts. Dafür kamen die besten Dorsche der Welt in die Grönland-Gewässer.

Für die Robbenjagd war es günstig, wenn die Jäger sich an der 1500 Kilometer langen Westküste gegenseitig nicht ins Gehege kamen. Für den Fischfang ist es besser, wenn die jetzt in rund 200 Siedlungen verstreut lebenden Grönländer sich möglichst im Südwesten konzentrieren. Wenn das geschieht, können die Dänen jede Siedlung mit Schulen, Krankenhäusern, Kindergärten und Kirchen bedenken. Außerdem wird der Fischnachschub zu den geplanten Konservenfabriken gewährleistet. Bessere Häuser. Ladengeschäfte und Kinos sollen die mißtrauischen Grönländer in die Großsiedlungen locken.

Die »kleinen Könige« der Insel, die höheren Kolonialbeamten, sollen sich künftig nur noch wirtschaftlichen Aufgaben widmen. Die ärztliche Verwaltung wird zwar weiterhin von Kopenhagen aus gelenkt, wird aber mehr Selbständigkeit erhalten. Der Landtag soll jetzt wirklich etwas zu sagen bekommen.

Auf dem Stundenplan des zu modernisierenden grönländischen Schulwesens wird Dänisch in Zukunft ganz groß geschrieben. Jeder Grönländer soll die Sprache Andersens lernen. Ein eigenes Gerichtswesen soll eingerichtet werden. Viele Aerzte und Krankenschwestern sollen nach Grönland kommen, um den Hauptfeind der Bevölkerung, die Tuberkulose, zu schlagen. Gleichzeitig sollen sie die Grönländer zu Hygiene und Sauberkeit erziehen.

Gegenüber den USA sind die Dänen nicht mehr so ängstlich wie in den ersten Nachkriegsjahren, als die amerikanischen Gäste keine Anstalten machten, ihre mehr als 2000 Soldaten aus Grönland abzuberufen.

Inzwischen haben sie sie auf etwa 800 reduziert und unterhalten außer den Stützpunkten Blue West One im Süden und Blue West Eight im Norden nur noch eine Peilstation und ein Nachschublager.

Auf den vom dänischen Washington-Gesandten Henrik Kaufmann 1941 eigenmächtig abgeschlossenen dänisch-amerikanischen Vertrag brauchen sich die Amerikaner dabei nicht mehr zu berufen. Das geht jetzt viel besser und legaler über den Atlantikpakt. Die Dänen strengen sich nun auch nicht mehr an, die US-Soldaten aus Grönland hinauszukomplimentieren.

Nur in einem Punkt führen sie eine scharfe Kontrolle durch. Jegliches Fraternisieren mit den in der Nähe wohnenden Einheimischen ist den Amerikanern untersagt. Eigens dafür eingesetzte, pistolenbewaffnete Kontrolleure passen auf, daß kein Ami sich den grönländischen Hütten nähert. Zum beiderseitigen Besten.

Zur Ausgabe
Artikel 25 / 58
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren